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Fanfiction Übersicht - Epik

Titel: Retelling a Story
Autor: Ulrich-Alexander Schmidt
Kurzbeschreibung: Retelling a Story lässt sich nur schwer zusammen fassen. Es ist eine der besten, wenn nicht die beste deutsche Fanfiction die es gibt.

Der Autor führt euch in eine Welt, aus der ihr nicht raus kommt, ehe ihr sie komplett durch gelesen habt.

Allerdings muss ich euch warnen. Mit insgesammt 322176 Wörtern (bei Schriftgröße 10 entspricht dies 857 Seiten) ist sie auch eine der längsten Fanfiction.


Retelling a Story 0:1

Retelling a Story 0:2

Retelling a Story 0:3

Retelling a Story 0:4
Neon Genesis Evangelion - FanFiction


Retelling a Story

0:4

(Episode 19 - 24)

(Abzweigung 04)



von Ulrich-Alexander Schmidt
Fassung vom 10.02.2002




Legal Boilerplate:
NGE und die Charaktere sind Eigentum von GAINAX, etc.pp.



Sämtliche Fehler in der Charakterisierung sind ganz allein mir selbst zuzurechnen.




Kapitel 36 - Eine von uns

Sehr, sehr vorsichtig legte EVA-01 den geborgenen EntryPlug von EVA-03 auf den Boden.
Vor wenigen Augenblicken war ein Bergungsteam samt medizinischer Crew eingetroffen.

Der kopflose EVA lag völlig still.
Auch aus dem EntryPlug kamen keine Signale...
EVA-03 war verstummt...

EVA-02 stand in einiger Entfernung, das Gewehr immer noch in den Händen.

Die Kommunikation zwischen den EVAs einer- und dem Hauptquartier andererseits war immer noch gestört. Ein Mitglied des Bergungsteams versuchte, sich mittels Lichtsignalen mit den Piloten zu verständigen, allerdings war zumindest Shinji der Code nicht bekannt.

EVA-00 fiel nach vorn, schlug lang hin, gleich darauf wurde der EntryPlug ausgefahren und Rei Ayanami stolperte ins Freie.

Das also sollten die Lichtsignale bedeuten...

Shinji griff nach der Steuerung, um die Evakuierung seines Plugs auszulösen, zögerte dann aber. Gerade wurde der EntryPlug von EVA-03 geöffnet...
Shinji hielt den Atem an.
Was würden die Retter im Plug finden...?

Die Augen von Einheit-01 zoomten auf den Plug heran.

Äußerlich war der Plug unversehrt, wies keine Delle auf. Als die Luke aufschwang, floß ein Schwall von LCL-Flüssigkeit hinaus.

Zögernd trat Rei näher...

Ärzte gingen in Bereitschaft, eine Trage stand bereits neben der Ausstiegsluke...
Der Sanitäter, welcher in den Plug hineingestiegen war, kam heraus, einen leblosen Körper auf den Armen...


*** NGE ***


Hikari Horaki saß in ihrem Bett im NERV-Krankenflügel mit dem Rücken gegen das hochgestellte Kopfteil gelehnt, sie trug jetzt ein Krankenhausnachthemd. Ihre Augen waren geöffnet, doch ihr Blick war leer, starrte nur geradeaus.

Rei sah Hikari in die Augen, wartete auf eine Reaktion, erwiderte den starren Blick, wartete... wartete, bis sie den Blick nicht mehr aufrechterhalten konnte. Hikaris leerer Blick war einfach stärker...

\"Misato, was ist mit ihr?\" flüsterte Shinji.
Er stand neben der Tür, mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt.

Neben ihm stand Misato Katsuragi, immer noch in ihrer Ausgehuniform, welche jedoch zahlreiche Risse und Flecken aufwies. Ihr linker Arm war eingegipst, sie trug ihn in einer Schlinge, hatte ihr Uniformjackett lose über der Schulter liegen. Ein Verband bedeckte ihre Stirn unter der Uniformmütze, ihr Gesicht war zerschrammt. Aber sie lebte.
Eine ganze Reihe der NERV-Mitarbeiter in Matsushiro hatte dieses Glück nicht gehabt, die Bergungstrupps fanden immer noch Leichen...
\"Ich habe keine Ahnung. Vielleicht findet Ritsuko etwas...\" antwortete sie ebenso leise.
Sie war unter mehreren Trümmerstücken wieder zu sich gekommen, die über ihr ein Dach gebildet hatten. Ihr Arm war gebrochen und sie hatte eine Gehirnerschütterung davongetragen, hatte sich aber aus eigener Kraft freigraben können, war eine der ersten gewesen, welche vor Ort ärztlich versorgt wurden, war mit der ersten Fuhre ins Hauptquartier gebracht worden, hatte dort Shinji und Rei getroffen, welche auf die Ergebnisse von Hikaris Schädeluntersuchung warteten. Mit ihr war Ritsuko Akagi gekommen, welche den Zustand des Mädchens mit großer Betroffenheit zur Kenntnis genommen und sofort ihre Arbeit wieder aufgenommen hat-te.

\"Sie reagiert überhaupt nicht auf ihre Umgebung.\" stellte Rei fest.

\"Vielleicht ein Schock? Immerhin mußte sie mitansehen, wie der EVA die Anlage zerlegt hat... und wer weiß, was der Engel getan hat, um die Kontrolle zu erlangen.\"
Misato war schwindlig. Mit kurzen Schritten schleppte sie sich an der Wand entlang zu einem Stuhl, der in der Ecke stand, setzte sich.

Die Zimmertür flog auf.
Kaji kam herein, sah sich kurz um, trat dann direkt zu Misato und umarmte sie vorsichtig, ohne daß sie Gegenwehr leistete.
\"Ich habe gerade erfahren, daß du schon hier bist, Katsuragi.\"

\"Ich bin in Ordnung, Kaji, etwas angeschlagen, aber noch am Leben.\"

\"Ja, du bist zäh. - Was ist mit Ritsuko?\"

\"Ich bin auch noch am Leben\", kam es von der Tür her. \"Und wenn du nach links und rechts gesehen hättest, anstatt einfach den Gang hinunterzurennen, hättest du das auch schon früher bemerkt.\"
Ritsuko Akagi humpelte hinein.
Ihre Beine waren von blauen Flecken und Schürfwunden übersät, ihr rechter Knöchel verbunden. In nächster Zeit würde sie auf Hackenschuhe verzichten müssen.
In der Hand hielt sie ein Klemmbrett.

Hinter Akagi trat Maya Ibuki ein, welche sogleich wieder neben ihrer Mentorin Stellung bezog, als wäre sie bereit, diese aufzufangen, sollte sie stolpern.
Damit war es recht voll in dem Krankenzimmer.

Kaji drückte sich gegen die Wand, Rei zog sich zurück in die nächste Ecke und Shinji rührte sich ebenfalls nicht vom Fleck.

Akagi musterte besorgt das sommersproßige Mädchen im Bett.
\"Die Untersuchungen haben nichts ergeben. Keine Verletzungen, keine Blutungen, nichts, das auf einen Tumor hindeuten könnte... Sie ist völlig gesund. Aber das ist Kaworu andererseits auch und trotzdem ist er noch nicht wieder ansprechbar.\"

\"Aber sie schläft doch nicht, Doktor Akagi.\"

\"Ich weiß, Rei. Es könnte ein Schock sein, ausgelöst durch die abrupte Unterbrechung der Synchronverbindung als der Kopf des EVAs gesprengt wurde.\"

\"Also ist es Soryus Schuld.\" folgerte Rei mit eiskalter Stimme.

Shinji lief es kalt den Rücken hinab, als er seine Rei-chan so sprechen hörte, das war nicht das Mädchen, welches er liebte, das klang eher nach der Rei, wie er sie ganz zu Anfang kennengelernt hatte.

\"Das ist noch nicht bewiesen. Solange ich die Aufzeichnungen des EntryPlugs nicht ausgewer-tet habe, will ich keine Unterstellungen oder Beschuldigungen hören.\"

\"Ich kann Ihnen möglicherweise bei der Klärung der Frage behilflich sein. Benutzen Sie den Plug bei einem simulierten Synchrontest mit mir, dann kann ich auf die Daten direkt zugreifen.\"

\"Rei...\" setzte Shinji an. Ihm gefiel die Idee, Rei-chan mit den im Plug abgelegten Erinnerungen und Eindrücken zu konfrontieren, überhaupt nicht.

Ritsuko schüttelte den Kopf.
\"Dazu muß ich keinen Test laufen lassen, die MAGI sind ebensogut imstande, die Daten auszuwerten. Ich weiß, du willst helfen.\"

\"Ja.\"

\"Dann sollten wir es erstes weitere Gespräche in den Gang verlagern und Hikari etwas Ruhe lassen, vielleicht ist das alles, was sie braucht.\"
Noch einmal sah sie sich im Raum um.
\"Wo ist eigentlich Asuka?\"

\"Sie hatte kein Interesse daran, sich über Hikaris Zustand zu informieren.\" erklärte Rei und ein Hauch von Bitterkeit schwang in ihren Worten mit.


*** NGE ***


Ritsuko saß schon bald darauf in ihrem Büro an ihrem Computer und begann mit der Auswertung der Daten des EntryPlugs von EVA-03.
Auf dem Feldbett, welches Akagi erst kürzlich in ihrem Büro aufgestellt hatte, lag Misato ausgestreckt, eine Hand gegen ihren Schädel gepreßt.

\"Du solltest wirklich nach Hause gehen, Misato.\"

\"Das kann ich nicht. Erst muß ich wissen, ob Asuka für Hikaris Zustand verantwortlich ist. Ich will nicht noch mal den gleichen Fehler machen wie bei Shinji.\"

\"Hm... gut, aber wenn du schon schmerzerfüllt stöhnen mußt, dann bitte etwas leiser.\"

Maya stellte einen Becher neben ihr ab.
\"Sempai, Ihr Kaffee.\"

\"Danke, Maya... Hyuga hat mir erzählt, daß Kommandant Ikari dich aus der Zentrale geworfen hat?\"

\"Das... ist korrekt.\"

\"Warum?\"

\"Ich habe Kritik an der Entscheidung geübt, EVA-03 als zu vernichtendes Ziel zu deklarieren, bevor ein Blaues Muster festgestellt werden konnte.\"

\"Ikari hat vorher...?\" ächzte Misato.

\"Ja, Major. Obwohl wir Lebenszeichen aus dem Plug erhielten. Ich bin mir sicher, daß die Pilotin zu diesem Zeitpunkt noch in Ordnung war.\"

\"Dann sehen wir uns doch mal die Aufzeichnungen an.\" murmelte Ritsuko. \"Startvorbereitungen... Herstellung der Synchronisation... ah, hier ist ein Bruch, da hat der Engel die Kontrolle übernommen... aber die Synchronisation bestand immer noch... und hier... die Kontrolle des Engels war gar nicht so umfassend... das Mädchen hat gekämpft...\"

Ritsuko lehnte sich zurück.
\"Der Engel ist für ihren Zustand nicht verantwortlich. Hikari hat bis zum letzten Augenblick gegen ihn gekämpft. Und... mein Gott...\"

\"Sempai?\"

\"Ritsuko, was hast du gefunden?\"

\"Nachdem EVA-00 und EVA-01 Einheit-03 bewegungsunfähig gemacht hatten, hat sich der Engel aus den Systemen des EVAs zurückgezogen. EVA-03 war frei, als Asuka...\"
Sie preßte die zur Faust geballte Hand gegen ihre Lippen.

Keine der drei Frauen sagte ein Wort.
Ihnen allen war klar, was Ritsukos Entdeckung bedeutete - ebensogut hätte Asuka die Gewehrmüdung an den Kopf des Fourth Children halten und abdrücken können...

\"Ich muß ihre Familie verständigen...\" sagte Ritsuko schließlich. \"Sie wollen garantiert wissen, was mit Hikari ist...\"
Sie hämmerte die Faust auf die Tischplatte.
\"Ich habe sie ausgewählt. Ich habe ihr gesagt, daß nichts passieren kann...\"

\"Ritsuko, damit konnte doch niemand rechnen.\"

\"Ich hätte es in Erwägung ziehen müssen. Und ob wirklich niemand...\"
Ruckartig stand sie auf.
\"Ich bin bald zurück. Sonst... Maya, fahr den Major nach Hause, sie weiß, was sie wissen wollte.\"


*** NGE ***


Gendo Ikari blickte auf, als die Tür seines Büros einfach aufgestoßen wurde und Ritsuko Akagi hereingestürmt kam. Ihr Gesicht war schmerzverzerrt, da sie keine Rücksicht auf ihren verletzten Knöchel nahm.
Ikari war das egal. Die Tatsache, daß sie einfach unaufgefordert sein Büro betrat, erweckte Seinen Zorn. Wäre sie nur eine Minute eher gekommen, wäre sie Zeuge geworden, wie er sich eine weitere Dosis der Droge verabreicht hatte, welche ADAM ruhigstellen sollte.
\"Ritsuko, das ist ein schlechter Augenblick.\" knurrte er warnend.

\"Das ist mir egal, Gendo.\"
Ritsuko hatte den großen Schreibtisch erreicht und stützte sich mit beiden Händen auf der Tischplatte auf.
\"Wußtest du, was passieren würde? Hattest du mit einem Angriff auf den EVA gerechnet?\"

\"Nein.\"
Akagi glaubte doch wohl nicht allen Ernstes, daß er ihr die Wahrheit sagen würde?
Innerlich lachte er laut. Wie würde sie erst reagieren, wenn sie erfuhr, was er in der Zwischenzeit in die Wege geleitet hatte?
Ikari schob eine Aktenmappe über den Tisch.
\"Der Bericht ans Komitee. Ich habe ihn gerade abgeschickt.\"

Ritsuko zog die Mappe zu sich, schlug sie auf.
Sie wurde blaß.
Das konnte doch nicht Gendos Ernst sein...
\"Das... du hast ihnen gesagt, es war kein Engel?\"

\"Ja. Die MAGI haben die ganze Zeit über nur ein Oranges Muster erkannt.\"

\"Aber... und du stellst es als Versagen des Piloten dar...\"

\"Wäre sie fähig gewesen, hätte sie den EVA unter Kontrolle behalten, anstatt ihm zu erlauben, in einem Amoklauf die Testanlage zu zerstören.\"

\"Es war ein Engel. Ich habe selbst gesehen, wie...\"
Sie verstummte, lachte plötzlich.
\"Das also erzählst du dem Komitee... \'es gab keine Gefahr, die EVAs sind sicher, nein, ein Engel könnte sie nie übernehmen\'... und das Mädchen wird als Sündenbock abgestempelt.\"

\"Du hast sie ausgesucht.\"

\"Und jetzt bin auch noch ich es!\"
Sie wich von dem Schreibtisch zurück.

\"Hikari Horaki wird heute noch in das Städtische Krankenhaus verlegt.\"

\"Aber hier kann man sie viel besser behandeln...\"

\"Durch ihr Versagen sind alle Abmachungen hinfällig geworden, sie wurde bereits aus dem Register der Piloten entfernt.\"

\"Hinfällig? Ich habe diese Abmachungen mit ihr getroffen... ich hatte ihr versprochen...\"

\"Was? Eine Haushaltshilfe? - Unnötig, den Unterlagen nach hat sie zwei Schwestern, die Können ruhig putzen, waschen und kochen. Und die Operation für eine gewisse Mari Suzuhara... ich habe dem nie zugestimmt. Wenn du an diesen Abmachungen festhalten willst, nur zu. Aber NERV wird die Ausgaben nicht tragen.\"

\"Gendo, das kannst du nicht machen! Das Mädchen war NERV-Angehörige, und wenn nur für zwei Wochen.\"

\"Ich habe sie auf keiner Liste.\"

\"Aber sie... du hast ihren Namen gelöscht!\"

\"Ritsuko, du bist dabei, eine Grenze zu überschreiten. Du nimmst dir mehr heraus, als dir zuträglich ist...\"

\"Ich... verstehe...\"
Wütend knallte sie die Akte auf die Tischplatte.
\"Kann ich heute noch meine Kündigung einreichen, oder reicht es, wenn sie morgen auf Deinem Tisch liegt?!\"

\"Ritsuko, Ritsuko... langsam solltest du es wissen: Niemand verläßt NERV. Sicher, du kannst gehen, in Maya Ibuki hast du eine fähige Nachfolgerin ausgebildet... allerdings weißt du zuviel über die Operation. Und zuviel Wissen kann ungesund sein. Für dich... und jene, die dir nahestehen, denk darüber nach.\"

\"Du... Bastard!\"

Ikari lächelte knapp.


*** NGE ***


Ritsuko begleitete die Überführung Hikaris ins Städtische Krankenhaus.
Der Zustand des Mädchens war unverändert.

Im Krankenhaus warteten bereits Hikaris Familie und ihr Freund.
In knappen Worten gab Ritsuko die Fassung der Geschichte wieder, wie sie in Gendo Ikaris Bericht gestanden hatte - Hikari war als Pilotin ausgewählt und unter Geheimhaltung ausgebildet worden. Während der ersten Aktivierung war EVA-03 Amok gelaufen und hatte von den anderen EVAs gestoppt werden müssen, dabei war die Pilotin zu Schaden gekommen.
Danach fühlte sie sich leer und ausgebrannt.
Gendo hatte sie in der Hand, wenn sie nicht tat, was er wollte, würden andere dafür büßen. Und alles was sie im Gegenzug gegen ihn in der Hand hatte, war eine alte Aufzeichnung ohne Ton, wie ihre Mutter ein Kind erwürgte...

Auf irgendeinem Flur des Krankenhauses brach sie schließlich zusammen, ließ sich auf einen Plastikstuhl fallen und gab ihren Tränen freien Lauf, bis keine mehr kamen.

Dann, irgendwann später, raffte sie sich wieder auf, ging zum nächsten Waschraum und wusch sich das Gesicht mit kaltem Wasser, wischte sich anschließend das zerlaufende Make-up mit einem Papierhandtuch ab.
Langsam ging sie zurück auf jene Station, auf der Hikari lag.

Nur Hikaris Freund und ihre ältere Schwester waren noch anwesend.

Ritsuko stand eine ganze Weile an der Beobachtungsscheibe im Flur.
Sie hatte etwas versprochen...
Ihre Mutter hatte vor ihrem Tod durch den Verkauf von Patenten ihrer Entwicklungen ein kleines Vermögen gemacht, welches in Grundstücke investiert worden war. Wenn sie das Vermögen jetzt freisetzte...
Akagi nickte in Gedanken. Das Geld würde ausreichen, um Hikaris Behandlung zu tragen. Und wenn sie einige Kredite aufnahm, konnte sie auch die versprochene Operation bezahlen...


*** NGE ***


Weder Shinji noch Rei schliefen in dieser Nacht besonders gut. Beide hingen ihren eigenen Gedanken nach.

Shinji war sich sicher, daß der Engel sich bereits von EVA-03 zu lösen begonnen hatte, als Asuka mit dem Gewehr aufgetaucht war... andererseits hatte er keine Belege dafür, außer Seinem Gefühl.

Auch Rei lag wach, im Gegensatz zu all den letzten Nächten lag jeder von ihnen auf einer Hälfte des Bettes, ohne daß es zu einem körperlichen Kontakt kam.
Doktor Akagi hatte sie davon in Kenntnis gesetzt, daß Hikari verlegt worden war. Und sie hat-te ihr mitgeteilt, daß ihre Vermutung richtig gewesen war.
Der Doktor hatte sie davor warnen wollen, wozu Soryu fähig war...
Soryu hatte Hikari verletzt...

Shinji drehte sich Rei zu, wollte sie in den Arm nehmen, spürte, wie sie sich verkrampfte, drehte sich nach dem kurzen Moment des Zögerns wieder zurück.

In der Dunkelheit begannen zwei rote Augen vor Wut zu glühen...
Soryu hatte Hikari verletzt.
Sie hatte ihre Freundin verletzt.
Sie hatte einen anderen Piloten verletzt...
Und wenn sie dazu fähig war, dann war sie auch imstande, ihrem Shin-chan etwas anzutun...


*** NGE ***


Der ganze Jahrgang, alle drei Klassen, war im Rahmen der Klassenfahrt in verschiedene Richtungen aufgebrochen. Doch eine Handvoll Schüler, insgesamt neun, war zurückgeblieben, Unter ihnen die drei Piloten und Toji Suzuhara, welcher seine Teilnahme an der Klassenfahrt nach Okinawa im letzten Moment abgesagt hatte.
Für diese neun fand sogar Unterricht statt - der alte Lehrer der 3-A hatte sich bereiterklärt, sie mit mehreren Dokumentarfilmen über den Second Impact zu beschäftigen.

Shinji und Rei hatten den Tag schweigsam begonnen, während des Frühstücks hatten sie kaum mehr als zwei, drei Worte miteinander gewechselt, ebenso während der Fahrt mit der Straßenbahn.

Beiden steckten die Ereignisse des gestrigen Tages noch nur zu gut in den Knochen.

Toji erwartete sie bereits, seinem Gesicht war anzusehen, daß er nicht allzuviel Schlaf in dieser Nacht gefunden hatte.
\"Was ist geschehen?\" fragte er nur.

\"Ahm, Toji... es... das...\" stammelte Shinji. Wie sollte er seinem Freund die ganze Geschichte nur erklären? Und außerdem hatte NERV Geheimhaltung über die Angelegenheit verhängt.

\"Suzuhara-kun, Hikari wurde als EVA-Pilotin ausgewählt. Während des Aktivierungstests wurde Einheit-03 von einem Engel übernommen und lief in der Folge Amok. Wir haben uns bemüht, Hikari zu retten, sind aber gescheitert.\"

Toji starrte Rei mit aufgerissenen Augen an, schien einige Zeit zu brauchen, um die Informationen zu verarbeiten.
\"Ein Engel... uns wurde gesagt, es wäre ein Unfall gewesen... daß Hikari die Kontrolle verloren hat...\"

\"Was?\" fragte Shinji. \"Das... das stimmt nicht... es war nicht ihre Schuld...\"

\"Ihre Familie ist völlig fertig... und ich bin es auch... wenn diese Doktor Akagi nicht versprochen hätte, sich um die Kostenfrage zu kümmern, hätte man Hikari heute nach Hause geschickt... könnt ihr euch das vorstellen? Diese verfluchten Engel...\"
Toji setzte sich auf die Kante eines Pultes.
\"Ich wollte das nur wissen... sonst wäre ich gar nicht gekommen. \'Habe jetzt ja noch jemanden, den ich im Krankenhaus besuchen muß... Hikari reagiert überhaupt nicht... sie sitzt nur da... wie eine Puppe...\"
Tränen liefen über seine Wangen.
\"Das... ah... habt ihr es dem Engel wenigstens richtig gegeben?\"

\"Allerdings\", warf Asuka ein, die gerade den Klassenraum betreten und Tojis letzte Worte gehört hatte. Sie warf sich in Positur. \"Ich, Asuka Soryu Langley, habe den Engel erledigt, weil diese beiden Nichtskönner dazu nicht fähig waren.\"
Sie grinste breit, präsentierte glänzend weiße Zähne.
Das tat gut... wenn sie ihre Leistungen nicht hervorhob, tat es ja sonst niemand.
Und Misato, diese männerausspannende Glucke, hatte für sie nur eine weitere Standpauke übriggehabt... dann war die Klassensprecherin halt durch ihren Schuß zu Schaden gekommen, na und? Schließlich hatte die Vernichtung des Engels Vorrang gehabt!

\"Der Engel war bereits besiegt. Hikari hatte gerade die Kontrolle über den EVA zurückerlangt, als du den Kopf von EVA-03 weggeschossen hast.\" erklärte Rei kühl die Tatsachen.

Auf Asukas Stirn schwoll eine Zornesader an.
Jetzt wollte First ihr auch noch den Sieg streitig machen!
\"Wer\'s glaubt! Diese Anfängerin wäre doch nie im Leben mit einem Engel fertig geworden.\"

Tojis Kopf ruckte herum.
\"Stimmt das? War Hikari in Ordnung bis...\"

Rei nickte.
\"Die Aufzeichnungen des Plugs belegen es.\"

Toji holte tief Luft.
\"Asuka, du verfluchte Schlampe!\"
Er ballte die Fäuste.

Asuka grinste noch breiter, sah ihn herausfordernd an.
\"Na, komm doch, Loverboy, wenn du dich traust... Oh, ich vergaß, du schlägst ja keine Mädchen. Hast wohl Angst, wir könnten zurückschlagen, was? Ja, es gibt halt Dinge, die getan werden müssen...\"

Toji zitterte. Seine Lippen bebten. Immer noch hatte er die Hände zu Fäusten geballt.

\"Suzuhara-kun wird seine Vorsätze heute nicht brechen, Soryu.\"
Mit dieser Information auf den Lippen trat Rei zwischen die beiden.

\"Uh, Rei-chan...\"
Shinji fand das nicht gut, nein, er fand es überhaupt nicht gut.
Rei-chan befand sich komplett in Asukas Reichweite... und wozu die Rothaarige fähig war, wußten sie inzwischen zur Genüge.

\"Soryu, Hikari war eine von uns. Während des Kampfes war unsere Kommunikation lahmgelegt, ich gehe daher davon aus, daß dir die Umstände nicht bekannt waren. Aber Hikari verdient unseren Respekt und unsere Hilfe.\"

\"Hilfe? Respekt? Ha! Das ist mir doch völlig egal. So etwas hat doch auch niemand für mich übrig!\"

\"Vielleicht... uh... wenn du dich anders verhalten würdest...\" wagte Shinji einzuwerfen.

\"Hast du \'was gesagt, du Niete? Hattest den Engel quasi in den Fingern und konntest nichts tun, weil du vor Angst gelähmt warst. Ohne mich würdest ihr immer noch dort draußen hocken! Ihr verdankt mir, daß der Engel besiegt wurde!\"

\"Soryu...\"

\"Und daß sie eine von uns war... da lache ich doch nur drüber! Sie war genauso eine Niete wie ihr beide!\"

Rei fixierte sie stumm. Nein, weitere Worte würden nichts bringen...

\"Geh. Zur. Seite. Ayanami.\" knurrte Toji.

\"Nein, Suzuhara-kun.\"

\"Wenn er sich mit mir schlagen will, nur zu. Dann sieht er seine Freundin nur um so eher wieder.\"
Lachend hob Asuka die Fäuste.

\"Ich sagte bereits, Soryu, Suzuhara-kun wird heute nicht gegen seine Prinzipien verstoßen.\"

\"Ach, willst du mir vielleicht eine kleben? Versuch\'s doch!\"
Asuka wartete keine weitere Entgegnung ab, sondern schlug zu...

Rei hatte den Schlag bereits im Ansatz kommen sehen und wich zur Seite aus, ließ auch den nächsten Hieb an sich vorbeisausen, duckte sich unter einem Tritt hinweg.
Den nächsten Angriff parierte sie mit einem Unterarmblock, reagierte schnell genug, um jeden Schlag abzuwehren.
Sie hatte keine Kenntnis von Nahkampftechniken, doch sie verfügte über eine Geschwindigkeit und Reaktionsschnelligkeit, welche nahe am menschlichen Maximum lagen. Und sobald sie davon Gebrauch machte, schalteten auch ihrer Wahrnehmung und ihr Denken quasi in den Nächsten Gang, so daß Asukas Bewegungen ihr fast wie in Zeitlupe erschienen.

\"Argh! Wehr dich doch endlich, Wondergirl!\" zischte Asuka, darauf hoffend, daß Rei eine Lücke in ihrer Deckung öffnete, sobald sie zum Gegenangriff überging.
First war schnell, das mußte sie ihr lassen, doch ihre Bewegungen zeugten nicht davon, daß sie Nahkampftraining erhalten hatte, daß sie bisher jedem Angriff hatte ausweichen oder ihn hatte abblocken können, war reines Glück!

Rei war versucht, der Aufforderung nachzukommen.
Dann allerdings erinnerte sie sich an die Anweisung des Kommandanten, ihre Kräfte niemals gegen einen anderen Menschen einzusetzen.
Sie durfte nicht zurückschlagen...
Doch was für ein Mensch tat anderen dergleichen an... was für ein Mensch war Soryu, daß sie kein Bedauern, keine Reue für ihr Tun zu kennen schien...
Sie durfte ihre Kräfte nicht gegen Menschen einsetzen...
Wenn Soryus Kräfte nicht bald erlahmten, würde sie früher oder später einen Treffer landen und Soryu nahm keine Rücksicht, schien dieses Konzept gar nicht zu erkennen...
Sie durfte ihre Kräfte nicht benutzen, es war ein Befehl des Kommandanten... nicht gegen ei-nen anderen Menschen...

\"Ich versohl\' dir den Hintern, First!\"

Und wenn dieser Mensch anderen Menschen Schaden wollte? Menschen waren dazu imstande großes Leid über ihresgleichen zu bringen... sollte sie dann auch tatenlos danebenstehen?
Sie durfte nicht... es war ihr nicht gestattet...
Und wenn Shin-chan Soryus Opfer gewesen wäre?
Hatte Soryu irgendetwas getan, um sich als Mensch zu qualifizieren? Im negativen Sinne, ja... sie hatte Leid über andere gebracht, hatte sie zu ihrem Vergnügen gequält... egal, worin der Grund für Soryus Verhalten lag, dazu hatte sie kein Recht...
Gut und Böse, zwei gegensätzliche Konzepte, mit denen Rei sich bisher kaum beschäftigt hatte. Was war gut, was böse?

\"Komm, First, ich verpasse dir die Abreibung deines Lebens... na, wer wird dann Klein-Shinji beschützen?!\"

Jemand, der anderen wissentlich und willentlich Leid zufügte, konnte nur böse sein...
Sollte der Kommandant wirklich von ihr verlangen wollen, sie dürfte ihre Kräfte nicht gegen solche Menschen einsetzen? Sollte er ihr etwas derartiges wirklich befehlen?
Dann war ein solcher Befehl selbst böse... dann konnte sie einem solchen Befehl nicht folgen...
Wieder schoß Soryus Faust auf sie zu, dieses mal direkt auf ihr Gesicht...
Auszuweichen war kein Problem, aber Rei hatte genug...
Und sie packte Soryus Unterarm oberhalb des Handgelenkes, nutzte ihren eigenen Schwung, der hinter dem Schlag steckte, schleuderte Soryu durch die Luft, versetzte ihr zugleich einen Schlag mit dem Handrücken ins Gesicht...


*** NGE ***


Eben noch hatten die beiden Mädchen sich wie im Zeitraffer bewegt, hatte Asuka versucht, Reis Verteidigung zu durchbrechen, hatte versucht, sie mit Worten aus der Reserve zu locken, da hatte Rei unvermittelt zugegriffen und Asuka fortgeschleudert.

Asuka flog quer durch den Raum, krachte frontal gegen die Wand, stürzte in einer Staubwolke zu Boden.

Lange Risse liefen durch den Putz, welcher langsam bröckelte, plötzlich einen Ganzkörperabdruck Asukas aufwies.

Wie ein Blitz schoß Rei durch den Raum, war über Asuka, kaum daß diese den Boden berührt hatte, packte sie mit einer Hand an der Kehle, riß sie nach oben, stemmte sie in die Luft.

Asukas Gesicht war blutüberströmt, sie hatte eine breite Platzwunde an der Stirn und blutete aus der Nase, ein dünner Blutfaden sickerte zudem aus dem linken Mundwinkel. Instinktiv versuchte sie, den Griff um ihre Kehle zu lösen, trat mit den Füßen, doch Rei gab nicht nach, drückte sie mit einer Hand gegen die Wand und in die Höhe.

\"Soryu\", begann Rei ruhig. \"War dir bekannt, daß Klassensprecherin Horaki einen verwitweten Vater und zwei Schwestern hat, um die sie sich kümmert? War dir bekannt, daß sie eine hervorragende Köchin ist, deren Traum es ist, später ein Restaurant zu eröffnen? War dir bekannt, daß sie eine gute Freundin ist, die versucht, mit Rat in allen Lebenslagen zu helfen, wenn man sie darum bittet? War dir bekannt, daß sie ihre Aufgaben als Klassensprecherin gewissenhaft erledigte? Verlangt so etwas in deinen Augen keinen Respekt? Oder kannst du alles nur zerstören?\"

Asukas Antwort war eine Reihe gurgelnder Laute. Ihr Gesicht war mittlerweile bläulich angelaufen.

Rei spürte eine Hand auf ihrer Schulter.
Jemand wollte sie aufhalten...
Unwillig wischte sie den Störenfried zur Seite.

Es krachte in ihrem Rücken.

Sie blickte wieder in Soryus Gesicht, funkelte sie mit ihren roten Augen an.
Soryus Blut lief über ihre Hand...
Blut... rotes Blut...
Sie hatte menschliches Blut vergossen...
Blut...
Entsetzt öffnete sie ihren Griff, stolperte rückwärts.

Asuka rutschte an der Wand nach unten, kroch in die nächste Ecke, rollte sich dort zusammen.

Rei starrte auf ihre Hand.
Blut... an ihren Fingern klebte Blut...
Langsam drehte sie sich um die eigene Achse.
Shin-chan... wo war er... er mußte ihr helfen...
Blut... fremdes Blut... sie mußte es abwaschen...
Shin-chan...
Dann sah sie ihn, er lag in den Trümmern eines zusammengebrochenen Pultes, wurde gerade von Suzuhara-kun nach oben gezogen, starrte sie furchterfüllt an, hielt eine Hand gegen den Rücken gepreßt.
Was hatte er... lag es an dem Blut an ihren Händen...
Sie erinnerte sich an die Berührung einer Hand an ihrer Schulter... er war es gewesen, der sie hatte zurückhalten wollen... und sie hatte ihn fortgestoßen... hatte ihn verletzt...
Was hatte sie nur getan!
Sie hatte ihm wehgetan!
Sie war nicht besser als Soryu!
\"Shinji...\" flüsterte sie, streckte die Hand nach ihm aus.

Er wich vor ihr zurück...

An ihrer Hand klebte immer noch Soryus Blut...
Ihre Lippen begannen zu beben.
Wie alle sie anstarrten...

\"Monster...\" flüsterte eine Schülerin aus der Parallelklasse.

\"Sie kann kein Mensch sein...\" - \"Diese roten Augen...\" - \"Monster, ich sag\'s doch...\"

Rei zitterte.
Die Blicke, welche die anderen Schüler ihr zuwarfen, waren voller Furcht und Argwohn. Und ihre Worte trafen etwas tief in ihr.
Wieder blickte Rei auf ihre Hände.
Sie hatte einen anderen Menschen verletzt... schlimmer noch, einen Moment lang hatte sie Soryu töten wollen, hatte gleiches mit gleichem vergelten wollen...
Dann rannte sie aus dem Klassenraum...


*** NGE ***


Shinji zitterte am ganzen Leib, selbst jetzt noch, nachdem mehrere Stunden vergangen waren.
Auch er hatte die Klasse verlassen, gleich nachdem Asuka von der Schulkrankenschwester in Obhut genommen worden war.
Rei hatte ihm Angst gemacht... sicher, er hatte gewußt, daß sie stark war, obwohl man es ihr nicht ansah, doch er hätte nie damit gerechnet, daß sie so stark war... daß sie Menschen einfach durch die Luft schleudern konnte... und als sie ihn zur Seite gewischt hatte, da hatte er ein Glühen in ihren Augen gesehen...

Er hatte nicht den Mut gehabt, in die Wohnung zurückzukehren, war stattdessen zuerst ziellos durch die Stadt gelaufen und schließlich in die Geofront hinabgefahren, war dann in dieser umhergeirrt.

Und dann war er auf ein Feld gestoßen, auf dem Melonen wuchsen, große reife Früchte. Die wahre Überraschung war aber derjenige gewesen, der die Melonen anbaute: Ryoji Kaji.

Jetzt saß Shinji neben Kaji-san auf einem Holzklotz. Kaji trug eine Gärtnerschürze, vor ihm steckte neben einer Gießkanne ein Spaten in der Erde. Stumm reichte er Shinji eine flache Metallflasche.

\"Trink einen Schluck, dann hört das Zittern auf.\"

Shinji nahm die Flasche entgegen, schraubte den Verschluß ab und nahm einen tiefen Schluck. Es war Schnaps! Der Alkohol brannte ihm in der Kehle, brachte ihn zum Husten.

\"Na, nicht so viel!\"
Kaji nahm ihm die Flasche aus der Hand und verstaute sie wieder in der Tasche.
\"Das hier ist mein kleines Reich, der Ort, an den ich mich zurückziehen kann. Hier habe ich das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun, Dinge wachsen zu lassen...\"

\"Ah... ja...\"
Wieder hustete Shinji.

\"Das bleibt aber unser Geheimnis, ja?\"

\"Gut.\"

\"Vielleicht muß ich mal überraschend weg, dann könntest du dich vielleicht um die Melonen kümmern, ein paar sind schon reif... Ah... Naja, so Shinji, was ist los?\"

\"Ich... ah... Rei...\"

\"Hm. Ich habe schon davon gehört. Asukas Stirn mußte mit elf Stichen genäht werden und sie mußte im Anschluß zum Zahnarzt.\"

\"Sie... sie macht mir Angst...\"

\"Rei?\"

\"Ja...\"

\"Katsuragi wollte ja zuerst nicht glauben, daß Rei das getan hat.\"

\"Ich... ich habe es... gesehen... mit einer Hand...\"

\"Ui. Das Mädchen ist wirklich stark.\"

\"Ja...\"

\"Hm, vielleicht verstehst du jetzt, was ich damals meinte mit Geheimnissen und dunklen Seiten.\"

\"Ahm... wie... wie ist das möglich?\"

\"Rei Ayanami wurde körperlich verbessert... tut mir leid, ich habe keine bessere Umschreibung auf Lager. Dein Vater hat dafür gesorgt, daß sie schneller und stärker ist als der Durchschnittsmensch.\"

\"Mein Vater...?\"

\"Ja. Er wollte den perfekten Piloten schaffen... und wahrscheinlich ist Rei deshalb immer so kontrolliert, weil sie sonst jemanden mit Leichtigkeit töten könnte.\"

\"Uh...\"

\"Macht dir das Angst? Daß sie dir bei einer leidenschaftlichen Umarmung das Kreuz brechen könnte?\"

\"Ich... ah... Rei-chan würde nie...\"

\"Gut. So schätze ich sie nämlich auch ein. Laut Leutnant Ishiren hat sie dich aber trotzdem verletzt.\"

\"Das war keine Absicht.\"

\"Klar, die meisten Dinge dieser Art geschehen aus Unachtsamkeit, so sind wir Menschen eben. Wir handeln erst und denken dann.\"

\"Bekommt Rei jetzt Schwierigkeiten?\"

\"Ich weiß es nicht. Was willst du jetzt machen? Immer noch ängstlich?\"

\"Ich... nein... aber es hatte mich ziemlich... uh... erschrocken...\"

\"Angst ist nichts, dessen man sich schämen muß, solange man sich ihr nicht unterwirft, im Gegenteil, sie schärft unsere Sinne.\"

\"Dann... ich sollte vielleicht... zu ihr gehen...\"

\"Mach das. Warte, ich gebe dir eine Melone mit. - Welche Frau kann schon auf ihren Freund sauer sein, wenn er ihr eine Melone mitbringt?!\"

\"Ahm...\"


*** NGE ***


Rei hatte ihre Hände gewaschen - nein, geschrubbt -, bis sie ganz rot waren und schmerzten.
Soryus Blut war nicht mehr auf ihrer Haut zu sehen, aber in gewisser Weise war es immer noch da. Und genauso spürte sie immer noch Shin-chans furchtsamen Blick... er hatte Angst gehabt, daß sie mit ihm dasselbe tun konnte... ebenso vermeinte sie immer noch das Getuschel der an-deren Schüler zu hören.
Kein Mensch...
Ein Monster...
Kein Mensch...
Sie saß am Küchentisch und starrte auf ihre Hände, Hände, die fähig waren zu verletzen, Hände, die beinahe getötet hätten...

Die Wohnungstür wurde geöffnet und geschlossen...

Noch bevor sie seine Stimme hörte, wußte Rei, daß es nur Shinji sein konnte.

\"Rei-chan...?\"

Schritte durchquerten den Schlafraum, kamen in die Küche...

Shinji betrat die Küche.

Rei saß am Tisch, wandte ihm den Rücken zu.

\"Rei-chan...\"
Er legte die mitgebrachte Melone auf die Spüle, beugte sich dann über Rei.

Sie stand auf, wich ihm aus, trat einen Schritt in den Schlafraum.
\"Shinji, vielleicht wäre es besser, wenn du gehst. Ich habe dich heute verletzt. Es könnte mir wieder passieren.\"

Shinji zuckte heftig zusammen. Dann schüttelte er den Kopf.
\"Nein, Rei-chan, das würdest du nie.\"
Damit überwand er die Distanz zwischen ihnen und nahm sie in die Arme.
\"Das würdest du nie.\"

Zögernd erwiderte sie die Umarmung ganz vorsichtig.

\"Ich bin nicht aus Porzellan\", flüsterte er, verzog im nächsten Moment das Gesicht.

Rei ließ sofort los, wollte wieder etwas Distanz zwischen sich und ihn bringen, doch er hielt sie fest.

\"Ich bin in Ordnung. Nur ein paar blaue Flecken... geprellter Rücken... wirklich, du hast mir nicht wehgetan.\"

Sie ließ die Arme baumeln, hing plötzlich kraftlos in seinen Armen.

\"Rei-chan!\"

\"Shin-chan, ich bin zu kräftig, ich könnte...\"

\"Ich weiß, uhm, warum du so bist, wie... uh... mein Vater hat dich... uhm... wie soll ich... verbessert?!\"

\"Ich bin ein Monster...\"

\"Nein. Du bist Rei. Rei Ayanami. Meine Rei-chan.\"
Langsam wurde sie zu schwer für ihn. Also steuerte er das Bett an, ließ sie darauffallen.

Rei streckte Arme und Beine von sich, tat ansonsten nichts, um den Fall aufzuhalten.
\"Ich wollte dich nicht verletzen... ich hätte meiner Wut nicht nachgeben dürfen...\"

\"Du hast mich nicht verletzt... der Tisch war es, der unter mir zusammenbrach.\"
Sein Versuch sie aufzuheitern schlug fehl, sie reagierte nicht.
\"Rei-chan, ich selbst war wütend... Toji war wütend... du hast Asuka in ihre Schranken verwiesen.\"

\"Ich hätte sie töten können!\"

\"Aber du hast es nicht... ahm... Meine Rei-chan würde niemanden töten.\"

\"So siehst du mich?\"

\"Anders kann ich dich nicht sehen.\"

Sie schloß die Augen.
\"Shin-chan, ich... mir ist alles egal... außer dir...\"

\"Sag das nicht, bitte... uh...\"

\"Ich wollte dich nicht verletzen. Ich... Mach mit mir, was du willst...\"

\"Argh...\"
Er sah auf sie, wie sie auf dem Bett lag, die Augen geschlossen, mit den Gliedmaßen ein X bildend. So verletzlich... so paradoxerweise wehrlos...
Er rutschte zum Fußende, kroch von dort aus über sie, bis sein Gesicht über dem ihren hing, streichelte dann ihre Wange.
Dann hob er ihren Oberkörper an, nahm sie wieder in die Arme, drückte sie fest an sich.
\"Ich will dich nur halten und beschützen, Rei-chan...\"
Ihr Gesicht ruhte an seiner Wange und plötzlich spürte er Feuchtigkeit, als sie zu weinen begann.
\"Laß es raus, laß alles raus...\" flüsterte er denselben Rat, welchen Kaji-san ihm gegeben hatte...


*** NGE ***


Schimpfend verließ Asuka das Behandlungszimmer.
Große Pflaster zierten ihre Stirn und die rechte Wange, eine weiterer Verband klebte über der Nase, so daß sie recht nasal sprach.
\"Diese verfluchte Hure! Hat mir eine Krone ausgeschlagen!\"

Misato nahm das Gezeter mit Gleichgültigkeit hin.

\"Ich hoffe, sie wird bestraft! Man sollte ihr den EVA wegnehmen, wer weiß, wozu sie sonst noch in der Lage ist!\"

Misato sah sie finster an.
\"Komm mal mit.\"

\"Wohin? Ich will nach Hause und mich hinlegen! Dieses rotäugige Dreckstück...\"

\"Komm. Mit. Keine. Widerrede.\"
Misato führte Asuka auf jene Station, auf der Hikari lag, war nicht sonderlich überrascht, Ritsuko an der Beobachtungsscheibe zu finden. Die beiden Frauen begrüßten einander mit einem Nicken.
\"Sieh da rein. Das Mädchen auf dem Bett, erkennst du es?\"

\"Natürlich, das ist Klassensprecherin Horaki.\"

\"Ja, genau. Du bist für ihren Zustand verantwortlich.\"

\"Ach was. Die hat auch früher schon gestarrt wie ein toter Fisch.\"
Asuka kicherte.

\"Das ist nicht lustig.\" zischte Ritsuko.

\"Asuka, sie befand sich in EVA-03. Sie war in voller Synchronisation mit der Einheit, als du ihr den Kopf weggeblasen hast. Ist dir überhaupt in den Sinn gekommen...\"

\"Hör auf mich rundzumachen! Du bist nicht meine Mutter! Es ist mir völlig egal, was mit ihr ist, kapiert das keiner von euch?\"

\"Doch, jetzt verstehen wir es. Alles, was dir wichtig ist, ist Asuka Soryu Langley, bist du selbst. Und ich bin nicht deine Mutter, da hast du völlig recht... glücklicherweise... denn sonst könnte ich dir nicht sagen, was ich dir zu sagen habe: Ich will dich nicht mehr in meiner Wohnung. Ich habe kein Interesse mehr daran, mit dir unter einem Dach zu leben. Ich muß völlig verrückt oder betrunken oder beides gewesen sein, als ich deiner Bitte, bei mir zu wohnen, nachgekommen bin. Himmel, ich hätte mehr auf Shinji hören sollen...\"

\"Ja, ja, Super-Shinji, der Unfehlbare! Weißt du, bis wo der mir steht?\"

\"Das ist zur Abwechslung mir völlig egal!\" schrie Misato. \"Du bist heute abend aus meiner Wohnung verschwunden, der Quartiermeister hat bereits eine Unterkunft im Hauptquartier für dich, wo es dir an nichts mangeln wird.\"

\"Du wirfst mich wirklich raus?\"

\"Ja, das tue ich.\"

\"Aber... aber ich bin es doch, die verprügelt wurde... First ist gemeingefährlich, sie...\"

\"Hör auf. Sei einfach still. Ich fahre dich jetzt zu meiner Wohnung, du holst dir deine Sachen und dann bringe ich dich noch zum Hauptquartier. Danach sind wir geschiedene Leute.\"

Asuka knurrte.
\"Gut, wie ihr wollt. Ich wußte von Anfang an, daß ihr alle gegen mich seid... Bemühe dich nicht, Misato, ich schaffe das auch allein, ich brauche deine Hilfe nicht, ich brauche niemanden!\"
Damit stapfte sie davon.

\"Asuka...\" setzte Misato an.

Ritsuko legte ihr eine Hand auf die Schulter.
\"Nicht. Sie hat ihren Weg gewählt.\"

\"Ja...\"
Kapitel 37 - \"Monster!\"

Ein lautes Piepen riß Shinji aus dem Schlaf.
Murmelnd verfluchte er den Wecker, dann ging ihm auf, daß er in der Nacht die Weckfunktion seiner Armbanduhr doch abgeschaltet hatte, da weder er noch Rei großes Interesse daran gehabt hatten, heute zur Schule zu gehen und vielleicht erneut von Asuka konfrontiert zu werden.

Wieder piepte es.

Shinji orientierte sich.
Es war bereits hell... wie hatte er solange schlafen können? Und Rei-chan schlief auch noch, gab bei jedem Piepen nur ein unwilliges Brummen von sich... ja, es war gestern spät geworden, Rei-chan hatte lange gebraucht, um sich zu beruhigen, hatte sich immer wieder Selbstvorwürfe gemacht, die er mit ruhigen Worten zu entkräftigen versucht hatte... gut, sie hatte Asuka verprügelt und wahrscheinlich krankenhausreif geschlagen, aber Asuka hatte sie auch mehr als nur provoziert... und dafür, daß sie sehr stark war, konnte Rei-chan auch nichts, das war das Werk seines Vaters - daß er das wußte, hatte sie seltsamerweise sehr erschreckt - ... und daß sein Rücken grün und blau geschlagen war, hatte sie auch nicht gewollt. Wenn sie ihm versprach, daß so etwas nie wieder vorkommen würde, dann glaubte er es ihr unbesehen.
Rei-chan... mitten in der Nacht hatte sie darauf bestanden, sich seinen Rücken anzusehen, hatte wieder mit Entsetzen darüber, was sie getan hatte, zu kämpfen gehabt. Er hatte sie weinen gehört, hatte ihre heißen Tränen auf seiner Haut gespürt - und dann ihre kühlen Lippen, die sanft über seinen Rücken geglitten waren...

Wie spät war es eigentlich...
Und...
Shinji registrierte, daß Rei-chan unter ihm lag, daß seine Hand auf ihrer Brust lag - direkt auf ihrer Haut... erinnerte sich schwach daran, wie er ihre Küsse in der Nacht erwidert hatte... hatte es ihn eine Überwindung gekostet, die Hosen anzubehalten...

Dieses verfluchte Piepen...

Vorsichtig stemmte er sich auf die Unterarme, löste sich aus Reis Armen, betrachtete sie noch einmal lange.
Was auch geschehen würde, er würde sie niemals im Stich lassen...

Dann ging ihm auf, woher das Piepen kam, welches nun schon eine satte Minute andauerte - sein Handy...
Schnell rollte er sich aus dem Bett und griff nach dem kleinen Gerät, welches auf der Sitzfläche des Stuhles lag. Erleichtert stellte er fest, daß das Display weder Misatos oder Doktor Akagis Nummer, noch eine Ziffernfolge zeigte, aus welcher hervorgegangen wäre, daß der Anruf aus dem NERV-Hauptquartier kam. Er ging rasch in die Küche, nahm dort den Anruf schließlich an.
\"Shinji Ikari\", flüsterte er leise, um Rei nicht zu wecken.

Es knackte und prasselte in der Leitung, undeutlich war eine Stimme im Hintergrund zu hören.
Natürlich, die Ecke der Stadt, in welcher sie wohnten, beherbergte ein nettes kleines Funkloch, der Grund dafür waren möglicherweise die in der Nähe gelegenen Einrichtungen des Stromwerkes.
\"Ikari... bin\'s... heute... Schule...\"

\"Wer ist da?\"

\"Ah... verstehe nicht... schlecht...\"

Die Stimme...
\"Toji? Bist du das, Toji?\"

\"Ja. Schlechte... dung... Schule... Belagerung... wütende... Protest...\"

\"Toji, was ist los?\"

Suzuhara schien zu brüllen, jedenfalls übertönte seine Stimme langsam die Störungen.
\"Kommt nicht... Schule... Nicht kommen! ... Klar?\"

\"Was ist mit der Schule?\"

\"Nicht herkommen. Wütende Eltern...\"

\"Äh...\"

\"Kleingeld geht... Neige... Bleibt zu... se...\"

Die Verbindung wurde unterbrochen.
Shinji blickte ratlos auf das Display. Immerhin war der Empfang besser gewesen als zur Zeit seines Einzuges, da hätte er kein Wort verstanden.
Aber was hatte Toji gewollt?
Sie sollten nicht zur Schule kommen, weil dort irgendetwas vor sich ging... irgendwas mit wütenden Eltern, die vielleicht protestierten?! Was sollte das jetzt wieder bedeuten? Vielleicht sollte er sich anziehen und bei der Schule vorbeischauen...

\"Werden wir gebraucht?\"

Shinjis Kopf ruckte nach oben.
Rei-chan stand in der Küchentür, nur mit ihrem Höschen bekleidet... jetzt waren seine Überlegungen wie fortgeblasen, der Anruf fast vergessen. Eigentlich wollte er sie nur wieder in die Arme schließen und noch ein wenig mit ihr kuscheln...

Rei blickte Shinji fragend an.
Sie konnte das Grinsen auf seinem Gesicht deuten, vielleicht hätte sie sich zuerst etwas überziehen sollen...
\"Ist es wichtig gewesen?\"

\"Ahm... uh... äh... also... Toji hat angerufen... in der Schule geht etwas vor sich... uh... er wollte... äh... naja... wir sollten nicht hinkommen oder so...\"

\"Warum?\"

\"Keine Ahnung... ahm... ich habe ihn kaum verstanden...\"

\"Vielleicht ist es wichtig. Bist du sicher, daß er gesagt hat, wir sollen nicht kommen?\"

\"Uh... denke schon.\"

In diesem Moment klingelte es an der Tür.
Rei drehte sich zur Seite.

Shinji schob sie zur Seite.
\"Ich... ahm... ich gehe schon...\"
Er griff sich sein Hemd, welches auf dem Boden lag, zog es sich rasch über, schloß drei Knöpfe und vergewisserte sich, daß Rei-chan noch in der Küche und damit von der Tür aus nicht zu sehen war, ehe er die Wohnungstür öffnete.

Draußen stand eine Frau, etwa in Misatos Alter, dunkelhaarig und elegant gekleidet.
\"Guten Morgen, wohnt hier Rei Ayanami?\"

\"Uh... ja...\"

\"Hervorragend, ich darf doch eintreten, oder?\"
Und damit hatte sie bereits die Tür aufgeschoben, Shinji dabei zur Seite gedrückt und war im Begriff, die Wohnung zu betreten.

\"Nein, Sie dürfen nicht eintreten\", schnarrte eine weitere Stimme. Hinter ihr war Leutnant Kaori Ishiren, die Kommandantin von Reis Leibwache, aufgetaucht und zielte mit einer schallgedämpften Pistole auf den Hinterkopf der Fremden.

\"Äh...\"
Das Auftreten der Frau verlor einiges an Selbstsicherheit, als sie über die Schulter blickte und in die dunkle Mündung des Schalldämpfers blickte.

\"Weg von der Tür.\" befahl Ishiren.

Die Fremde hob langsam die Hände, ging einen halben Schritt zurück. Auf jeder ihrer Schläfen erschien ein roter Punkt. Sie schielte nach links und rechts, sah daß auf jeder Seite ein schwarzgekleideter Mann mit einer Waffe im Anschlag in Stellung gegangen war und auf sie zielte.
\"Das können Sie doch nicht... Sie können mich doch nicht einfach so bedrohen. Ich bin von der Presse!\"

\"Und wir sind vom NERV-Sicherheitsdienst. Wo befindet sich Ihr Ausweis?\"

\"Warten Sie, ich...\"

\"Die Hände bleiben oben! Keine Bewegung. Wo?\"

\"Jackett, linke Seite, Innentasche.\"

\"Danke.\"
Ishiren griff über die Schulter der Fremden und holte einen Ausweis aus der genannten Tasche, warf einen Blick darauf.
\"Meiko Tanagawa, Tokio-3-Herald... so, Sie sind also Reporterin.\"

\"Das sagte ich doch schon.\"

\"Was wollen Sie hier?\"

\"Kann ich die Hände wieder...\"

\"In Ordnung. Aber keine hastigen Bewegungen.\"
Der Leutnant gab ihren Leuten knappe Handzeichen, woraufhin diese die Waffen senkten und in den Schatten verschwanden.
\"Noch einmal - was wollen Sie hier?\"

\"Ich möchte Rei Ayanami interviewen.\"

\"Fräulein Ayanami ist NERV-Angehörige.\"

\"Das ist mir bekannt, Pilotin von EVA-00. Aber Ihre Pressestelle hat sich geweigert, meinem Anliegen nachzukommen.\"

\"Uh, was wollen Sie von Rei?\" fragte Shinji.

Ishiren sah ihn mit einem Blick an, der nur bedeuten konnte, daß er sich heraushalten sollte, doch die Reporterin sprang sofort darauf an.
\"Und du bist... Augenblick, dein Bild habe ich schon gesehen - Shinji Ikari, Pilot von EVA-01, der Sohn des NERV-Oberbefehlshabers. Wohnen Rei Ayanami und du hier?\"

\"Wir...\"

\"Das reicht\", erklärte der Leutnant. \"Da Sie über die offiziellen Kanäle keinen Termin für ein Gespräch erhalten haben, muß ich Sie bitten, das Gebäude zu verlassen und meine Schützlinge nicht weiter zu belästigen.\"

\"NERV-Sicherheitsdienst, ja? Also die Leibwache der Piloten... ihr nehmt euch eine ganze Menge heraus! Mit Ihrem Verhalten treten Sie die Pressefreiheit mit Füßen! Die Allgemeinheit hat ein Recht darauf zu erfahren, wem sie ihre Sicherheit anvertraut!\"

\"Ja, ja. Sprechen Sie mit unserer Pressestelle, die wird Ihnen sicher gerne ein paar Unterlagen zukommen lassen, die Sie dann veröffentlichen können.\"
Ishiren gab Tanagawa einen Wink mit der Waffe.
\"Kommen Sie nicht wieder, nächstes Mal lasse ich Sie verhaften.\"

\"Das ist nicht akzeptabel... Die Freiheit der Presse...\"

\"Hört an der Türschwelle auf. Guten Tag.\"
Sie gab der Reporterin den Ausweis zurück, deutete dann in Richtung des Treppenhauses.

Meiko Tanagawa ging ihrer Wege.

Ishiren wartete, bis die andere verschwunden war, sah dann Shinji mit einem Anflug von Wut an.
\"Wie soll ich meinen Job machen, wenn du einfach die Tür öffnest? Sicherheitstechnisch ist das ganze Viertel ohnehin schon eine Katastrophe. Du machst es nicht gerade einfacher, wenn du unvorsichtig bist.\"

\"Gomen.\"
Shinji senkte betreten den Blick.
Eigentlich wollte er doch dasselbe wie Leutnant Ishiren, nämlich Rei beschützen...

Rei erschien neben Shinji in der Tür, trug nun ihr knielanges Hemd, welches jedoch nicht zugeknöpft war.
\"Ishiren-san, hätte für mich Gefahr bestanden, hätte Shinji sein bestes getan, um einen Eindringling aufzuhalten.\"

Ihre Leibwächterin musterte Reis Aufzug, stellte sich dann sicherheitshalber so, daß sie jedem potentiellen Beobachter die Sicht versperrte.
\"Captain Ayanami, es ist meine Aufgabe, auf Sie aufzupassen.\" Ihre Stimme verlor etwas von der militärischen Schärfe. \"Deshalb darf sich derartiges nicht wiederholen, hier im Haus haben meine Leute und ich die Überwachung etwas lascher gehandhabt, um Ihnen und Shinji genug Privatsphäre zu lassen, ansonsten wäre diese Person bereits an der Tür abgefangen worden.\"

\"Ahm... Frau Ishiren, äh, Sir... uhm... haben Sie eine Ahnung, weshalb diese Frau so erpicht darauf war, mit Rei zu sprechen?\"

\"Ja, leider. Es dürfte hiermit zu tun haben...\"
Ishiren griff in ihre schwarze Jacke hinein, holte eine Tageszeitung hervor.
\"Hier, die Frühausgabe des Herald.\"

Shinji nahm sie entgegen, faltete die Zeitung auseinander. Seine Augen weiteten sich.
Gleich auf der ersten Seite befand sich ein großes Bild von Rei unter der Überschrift: EVAN-GELION-PILOTIN LÄUFT IN SCHULE AMOK - Mitschülerin schwer verletzt.
\"Argh...\"

\"Genau das hatte ich auch gedacht\", murmelte der Leutnant.

\"Ishiren-san, ich habe Tee aufgesetzt, wollen Sie mit uns eine Tasse trinken?\" fragte Rei und trat zur Seite.

\"Ich... äh...\"
Zum ersten Mal erlebte Shinji, wie Ishiren ins Stottern kam. Sie schien nicht mit einer Einladung gerechnet zu haben.
\"Ja, gern. Ich muß nur meine Leute... komme in... fünf Minuten zurück.\"

Rei nickte.
\"Wir warten auf sie.\"
Fünf Minuten sollten reichen, damit sie sich ein wenig repräsentativer machen konnten.


*** NGE ***


Kurz darauf saßen sie zu dritt in der Küche, Rei trug eine Bluse und Shorts, die sie sich von Shinji geliehen hatte, während Shinji in Hemd und Jeans auf dem Bürostuhl am Tisch saß.
Zwischen ihnen lag die aufgeschlagene Zeitung.

\"Ich hatte bereits überlegt, bei euch deswegen vorbeizukommen\", sagte Ishiren gerade. Ihre Ausdrucksweise schwankte zwischen \'Sie\' und \'du\', wobei sie sich bemühte, Rei mit deren internen Rang anzusprechen, sich aber unsicher war, wie sie bei Shinji verfahren sollte, der ja auch zum Pilotencorps gehörte.
\"Die Pressestelle ist deswegen ziemlich am Rotieren.\"

Shinji las den Leitartikel zum wiederholten Mal durch, es war eine ziemlich übertriebene Wiedergabe der Geschehnisse des letzten Morgens, dernach Rei in einem Wutanfall den Klassenraum zerlegt und mehrere Mitschüler bedroht und geschlagen hätte.
\"... zog sich die prominente deutsche EVA-Pilotin Asuka Soryu Langley Verletzungen im Gesicht zu... auch verletzt wurde der EVA-Pilot Shinji Ikari, welchen Rei Ayanami durch mehrere Tische beförderte... äh... mehrere Tische?\"

Sofort bekam Reis Gesicht wieder einen schuldbewußten Ausdruck.

\"Ahm, Ishiren-san, woher haben die das alles?\"

\"Es kommt noch besser: Offenbar haben die anderen Schüler ihren Eltern erzählt, was vorgefallen ist, die wiederum haben bei der Schule angerufen, dann bei NERV, schließlich hat die Presse davon Wind bekommen... der Herald will schon seit einiger Zeit über euch berichten... das Leben der EVA-Piloten... die sind doch nur auf der Suche nach Klatsch und Informationen, aus denen sie irgendwelche dunklen Geheimnisse stricken können. Aber bisher hat keiner es gewagt, mit euch direkt Kontakt aufnehmen zu wollen... jedenfalls wurde die Story dabei wahrscheinlich immer mehr aufgebauscht, aus einem zerbrochenen Tisch wurden zwei, aus zwei vier, dann der ganze Raum. Aus einer Platzwunde wurde ein gebrochener Knochen, und so weiter und so weiter.\"

\"Sie... uh... klingen, als ob sie Erfahrung mit der Presse haben.\"

\"Ich bin schon einige Zeit im Geschäft, da macht man seine Erfahrungen, ja.\"

\"Und... ahm... ist etwas in der Schule heute passiert?\"

\"Woher weißt du davon?\"

\"Ein Mitschüler hat Shinji-kun vorhin angerufen und ihm etwas mitzuteilen versucht.\" sagte Rei leise.

\"Versucht? Ah, diese verdammte Empfangsstörung. Ohne die hier...\" Sie legte ein Funksprechgerät vor sich auf den Tisch. \"... und die Verstärker auf den Dächern wären meine Leute und ich doch ziemlich aufgeschmissen. Nur kurze Reichweite, aber genug Sendeleistung, um jeden anderen Sender zu überbrüllen.\"
Prompt begann das Sprechgerät zu summen.
Ishiren nahm es an ihr Ohr.
\"Ja? - Verstehe. Schickt ihn rauf.\"
Sie schaltete ab.
\"Unten ist einer eurer Mitschüler, Toji Suzuhara. Soweit mir bekannt, gehört er zu deinen Freunden, Shinji.\"

\"Ja, stimmt, uhm... Ich gehe schon mal zur Tür...\"

Da klingelte es schon.

Vor der Tür stand ein völlig atemloser Toji, der die Treppen in den vierten Stock hinaufgerannt zu sein schien.
\"Alter, Ikari... du wirst es nicht glauben...\"

Shinji ließ ihn ein, führte ihn, danach er sich die Schuhe ausgezogen hatte, ebenfalls in die Küche.

\"Ah... will nicht stören... ihr habt Besuch...\" keuchte Toji.

\"Toji, das ist Ishiren-san, eine...\"

Ishiren stand auf, lächelte kurz.
\"Eine Nachbarin.\"

\"Uh... ja... eine Nachbarin.\"

\"Äh... ah, ihr habt auch schon die Zeitung gesehen... Shinji, Ayanami, wirklich gut, daß ihr hier seid... ich war im Krankenhaus bei Hikari, als ich den Artikel gesehen habe... die Stationsschwester hatte ihn gerade gelesen... bin dann zur Schule, um euch zu warnen... aber... da war ein Auflauf... Himmel und Mensch sage ich euch, lauter besorgte Eltern...\"

\"W-was?\"

\"Irgendwer hat die Sache von gestern in den falschen Hals bekommen... die tun so, als ob Ayanami eine Gefahr sei...\"

Shinji sah Rei an, sah den betretenen Ausdruck auf ihrem Gesicht.

\"Jetzt ziehen sie gerade von der Schule zu den Eingängen in die Geofront... würde mich nicht wundern, wenn die eine Demo vor eurem Hauptquartier da unten machen wollen.\"

Ishiren holte tief Luft.

Shinjis Blick traf sich mit dem der Leibwächterin. Offenbar dachten sie beide dasselbe - das konnte nicht gutgehen...
\"Ah... warum... warum verhalten die sich plötzlich so?\"

\"Panik.\" sagte Ishiren tonlos. \"Die ständigen Engelangriffe zehren bereits stark an ihren Nerven. Und jetzt sehen sie auch noch eine weitere mögliche Gefahr für ihre Kinder. Gegen die Engel können sie nichts tun, aber gegen eine Schülerin schon. Es ist, als wäre Cap...\" sie zögerte, entsann sich der Tatsache, daß ein Außenstehender anwesend war, dem der Rank des First Children vielleicht nicht bekannt war, \"Rei mit einer ansteckenden Krankheit infiziert.\"

Rei wirkte, als wäre das alles zuviel für sie.

Shinji knurrte.
\"Denen werde ich es zeigen!\"

\"Yo, Ikari, hol deinen EVA und stampf ein paar Mal kräftig mit den Füßen auf!\" Toji nickte heftig. \"Hikaris Vater gibt übrigens nichts auf dieses Geschreibe - und meine Leute auch nicht. Nozomi... Hikaris Schwester hat gestern mitangehört, wie Misato-san im Krankenhausflur Asuka wegen der Sache mit Hikari zusammengeschissen hat, war Asuka aber völlig egal. - Ayanami, ich sag dir, wenn es nach Hikaris Schwestern ginge, müßtest du einen Orden bekommen.\"

\"Suzuhara-kun, geh besser zurück ins Krankenhaus\", murmelte Rei. \"Hikari braucht dich.\"

Toji sah sie traurig an.
\"Ich weiß nicht einmal, ob sie mich hört.\"

\"Sie liebt dich. Wenn sie irgend jemanden hört, dann dich.\"

\"Ahm... das hat sie dir gesagt, Ayanami?\"

\"Ja. Also, gib nicht auf, ihretwegen nicht.\"

\"Ja, gut.\"

Wieder summte Ishirens Sprechfunkgerät.
\"Was ist denn heute los...\" murmelte sie. \"Ja? - Ja, wir sind unterwegs.\" Sie verstaute das Gerät wieder in ihrer Tasche, stand auf.
\"Anweisung vom Hauptquartier, wir sollen euch in die Geofront bringen.\"

\"Uh... was?\"

\"Die Sache könnte eskalieren, anscheinend hat jemand... schätze, die gute Frau Tanagawa... den besorgten Eltern mitgeteilt, wo Captain Ayanami wohnt.\"

\"Captain?\" fragte Toji und sah Rei überrascht an. \"Du, Ikari, das ist keine Nachbarin, oder?\"

\"Ahm, Toji, also...\"

\"In gewisser Weise doch. Ich bin Captain Ayanamis Leibwächterin und habe hier im Haus Quartier bezogen.\"

\"Wow, eine Leibwächterin...\"
Toji schüttelte ungläubig den Kopf.

\"Falls ihr irgendetwas mitnehmen wollt - wir brechen in fünf Minuten auf.\"
Der Leutnant verließ die Wohnung.

\"Oh, das klingt ernst\", murmelte Toji. \"Soll ich euch beim Packen helfen?\"

\"Uhm... nein... es gibt nicht viel, daß...\"

\"Danke für das Angebot, Suzuhara-kun, aber du solltest wirklich auch gehen. Grüße bitte Hikari von mir.\"

\"Das werde ich. Viel Glück.\"

Und dann waren sie allein.
Rei nickte Shinji knapp zu, ging dann in den Schlafraum und zog sich ihre Schuluniform an, während er recht ratlos in der Küche stand.
Er hatte eigentlich nichts, das mitzunehmen sich wirklich lohnte. Nur Rei-chan war wichtig...
Dann nahm er die Zeitung, die immer noch zwischen den Teebechern stand, faltete sie zusammen und steckte sie ein.

Rei stand vor ihrem Schrank, hatte die oberste Schublade aufgezogen, hielt Shinjis Handschuhe in den Händen, steckte sie vorsichtig in die Tasche ihres Rocks. Dann griff sie nach dem Brillenetui, zögerte.
\"Shin-chan, könntest du schon einmal nach unten gehen und sehen, wie weit Ishiren-san ist? Ich komme gleich nach...\"

\"Uhm, ja, natürlich.\"
Er schlüpfte in seine Schuhe und ging.

Jetzt war nur noch Rei in der Wohnung.
Das Brillenetui in der Hand, zog sie sich ihre Schuhe an, öffnete aber noch nicht die Wohnungstür. Langsam ging sie zurück in den Schlafraum.
Die Brille des Kommandanten, zerbrochen, als er sie aus dem Plug geholt hatte...
Eine Erinnerung...
Der Kommandant, für den sie nur ein Werkzeug war, ein Objekt, etwas, das er benutzen konnte, etwas, das er gierig anstarren konnte...

Er hatte sie nicht gerettet, weil sie ihm wichtig war, sondern nur, weil er sie noch brauchte, aus keinem anderen Grund...
Sie klappte das Etui auf.
Eine wertlose Erinnerung...
Sie drehte es um. Die Brille fiel auf den Linoleumboden, das zersplitterte Glas löste sich teilweise aus dem Rahmen.
Rei starrte auf den Boden, starrte auf die Reste der Brille.
Dann trat sie kräftig zu, verwandelte das verbogene Gestell in einen platten Metallklumpen inmitten eines Scherbenhaufens.
Besser...

Dann wandte auch sie sich zum Gehen.


*** NGE ***


In seinem Büro saß Gendo Ikari mit wie üblich gefalteten Händen hinter seinem Schreibtisch. Über einen in die Tischplatte eingefaßten Bildschirm flimmerte eine Reihe von Informationen.
Offenbar war eine Gruppe aufgebrachter und besorgter Eltern zum Quartier des Rei-Klones unterwegs, während eine andere mit Transparenten und Plakaten die Schule und eine dritte den Hauptaufzug in die Geofront belagerte.
Wie leicht es doch gewesen war, diesen Mob in Bewegung zu setzen... ein paar Worte an die richtigen Stellen, eine scheinbar unabsichtliche Bemerkung während eines Gespräches über die Sicherheit der Stadt mit dem Redakteur des Tokio-3-Herald am Nachmittag und schon war diese Reporterin unterwegs gewesen und hatte bis zum Abend mit mehreren Eltern gesprochen und hatte die Pferde scheu gemacht... Rei-II würde die Wohnung aufgeben und wieder ins Hauptquartier ziehen müssen, weil es an der Oberfläche nicht sicher genug war. Dann hatte er sie wieder unter Kontrolle, konnte bestimmen, wann sie mit wem wohin ging, ohne sich des Risikos auszusetzen, daß sie ADAMs Gegenwart erkennen könnte...


*** NGE ***


Leutnant Ishiren und ihre Leute warteten mit zwei dunklen Wagen vor dem Haus.
Die beiden Teenager wurden auf den Rücksitz des zweiten Wagens verfrachtet, in dem auch Ishiren auf dem Beifahrersitz saß und derzeit über Funk mit dem Hauptquartier sprach.
\"Was heißt das, wir können den Kreisel nicht benutzen? Der Aufzug... - Ja, zu Befehl.\"
Mit düsterer Miene gab sie dem Fahrer Anweisung, sie zu jener U-Bahnstation zu bringen, von der aus man per Aufzug in die Geofront fahren konnte.

Unterwegs passierten sie eine Gruppe von Menschen, die aus der Straßenbahn stieg, es waren etwa zehn Personen, die ein Transparent mit sich führten: Keine Monster in der Schule!
Bei ihnen war auch die Reporterin von eben.

Shinji schluckte, zog sofort Rei an sich, ehe diese Gelegenheit bekam, ebenfalls zu lesen, was auf dem Transparent stand.

\"Idioten\", knurrte Ishiren.
Seit fünf Jahren war sie Rei Ayanamis Leibwächterin, solange wie diese bereits allein in jenem Apartment wohnte. Die ganze lange Zeit über hatte es keine Bedrohung gegeben, die ein sechsköpfiges Team von Leibwächtern begründet hätte, doch jetzt schienen alle durchzubrechen, schienen zu vergessen, daß der Mädchen mit den roten Augen als EVA-Pilotin bei jedem Einsatz ihr Leben für die Stadt riskierte... und Kommandant Ikari selbst hatte sie eben angewiesen, den Aufzug zu nehmen, obwohl dieser regelrecht belagert wurde...
Ishiren rückte ihr Headset zurecht, warf einen Blick in den Rückspiegel.
Seit der junge Ikari bei Captain Ayanami wohnte, wirkte diese verändert... lebendiger, glücklicher... er würde unter Garantie alles tun, um Rei zu beschützen, vielleicht sogar noch mehr als sie, Ishiren...


*** NGE ***


Eine Menschenmauer blockierte die Zugänge zur U-Bahnstation, konnte aber nicht in diese eindringen, dafür sorgten kleine Gruppen bewaffneter NERV-Angehöriger unter dem Kommando von Major Kaji. Dieser verhandelte seit einer guten Stunde mit dem Sprecher der Gruppe, welcher nachdrücklich verlangte, mit dem NERV-Oberkommandeur zu sprechen.
Kaji wäre dieser Forderung mit Freuden nachgekommen, nur hatte Kommandant Ikari mit ebensolchen Nachdruck erklärt, daß er niemanden empfangen würde. Nach Kajis Einschätzung wollte Ikari nur zeigen, daß er der Ansicht war, sich von niemandem etwas sagen lassen zu müssen.
Gut zweihundert Männer und Frauen, darunter auch eine Handvoll Kinder, hatten sich um die Zugänge versammelt und brüllten Parolen, die sich allesamt gegen Rei Ayanami richteten und aus denen hervorging, daß sie nicht nur durchsetzen wollten, daß Rei die Tokio-3-High verließ, sondern auch als EVA-Pilotin abberufen wurde. Die anwesenden Kinder hatten in der Regel zwar keine Ahnung, worum es überhaupt ging, beteiligten sich aber nach Leibeskräften an dem Geschrei.
Kaji hatte Erlaubnis erhalten, das Feuer eröffnen zu lassen, sollten die Menschen die U-Bahnstation stürmen wollen... der Bahnverkehr selbst war längst zum Erliegen gekommen, seine Leute riegelten auch die Tunnel ab, falls jemand auf diesem Wege in die Station kommen wollte. Dabei waren diese Maßnahmen eigentlich unnötig, um den Aufzug zu benutzen, brauchte man eine entsprechende Legitimation, andererseits konnte durchaus jemand unter den Demonstranten sein, der über diese verfügte...

Zwei schwarze Wagen hielten am Rand der Menge, Kaji erhielt über Funk Mitteilung, daß die Kinder eingetroffen seien, verbiß sich einen Fluch, weshalb Reis Leibwache ausgerechnet diesen Zugang gewählt hatte.

Ishiren nahm wieder Verbindung mit dem Hauptquartier auf.
\"Der Zugang ist versperrt. - Das ist doch nicht Ihr Ernst! - Ja, natürlich.\"
Sie wandte sich an ihre Leute.
\"Wir bringen sie rein.\"
Die sechs Männer und Frauen in Schwarz bildeten einen Halbkreis um den zweiten Wagen, Ishiren öffnete die hintere Tür. Zuerst kletterte Shinji heraus, dann Rei.

Natürlich war ihre Ankunft den Demonstranten nicht verborgen geblieben, die sich nun ihnen zuwandten, sie einschlossen, sobald sie sich ein paar Schritten von den Wagen entfernt hatten.
Die Leibwächter drängten sich mit unbewegten Gesichtern durch die Menge, Ishiren, wie auch Kaji auf der anderen Seite des Auflaufes, forderte die Menschen auf, Platz zu machen und sich zu beruhigen.

Rei hatte den Kopf zwischen die Schultern gezogen und drängte sich eng an Shinji, der sich mit geweiteten Augen umsah.
Wie konnten Menschen nur so reagieren... wie konnten sie sich nur so von ihrer Furcht lenken lassen...

Jemand schrie ganz in der Nähe laute Parolen durch ein Megaphon, Parolen, mit denen er \'das blasse Mutanten-Mädchen\' zum Verschwinden aufforderte.

Shinji hatte genug...
\"Ishiren-san, nehmen Sie Rei.\" knurrte er, schlüpfte dann durch die Lücke, die kurzfristig entstand, als Ishiren sich umdrehte, kämpfte sich unter Einsatz der Ellenbogen durch die Menge bis zu dem Mann mit dem Megaphon, entriß es ihm, erstickte mit einem finsteren Blick jeden Widerspruch.
Shinji blickte kurz auf das Gerät in seinen Händen, stellte es dann auf volle Lautstärke.
\"Herhören!\"
Sofort bildete sich um ihn eine freie Fläche, als die Leute zurückwichen.
Wütend sah er in die Runde, registrierte, daß Rei und ihre Leibwächter jetzt viel schneller vorankamen und fast schon Kaji-san erreicht hatten.
\"Ich bin Shinji Ikari. Ja, der Shinji Ikari, der in der Zeitung erwähnt wurde...\"
Er zog den Artikel aus der Tasche, hielt die Zeitung hoch.
\"Der Shinji Ikari, der angeblich durch jeden Tisch in der Tokio-3-High geschleudert wurde. Ich habe diesen Artikel gelesen... und ich halte das davon...\"
Er schleuderte die Zeitung auf den Boden, trat darauf.
\"Der halbe Artikel ist erstunken und erlogen und die andere Hälfte maßlos übertrieben! Ich bin ein EVA-Pilot, ebenso wie Rei Ayanami. Ich vertraue ihr bei jedem Einsatz mein Leben an - weil ich weiß, daß sie mein Vertrauen niemals enttäuschen wird. Wer diesen Müll\", erneut stampfte er mit dem Fuß auf die Zeitung auf, \"glaubt, sollte sich den Kopf untersuchen lassen.\"
Damit marschierte er auf den Zugang zur Bahnstation zu, drückte der ihm nächsten Person das Megaphon in die Hand.
Vor ihm öffnete sich ein Gang in der Menge, so daß er unangefochten zu den anderen stoßen konnte.

Die Sprechchöre und Parolen waren verstummt, kamen nicht wieder auf.
Langsam verschwanden die Transparente und Plakate, verlief sich die Menge.

Kaji nickte Shinji anerkennend zu, verbeugte sich leicht.
\"Ich wußte gar nicht, daß du zu so etwas imstande bist.\"

\"Ich... ahm... ich auch nicht, Kaji-san.\"
Shinji sah Rei an, welche seinen Blick mit einem scheuen Lächeln erwiderte.
\"Uhm, Ishiren-san, tut mir leid wegen Ihrer Zeitung.\"

\"Das macht nichts. Ich hätte nur gern einen Mitschnitt deiner kurzen Rede.\"

\"Ja, du hast gesprochen, als wolltest du den ganzen Zorn des Himmels über ihnen entladen\", erklärte Kaji.
\"Kaori, ich übernehme die beiden, wenn es Ihnen nichts ausmacht.\"

\"Kein Problem, Major.\"

\"Ach, nennen Sie mich Kaji\", grinste Kaji, zwinkerte und führte Shinji und Rei zum Aufzug, welche ihm Hand in Hand folgten.


*** NGE ***


Kaji brachte die beiden ins Hauptquartier, wo sich ihnen Misato anschloß, die sichtlich erleichtert über den friedlichen vorläufigen Ausgang der Angelegenheit war. Zusammen steuerten sie den großen Konferenzraum, in den Kommandant Ikari sie beordert hatte.

Auch dort anwesend waren Asuka, Ritsuko Akagi und ihre Assistentin Maya, sowie Kozo Fuyutsuki.
Der große Raum bot genug Platz, daß sie sich nicht zu nahe kamen, zwischen Rei und Asuka befand sich der ganze Längsdurchmesser der ovalen Tischplatte. Asukas linke Gesichtshälfte war angeschwollen und dunkelblau verfärbt, die Stirn immer noch von dem Verband verborgen. In ihren Augen funkelte blanker Haß, der schlichtweg jedem zu gelten schien, der sich im Raum befand, so daß es kein Wunder war, daß zwischen ihr und dem nächsten der Anwesenden nicht nur drei Plätze frei waren, sondern daß auch ihr nächster Nachbar, der Subkommandant Fuyutsuki, sich wirklich unwohl fühlte und daß Maya Ibuki auf ihrem Sitz regelrecht zusammensank.

Gendo Ikari betrat den Raum, die Hände hinter dem Rücken verschränkt.
Er setzte sich nicht, sondern blieb stehen, fixierte jeden im Raum, als wollte er direkt in dessen Seele blicken.
\"Ich bin sehr unzufrieden.\"
Irgendwie schaffte er es, seinen kalten Blick zugleich auf Asuka, wie auch auf Shinji und Rei ruhen zu lassen, obwohl diese an entgegengesetzten Enden des Tisches saßen.
Der Blick verfehlte seine Wirkung nicht, während Shinji im Boden nach einer Ritze zu suchen begann, in der er sich verstecken konnte, und Reis Knie zu zittern begannen, zuckte sogar Asuka zusammen und bemühte sich, den Blick des älteres Ikari zu meiden.
Nur Kaji runzelte die Stirn, verglich Ikaris Auftreten mit dem seines Sohnes während der Demonstration. Shinji hatte denselben Blick eingesetzt, um seine Worte zu untermalen, und trotzdem hatte es ganz anders gewirkt...
Nach einer kurzen Pause um seine Worte einsickern zu lassen, sprach Ikari weiter.
\"NERV ist durch euch und eure Handlungen in Verruf gekommen. Ihr seid Piloten, keine Kinder, die sich im Sandkasten balgen! Anscheinend ist euch eure Verantwortung nicht bewußt.\"

Asukas Arm schoß nach oben.
\"Kommandant...\"

\"Pilot Soryu?\"

Asuka zuckte wieder zusammen.
Soryu...
Reichte es nicht, daß First sie so nannte?
\"Ich... ich bin mir keiner Schuld bewußt. Wie wohl klar zu erkennen ist, bin ich hier das Opfer.\"

\"Durch deine Handlung haben wir einen EVA sowie einen Piloten verloren.\" erwiderte Ikari und entzog ihr ohne weitere Worte seine Aufmerksamkeit.
\"Jeder von euch hat in den letzten Tagen genug getan, um eine unehrenhafte Entlassung aus dem Pilotenchor zu rechtfertigen. Allerdings stehen uns nicht genug andere ausreichend trainierte Piloten zur Verfügung, weshalb mir dieser Weg leider nicht offensteht.\"
Wieder machte er eine Pause, belegte jeden der drei Piloten mit seinem kalten Blick.
\"Shinji. Third Children. Pilot von EVA-01. Deine Verfehlung ist die Verweigerung eines direkten Befehles. Du wirst einen Eintrag in deine Akte erhalten. Betrachte dies als Verwarnung, beim nächsten Mal wirst du Tokio-3 verlassen müssen. Dein Pilotensalär wird für das nächste Vierteljahr um ein Drittel gekürzt.\"

Shinji blinzelte.
Noch mal davongekommen...

\"Asuka Soryu Langley. Second Children. Pilotin von EVA-02. Du hast Eigentum der UN vernichtet und leichtfertig das Leben eines anderen Piloten gefährdet.\"

\"Ich hatte keinen Kontakt mit den anderen, woher sollte ich denn wissen, daß...\"

\"Dazu kommt Insubordination. Du wirst einen entsprechenden Eintrag in deine Akte erhalten. Ein weiterer Verstoß gegen die Richtlinien und ich werde in Erwägung ziehen, dich von der Liste der Piloten zu entfernen. Deine Bezüge werden ebenfalls um ein Drittel gekürzt, ebenfalls für die nächsten drei Monate. Ferner wird dir der von der deutschen Zweigstelle verliehene Rang eines Lieutenant Junior Grade entzogen. Hast du verstanden?\"

Die Antwort ließ auf sich warten. Doch schließlich senkte Asuka den Blick.
\"Ja... Sir...\"

\"Und schließlich Rei Ayanami. First Children. Pilotin von EVA-00. Ich hatte mehr von dir erwartet.\"

Rei schluckte. Trotz allem, was sie sich vorgenommen hatte, traf sie das tief.
Ihr Schöpfer war von ihr enttäuscht...

\"Verweigerung von Befehlen und dazu eine Schlägerei mit einem anderen Piloten. Und letzteres in der Öffentlichkeit! Die Pressestelle wird viel damit zu tun haben, diesen Vorfall aus der Welt zu schaffen und schönzureden.\"

Rei schien in ihrem Sessel zu schrumpfen.
Mit jedem Wort von ihm zerbröckelte ihr ohnehin schon angeschlagenes Selbstvertrauen Weiter.

Unter dem Tisch griff Shinji nach ihrer Hand, drückte sie fest.

\"Es... es tut mir leid, Kommandant.\" flüsterte Rei.

Ikari nickte.
\"Das sollte es auch. Gerade du solltest wissen, wie leicht Piloten ausgetauscht werden können. Als Strafe für dein Handeln verlierst du deinen Rang innerhalb von NERV, ich stufe dich Zurück auf eine einfache Angehörige der Organisation. Damit verbunden ist eine entsprechende Verringerung deines Gehaltes, sowie eine temporäre Kürzung deiner Bezüge für die nächsten drei Monate um die Hälfte.\"

\"Ja, Kommandant\", bestätigte Rei seine Entscheidung mit emotionsloser Stimme.

\"NERV wird ferner nicht mehr die Miete für dein Apartment tragen, du benötigst offenbar Aufsicht, die über die Tätigkeit deiner Leibwache hinausgeht. Letztere wird ebenfalls reduziert. In Zukunft wird Leutnant Ishiren allein für deinen Schutz zuständig sein.\"
Der ältere Ikari wandte sich ab und verließ den Raum.

Kaum war der Kommandant fort, schoß Asuka nach oben.
\"Ich verstehe nicht, weshalb ich bestraft wurde!\"
Sie bedachte die anderen beiden Piloten mit einem letzten Blick voller Wut und stürmte hinaus.

Shinji blickte zur Seite.
Rei hielt immer noch seine Hand, saß ansonsten aber völlig regungslos da.
Wortlos legte er einen Arm um ihre Schultern.
\"Er hat uns... uh... nicht den Kopf abgerissen...\"

Rei antwortete nicht.
Wenn NERV die Wohnung nicht weiterbezahlte, mußte sie selbst dafür aufkommen, doch das wäre ihr schon bei vollem Gehalt kaum möglich gewesen... und selbst wenn ihr Shin-chan die Hälfte der Miete übernahm - worauf sie ihn nie von sich aus angesprochen hätte - würde Angesichts der gekürzten Bezüge nichts überbleiben, um Strom und Wasser zu tragen oder gar Lebensmittel einzukaufen... ihr würde nichts anderes übrigbleiben, als auszuziehen... im Hauptquartier war immer eine Unterkunft für sie bereit... aber nur für sie, sie würde nicht mehr mit Shin-chan zusammenwohnen können, nicht mehr in seinen Armen abends einschlafen und Morgens wieder aufwachen können... ihn nicht mehr im Mondschein beobachten können, wenn er schlief... und der Monat war fast zu Ende, nur noch zwei Tage...

Derweil hatten die übrigen die Köpfe zusammengesteckt.

\"Das war ziemlich hart\", murmelte Kaji.

\"Wir können Befehlsverweigerung nicht durchgehen lassen, Major... aber ansonsten stimme ich Ihnen zu\", antwortete Fuyutsuki.

\"Er hat sie völlig fertiggemacht... alle drei, sogar seinen eigenen Sohn...\" flüsterte Misato.

\"Hast du etwas anderes erwartet? Für ihn existieren weder familiäre noch freundschaftliche Bande, wenn ich Ikari eines Tages mal untersuchen könnte, würde ich wahrscheinlich einen Eisklotz in seiner Brust vorfinden, wo unsereins ein Herz hat.\"

\"Doktor Akagi...\"

\"Stimmt doch, Professor.\"

\"Hm...\"
Fuyutsuki seufzte.
\"Ich werde versuchen, ihn umzustimmen, vielleicht lockert er die Bestrafung ein wenig... obwohl ich Zweifel habe.\"

\"Auch der Versuch zählt, Subkommandant.\" nickte Misato und sah Fuyutsuki nach, wie dieser um den Tisch herumging, im Vorbeigehen kurz den beiden Piloten auf die Schultern klopfte und dann den Raum verließ.


*** NGE ***


Der Rückweg verlief ohne Probleme, weder an der U-Bahnstation noch vor dem Haus warteten irgendwelche Demonstranten.

Shinji machte sich inzwischen schwere Sorgen um seine Rei-chan, sie hatte die ganze Zeit über kein Wort gesagt.

In der Wohnung sah Rei alles noch einmal lange an.

Shinji bemerkte die Scherben auf dem Boden und das zertretene Brillengestell.
Rei-chan hatte die zerbrochene Brille seines Vaters aufbewahrt... war sie ihr vielleicht heruntergefallen? Nein... dazu war Rei-chan zu umsichtig mit solchen Dingen... und... was tat sie denn jetzt?

Rei hatte den Geigenkasten unter dem Bett hervorgeholt und auf das Bett gestellt, zog jetzt alle Schubladen auf, begann ihre Sachen auszuräumen.

Was sollte das denn?

\"Rei-chan, was machst du? Was... uh... was soll das?\"

Sie sah ihn an, ihr Blick war von Tränen verschleiert.
\"Hast du noch nicht begriffen, Shin-chan? Wir müssen die Wohnung verlassen.\"
Fünf Jahre... Sechzig Monate... Eintausendachthundertfünfundzwanzig Tage... Dreiundvierzigtausendachthundert Stunden... Zweimillionensechshundertachtundzwanzigtausend Minuten... Einhundertsiebenundfünfzigmillionensechshundertundachtzigtausend Sekunden...
plus minus ein paar...
solange hatte sie schon in diesen Wänden gewohnt...
doch gelebt hatte sie erst in den letzten Wochen, seit sie mit ihrem Shin-chan zusammen war... und das würde nun enden... vielleicht unwiederbringlich...

\"Uh... verlassen? Nur weil NERV die Miete nicht mehr bezahlt? Wenn wir zusammenlegen...\"

\"Es reicht nicht. Ich habe es bereits ausgerechnet. Wir müßten die nächsten drei Monate ohne Strom, Wasser, Nahrung und sonstige Ausgaben überstehen.\"

\"Ahm... warte... uh... wir könnten im Hauptquartier essen und uns waschen... und die nächsten drei Monate brauchen wir auch die Heizung nicht... ah... und wer braucht schon elektrisches Licht...\"

Sie schüttelte den Kopf.
\"Du gehst davon aus, daß wir nach meiner Degradierung und unter Berücksichtigung der Kürzungen dasselbe Gehalt bekommen. Das stimmt nicht. Als Zivilperson in den Diensten von NERV erhältst du einen Zuschlag von zehn Prozent. Und indirekt gehört dieses Gebäude sogar NERV, so wie die ganze Stadt. Wenn der Kommandant nicht will, daß wir hier wohnen, dann wird einfach die Miete erhöht.\"

\"Aber... ah... wie kann Vater...\"
Shinji ließ die Schultern hängen.
\"Natürlich kann er. Er brauchte nur einen Grund.\"

\"Den ich ihm geliefert habe. Es tut mir leid, Shin-chan.\"

\"Nein, Rei-chan, nein. Dir muß nichts leid tun. Wir werden uns doch auch weiterhin sehen... Ahm... Und wir haben hier immer noch heute nacht.\"

\"Heute nacht...\" wiederholte sie. Und verstand.
Wie hatte Hikari es doch ausgedrückt... eine schöne Erinnerung für die Reise...
\"Ja, heute nacht.\"
Sie stellte den Geigenkasten auf den Boden, räumte ihre Sachen vom Bett.
Was geschah, geschah...
Mit einer schnellen Handbewegung löste sie die Schleife ihrer Schuluniform, begann dann, ihre Bluse aufzuknöpfen.

Shinji trat auf sie zu, nahm ihre Hände, hielt sie davon ab, auch den letzten Knopf zu öffnen, ging vor ihr auf die Knie, preßte sein Gesicht gegen ihre Hände.
\"Es war eine schöne Zeit...\"

\"Ja.\"

Eine ganze Weile verharrten sie so, dann begann Rei, mit den Fingerspitzen über sein Gesicht zu streicheln, umarmte er ihre Leibesmitte und preßte die Stirn gegen ihren Bauch.

Da klopfte es an der Tür.

Die beiden zuckten zusammen.

\"Wer...?\" murmelte Shinji.
Ruckartig stand er auf, ging zur Tür, wo sich das laute Klopfen wiederholte.
\"Wer ist da?\"

\"Wir sind\'s Misato und Kaji!\"

\"Uh...\"
Er sah über die Schulter, sah Rei nicken, die gerade ihre Bluse wieder zuknöpfte.
Shinji öffnete die Tür.

Misato und Kaji traten ein.
\"Die Umzugshelfer sind da!\" verkündete erstere.

\"Uh... Umzughelfer?\" - \"Umzugshelfer?\"
Die beiden Teenager waren gleichermaßen erstaunt.

\"Wird nicht viel Arbeit sein, Katsuragi\", meinte Kaji, nachdem er sich umgesehen hatte. Jeder von uns eine bequeme Fuhre, die Möbel gehören ohnehin NERV.\"

\"Sieht so aus. Gut, Kaji, dann sei mal Kavalier.\"

\"Natürlich, Katsuragi.\"
Kaji grinste breit.

\"Mi-Misato, was...\"

\"Kaji war so gut, mal ein paar Rechnungen aufzustellen, nachdem ihr fort wart. War nicht allzu schwer festzustellen, daß ihr allein die Wohnung hier nicht halten könnt. Wir wollten ja zuerst den Hut \'rumgehen lassen, aber Ritsuko ist pleite, mir frißt der Pinguin die Haare vom Kopf und Maya wollten wir nun doch nicht anpumpen...\"

\"Äh...\"

\"Also dachten wir, wir lassen Taten sprechen und helfen euch mit dem Zeug.\"

\"Äh...\"

\"Major, wie...\"

\"Moment, Moment, also, ihr zwei habt die Wahl: Laut Auskunft des NERV-Quartiermeisters könnt ihr im Hauptquartier zwei völlig kalte und unschöne Unterkünfte bekommen, die auch noch an entgegengesetzten Enden der Einrichtung liegen, oder...\"
Sie machte eine lange Pause.

\"Oder? Uhm, Misato, ich weiß, ihr meint es gut, aber...\"

\"Junger Mann, laß mich doch ausreden! Seht ihr, ich habe immer noch einen Arm im Gips und das wird auch noch ein Weilchen so bleiben, bisher war Kaji so nett, PenPen bei sich aufzunehmen, aber noch länger möchte ich ihm das nicht zumuten. Ich könnte also etwas Hilfe bitter gebrauchen. Außerdem ist nach Asukas Auszug meine Wohnung doch recht leer und einsam - nicht daß ich ihr ständiges Gezanke vermisse -, ich hätte zwar nur ein Zimmer und eine bessere Besenkammer anzubieten, um die ihr meinetwegen Streichhölzer ziehen könnt... naja, wenn ihr natürlich zwei enge kleine Räume im Hauptquartier einem bequemen Apartment mit Familienanschluß vorzieht...\"

Bei Shinji dauerte es eine Weile, bis die Informationen in sein Gehirn eingesickert waren. Dann blickte er Rei ungläubig an.
\"Uh... Rei-chan, was meinst du?\"

Auf Reis Lippen formte sich ein Lächeln.

Shinji begann breit zu grinsen.
Dann umarmte er die beieinander stehenden Erwachsenen.

Zögernd trat Rei hinzu, wurde in den Kreis mitaufgenommen.
12. Zwischenspiel:

Der japanische Beamte am Einreiseschalter des Flughafens blätterte durch den Reisepaß des Mannes auf der anderen Seite des Schalters.
\"Sie sind ja schon viel herumgekommen.\"

\"Das bringt der Beruf so mit sich\", erwiderte der andere mit schwerem russischen Akzent.

\"Und was führt Sie nach Japan, Herr Roshenkov?\"

\"Geschäfte\", antwortete Sergej lächelnd.
Kapitel 38 - Der Melonenmann und der Engel

Der Koffer mit Shinjis Cello stand auf dem Beifahrersitz von Misatos Wagen, die beiden Teenager saßen auf dem Rücksitz zwischen Taschen und Tüten, welche Misato mitgebracht hatte, weitere Taschen - und obendrauf Shinjis Fahrrad - lagen auf dem Rücksitz von Kajis Wagen, der langsam hinter ihnen herfuhr. Misato legte ein für ihre Verhältnisse bedächtiges Tempo vor, entweder weil sie Sorge hatte, im abendlichen Verkehr andernfalls etwas von dem Gepäck zu verlieren, oder weil sie mit dem Arm in der Schlinge nun doch nicht die Kontrolle über den Wagen hatte, die sie gewohnt war.
Sowohl Shinji als auch Rei waren überrascht gewesen, wieviel sie letztendlich doch aus der Wohnung herausgetragen hatten, trotzdem wäre problemlos noch Platz für weiteres Zeug gewesen.

\"Wenn euch irgend jemand fragen sollte - ich habe euch gezwungen, bei mir einzuziehen, um euch besser beaufsichtigen zu können\", erklärte Misato und zwinkerte ihnen im Rückspiegel zu.


*** NGE ***


Gute zwölf Stunden später schlug Shinji die Augen auf.
Die Zimmerdecke über ihm war anders und doch vertraut, schließlich hatte er in diesem Raum bereits früher geschlafen, ehe er bei Rei-chan eingezogen war.
Und vertraut war auch das Gewicht auf seiner Brust, ein Gewicht, welches von fedrigen blauen Haaren umrahmt war - Rei-chan Kopf ruhte auf seiner Brust, ihre Hand lag auf seiner Schulter, der Rest von ihr ebenfalls teilweise auf ihm. Und das, obwohl Misato eigentlich für genügend Schlafplatz gesorgt hatte...

Der Einzug am vergangenen Abend war schnell und unbürokratisch verlaufen, er und Kaji hatten zweimal die Aufzugskabine des Wohnhauses mit Taschen vollgestellt und dann im vierten Stock mit Rei und der in dieser Beziehung einarmigen Misato eine Kette gebildet, bei der die Gepäckstücke bis in die Wohnung gereicht worden waren. Die meisten Sachen hatten sie nicht mehr ausgepackt.
Misato hatte Tee und Kaffee gekocht, Kaji war kurz noch einmal weggefahren und hatte Pen-Pen geholt, der sich über Shinjis Rückkehr nicht weniger zu freuen schien wie dieser selbst, verdächtig war auch gewesen, daß er gleich auf seinen Futternapf gedeutet und ein lautes aufforderndes \'Wark!\' von sich gegeben hatte.
Schließlich hatte Kaji sich verabschiedet, Shinji aber vorher noch gebeten, doch am nächsten Tag um die Mittagszeit bei seinem \'kleinen Projekt\' vorbeizuschauen, womit er wohl nur sein Melonenfeld meinen konnte.
Dann hatte Shinji Misato geholfen, das Bett im hinteren Zimmer frisch zu beziehen - Misato hatte gleich nach Asukas Auszug das Bett abgezogen, so daß es ausreichend gelüftet war. Im Zimmer hing noch ein schwacher Hauch von Parfüm.

Anschließend hatte Misato ihr zusammenklappbares Gästebett wieder hervorgeholt.
Und Rei hatte sie darum gebeten, daß sie und Shinji in einem Raum schlafen durften; Misato hatte dieser Bitte seufzend nachgegeben, sie aber wieder einmal ermahnt, keinen Unfug anzustellen - was sie auch hoch und heilig versprochen hatten.
So hatte Shinji sich auf dem Gästebett schlafengelegt. Keine Stunde später war Rei zu ihm Unter die leichte Decke gekrochen und hatte sich an ihn gekuschelt...

Shinji schielte zur Uhr, der Wecker stand so auf dem Nachtschränkchen, daß er die Ziffern Gerade so noch lesen konnte.
Ja, sie hatten noch Zeit, mit Misatos Einverständnis mußten sie für den Rest der Zeit nicht zur Schule - warum schließlich sollten sie sich in stickigen Klassenräumen quälen, wenn der Rest der Klasse zum Tauchen auf Okinawa war?! -, allerdings hatte Doktor Akagi für Rei-chan Synchrontests angesetzt, um auszuloten, wie stark die Systeme von EVA-00 beim Kampf mit EVA-03 beschädigt worden waren, diese standen jedoch erst zum Mittag an.
Shinji seufzte leise und zufrieden und schloß wieder die Augen.


*** NGE ***


Leise öffnete Misato die Tür zum Raum der Kinder und sah hinein.

Kinder... äußerlich waren sie das vielleicht noch, doch auf ihren Schultern lastete das Schicksal der ganzen Menschheit... und seit dem Impact war es ohnehin strittig, wann die Kindheit endete. Misatos eigene Kindheit hatte mit dem wellenartig heranflutenden Lichtblitz geendet, wel-cher den Untergang der Antarktis signalisiert hatte.
Ihre Erinnerungen an diesen Tag waren nur bruchstückhaft vorhanden, sie erinnerte sich daran, daß ihr Vater versucht hatte, mit ihr in dem kleinen Flugzeug der Expedition dem Inferno zu entkommen. Sie erinnerte sich daran, wie er das Steuer der Maschine festgebunden und sie Gegen ihren Protest in den Laderaum geschleppt, dort in einen gepolsterten Container gesteckt und diesen aus der Ladeluke geworfen hatte, erinnerte sich an einen endlosen Fall, erinnerte sich daran, daß ihr Gefährt zu einem Spielball der Elemente geworden war...
Ihr Vater hatte sie durch sein Handeln gerettet, der kleine Frachtcontainer hatte im Gegensatz zum Flugzeug die Druckwelle und den Aufschlag auf dem Wasser überstanden.
Nachts waren die Erinnerungen besonders stark, besonders die an den verzweifelten Gesichtsausdruck ihres Vaters. Deshalb nahm Misato vor dem Schlafengehen genug Alkohol zu sich, um traumlos schlafen zu können, um die Erinnerung verdrängen zu können...

Die beiden lagen unter einer Decke auf dem Gästebett, Shinji hielt Rei in den Armen, welche ihm wiederum die Hand auf die Schulter gelegt hatte, so als wollten sie einander beschützen.

\"Paßt immer gut auf euch auf\", flüsterte Misato. Es würde vielleicht eine Zeit kommen, in der sie nicht dasein würde, auch nicht Kaji oder jemand anders...
Dann wandte sie sich ab und verließ die Wohnung - ihr Kühlschrank mußte wieder aufgefüllt werden, sie hatte fast kein Bier mehr im Haus.


*** NGE ***


Als Misato zurückkam, eine schwere ausgebeulte Plastiktüte in der Hand, deren Inhalt nur aus Dosen bestehen konnte, stand Shinji in der Küche und machte Frühstück. Im Bad lief die Dusche.

\"Du hättest noch nicht aufzustehen brauchen, Shinji-kun.\"

\"Ich weiß. Aber ich wollte mich nützlich machen.\"

\"Das ist doch nicht nötig. Und, gut geschlafen?\"

\"Ahm, ja. Misato... ähm...\"

\"Was?\"

\"Danke.\"

\"Wofür?\"

\"Daß du mich wieder bei dir aufgenommen hast... und Rei ebenfalls...\"

\"Eh, sogar mein altes Gästebett ist bequemer als die Pritschen in den Unterkünften im Hauptquartier. Rei stimmt dem doch sicher zu, oder?\"

\"Uhm...\"
Shinji wurde rot.

Misato seufzte.
\"Ihr beide gebt wirklich ein hübsches Paar ab.\"
Sie schniefte gekünstelt.
\"Das weckt richtig meinen Mutterinstinkt. - Aber falls ihr mich zur Großmutter machen solltet, bevor ihr achtzehn seid und auf eigenen Beinen steht, will ich mit euch nichts mehr zu tun Haben, ist das klar?\"

\"Ahm...\"

\"War nur ein Scherz. Wenn Rei sagt, daß es nicht soweit kommen wird, glaube ich ihr das aufs Wort... Ah, Shinji, wärst du wohl so lieb und machst mir eine Dose auf? Der Gipsarm ist wirklich lästig - und er kommt erst in knapp zwei Wochen ab. Ich werde hier nicht viel im Haushalt tun können...\"

Shinji lächelte, während er eine Bierdose aus dem Kühlschrank holte, öffnete und vor ihr hinstellte.
\"Schon verstanden, ich kümmere mich darum.\"

\"Hach...\"
Sie trank.
\"Oh, das habe ich vermißt. Mit Asuka am Tisch hat es überhaupt keinen Spaß gemacht. Shinji, das war der vielleicht größte Fehler meines Lebens...\"

\"Ich dachte bisher, das wäre Kaji gewesen... ahm... äh... war nicht so...\"

Misato lachte.
\"Hm, was Kaji angeht - der größte Fehler, den ich mit ihm gemacht habe, war wohl, ihn nicht kräftig in den Hintern zu treten, als es mit uns damals in die Brüche gegangen ist... das ging damals auch alles viel zu schnell, wir haben uns eigentlich gar keine Zeit gelassen. Aber es ist schon seltsam, da sieht man sich nach all der Zeit wieder... und plötzlich bedauert man, daß soviel Zeit vergangen ist... tja...\"
Sie griff in ihre Jackentasche, zog die Tageszeitung heraus.
\"Habe ich unten am Kiosk erstanden, die Morgenausgabe des Herald, mal sehen, ob sie die Richtigstellung zum gestrigen Artikel schon abgedruckt haben, die die Pressestelle ausgegeben hat...\"
Umständlich schlug sie die Zeitung auf, breitete sie auf dem Küchentisch aus.

Shinji brachte rasch diverse Nahrungsmittel, die er zum Frühstück bereits auf den Tisch gestellt hatte, in Sicherheit, ehe sie unter der Zeitung verschwinden konnten.
\"Und?\"

\"Hier, auf der ersten Seite. Aha, sie bedauern, daß der gestrige Artikel kleine Unsachlichkeiten enthielt... kleine Unsachlichkeiten, daß ich nicht lache. Wegen kleinen Unsachlichkeiten marschiert doch kein wütender Mob los! Dann die Richtigstellung... weiter auf Seite vier...\"

\"Warte, ich mach das schon.\"
Shinji blätterte die Zeitung um.

\"Oh, wieder ein Artikel von dieser Meiko Tanagawa, die reflektiert wohl auf den Titel von Japans Klatschtante Nummer Eins!\"\"

\"Was denn?\"

Auf Seite vier befand sich ein Bild von Shinji und Rei, die eng beieinander standen. Und darunter stand: Die heimliche Romanze der EVANGELION-Piloten.

\"Argh... argh...\"
Shinji schnappte nach Luft.

Misato schüttelte nur den Kopf.
\"Hier, hör dir das an: \'... als ich zu einem Interview bei der inzwischen wohl allseits bekannten NERV-Angehörigen Rei Ayanami eintraf, öffnete mir Shinji Ikari, ein Mitstreiter von Fräulein Ayanami und Sohn des NERV-Oberkommandierenden Gendo Ikari, die Tür. Sein Äußeres ließ nur den Schluß zu, daß er und Fräulein Ayanami gerade anderweitig beschäftigt waren und daher kein Interesse an einem Interview hatten. Mit dem gebotenen Takt verabschiedete ich mich daher wieder und...\' Shinji-kun, Shinji-kun, du hast doch nicht etwas die Tür nur mit Deiner Unterhose bekleidet geöffnet, oder?\"

\"Uh, nein, Misato... diese Frau lügt doch... ah...\"

\"Hey, mir ist auch klar, daß sie nur eine interessante Story zu stricken versucht,\"

\"Und von wegen gebotener Takt... Frau Ishiren hat sie \'rausgeworfen.\"

\"Ach ja, Journalisten und ihr verletzter Stolz... ich habe ja auch nichts gegen ein wenig Klatsch... Augenblick, wo ist denn das Neueste aus der Prominentenwelt... Oh, warte... für die nächsten Ausgaben wird ein Artikelserie über die EVANGELION-Piloten angekündigt! Eh, Shinji-kun, und mit dir will sie beginnen - das geheime Leben des Shinji Ikari! Du wirst auch noch berühmt!\"

\"Misato...\" seufzte Shinji. \"Auf so eine Berühmtheit kann ich verzichten.\"

\"Asuka würde das sicher gefallen. - Deswegen existiert seit gestern auch Order, daß keiner von euch oder dem Kommandostab irgendwelche Interviews gibt. - Ist Rei im Bad oder hat Pen-Pen das Wasser laufen lassen?\"

\"Uh, es ist Rei.\"
Er mußte es ja wissen, schließlich war sie hinter dem Duschvorhang verschwunden, während er sich das Gesicht gewaschen hatte.

\"Okay, sicher kommt sie auch gleich...\"
Misato faltete die Zeitung umständlich zusammen.
\"Bekomme ich eine Scheibe Toast, lieber Shinji-kun?\"

\"Natürlich... ah...\"
Shinji flitzte in die Kochnische.

\"Ich muß gleich zum Dienst... ist schon unfair, da hat man mit einem gebrochenen Arm eigentlich schon genug zu tun, aber bekommt man wenigstens einen Tag Urlaub - nein! \'Ja, Frau Katsuragi, Sie haben eine Gehirnerschütterung, aber Sie sind immer noch diensttauglich\'. Ich sage dir, Shinji, um bei NERV krankgeschrieben zu werden, mußt du bereits im Sterben Liegen.\"


*** NGE ***


Rei verließ bald darauf das Bad, ihre normalerweise blasse Haut glänzte rosig.
Heißes Wasser, kombiniert mit einer Duschwanne, die fast doppelt so groß war wie die in Ihrem alten Apartment, das war einfach himmlisch. Kaum zu glauben, wie wenig ihr das noch vor einem halben Jahr bedeutet hätte...
Ihr Haar war noch naß, sie trug eine Bluse und eine von Shinjis Shorts, die sie an der Taille stark gerefft hatte. Schnell beugte sie sich bei Shinji vor und gab ihm einen Kuß auf die Wange. Wenn sie schon gegen direkte Befehle verstieß, dann richtig...
Als Rei am Eßtisch Platz nahm, holte Misato wieder die Zeitung hervor.

\"Seite vier, ließ dir mal durch, was da wieder so geschrieben wurde.\"

\"Ja, Misato-san.\"
Reis Augen weiteten sich leicht, als sie das Bild von ihr und Shinji sah, aber nicht wegen des Zusammenhanges oder des darunterstehenden Artikels.
\"Major, dieses Bild ist nicht echt. Das ist eine Fotomontage.\"
Sie deutete auf verschiedene Stellen, wo seltsame Unschärfeflecken auf dem Bild waren.

\"Hui, tatsächlich. Du hast gute Augen..\"

\"Die Bilder von Shinji-kun und mir stammen wahrscheinlich aus den Unterlagen der Schule.\"

\"Möglich... vielleicht sollte ich mal ein paar unserer Männer in Schwarz dort vorbeischicken... Aber dann heißt es wieder, NERV drangsaliere die Zivilbevölkerung, oder so. Tun wir ja eigentlich irgendwie auch... Hm... Naja, den Artikel muß ich nachher Ritsuko zeigen, die lacht sich scheckig... Aber was fällt dieser Tanagawa wohl als nächstes ein? Vielleicht eine Reportage über den Bierkonsum des Taktischen Offiziers, oder so... Langsam muß ich wirklich los...\"

\"Uhm, Misato...\"

\"Ja, Shinji-kun?\"

\"Rei und ich haben gestern abend noch etwas besprochen... ahm... siehst du, wir würden uns gern an der Miete für das... uh... Apartment beteiligen und... äh...\"

\"Nein, kommt, es genügt, wenn ihr etwas zum Haushaltsgeld beisteuert.\"

\"Aber, Misato-san, Wenn Shinji-kun und ich zusammen nicht einmal die Miete für mein Apartment hätten tragen können...\"

\"Die war ja auch völlig überzogen, kein Wunder, daß sonst niemand in dem Haus gewohnt hat. Da könnte nicht mal ich mir eine Wohnung leisten - naja, soviel mehr bekomme ich auch nicht. Ist ohnehin seltsam... die ganzen Häuser gehören einer Holding-Gesellschaft von NERV... bei sowas müßte diese Tanagawa mal recherchieren. Also, wir sehen uns sicher noch im Laufe des Tages.\"

Nachdem Misato die Wohnung verlassen hatte, senkte sich Stille über den Eßtisch.

\"Uhm, Rei-chan?\"

Rei sah auf.

\"Kann ich dich etwas... uh... fragen?\"

\"Ja, Shin-chan. Wenn ich darf, werde ich jede deiner Fragen beantworten.\"

\"Uh... ahm... also... wie soll das jetzt anfangen... hm... du hattest... ahm... du hattest Misato gegenüber gesagt, daß sich zwischen uns... uh... also... keine Situation ergeben würde, die zur Folge haben könnte, daß du... daß du als Pilotin ausfällst...\"

\"Ja, Shin-chan. Das ist korrekt.\"

\"Aber... ahm... gestern wäre es wohl zu so einer... ah... Situation gekommen, wenn nicht... äh...\"

\"Das Erscheinen von Major Katsuragi und Major Kaji hat in einen Ablauf der Ereignisse eingegriffen, der wahrscheinlich zu einer körperlichen Vereinigung geführt hätte.\"

\"Äh, ja...\"
Shinji nestelte am Kragen seines T-Shirts herum.
\"Ja, uhm... und das... ah... das hätte doch...\"

Rei blinzelte. Zweimal.
\"Shin-chan, du möchtest implizieren, daß eine körperliche Vereinigung bei mir zu einer Schwangerschaft führen könnte.\"

\"Uh... ah... ja... das... ähm... das ging mir so durch den... uh... Kopf...\"

\"Ich kann nicht schwanger werden.\"

\"Äh... Hä?\"

\"Ich bin nicht in der Lage, ein Kind zu bekommen. Deshalb besteht auch keine Gefahr, daß ich deswegen als EVA-Pilotin ausfallen könnte.\"

\"Das... uh... das tut mir leid, Rei-chan... ich meine...\"

\"Ich fürchte, ich bin deswegen nicht die ideale Partnerin für dich. Es liegt in der Natur des Menschen, Nachwuchs zu zeugen, damit etwas von ihm auch seinem eigenen Ableben weiterexistiert.\"

Shinji antwortete nicht.
Rei-chan tat ihm leid, sicher ging ihre Gebärunfähigkeit auf die schweren Verletzungen zurück, die sie Wochen vor seiner Ankunft in Tokio-3 erlitten hatte... aber weshalb sollte sie nicht die... ideale Partnerin für ihn sein, er liebte sie doch... und Kinder... er hatte nie darüber nachgedacht, schließlich war er selbst noch nicht so alt. Und als er so darüber nachdachte, kam er zu dem Schluß, daß er sich eigentlich nicht vorstellen konnte, selbst einmal Kinder zu haben, er wußte doch gar nicht, wie ein Vater sich verhalten sollte, hatte selbst doch nur ein negatives Beispiel gehabt...
Shinji stand auf, ging um den Tisch herum und umarmte sie von hinten.
\"Das ändert nichts. In meinen Augen bleibst du ein wahrer Engel...\"

Sie versteifte.
\"Engel?\" flüsterte sie.

\"Uh... habe ich etwas falsches... äh... nein... also, ich meinte, so ein richtiger Engel, keiner von diesen Außerirdischen, ist doch klar... so ein christlicher Engel mit Flügeln und... uh... Heiligenschein und... äh... und diesem Instrument... einer Gitarre, glaube ich...\"

\"So ein Engel also... das siehst du in mir?\"

\"Ja, Rei-chan.\"

Sie lehnte sich zurück, genoß seine Umarmung.


*** NGE ***


Ritsuko schüttelte nur ungläubig den Kopf, als Misato ihr die Morgenzeitung unter die Nase hielt.
\"Ich habe das schon heute früh gelesen. Die Frau spielt mit ihrem Leben, sage ich dir, Misato. Wenn sie so weitermacht, könnte Kommandant Ikari sich gewaltig auf die Zehen getreten Fühlen.\"

\"Sag mal, Ritsuko, was meinst du, wenn Ikari die Treppe runterfallen und sich den Hals Brechen würde... oder wenn ganz versehentlich eine Waffe losgeht und ihm den Kopf wegpustet, ob ich dann Shinji adoptieren könnte?\"

\"Du denkst doch nicht wirklich...\"

\"Nur so ein Gedankenspiel. Ob die Behörden das erlauben würden?\"

\"Hm, hängt davon ab. Wenn du mich vorher als deinen behandelnden Arzt angibst, könnte ich deine Alkoholwerte unter den Tisch fallen lassen... dann hacken Maya und ich uns mit Hilfe der MAGI in die Behördenrechner und verschaffen dir ein Image, daß Mutter Theresa neben dir aussieht wie eine alte Schlampe.\"

\"Das würdest du tun? Glaubst du, ich könnte eine gute Mutter sein?\"

\"Misato, dein Pinguin wäre ein besseres Elternteil für Shinji als Gendo Ikari.\"

\"Wie soll ich das jetzt wieder auffassen?!\"

Akagi winkte ab.
\"Da die beiden sich nicht im Hauptquartier zwecks Zuweisung einer Unterkunft gemeldet Haben, nehme ich mal an, daß Shinji und Rei mit deinem Vorschlag einverstanden waren, oder?\"

\"Ja, sie wohnen jetzt bei mir.\"

Ritsuko seufzte.

\"Was ist los?\"

\"Dafür hatte ich heute nacht das Vergnügen mit einem schlaflosen Fräulein Langley, das mir im Testcenter auf den Nerv gefallen ist. Wußtest du eigentlich, daß sie schlafwandelt?\"

\"Ja. Es macht wirklich keinen Spaß, sich abends zuzuschütten, bis man am Tisch einschläft, wenn ständig jemand dann über einen stolpert.\"

\"Du hast immer noch diese Alpträume, nicht wahr?\"

Misato nickte, ihr war anzusehen, daß das Thema ihr unangenehm war.
\"Ah, aber reden wir nicht weiter darüber, ja? Äh, wie geht die Reparatur von EVA-00 voran?\"

\"Der Schaden am Arm liegt jenseits der Hayflick-Grenze, das heißt, daß der EVA ihn nicht aus eigener Kraft regenerieren kann. Ich passe derzeit einen der Ersatzarme an, die mit dem Konvoi, der auch EVA-02 gebracht hat, gekommen waren. Aber diese Massenproduktionsersatzteile passen bei den frühen Modellen hinten und vorn nicht.\"

\"Und was machst du jetzt?\"

\"Überstunden.\"

\"Äh...\"

\"Naja, ich habe eine LCL-Nährlösung ansetzt und ein wenig an dem Ersatzteil herumgeschnippelt, hätte nie gedacht, mal die Metzgerlaufbahn einzuschlagen.\"

\"Okay, das war schon mehr, als ich eigentlich hatte hören wollen.\"

\"Und heute will ich mit Reis Hilfe die Systeme abchecken. Die anderen beiden Einheiten sind bereits wieder einsatzbereit, bei EVA-01 mußte ich die optischen Systeme nachstellen und bei EVA-02 ein paar Spuren von Asukas Kaltstart beseitigen, wenn sie das öfter macht, bekommt ihr EVA noch sowas wie einen Kolbenfresser.\"

\"Ja?\"

\"Oder einen Herzanfall, ein Start ohne Unterstützung durch die MAGI und die Systeme des Testcenters belastet die organischen und elektronischen Systeme des EVAs sehr stark. Aber die Serienmodelle sollten so autark wie möglich sein.\"

\"Da fällt mir ein... hast du auch schon das Gerücht gehört, daß das Komitee die Serienproduktion angekurbelt hat?\"

\"Habe ich. \'Weiß noch nicht ganz, was ich davon halten soll, da die entsprechenden Unterlagen eigentlich über meinen Schreibtisch hätten gehen müssen, ich bin ja schließlich der wissenschaftliche Offizier der ganzen Operation.\"

\"Vielleicht hat Ikari sich mit dem Komitee überworfen? Wäre doch möglich... dann wollen sie die anderen EVAs vielleicht nicht in seiner Hand belassen...\"

\"Nicht ganz von der Hand zu weisen. Vielleicht kann Kaji mehr dazu herausfinden, der hat doch seine Ohren überall... es war übrigens sehr unvorsichtig von euch, unlängst ins TerminalDogma zu gehen.\"

\"Du weißt...?\"

\"Natürlich, was glaubst du, wer eure Spuren beseitigt hat? Ikari wäre ziemlich überrascht gewesen, zu erfahren, daß er angeblich im Dogma war, während er doch eigentlich unterwegs war - und er haßt Überraschungen.\"

\"Ritsuko dann... du mußt mir erzählen, was dort unten los ist. Wir haben den gekreuzigten Engel gesehen...\"

\"LILITH.\"

\"LILITH? Kaji sagte, er hieße ADAM.\"

Ritsuko hob die Schultern.
\"Meinetwegen könnte er auch GROBI heißen. Die EVAs wurden aus dem Gewebe dieses Engels mittels eines von Doktor Yui Ikari entwickelten Klonverfahrens geschaffen.\"

\"Ich dachte immer, du hättest...\"

\"Ich habe den Prozeß verfeinert und perfektioniert. Trotzdem hat es eine lange Reihe von Fehlschlägen gegeben, ehe Einheit-01 soweit war.\"

\"Äh... EVA-01 wurde vor EVA-00 fertiggestellt?\"

\"Ja, lange vorher. Oder auch nicht, jedenfalls nicht in der heutigen Konfiguration. EVA-00 wurde gebaut, damit wir Vergleichswerte hatten, anhand derer wir im Gegenzug EVA-01 einsatzbereit machen konnten. Aber die Grundidee, das Konzept... das Design, das stammte von Shinjis Mutter.\"

\"So...\"

\"Sie starb im gleichen Jahr wie meine Mutter und Asukas Mutter, seltsame Zufälle, nicht wahr?\"

\"Ja. Und wozu wird der Engel nur gebraucht?\"

\"Er liefert das LCL.\"

\"Das LCL... also doch, der See unter dem Kreuz... dann ist das LCL...\"

\"Blut. Das Blut der Engel. Und das Blut der EVAs.\"

\"Oh, mein Gott... und die Kinder müssen dieses Zeug atmen, wenn sie...\"

\"Ja. Genau deswegen unterliegt diese Information auch strengster Geheimhaltung. Und deshalb verwende ich auch einen guten Teil meiner Freizeit darauf, das Zeug mit einem anderen Geschmack und Geruch zu versehen... um den Ursprung zu übertünchen. Nicht bearbeitetes LCL schmeckt wie... das läßt sich gar nicht beschreiben, wie scheußlich das Zeug pur und roh schmeckt.\"

\"Die armen Kinder...\"

\"Wenn du es ihnen sagst, wird es auch nicht besser oder gar einfacher. Und Rei weiß es ohnehin bereits.\"

\"So... Ich möchte etwas derartiges eigentlich nicht vor Shinji geheimhalten.\"

\"Und das ehrt dich, aber ihm tätest du damit wirklich keinen Gefallen. Sein Vater würde ihn weiterhin zwingen, EVA-01 zu steuern... oder ihn einfach eliminieren.\"

\"Sein eigener Vater?\"

\"Selbst da wäre ich mir nicht so sicher.\"

\"Wie jetzt?\"

\"Das erzähle ich dir bei Gelegenheit - wenn ich \'mal wieder so richtig lachen will.\"

\"Ritsuko...\"

\"Ah! Laß das Thema sein. Ich habe ohnehin schon zuviel gesagt!\"


*** NGE ***


Kozo Fuyutsuki hockte irgendwo im Hauptquartier auf einer Stahltreppe, einen Schuhkarton auf den Knien.
Er zog sich häufig an derartige Orte zurück, wo er ungestört war. Seine Unterkunft im Hauptquartier war zwar recht wohnlich eingerichtet, doch nachdem er durch Zufall erst eine Abhörvorrichtung und dann eine Kamera in seinen Räumen entdeckt hatte, hielt er sich dort nur noch zum Schlafen auf.
Daß Ikari ihn bespitzelte, lag für Fuyutsuki auf der Hand. Er war doch nur Zweiter Kommandant, weil Ikari ihn dadurch hatte ruhigstellen wollen... und mittlerweile steckte er derart tief in der ganzen Sache mit drin, daß er sich selbst ebenfalls dem Henker ausliefern würde, sollte er Ikaris Machenschaften aufdecken. Er hätte damals das gesammelte Beweismaterial dem Gerichtshof der Vereinten Nationen übergeben sollen, anstatt an Yuis Interessen zu denken und erst noch ein klärendes Gespräch mit dem frischgebackenen Ehemann seines früheren Protegés zu führen... Ikaris Argumente waren derart überzeugend gewesen, jedenfalls auf den ersten Blick. Und als er Gelegenheit zu einem zweiten Blick gehabt hatte, steckte er schon tief in der Sache drin... mitgegangen, mitgefangen, mitgehangen...
Ob Ryoji Kaji wohl ahnte, daß er es war, der ihm immer wieder Informationen zuspielte, der dafür sorgte, daß bestimmte Dateien zuweilen nicht so abgesichert waren, wie Ikari es eigentlich angeordnet hatte? Ikari hielt Kaji für amüsant, weil er das volle Potential des Mannes nicht erkannt hatte...

Fuyutsuki öffnete den Schuhkarton, griff hinein, holte eine Handvoll alter Fotos heraus.
Er seufzte. Die Bilder waren alles, was ihm nach dem Impact geblieben war, seine gesamte Familie war bei einem Ausbruch des Fudjiyama ums Leben gekommen, bis auf den letzten Cousin...
Ein Bild von ihm mit seinem Bruder... ein weiteres mit seiner Mutter... seine Verlobte... alles Gespenster der Vergangenheit... Bilder aus seiner Studienzeit... Freunde, von denen die meisten ebenfalls tot waren...
Fuyutsuki seufzte.
Und dann starrte er auf ein Bild, das ihn im Alter von vielleicht fünfzehn Jahren zeigte. Genau dieses Bild hatte er eigentlich gesucht, ohne sich sicher zu sein, weshalb.
Also doch... entweder war es ein einziger großer Zufall, oder die vielleicht größte Ironie des einundzwanzigsten Jahrhunderts...

Ein Luftzug strich über seinen Nacken.
Fuyutsuki riß die Augen auf, griff in seine Uniformjackett.
In diesem Moment wurde ihm ein Taschentuch auf Mund und Nase gepreßt, er nahm einen starken einschläfernden Geruch wahr, wollte sich noch am Geländer nach oben auf die Füße ziehen, doch da verließen ihn bereits seine Kräfte. Fuyutsuki sank auf der Treppe zusammen, wurde von zwei Armen aufgefangen.

\"Hm, dachte, bei so einem alten Mann wirkte das Mittel schneller\", murmelte Sergej Roshenkov.

Seine beiden Begleiter, beide ganz in Schwarz gekleidet, zuckten nicht mit der Wimper, traten stattdessen vor und nahmen den stellvertretenden Kommandanten von NERV in die Mitte.

\"Beeilen wir uns, wer weiß, wie lange die Sicherheitssysteme noch passiv bleiben.\"
Roshenkov lächelte. Wie gut, daß SEELE Ryoji Kajis Bericht am Larsen abgefangen hatte, dem auch verschlüsselt ein Zugangscode zum Hauptquartier beigefügt gewesen war...


*** NGE ***


Fuyutsukis Verschwinden blieb vorerst unbemerkt.
Die Brückencrew hatte wichtigeres zu tun, als sich zu vergewissern, ob Kommandant Ikari allein oder zusammen mit dem Sub-Kommandanten im Kommandostand war - die Frühwarn-Fernradarsysteme hatten ein Objekt gemeldet, welches sich mit hoher Geschwindigkeit der Stadt näherte.
Dann schlugen die MAGI Alarm, welche bereits auf die Distanz hin ein aktives AT-Feld wahrnahmen.

\"Status der EVAs?\" fragte Ikari mit rauher Stimme. Die ständigen Injektionen, um ADAM ruhigzustellen, zehrten an seinen Kräften.

\"EVA-02 wird startbereit gemacht. EVA-00 ist immer noch nicht bereit für einen weiteren Kampf!\" antwortete Akagi über Interkom.

\"Und Shinji?\"

\"Dürfte unterwegs sein.\"

\"Rei soll EVA-01 nehmen.\"

Ritsuko zögerte, erwog die Erfolgschancen eines Protestes, resignierte dann.
\"Ich schreibe die Steuerung um.\"

\"Das sollte schnell gehen.\"
Wenigstens ein Gutes erwuchs für das Szenario aus der ständigen Synchronisation zwischen dem Klon und Yuis Sohn...

Akagi unterbrach die Sichtfunkverbindung.

\"Objekt nähert sich auf Einschlagkurs. Einschlag in dreißig Sekunden!\" - \"Evakuierung der Zivilbevölkerung in die Schutzbunker ist angelaufen.\" - \"Defensivsysteme haben Ziel erfaßt und eröffnen das Feuer!\" - \"Einschlag in zwanzig Sekunden!\" - \"Werte des AT-Feldes außerhalb des Skalenbereiches... das ist ein Koloß!\" - \"Einschlag in zehn Sekunden...\" - \"Synchronverbindung zwischen EVA-02 und Pilotin steht. Synchronverbindung zwischen EVA-01 und Pilotin wird eingeleitet!\" - \"Aufschlag!\"

Die Außenkameras zeigten das Bild eines Torsos in Schwarz, Grau und Rot ohne Kopf, dessen Arme und Beine auf halber Länge in Stümpfen endeten. Der Engel schwebte über dem provisorisch verschlossenen Zugang zum Zentralen Schacht, dessen Panzerschotten nach dem Angriff Matriels noch nicht wieder alle erneuert worden waren.
Aus den Armstümpfen zuckte etwas... papierdünne Tentakelarme, welche das erste Panzerschott zerfetzten so wie ein heißes Messer durch Butter schnitt.
Dann gingen die Kameras offline, als das AT-Feld des Engels ihre Signale überlagerte.

\"MAGI bezeichnen Engel als Ziel: Zeruel.\" - \"Erstes Panzerschott durchbrochen. Zweites Panzerschott durchbrochen... bei der Geschwindigkeit ist er in wenigen Minuten hier!\"

\"Zeruel... Engel der Macht...\" murmelte Ikari. Der stärkste Gegner, den er jemals getroffen hatte... nein, nicht sein Gegner, ADAMs... es waren ADAMs Erinnerungen, die sich langsam mit den seinen vermengten...
\"Ritsuko, die EVAs?\"

\"Einheit-02 ist bereit. Aber EVA-01 macht Probleme.\"

\"Inwiefern?\"

\"Rei wird nicht als Pilotin akzeptiert.\"
Da war noch etwas anderes in Akagis Stimme... Mitgefühl...

Ikari runzelte die Stirn. Dann stand er auf.
\"Ich bin im Hangar. Katsuragi, Sie haben das Kommando!\"

Misato nahm seine Worte nur am Rande wahr.
\"Es ist zu spät, die EVAs zu starten. Wir positionieren sie in der Geofront! EVA-02 erhält jede Waffe, die wir hier unten haben, der andere EVA, egal ob Einheit-00 oder -01, wird das AT-Feld des Engels neutralisieren!\"


*** NGE ***


Während EVA-02 stampfenden Schrittes den Hangar verließ, kämpfte Rei im EntryPlug um ihr Leben.
EVA-01 stieß sie nicht nur ab, verweigerte jede Synchronisation mit ihr, sondern erwiderte ihre Versuche, die Kontrolle zu erlangen, mit starken Schmerzimpulsen.
Reis Schreie gellten aus dem Lautsprecher des Testcenters, Akagi hatte alle Hände voll damit zu tun, die Lebenserhaltung des Plugs so zu konfigurieren, daß Rei am Leben bleib.

\"Puls stockt\", flüsterte Maya schließlich.

\"Wir brechen ab. - Rei, wir holen dich \'raus!\"

\"Nein, starte einen zweiten Versuch.\"

Ritsuko drehte sich um, starrte Ikari an, der in der Tür stand.
\"Das könnte sie umbringen!\"

\"Rei ist ersetzbar. Noch einen Versuch!\"

\"Ja... - Rei, hörst du mich?\"

Keuchend bestätigte das Mädchen im EntryPlug.

\"Wir versuchen es noch einmal, zuerst nur minimale Synchronität...\"

\"Doktor Akagi... EVA-01 stößt mich ab... er will nicht... wie ein Spiegel...\"

Ikari erschien im Hangar auf einem der Laufstege, sah zu EVA-01 hinauf.
\"Das ist nicht akzeptabel. Wage es nicht, mich zurückzuweisen...\" flüsterte er. \"Du hast damals bei der Hochzeit geschworen zu tun, was ich dir befehle, Yui... Gehorche!\"

EVA-01 ruckte einmal in seinen Fesseln hoch, fiel dann wieder zurück.

\"Das wird nichts\", meldete Ritsuko sich über die Sprechanlage. \"Irgendetwas in EVA-01 widersteht der Synchronisation.\"

Ikari drehte sich nicht um.
\"Dann steck den Plug in EVA-00, so kann sie sich wenigstens doch noch nützlich machen.\"

\"EVA-00 ist nicht kampffähig!\"

\"Wer sagt, daß sie kämpfen soll? Es reicht, wenn sie den Engel lange genug ablenkt, bis Shinji hier ist...\"


*** NGE ***


Shinji wurde gerade von Kaji in der hohen Kunst der Melonenzucht und -pflege unterwiesen, als der Alarm losging. Zugleich begann die starken, unter der Decke der Geofront montierten, Scheinwerfer zu flackern.

\"Ach du Scheiße...\" murmelte Kaji.

\"Ein Angriff...\"

\"Shinji, los, lauf! Im Hauptquartier warten sie sicher schon auf dich.\"

\"Ja...\"
Shinji war bereits gute zehn Meter von Kajis Acker entfernt, als er über die Schulter zurückblickte und feststellte, daß der Mann immer noch damit beschäftigt war, seine Melonen zu gießen.
\"Und Sie, Kaji-san?\"

\"Der Engel wird mir wohl nicht ausgerechnet ins Genick springen. Lauf schon!\"

Shinji rannte los.
Unterwegs geriet er um ein Haar unter den Fuß von EVA-02, welcher, den Blick zur Decke der Geofront gerichtet, aus dem Hauptquartier marschierte.
Schwer atmend erreichte er den Hangar, wo die einarmige EVA-00-Einheit gerade aufbrach.
Shinji verharrte kurz, winkte mit beiden Armen.

\"Laß den Unfug! Du kommst spät!\"

Er warf den Kopf herum.
Sein Vater stand auf dem Laufsteg über ihm und fixierte ihn durch die dunklen Gläser seiner Brille.
Wortlos kletterte Shinji die Leiter zu jener Ebene hinaus, auf welcher sich der EntryPlug befand und auf ihn wartete. Ohne erst in seine PlugSuit zu wechseln, kletterte er in den Plug, welcher sogleich angehoben und mit dem Steuernerv von EVA-01 verbunden wurde.

\"Synchronisationsprozeß wird eingeleitet\", erklärte Ritsuko Akagi. \"Shinji, ich umgehe die meisten Sicherheitsprotokolle und fahre gleich voll auf.\"

\"Uh, ja.\"

\"Der Engel ist schon beinahe bis in die Geofront vorgedrungen, wir haben keine Sekunde zu verlieren.\"

\"Klar.\"
Er preßte die Lippen zusammen. Der Feind hatte sie überrumpelte. Und jetzt stand Rei-chan ihm allein mit einem invaliden EVA gegenüber... auf Asuka konnten sie nicht wirklich zählen...
\"Beeilen Sie sich.\"

Die Monitore vor ihm wurden hell, zeigten ihm Bilder aus den anderen beiden EntryPlugs.
Er hörte Asuka fluchen, dann schreien, dann erlosch das Bild.

\"Uh, was ist passiert?\"

\"Er hat EVA-02 erwischt... sein AT-Feld ist...\"

In diesem Moment spürte Shinji Reis Blick auf sich lasten.

\"Shin-chan, ich erkaufe dir die nötige Zeit.\"

\"Was... Rei!\"

\"Mein Gott...\" entfuhr es Akagi. Sie schaltete die Kameraübertragung aus der Geofront auf den Funkkanal, damit Shinji sehen konnte, was draußen geschah.

Der Engel schwebte über dem Boden, seine papierartigen Arme bewegten sich träge.
Zu seinen Füßen lag EVA-02, oder das, was noch davon übrig war, neben einem Berg aus leergeschoßenen Positronengewehren und sogar zwei überdimensionalen Raketenwerfern. Dem roten EVA fehlten beide Arme, diese lagen ein Stück weiter. Ebenso fehlte der Kopf - der rollte zu diesem Zeitpunkt gerade an Kajis Melonenfeld vorbei...
Der Engel, den die MAGI als Ziel: Zeruel eingestuft hatten, drehte sich langsam um seine eigene Achse, wandte sich dem nächsten Gegner zu - EVA-00...

\"Rei, nicht!\" brüllte Shinji, hörte in seinem Kopf gleichzeitig das leise Flüstern der entstehenden Synchronverbindung. \"Doktor Akagi, lassen Sie mich starten!\"

\"Noch ein paar Sekunden, sonst brennt dir die Synchronverbindung das Hirn raus!\"
Akagi regulierte die Sicherheitsschaltungen, welche sie zuvor ganz außer Acht gelassen hatte.
\"Ich muß... Rei!\"

EVA-00 trug weder ein Gewehr, noch stürmte er mit gezücktem PROG-Messer vor. Er führte etwas viel tödlicheres mit sich - einen großen Zylinder, auf dem die Zeichen \'N2\' standen...

\"Eine N2-Mine...\" hörte Shinji Misato sagen, die sich in die Verbindung inzwischen eingeschaltet hatte, um ihm eigentlich letzte Instruktionen zu geben.

Die AT-Felder von Engel und EVA prallten aufeinander.
EVA-00 schob seine Hand vorwärts, drang langsam in das AT-Feld des Engels ein... dann zündete die Mine, zerriß den verbliebenen Arm des EVAs bis zur Schulter.

Rei schrie auf, sackte dann im Pilotensitz zusammen.

Aus dem Feuerball der Explosion zuckte ein hauchdünner Arm und riß EVA-00 in der Mitte auseinander. Der Engel war unverletzt, hatte keinen sichtbaren Schaden durch die Explosion davongetragen.

Shinji heulte auf.
\"Was ist mit Rei? Was ist mit ihr?\"

\"Werte instabil...\" murmelte Ritsuko.

Shinji blickte starr auf den Bildschirm, welche zeigte, daß der Engel jetzt auf das Hauptquartier zumarschierte, dabei auch die spärlichen vorhandenen Abwehreinrichtungen ignorierte - die abgefeuerten Raketen explodierten ohnehin, sobald sie mit den Ausläufern des AT-Feldes in Kontakt kamen...
Shinjis Lippen bebten.
Rei-chan war verletzt... der Engel hatte sie verletzt... dafür würde er zahlen...
Aus den Tiefen des EVAs antwortete ein dumpfes Grollen auf die Wut und den Haß, welche er in diesem Moment verspürte, bot ihm Unterstützung an.
Noch sperrte er sich dagegen, noch ergab er sich der Finsternis nicht, welche sich mit jedem Schritt, den sich der Engel dem Hauptquartier näherte, weiter zusammenzuziehen schien.

Zeruel ignorierte den Haupteingang, zerfetzte einfach die nächste Wand, drang in den Hangar ein.

Gendo Ikari rührte sich nicht von der Stelle, betrachtete den Engel mit wissenschaftlicher Kälte.
Zeruel, LILITHs Verteidiger, der mächtigste von ihrer Brut...

EVA-01 spannte die Muskeln, brach aus seinen Halterungen aus, noch ehe Doktor Akagi diese lösen konnte, trat dem Engel in den Weg.

\"Shinji, vorsicht! Paß auf seine Arme auf!\" rief Misato über Funk.

\"Er hat Rei-chan verletzt. Dafür wird er büßen... dafür sorgen wir...\" kam die Antwort aus dem Plug. Es war Shinjis Stimme... und noch eine andere Stimme, tief und grollend, voller Haß...
Kapitel 39 - Engel der Macht

EVA-01 stürzte sich auf den Engel, trieb ihn vor sich her, quer durch den Hangar.

Misato blickte wie versteinert auf dem großen Monitor in der Zentrale.
Aus Shinjis EntryPlug kam nur ein dumpfes, nichtendenwollendes Knurren über die Funkverbindung. Die Bildverbindung zeigte, daß er hochkonzentriert hinter der Steuerung von Einheit-01 saß, die Lippen zusammengepreßt, die Hände um die Steuerung verkrampft, daß die Fingerknöchel sich deutlich durch die Haut abzeichneten.

\"Shinji, treib ihn nach draußen. Shinji, hörst du nicht?\" rief Misato, doch der Junge blickte nicht einmal kurz auf die Monitore der KomPhalanx.

Der Engel war nur einen Augenblick lang überrascht gewesen, doch noch auf Gegenwehr zu stoßen, hatte dann den Angriff von EVA-01 gekontert. Die AT-Felder trafen unter Erzeugung kleiner Blitze und Funken aufeinander, die Spitzen von Tentakelarmen und mächtige Fäuste schrammten über eigentlich unsichtbare Schutzfelder, die nun kurzfristig zu erkennen waren.

Die beiden Kontrahenten schenkten einander nichts, schlugen mit ungebremster Kraft aufeinander ein. Und nicht jeder Hieb wurde vom jeweiligen gegnerischen AT-Feld gebremst. Dunkelblaues und hellrotes Blut spritzte in alle Richtungen.

EVA-01 wankte wie ein Boxer in der zehnten Runde, als der Engel einen Kopftreffer landete. Riesige Zahnsplitter flogen in einer rosa Wolke aus seinem Mund.
Der EVA röhrte auf, duckte sich zur Seite, schlug kraftvoll zu, durchstieß das AT-Feld des Engels und hämmerte ihm die Faust in die Seite, riß dabei dessen Körperoberfläche auf.

Der Engel konterte, schlug mit beiden papierdünnen Armen zu, schlitzte die Armpanzerung des EVAs auf.

Gendo Ikari stand auf dem Laufsteg und beobachtete das ganze mit ausdruckslosem Gesicht, bewegte sich nicht einmal im Ansatz, als ein gewaltiger Spritzer roten Blutes wie eine Welle auf ihn zukam und ihn bedeckte. Hinter ihm malte die hellrote LCL-Flüssigkeit seine Umrisse an die Wand.
EVA-01 war der stärkste EVANGELION, den Ritsuko für ihn gebaut hatte, wenn es ihm nicht gelang, den Engel aufzuhalten, dann war Flucht ohnehin sinnlos. Der Engel hatte nicht um sonst den geraden Weg in den Hangar genommen - er spürte ADAMs Gegenwart...

EVA-01 senkte den Kopf, ging den Engel an wie ein Stier, das Horn voran, rammte ihn frontal, trieb ihn vor sich her. Die Metallwand der riesigen Hangarhalle bot kaum Widerstand, als die beiden Wesen mit der Kraft elementarer Gewalten aufeinandertreffen, riß auseinander wie Papier.
Die beiden Giganten stürzten in den dahinterliegenden Gang, rissen auch die gegenüberliegende Wand ein.
Zeruel schlug wild mit den Armen, zerfetzte, was in seine Reichweite kam.
Der Engel und der EVA brachen durch mehrere Zwischengeschosse, dann gelang es Zeruel, seinen Gegner zu packen und mit ihm die Plätze zu tauschen. Wieder ging es durch eine Wand.
Der Raum dahinter war recht groß - die beiden Kontrahenten waren während ihres Kampfes bis in die Kommandozentrale von NERV vorgedrungen...


*** NGE ***


Misato hatte sich die Lippe blutig gebissen, doch das fiel ihr gar nicht auf. Ihre ganze Konzentration galt dem Hauptbildschirm und dort dem kleinen Feld, welches die Übertragung aus dem EntryPlug von Einheit-01 zeigte.

Shinjis Gesicht zeigte keine Regung, war völlig starr. Seine Augen waren kalt, bar jeden Gefühls, jeder Gnade. Immer noch reagierte er nicht auf ihre Anrufe und Kommandos, dabei rief sie ihm schon scheinbar seit einer Ewigkeit zu, den Nahkampf zu meiden und den Gegner aus dem Hauptquartier zu locken.

Jetzt erwischte der Engel den EVA mit einem kräftigen Schlag am Kinn. EVA-01 spuckte Zähne. Und aus Shinjis Mundwinkel sickerte plötzlich ein dünner Blutfaden. Zugleich zeigte der Junge eine Regung, als er das Gesicht vor Schmerz verzog.

\"Ritsuko, die Synchronverbindung ist zu stark! Der Engel prügelt EVA-01 zu Klump... und er bringt dabei Shinji um!\"

\"Wenn ich jetzt die Verbindung drossele, macht er das ganz sicher. Shinji hat derzeit ein Synchratio von 98.6, die Sicherheitsschaltung dürften gleich ansprechen.\"

\"Wie kannst du nur so ruhig bleiben?\"

\"Wäre es dir lieber, wenn ich hysterisch werde? - Maya, zur Seite!\"
Akagis Gesicht verschwand vom Bildschirm, in der nächsten Sekunde brach die Verbindung zusammen.

\"Die beiden sind jetzt in Korridor C. Und jetzt in den Werkstätten... Die kommen direkt hierher!\" meldete Aoba.

\"Alles raus!\" brüllte Misato.

Da brachen der Engel und der EVA bereits durch die Wand.

Panisch flüchtete die Brückencrew.
Die MAGI-Rechner wurden im Boden versenkt, verschwanden in tiefen Schächten hinter sich schließenden Panzerschotten von jeweils einem Meter Dicke.

Misato blieb am Ausgang stehen, blickte zu den beiden Giganten hinüber, die gerade die Zentrale zerlegten. Die Arme des Engels zerkleinerten die Terminals, gerade implodierte der Monitor, überschüttete die Kontrahenten mit Funken, machte die Grenzen der AT-Felder kurzfristig gut sichtbar.

Die Decke kam herunter.

EVA-01 packte einen langen Stahlträger, schwang ihn wie eine Keule, traf den Engel in der Körpermitte, schleuderte ihn gegen die Wand, drehte den Träger in den Händen, setzte ihn ein wie einen Speer und stieß mit ihm wuchtig nach dem Engel.
Zeruel wich aus, der Stahlträger bohrte sich in die Wand, blieb stecken.

Der EVA gab ein enttäuschtes Brüllen von sich.

Die beiden Gegner verharrten, schienen Atem zu schöpfen.

Misato wich langsam in den Korridor zurück, löste dabei den Blick nicht von Einheit-01.
Sie hatte noch zuvor gehört, daß ein EVA einen Laut von sich gab.

Wieder brüllte der EVA. Es klang wie das Brüllen eines Raubtieres...

Misato rannte den Korridor hinab...


*** NGE ***


Shinji fühlte nichts außer Kälte.
Die Sorge um Rei-chan, die Angst, sie könnte schwer verletzt sein - oder gar schlimmeres -, die Furcht, sie vielleicht für immer verloren zu haben, alles war wie unter einem Eispanzer eingeschlossen, der sein Herz umgab.

Der Engel hatte seine Rei-chan verletzt...
Rei-chan war bereit gewesen, sich zu opfern, damit er etwas Zeit bekam, Zeit, die nicht nötig gewesen wäre, wäre er da gewesen...
Er hätte sie beschützen müssen...
Der Engel würde für sein Tun büßen...

Shinji registrierte die Treffer, die der Engel landete, sah auch auf dem Schadensmonitor, daß einige davon recht schwer waren, doch er spürte sie kaum, spürte nicht, wie seine Lippe zu bluten begann, nachdem der Engel EVA-01 am Kinn erwischt hatte, spürte nicht, daß sein Hemd am Oberarm aufriß und seine Haut feine Schnitte wie von einem Skalpell zeigte.
Er ignorierte sogar die Anzeige der Akkus. EVA-01 lief bereits die ganze Zeit über auf Batteriestrom...

Der Engel mußte besiegt werden, um jeden Preis...
Das war er Rei-chan schuldig...

EVA-01 schien ihm zuzustimmen. Aus der Tiefe des EVAs kam ein ständiger Strom belebender Impulse, die Shinji vorantrieben, begleitet von der Aufforderung, endlich seine Kräfte mit denen des EVA-Bewußtseins zu verbinden.
Noch wehrte er die drängenden Impulse ab...

Mit gesenktem Horn ging er den Engel an, stieß ihn vor sich her. Mehrfach wirbelten sie einander herum.
Shinji ignorierte dem Schmerz, der von seinem immer noch geprellten Rücken ausging, als EVA-01 durch mehrere Trennwände geschleudert wurde, kam wieder auf die Beine, fletschte die Zähne...
Sie waren in der Zentrale!

Misato...

Nein, der Raum war bereits geräumt.

Gut...
Keine Rücksichtnahme nötig...

Wieder schien der EVA zuzustimmen: Keine Unschuldigen, die gefährdet wurden...

Einen Augenblick lang herrschte Stille.
Der Engel schwebte über dem Boden, schien seinen Kontrahenten zu mustern, sofern dies ohne Augen überhaupt möglich war.

Wollte er Zeit schinden?
Wußte er, daß sein Gegner nur wenige Minuten vor dem Zusammenbruch war?
EVA-01 gab ein wütendes Knurren von sich.

Dann griff der Engel wieder an. Peitschenschlagartig trafen seine dünnen Arme auf das AT-Feld des EVAs, einer der Hiebe durchschlug das Feld, fügte EVA-01 eine tiefe Schramme quer über die Brustpanzerung zu.

Der Pilot in der Steuerkapsel spürte nicht, wie sein Hemd und die Haut darunter über der Brust aufrissen.
Die spirituelle Dunkelheit umfüllt ihn wie ein mystischer Schild.

Hier in der Enge des Hauptquartiers war der Engel mit seinen biegsamen gelenklosen Armen klar im Vorteil...
Erstmals seit Beginn des Kampfes zeigte Shinji eine Regung - er blinzelte.
Das war nicht sein Gedanke gewesen, diese taktische Analyse stammte von dem EVA selbst!
Aber es stimmte. Und das hieß, daß er schnellstmöglich mit dem Engel das Hauptquartier Verlassen mußte...
Shinji konzentrierte sich vollständig auf die Stärke des AT-Feldes von EVA-01. Als Antwort begann sein Feld zu leuchten, als seine Stärke wuchs.
Wieder ließ er EVA-01 den Kopf senken, wieder stürmte er auf den Engel los, doch dieses mal packte er ihn, ging bewußt das Risiko ein, daß ihre AT-Felder sich gegenseitig negieren könnten.

Erneut ging es durch mehrere Wände, hinterließen sie eine Spur der Verwüstung, die quer durch das Hauptquartier führte. Die Odyssee endete dort, wo sie begonnen hatte, im Hangar.
Shinji stürmte, den Engel immer noch umklammernd, quer durch die Halle, auf eine der Aufzugsplattformen zu, brüllte: \"Nummer 5!\"


*** NGE ***


Ritsuko Akagi klopfte sich den Staub von der Kleidung. Hinter der ausdruckslosen Fassade Ihres Gesichtes war sie ein nervliches Wrack.
Der Kommandoraum des Testcenters war größtenteils verwüstet, Ritsuko meinte sich zu erinnern, daß EVA-01 beiläufig mit der Hand durch den Raum gewischt hatte, als er sich auf Seinen Gegner gestürzt hatte, allerdings konnte die undeutliche Erinnerung auch die Hand von EVA-03 betreffen, welche den Kommandoraum in Matsushiro zerlegt hatte...

\"Maya? Wo bist du?\"

Dort wo ihre Assistentin vor wenigen Sekunden noch gestanden hatte, war die Decke eingestürzt.

Ritsuko sah sich bereits nach einem geeigneten Hilfsmittel um, um Maya Ibuki freizugraben, als sie ein Husten hörte.
\"Maya?\"

Die jüngere Frau kroch unter einem Terminal hervor.
\"Sem-Sempai... das... das...\"

\"Du lebst...\"
Ritsuko atmete tief durch, mußte dann husten, weil zuviel Staub in der Luft war.

\"Einfach... einfach alles zerstört...\"

\"Ja.\" brummte Akagi.
Ein Glück, daß Maya nicht auch in Matsushiro gewesen war...
Sie sah sich um.

Die Monitore und Anzeigen waren allesamt erloschen.

\"Hast du deinen Laptop?\"

\"Ja, Sempai.\"

Ritsuko ging neben Maya in die Knie, ließ sich den kleinen Koffer reichen, welcher den Laptop enthielt.
\"Mal sehen... wenn die MAGI noch arbeiten, müßten wir... Ah, Kontakt... Das darf doch nicht wahr sein...\"
Sie schluckte.

\"Sempai?\"

\"Synchronratio 99.999. Bei diesem Wert hätten längst die Sicherheitssperren die Synchronverbindung drosseln müssen... Wo ist EVA-01? - Maya, schnell, weg hier!\"

\"W-w-was?\"
Ibuki folgte ihrer Mentorin verwirrt, welche über einen Schuttberg in die andere Hälfte des Raumes kletterte.

Hinter ihnen riß die Wand auf wie Pappmaché.
Die beiden Kämpfenden waren an den Ausgangsort zurückgekehrt!

\"Nummer 5!\" brüllte Shinji.

Ritsukos Augen weiteten sich, hatten jetzt den menschenmöglichen Anschlag erreicht.
Es war der EVA gewesen, der die Worte abgehackt hervorgestoßen hatte - doch mit Shinjis Stimme...
\"Synchronratio 99.999...\" murmelte sie. \"Tendenz steigend...\"
Nummer fünf?
Was meinte er denn damit...
Aufzug Nummer Fünf! - Er wollte den Engel an die Oberfläche bringen!
Glücklicherweise konnte sie auf die Steuerung der Aufzugsplattformen über die Verbindung mit den MAGI Zugriff nehmen.

EVA-01 und der Engel jagten aus der Geofront, rasten nach oben, an die Oberfläche...


*** NGE ***


Ebenfalls in einem Aufzug befand sich Gendo Ikari, nur war er in die entgegengesetzte Richtung unterwegs. Noch in der Kabine entledigte er sich seines LCL-durchnäßten und triefenden Jacketts und warf es achtlos auf den Boden.


*** NGE ***


Aufzug Nummer Fünf endete zwischen den Hügeln, die Tokio-3 zu drei Seiten umgaben, es war derselbe Aufzug, den EVA-00 und EVA-01 damals benutzt hatten, als sie zum Fugotoyama aufgebrochen waren. Und er endete weit genug von der Stadt entfernt, um zu vermeiden, daß sich der Kampf in die Straßen verlagern würde.

Die Beschleunigungskräfte schleuderten beide Kontrahenten in die Luft.

Shinji war darauf vorbereitet gewesen, ließ EVA-01 im Fall eine Drehung machen, prügelte noch vor der Landung wieder auf den Engel ein.
Er hatte nur noch eine Minute...

Nur noch eine Minute, um den Gegner zur Rechenschaft zu ziehen...
Nur noch eine Minute, um ihn in der Luft zu zerreißen...

Das waren seine Gedanken... und sie waren es nicht... es waren auch die Gedanken des EVAs, seine Gier nach Leben... Shinji konnte das eine nicht mehr vom anderen unterscheiden...

Wut...
Zorn...
Haß...

Der Engel hatte den Menschen verletzt, der ihm mehr bedeutete, als alles andere...
Er mußte den Engel besiegen...
Für Rei-chan... egal, wie groß das Opfer war...
Und er gab dem Drängen nach, ließ sich von der Dunkelheit vollständig umhüllen...

Plötzlich veränderte sich seine Wahrnehmung.
Vor seinen Augen rasten Zahlenkolonnen dahin, dann erschienen wurzelartige Verzeichnisstrukturen... das Betriebssystem des EVAs. Zum Greifen nahe pulsierten verschiedenste Begriffe in kleinen Blasen. Direkt vor ihm tauchte ein Verzeichnis auf, welches die Sicherheitsprotokolle enthielt.
Drosselung der Synchronverbindung... offline...
Krafteindämmung - aktiv.
Adrenalinblockade - aktiv.

Die letzten beiden Punkte rotierten langsam vor sich hin.

Warum konnte er das sehen...
Der EVA wollte, daß er es sah...
Was hatte das zu bedeuten... Krafteindämmung... wurde der EVA vielleicht dazu gezwungen, sich zurückzuhalten?
Abschalten...
Konzentriert dachte er den Befehl.
Sicherungen abschalten!

Und EVA-01 schaltete drei Gänge weiter, wurde schneller, legte noch mehr Wucht in seine Schläge, bekam schließlich die Oberhand, prügelte im Takt auf den Engel ein, hatte ihn bereits am Boden. Der Engel war wehrlos, fast schon besiegt. Seine Arme schlugen wirkungslos Gegen das jetzt hell glühende AT-Feld von Einheit-01.

Shinji keuchte.
Sein Herz schlug schneller, drohte aus dem Takt zu kommen.
Deshalb also war die Kraft des EVAs beschränkt worden... weil er sonst wirklich alles geben würde...
Aber wenn er dadurch den Engel besiegen würde...
Wenn er dadurch verhindern konnte, daß heute der Third Impact stattfand...
Wenn er dadurch ein paar Tage gewinnen konnte, bis vielleicht der nächste Feind auftauchte...
Wenn er ein paar Tage für Rei-chan gewinnen konnte, so wie sie ein paar Minuten für ihn gewonnen hatte... - dann war es das wert...

Längst hatte der EVA seinen Rhythmus gefunden.
Links-rechts-links-rechts-links...

Das AT-Feld des Engels war nicht mehr vorhanden, bei jedem Schlag, den EVA-01 landete, spritzte eine Fontäne blauen Blutes. Spinnwebenartige Risse überzogen die Hülle des Engels inzwischen, aus denen die blaue Flüssigkeit hervorquoll.

Links-rechts-links-Stillstand.

Die internen Batterien hatten keine Energie mehr abzugeben.

Im EntryPlug wurde es dunkel, die Augen des EVA erloschen.
Der Koloß stand starr über dem Gegner, den er eben gerade noch unangespitzt in den Erdboden hatte rammen wollen, rührte keinen Finger mehr.

Schlagartig lichtete sich die Dunkelheit, welche Shinjis Geist umgeben hatte.

Shinji ruckte und zerrte an den Steuerungselementen, erzeugte keine Reaktion.
\"Beweg dich! Beweg dich!\"
So konnte es doch nicht enden... so durfte es nicht enden... nicht unmittelbar vor dem Sieg...

Der Engel erkannte seinen Vorteil, packte EVA-01, schleuderte ihn gegen einen Hügel, setzte nach. Zugleich begannen sich die Risse in seiner Haut zu schließen.

Shinji zerrte immer noch an der Steuerung, entsandte konzentrierte Gedankenbefehle, versuchte, den EVA zu erreichen, ihn zur Gegenwehr zu animieren, befahl ihm, das AT-Feld aufzubauen... vergeblich...

Ein Peitschenarm raste heran, trennte den rechten Arm von EVA-01 an der Schulter ab.

\"Beweg dich!\"
Shinji hatte keine Lust, vom EntryPlug aus mitzuerleben, wie der Engel den EVA auseinandernahm.

Es mußte doch einen Weg geben...
Er war der letzte Verteidiger...

Ein Ruck ging durch den EVA, nur schwach und selbst für Shinji nicht von den Vibrationen zu unterscheiden, welche die Schläge des Engels im Plug erzeugten.

Der Engel konzentrierte sich weiter auf seinen Gegner, schlug auf die Brustpanzerung ein, fetzte die Tri-Polymer-Titaniumpanzerung auf, als wäre sie nur aus dünnem Blech.

\"Beweg dich endlich. Beweg dich! Bitte! Beweg dich!\" schrie Shinji. Immer mehr erfaßte ihn Panik.
Er wollte so nicht sterben, nicht ohne zu wissen, ob es Rei-chan gut ging, nicht ohne sie noch einmal in den Armen zu halten...
Das war doch nicht fair! Er war völlig wehrlos! Konnte der Engel sich nicht jemand anderen zu Demontieren suchen, zum Beispiel seinen Vater?
Wieder versuchte er, den EVA zu erreichen, versuchte ihn mittels der Kraft seines Willens in Bewegung zu setzen, schrie ihn mit seinen Gedanken auf, forderte, flehte, bettelte...

Unter der aufgebrochenen Brustpanzerung von EVA-01 kam ein rotpulsierendes... Etwas zum Vorschein, einem überdimensionalem Herzen nicht unähnlich.

\"Beweg dich!\"
Und plötzlich erhielt Shinji Antwort... auch der EVA wollte so nicht enden...
Doch allein, jeder für sich, hatten sie keine Chance. Nur zusammen konnten sie den Engel besiegen... mit vereinter Kraft...
Shinji glaubte mit einem Mal, in einen tiefen Abgrund zu blicken, dessen Boden nur aus wabernder Schwärze bestand. Instinktiv schreckte er zurück.
Nur zusammen konnten sie etwas ausrichten...
Für Rei-chan...
Und Shinji ließ sich fallen.


*** NGE ***


Die Augen des EVA glühten auf, stärker und heller als jemals zuvor. Er stieß einen Schrei aus, voller Schmerz und Wut, brüllte seinen ganzen Zorn heraus. Mit dem noch existierenden Arm fing er den Peitschenarm des Engels ab, riß ihm mit einem Ruck ab, trat den Engel fort von sich. Wieder ein Schrei, triumphierend...

EVA-01 preßte den Arm des Engels gegen den eigenen Stumpf, das dünne weiße Material Verband sich ohne Verzögerung mit der Schnittstelle, beulte sich dann aus, unter den Oberfläche formten sich Gelenke, Finger, eine Hand... Das assimilierte Zellmaterial platzte auf, offenbarte einen ungepanzerten, muskelbepackten bronzefarbenen Arm.
Mit neuer Kraft stürzte sich der EVANGELION wieder auf den Engel, rammte ihm die Hand direkt in die Brust, riß ihn auseinander...

Blaues Blut floß in Strömen.
Der Engel wehrte sich immer noch, doch seine Gegenwehr erschlaffte zusehends, während EVA-01 in seinen Innereien wühlte, ihn in mehrere Stücke zerfetzte.
Dann brüllte EVA-01 erneut auf, doch dieses mal war es ein Siegesschrei.
Der EVANGELION entblößte ein jetzt wieder perfektes Gebiß, öffnete weit die Kiefer, begann seinen Gegner zu fressen...


*** NGE ***


Von einem Aussichtspunkt aus beobachteten Ritsuko Akagi, ihre Assistentin Maya und Misato das Geschehen. Seit über einer halben Stunde war der EVA bereits mit den Resten des Engels zugange, hob immer wieder den blutverschmierten Kopf, um sein Siegesgeheul anzustimmen.

\"Unglaublich... Die Synchronisationsrate liegt bei über 400%!\" rief Maya. Sie blickte von Ihrem Laptop auf, sah, was EVA-01, der gerade diverse Innereien mit den Zähnen aus dem Körper des Engels riß, dem Engel antat, mußte sich übergeben.

\"Also ist sie erwacht...\" flüsterte Ritsuko.

\"EVA-01 frißt den Engel...\" murmelte Misato und wünschte sich ein Bier, am besten gleich in einer Palette mit fünf weiteren.

\"Sie absorbiert das S2-Organ des Engels...\"

EVA-01 warf den Kopf in den Nacken und stieß erneut sein lautes Röhren, seinen Siegesschrei aus.

Unter seiner Panzerung schwollen die Muskeln an, verschoben die Platten, quollen dazwischen hervor. Teile des Panzers lösten sich. Der EVA schien größer und breiter zu werden, verlor dabei einen guten Teil seines menschlichen Äußeren, erinnerte jetzt noch mehr an einen übergroßen Primaten, vor allem, als EVA-01 sich auf allen Vieren aufrichtete und wieder die Nachricht von der Niederlage des Engels herausschrie, sich dann halb aufrichtete, in die Hocke ging und mit dem Oberkörper hin und herpendelte, sich kräftig gegen die Brust schlug.

Misato lief es kalt den Rücken hinab.
Wer - oder was - auch immer den EVA kontrollierte, Shinji war es nicht... der hätte nie im Leben eine solche Sauerei angerichtet... Der EVA verhielt sich wie eine Bestie, Misato erinnerte sich an einen Dokumentarfilm über Menschenaffen, den sie vor langer Zeit einmal gesehen hat-te. EVA-01 bewegte sich genauso wie ein Gorilla, der gerade sein Revier erfolgreich verteidigt hatte... oder wie ein Mensch, dessen Urinstikte durchgebrochen waren...
Das war doch kein Roboter, wie sie noch geglaubt hatte, als sie ihren Dienst bei NERV erstmals angetreten hatte, auch kein Androide. Der EVA verhielt sich wie ein primitiver Wilder...

Maya Ibuki würgte immer noch, obwohl ihr Magen längst leer war.

\"Die Fesseln...\" murmelte Ritsuko.

\"Fesseln...?\" echote Misato.

\"Ja, es ist keine Rüstung, es sind Fesseln, die uns helfen sollten, EVAs Macht zu kontrollieren, jetzt bricht sie aus, wir können EVA nicht mehr aufhalten.\"

\"Sie?\"

Akagi schwieg.

\"Und was machen wir jetzt? EVA-01 benimmt sich wie King Kong. - Und die Akkus müßten längst leer sein... trotzdem bewegt er sich noch... wie fangen wir ihn wieder ein?\"

Ritsuko schüttelte den Kopf.
\"Das ist das S2-Organ des Engels. Daraus bezieht er jetzt seine Kraft. Misato, was wir da eben beobachtet haben, war die Entstehung einer neuen Spezies.\"

\"Willst du etwa sagen, der EVA lebt?\"

\"Ja. Der Diener hat gerade seine Ketten zerbrochen.\"

\"Und... Shinji? Was ist mit ihm?\"

\"Bei einer Synchronrate von mehr als 400%?\"
Akagi zuckte mit den Schultern.
\"Der höchste bisher gemessene Wert lag bei 150...\"

\"Und der Pilot hat es nicht überlebt, ich weiß...\"

\"Sempai...\" flüsterte Maya, \"die MAGI erhalten immer noch Signale aus dem EntryPlug.\"

EVA-01 warf seinem besiegten, zerrissenen und halbverspeisten Gegner einen letzten Blick zu, dann setzte er sich auf den Boden, lehnte sich gegen den Hügel, zerschmetterte dabei die örtliche Bewaldung.
Das Glühen in seinen Augen erlosch.


*** NGE ***


Kaji betrachtete die Szene von einem anderen Punkt von seinem Wagen aus.
\"Was auch immer mit Einheit-01 passiert ist, es wird SEELE nicht entgehen. Gehört das auch zu Ihrem Szenario, Kommandant Ikari?\" murmelte er leise.
Dann fuhr er wieder an, blickte auf den kleinen Bildschirm des Peilgerätes in seiner Hand.
Er wollte den Wagen nicht verlieren, in dem drei Männer den Sub-Kommandanten aus der Geofront entführt hatten, wenn die Entfernung zu groß wurde, half auch der Peilsender nichts mehr, den er an dem Wagen angebracht hatte...
Kapitel 40 - 21 Tage - Die Wissenschaftler

Tag 0

Im Laufe der Nacht war EVA-01 zurück in die Geofront gebracht worden. Entgegen der insgeheimen Erwartungen Misatos und Ritsukos war er nicht plötzlich wieder erwacht. Jetzt hing er wie leblos in den Stahlhalterungen seines Käfigs. Nur die Klammern der Fesseln hielten ihn aufrecht.
Aus dem provisorisch aufgeräumten Kontrollraum kommandierte Akagi die Techniker und Ingenieure, ließ Stück für Stück die Panzerung von EVA-01 entfernen. Unter dem Helm kam ein kahler Schädel zum Vorschein, über den sich eine vielfach aufgeplatzte fleckige Hautschicht straff spannte. Der Schädel erinnerte durch die wulstigen Augenbrauen und die sonstigen auffälligen Gesichtszüge tatsächlich an einen Urmenschen.

Misato äußerte ihre entsprechenden Gedanken.

\"Du hast recht. Wir haben im endgültigen Design absichtlich auf dieses Aussehen zurückgegriffen. Unsere Vorfahren verfügten zwar nicht über die Gehirnkapazität, die wir besitzen, aber EVA-01 sollte ja auch nicht denken, sondern kämpfen. Sein Vorbild war der Cro Magnon-Mensch.\" rasselte Ritsuko Fakten hinunter.

\"Und was ist nun mit Shinji?\"

\"Der EntryPlug widersetzt sich dem Evakuierungsbefehl, wir haben auch keine Verbindung mit den Systemen des EVAs, alles was wir wissen, ist daß die Lebenserhaltung des Plugs auf Hochtouren läuft und die Synchronverbindung immer noch mit unveränderter Stärke steht. Sobald die Rückenpanzerung entfernt ist, werde ich versuchen, eine Sonde in den Plug einzuführen, vielleicht müssen wir ihn auch freischneiden, fragt sich nur, ob das dem EVA gefallen wird.\"

\"Du mußt Shinji da raus holen, Ritsuko! Du hast dieses Ding doch gebaut, wenn du es nicht schaffst, wer dann?\"

\"Jemand sollte immer hier sein und Einheit-01 im Auge behalten, ich traue dem Frieden nicht, er ist im Augenblick zwar inaktiv, aber die MAGI messen in seinem Inneren eine starke Energiequelle an.\"

\"Das S2-Organ?\"

\"Ja, wie ich es sehe, hat er es vollständig assimiliert, wie er es mit dem Arm gemacht hat. Das übersteigt die Fähigkeiten, die ich ihm gegeben habe, bei weitem. Mit genug Zeit, Energiezufuhr und einem stimulierenden LCL-Bad wäre er imstande gewesen, den Arm zu regenerieren, aber das hätte im besten Fall wenigstens zwei Wochen gedauert und optimale Umstände gebraucht. Aber das Zellgewebe des Engels einfach dem seinen anzupassen... Mit dem S2-Organ ist er von externer Energiezufuhr unabhängig. Meinen Theorien nach funktioniert es wie ein verbessertes Perpetuum Mobile - es treibt sich selbst an und erzeugt dabei noch überschüssige Energie.\"

\"Ahm, Ritsuko, wie können wir den EVA dann noch kontrollieren? Stecker ziehen und warten, bis er umfällt, läuft jetzt nicht mehr...\"

\"Korrekt. Aber ich denke, er ist immer noch auf einen Piloten angewiesen. Ohne die Synchron-Verbindung fehlt ihm ein steuernder Geist. Es ist also immanent wichtig, Shinji aus dem Plug zu befreien.\"

\"Das sage ich doch schon die ganze Zeit.\"

Ritsukos Handy piepte.
\"Ja? - Ja, danke.\"
Sie legte wieder auf.

\"Wer war das?\"

\"Die Krankenstation. Ich wollte informiert werden, wenn Rei wieder zu sich kommt.\"

\"Oh Gott, die beiden anderen hatte ich ganz vergessen... Soll ich gehen?\"

\"Nein, laß mich das machen.\"

\"Willst du wirklich? Ich meine, wir wissen nicht, was mit Shinji ist... vielleicht...\"

\"Ich bringe es Rei schonend bei, versprochen. Aber vorher will ich mir ihre Untersuchungsergebnisse ansehen.\"

\"Gut, ich halte hier die Stellung.\"

Ritsuko verließ den Hangarbereich.

Die Korridore waren mittlerweile größtenteils wieder passierbar, an einigen Ecken häuften sich noch Schuttberge auf, aber eine einzelne Person konnte problemlos daran vorbeischlüpfen. In der Nähe der Kommandozentrale sah es schon schlimmer aus, dort stand ein Teil der Struktur vor dem Einsturz. Glücklicherweise war der Großteil der Anlage noch rechtzeitig geräumt worden, allerdings gab es eine Handvoll Verluste. Ganz oben auf der Liste der Vermißten stand der Stellvertretende Kommandant, Kozo Fuyutsuki.

Doktor Akagi war nicht die einzige Person, die hoffte, daß der Professor lebend und möglichst unverletzt aus den Trümmern geborgen wurde, war er doch die einzige Person, welche den Kommandanten etwas ausbremsen konnte.


*** NGE ***


Die Krankenstation war unmittelbar nach dem Angriff mit Verletzten fast übergequollen, doch inzwischen hatte sich die Lage beruhigt, leichte Verletzungen waren ambulant behandelt worden, ein paar Patienten in das Städtische Krankenhaus verlegt worden. In der Stadt selbst hatte es nur Sachschäden gegeben, der Engel war viel zu zielstrebig vorgegangen, als daß Unbeteiligte zu Schaden gekommen wären.
Akagi humpelte ins Ärztezimmer, begrüßte die ihr eigentlich unterstellten Mediziner knapp und verlangte die Krankenblätter der Piloten. Dann ging sie selbige besuchen.

Asuka lief ihr bereits auf dem Flur über den Weg, barfuß und nur mit einem Krankenhausnachthemd bekleidet. Ihr Gesicht war immer noch dunkelblau angeschwollen, die Folge ihrer Kollision mit der Wand, doch das hielt sie nicht davon ab, die Hände in die Hüften zu stemmen und Akagi wütend anzusehen.
\"Endlich kommt jemand, der etwas zu sagen hat!\"

Akagi hob die Augenbrauen.
\"Ja?\"

\"Ich will wissen, was mit meinem EVA ist. Und ich will meine Sachen und sofort entlassen werden. Und wehe, Sie versuchen mir auch ein Beruhigungsmittel zu spritzen, wie es die Schwester getan hat, noch mal lasse ich das nicht mit mir machen!\"

\"Dein EVA ist schwer beschädigt. Aber wir haben ausreichend Ersatzteile, um ihn wieder klar zu bekommen.\"

\"Gut, aber pronto, klar? Ich erwarte, daß EVA-02 vorrangig behandelt wird!\"

Ritsuko schnaubte. Auf ihrer Stirn schwoll eine Zornesader an.
\"Ich will, ich verlange, ich erwarte... ist das alles, was du kannst? Du bist nicht die einzige Pilotin im Team. Alle EVAs haben Schäden genommen, wir hatten vielleicht sogar Verluste unter den Piloten!\"

\"Ach, ist First abgekratzt?\"

Ritsuko warf ihr einen finsteren Blick zu, ging dann an ihr vorbei.

\"He, lassen Sie mich nicht einfach hier stehen! Ich will wissen, was passiert ist, die Schwestern wissen ja von nichts! Sie können mich nicht ignorieren! NERV braucht mich, ihr habt keine andere Pilotin!\"

Ritsuko ließ sie zetern, drehte sich nicht um.
Das medizinische Personal hatte ihre Anweisung befolgt und die Pilotinnen getrennt voneinander untergebracht... gut... sie konnten es sich nicht leisten, wenn sie sich wieder an die Kehle sprangen...
Kurz verharrte sie vor dem Zimmer, in dem Kaworu Nagisa untergebracht worden war, blickte durch die Beobachtungsscheibe.
Der Junge schlief immer noch. Und immer noch fehlte eine Erklärung für seinen Zustand, eben-so wie beim Fourth Children, nur starrte er nicht unbeteiligt in die Welt...

Das nächste Zimmer...
Ritsuko streckte die Hand nach der Klinke aus, um einzutreten, zögerte dann aber und klopfte.

\"Ja?\" kam von drinnen eine schwache Stimme.

Die Tür wurde von innen von einer Krankenschwester geöffnet.

Ritsuko trat ein.
\"Lassen Sie uns allein.\" wies sie die Schwester an, trat dann an das Bett, in dem Rei lag. Ein dünnes Lächeln bildete sich auf ihren Lippen, zu mehr war sie angesichts des Zustandes, in welchem das Mädchen sich befand, nicht fähig.
\"Hallo.\"

\"Doktor Akagi.\"

\"Wie fühlst du dich, Rei?\"

\"Ich spüre meine Beine nicht mehr.\"
Rei blickte Akagi hilfesuchend mit ihren scharlachroten Augen an.
\"Ich kann sie nicht bewegen. Es ist, als wären sie gar nicht mehr da, dabei kann ich sie doch noch sehen...\"
Sie schlug die Decke zurück, stemmte sich mit den Armen in eine sitzende Position. Rei trug ein knielanges Krankenhausnachthemd, sie schlug sich mit der flachen Hand auf den Oberschenkel.
\"Ich fühle überhaupt nichts!\"

Ritsuko nickte.
\"Ich habe den medizinischen Bericht bereits gelesen. Der Engel hat deinen EVA zerfetzt, während ihr noch synchron gewesen seid. Der Schock hat dein Nervensystem beschädigt, aber das heilt wieder. Bei deinen Regenerationskräften wirst du schon bald wieder gehen können.\"
Sie korrigierte die Einstellung des Kopfteiles des Bettes, so daß Rei sich zurücklehnen konnte.
\"Dein Körper ist derzeit nur der Ansicht, daß deine Beine im Augenblick nicht... gegenwärtig sind, dein Verstand sagt dir etwas anderes. Es ist doch häufig so, daß Instinkt und logisches Denken zu gegenteiligen Auffassungen kommen.\"

\"Ja... Ich werde also wieder gehen können. Gut. Ich wußte nicht, wie bedeutend derartiges ist - bis heute. Ich möchte niemanden zur Last fallen... auch nicht Shinji-kun. Wo ist er?\"

\"Ahm, Rei... es gibt schlechte Neuigkeiten...\" setzte Ritsuko an.

Tiefer Schrecken breitete sich auf Reis Zügen aus.
Shin-chan war verletzt... nach dem Tonfall und den Worten Doktor Akagis wahrscheinlich schwer... er verfügte nur über gewöhnliche menschliche Selbstheilungskräfte...
\"Was ist mit ihm? Bitte, sagen Sie es mir!\"

\"Wir wissen es nicht. Rei... du mußt stark sein...\"

\"Was ist geschehen?\"

\"Während des Kampfes sind verschiedene Sicherheitssperren ausgefallen. Zwischen Shinji und Einheit-01 ist eine sehr starke Verbindung entstanden...\"

\"Eine sehr starke Verbindung?\"

\"Ja, sie besteht immer noch. Das Synchratio liegt jenseits der 400-Grenze.\"

\"Nein...\" flüsterte Rei. \"Das kann niemand überleben... die ersten Tests...\"

\"Ich weiß. Aber wir erhalten immer noch Signale aus dem Plug, welche den Erfahrungswerten widersprechen. Noch besteht Hoffnung.\"

\"Ich muß zu ihm. Ich muß ihn sehen.\"

\"Du bist noch zu angeschlagen, ruh dich noch ein wenig aus.\"

\"Doktor Akagi, ich muß sehen, was passiert ist... mein Shinji...\"
Reis Augen schimmerten feucht.

Ritsuko schluckte.
Das Begehren des Mädchens widersprach jeder medizinischen Vorsicht.
\"Wenn du etwas stärker bist... du mußt etwas essen und schlafen und...\"

\"Doktor Akagi... bitte... Ich weiß, Sie mögen mich nicht, vielleicht hassen Sie mich sogar, aber ich bitte Sie...\"

Ritsuko spürte, wie ihre Hände zu zittern begannen.
Sie wußte es... sie hatte es die ganze Zeit über gewußt, hatte ihre finsteren Blicke richtig zu deuten verstanden... was hatte sie diesem Kind nur angetan...

Akagi ließ sich auf die Bettkante sinken, strich Rei zögerlich über den Kopf. Im ersten Moment zuckte das blauhaarige Mädchen zurück, saß dann aber still, blickte sie nur flehend an.
\"Rei, ich hasse dich nicht... vielleicht habe ich dich einmal gehaßt, bevor ich Gendo... Kommandant Ikari durchschaut habe... weil ich Angst hatte, du könntest ihn mir wegnehmen...\"

\"Wegnehmen? Den Kommandanten?\"

\"Ja. Er und ich, wir haben... oder hatten, bin mir da nicht ganz sicher, ein Verhältnis... du weißt schon...\"

\"Sie und... der Kommandant?\" flüsterte Rei.
Ihr Bild von Gendo Ikari brach vollends zusammen. Der Kommandant, den sie immer für über die Gelüste des Fleisches erhaben gehalten hatte, war also nur ein ganz gewöhnlicher Mensch...

\"Ich und er, ja. Am Anfang, vor langer Zeit, da war er noch zärtlich, hat mich umworben... doch als er hatte, was er wollte, kam sein wahres Gesicht zum Vorschein. Er hat mich nie so angesehen, wie Shinji dich ansieht - und er hat mir nie gesagt, daß er mich liebt, nicht einmal mit Blicken; er kennt nur Begehren und Verlangen, stellt Besitzansprüche über andere Menschen... nein, ich hasse dich nicht, im Gegenteil, ich bin stolz darauf, was aus dir geworden ist.\"

\"Was bin ich in Ihren Augen?\"

\"Ein Mensch, Rei, ganz einfach ein Mensch. Mit menschlichen Gefühlen und menschlichen Schwächen, ich schätze, andernfalls hättest du niemals Shinjis Rei-chan werden können.\"

\"Shinji-kun... Doktor Akagi, können Sie mich nicht doch zu ihm bringen?\"

Die Wissenschaftlerin seufzte.
Ihr weiblicher Mutterinstinkt schien ihr zuzurufen, die Bitte abzulehnen, schließlich hatte Rei in den letzten Stunden viel durchgemacht und brauchte dringend Ruhe. Doch als Frau verstand sie nur zu gut, was in Rei vorging..
\"Gut. Warte noch einen Moment, ich organisiere einen Rollstuhl.\"

\"Danke, Doktor...\"

\"Ritsuko genügt, in Ordnung?\"

\"Ahm... Ritsuko-san...\"

\"Ja. \'Bin gleich zurück.\"


*** NGE ***


Akagi kehrte mit dem versprochenen Rollstuhl zurück, schob ihn neben das Bett des Mädchens. Kurz überlegte sie die Krankenschwester zu rufen, entschied sich aber dagegen, die Frau würde nur ihr Urteil in Frage stellen. Stattdessen half sie Rei, die Beine über die Bettkante zu schwingen.
\"So, Rei, jetzt kommt der etwas schwierige Teil - leg die Arme um meinen Hals, ich hebe dich in den Stuhl hinüber.\"

\"Ja, Dok... Ritsuko-san.\"

Ritsuko verlagerte ihr Gewicht auf den gesunden Fuß, die ganzen letzten Strapazen hatten ihrem während des Desasters mit EVA-03 angeschlagenen Knöchel überhaupt nicht zum Vorteil gereicht, wahrscheinlich würde sie die nächsten Tage wieder mit dem Stützverband herumlaufen müssen.
\"Auf drei. Eins... zwei... drei...\"
Sie zog Rei in die Höhe und in den Stuhl, wunderte sich, wie leicht sie war.
\"Das wäre geschafft.\"

\"Danke.\"

\"So, und jetzt statten wir EVA-01 einen Besuch ab...\"


*** NGE ***


Ritsuko schob den Rollstuhl durch die Flure der Krankenstation.

Für Rei war es nichts neues in einem Rollstuhl zu sitzen, nach dem Amoklauf von EVA-00 während des allerersten Aktivierungstests hatte sie wegen ihrer inneren Verletzungen auch eine Zeitlang nicht laufen dürfen.

Natürlich stand Asuka immer noch auf dem Flur und suchte wütend nach jemandem, den sie anbrüllen konnte.
\"Was, Wondergirl in einem Rollstuhl? Hat der Engel dir das Kreuz gebrochen?\"

\"Nein, Soryu\", antwortete Rei mit hörbarer Kälte.

\"Pfff. Natürlich, du kriegst wieder die Sonderbehandlung.\"

\"Im Gegensatz zu dir kennt sie das Wörtchen \'bitte\', Asuka\", schnappte Akagi.

Der Rothaarigen fehlten die Worte.


*** NGE ***


Tag 1

Misato blickte schräg zu dem Laufsteg hinauf, auf dem Rei, eine Decke über den Knien, in ihrem Rollstuhl saß, und mit EVA-01 stumme Zwiesprache zu halten schien.
\"Mich nimmt das ja schon ganz schön mit, wie mag es dann erst bei ihr sein\", murmelte sie.

\"Ja... Misato, behalte sie im Auge, ich gehe jetzt und mache mit Maya eine Bestandsaufnahme, wir haben die Auflistung der Schäden an den anderen EVAs endlich abgeschlossen.\"

\"Du hattest doch etwas von zwei Wochen gesagt...\"

\"Das war die erste vorsichtige Schätzung, einige Beschädigungen sind so stark, daß ich vielleicht improvisieren muß. Ikari will bis heute Mittag meinen Bericht.\"

Misato nickte.


*** NGE ***


Rei starrte EVA-01 an, doch in den Augen des Giganten zeigte sich keine Reaktion, kein Funkeln, kein kurzes Aufglühen.
Äußerlich war sie völlig ruhig, doch innerlich brüllte sie auf den EVA ein, ihren Shin-chan freizugeben...


*** NGE ***


Maya und Ritsuko marschierten durch eine benachbarte Halle, eine der EVA-Einheiten nach der anderen in Augenschein nehmend.

EVA-00 und -02 lagen in langen Becken, welche mit LCL gefüllt waren. Die schwere Verletzung, welche EVA-00 im Bauchbereich davongetragen hatte, hatte bereits begonnen, zuzuwuchern und sich zu schließen.


\"Einheiten-00 und -02 sind schwer beschädigt, die können wir nicht einfach wieder zusammenflicken.\" Mayas Augen waren auf ihren Laptop gerichtet.

\"Es wird einige Zeit dauern, bis alles wieder im vorherigen Zustand ist. Vor allem mit EVA-02 wird es Schwierigkeiten geben - der Ersatzkopf paßt irgendwie nicht zu den Anschlüssen. Wir werden wohl den alten nehmen müssen, hoffentlich hat die Elektronik nicht zuviel abbekommen.\"

\"Glücklicherweise können die MAGI wieder in Betrieb genommen werden, morgen können wir die Arbeit wieder aufnehmen.\" beeilte Maya sich, von dem Thema abzulenken. Immer wenn Sempai Akagi über EVAs und Ersatzteile sprach, fühlte sie sich wie die Assistentin von Doktor Frankenstein.

\"Der Kontrollraum des Testcenters ist ziemlich beschädigt, ebenso die Zentrale, wir müssen in den Reserve-Kontrollraum ausweichen.\"

\"Ohne die MAGI?\"

\"Vorerst. Wir fangen morgen an. Heute versuche ich erst einmal, mit herkömmlichen Mitteln an weitere Information aus dem EntryPlug von EVA-01 zu kommen.\"


*** NGE ***


Misato stand vor Einheit-01. EVA-01 befand sich in einem Käfig, die Gliedmaßen waren mit zusätzlichen Stahlbändern an die Käfigwände gefesselt
\"EVA-01 wurde gefesselt, wie ist sein Status?\"

\"Weder Hitze, Elektronen, noch elektromagnetische Wellen oder andere Energieausstrahlungen konnten festgestellt werden, das S2-Organ ist völlig inaktiv.\" las Ritsuko die Ergebnisse der Messungen von ihrem eigenen Laptop ab.
Die beiden Frauen und Maya standen neben Reis Rollstuhl auf dem Laufsteg.

\"Dennoch hat sich Einheit-01 dreimal bewegt.\"

Maya sah auf.
\"Trotzdem ist es hoffnungslos, das Auswurfsignal für den EntryPlug wurde nicht akzeptiert.\"

\"Was ist mit dem Backup und dem Dummy-System?\"

\"Werden ebenfalls abgelehnt, Major, sogar die Direktverbindungen sind unterbrochen.\"

\"Er ist noch da drin, ich fühle ihn\", sagte Rei leise.

Ritsuko und Misato tauschten einen wissenden Blick aus.
\"Die ständige Synchronverbindung zwischen den beiden?!\"

\"Genau, Misato, genau! Rei, versuch dich zu konzentrieren, vielleicht kannst du ihn erreichen...\"

\"Nein, Ritsuko-san, das habe ich bereits versucht. Ich spüre Shinji-kuns Gegenwart, aber nicht mehr, es ist, als befände er sich hinter einer dicken Mauer.\"

\"Gut, aber versuch es weiter.\"

Rei nickte.

\"Du kannst nicht die ganze Zeit hier bleiben, du brauchst immer noch Ruhe, damit dein Körper sich erholen kann.\"

\"Ich benötige keinen Schlaf.\"

\"Aber du tust Shinji damit keinen Gefallen. EVA-01 läuft nicht weg...\"

\"Hoffentlich\", warf Misato düster ein.

Maya zuckte heftig zusammen.

\"Danke, Misato, für deine Unterstützung\", brummte Ritsuko. \"Rei, du brauchst nicht zurück auf die Krankenstation, du kannst, solange du auf den Rollstuhl angewiesen bist, in meiner Unterkunft hier im Hauptquartier wohnen. Ich habe ein paar Räume gleich den Gang \'runter, schaffe es ohnehin nie, sie zu benutzen.\"

\"Weil du immer auf deinem Schreibtisch schläfst, Ritsuko.\"

\"Immer noch besser als auf dem Küchentisch. - Rei, wir gehen jetzt in den Kontrollraum und sehen uns an, ob die Ergebnisse der Sonde etwas Aufklärung bringen können.\"

\"Ja.\"

Die drei Frauen stiegen die Treppe zum Kontrollraum des Testcenters hinauf.

Der Ersatzkontrollraum war kleiner als die während des Kampfes zerstörte Einrichtung, teilweise lag Staub auf den Terminals und einige der Monitore waren noch mit einer schützenden Lage durchsichtiger Klebefolie bedeckt.

Makoto Hyuga hielt sich bereits oben auf und überwachte die Tätigkeiten der anwesenden Wissenschaftler.
\"Wir konnten über die Sonde die Videoverbindung wieder herstellen, ich übertrage das Bild auf den Hauptmonitor.\"

Der EntryPlug war leer, sah man von der LCL-Flüssigkeit ab. Von Shinji Ikari war nichts zu sehen. Allerdings schwammen seine Sachen in der Flüssigkeit - Hemd, Hose, Socken, Schuhe, Unterwäsche...

\"Was...\" flüsterte Misato.

\"Das also ist die Wahrheit hinter einer Synchronisationsrate von 400%.\"
Akagis Stimme klang bitter.

\"Das glaube ich nicht, was ist mit Shinji?\"

\"EVA-01 hat ihn absorbiert.\"

\"Wie meinst du das, Ritsuko?\"

\"Der EVA hat Shinjis genetisches Material ebenso assimiliert wie er den Arm des Engels assimiliert hat.\"

\"Was ist EVA?\"

\"Ein menschenähnliches Wesen, erschaffen von Menschenhand.\"

\"Erschaffen von Menschen? Es hieß doch, EVA wäre nach dem Vorbild des Engels erschaffen worden, der in der Antarktis gefunden worden war... auch wenn du und ein paar andere ein paar Modifikationen am Design vorgenommen habt...\"

\"Das ist keine einfache Kopie, ein menschlicher Wille steuert EVA.\"

\"Heißt das, Shinjis Zustand war gewollt?\"

\"Vielleicht von EVA, ja.\"

\"Verdammt, Ritsuko, tu etwas, du hast dieses... Ding geschaffen, oder? Du kennst es doch besser als jeder andere!\"

Akagi nickte.
\"Ich werde tun, was ich kann.\"
Sie blickte aus dem Beobachtungsfenster zu Rei hinüber.
\"Ich verspreche es.\"


*** NGE ***


Tag 2

Im Hangar hatte sich nichts verändert.
Rei saß wieder auf dem Laufsteg und versuchte, EVA-01 mit ihrem starren Blick dazu zu zwingen, ihren Geliebten freizugeben.
Der EVA rührte sich nicht, sah mal von Muskelzuckungen ab, die im Schnitt alle zwei Stunden auftraten. Inzwischen war die Panzerung komplett entfernt worden. Die Haut des EVAs hatte größtenteils die Farbe einer Wasserleiche. Der Koloß besaß kein Geschlecht, etwas das nicht nur Misato mit seltsamer Erleichterung festgestellt hatte - immerhin wäre es doch möglich gewesen, daß die EVAs andernfalls sich vielleicht sogar hätten fortpflanzen können...


*** NGE ***


Tag 3

\"Ich habe sie!\" erklärte Ritsuko triumphierend und warf einen Schnellhefter auf den Tisch.

\"Shinji-Bergungsprojekt?\" las Misato die Worte auf dem Deckblatt.

\"Ja\", antwortete Ritsuko. \"Shinji existiert noch, irgendwo da drinnen, ihn zu verlieren, ist nicht akzeptabel. Ich habe die Erlaubnis, alles zu versuchen, um ihn da rauszuholen.\"

\"Ich weiß nicht, was NERV will, ist doch nicht ein lebendiger Shinji, sondern Einheit-01 als Werkzeug.\"

\"Ich habe nur die Worte von Kommandant Ikari wiederholt.\"

\"Wirklich?\"

\"Naja, nicht ganz. Du hast eigentlich schon recht - aber ich habe freie Hand, alles zu tun, um den Plug zu entfernen und die Synchronverbindung zu unterbrechen.\"

\"Unserer Theorie nach befindet sich Shinji immer noch im EntryPlug in entstofflichter Form, weil er seine Körperlichkeit verloren hat.\" erklärte Maya.

\"Du meinst, Shinji hat sich in etwas verwandelt, was wir visuell nicht identifizieren können?\"

\"Ja. Das LCL im EntryPlug entspricht momentan in seiner Zusammensetzung der sogenannten Ursuppe aus den Anfängen des Lebens auf der Erde.\"

\"Na, lecker.\"

Ritsuko schaltete sich ein.
\"Alle Stoffe, aus denen ein menschlicher - also auch Shinjis - Körper besteht, befinden sich im EntryPlug. Ebenso seine Seele. Bergung bedeutet, seinen Körper zu rekonstruieren und seine Seele darin zu fixieren.\"

\"Ist das möglich?\" fragte Misato mit blassem Gesicht.

\"Mit Hilfe der MAGI.\"

\"Aber das nur die Theorie... seine Seele zu fixieren, das klingt sogar für deine Verhältnisse recht esoterisch.\"

\"Solange die Synchronverbindung zwischen Shinjis Bewußtsein und dem EVA noch besteht, wissen wir, daß es ihn noch gibt - und ich habe bereits gesagt, ich hole ihn da raus!\"


*** NGE ***


Tag 5

\"Hat irgend jemand eigentlich Kaji seit dem Angriff des Engels gesehen?\" fragte Misato plötzlich.

Ritsuko sah sie überrascht an.
\"Nein... seltsam...\"

\"Unter gewöhnlichen Umständen wäre er doch längst hier vorbeigekommen... schon vor Tagen...\"

\"Wo war er, als der Engel in die Geofront eindrang?\"

\"Keine Ahnung. Soweit ich weiß, wollte er Shinji etwas zeigen, aber... ihm wird doch nichts zugestoßen sein...\"

\"Kaji? Unwahrscheinlich. Unkraut vergeht nicht.\"

\"Und den Sub-Kommandanten hat man bisher auch nicht gefunden.\"

\"Bis alle beschädigten Sektionen wieder vom Schutt geräumt und sicher begehbar sind, können durchaus von ein, zwei Wochen vergehen.\"


*** NGE ***


Tag 9

\"Würden Sie mir einen Gefallen tun, Misato-san?\"

Misato blickte schräg nach unten in das Gesicht des Mädchens mit den scharlachroten Augen.
\"Was kann ich für dich tun, Rei?\"

\"Würden Sie mir morgen, wenn Sie ins Hauptquartier kommen, meine Geige mitbringen? Sie befindet sich neben dem Schreibtisch, in der Nische zwischen Tisch und Nachtschrank.\"

\"Ja, gern...\"

\"Ich wollte Shinji-kun immer etwas darauf vorspielen... so wie er einmal für mich auf seinem Cello gespielt hat.\"

\"Verstehe...\"


*** NGE ***


Tag 10

Dankbar nahm Rei den Geigenkasten entgegen, öffnete ihn auf den Knien, nahm Geige und Bogen heraus.
\"Würden Sie...\"

\"Klar.\"
Misato nahm ihr den Kasten ab und stellte ihn neben den Rollstuhl auf den Steg.

Rei setzte die Geige an die Schulter, rutschte etwas im Stuhl zurecht, summte eine Melodie mit geschlossenen Augen.

Misato sagte kein Wort. Sie sah, daß Ritsuko zu ihnen hinüberblickte.

Rei begann zu spielen, bewegte dazu lautlos die Lippen.
\"Fly me to the moon and let me play among the stars
Let me see what spring is like on Jupiter and Mars
In other words, hold my hand
In other words, darling, kiss me
Fill my heart with song and let me sing forevermore
You are all I long for, all I worship and adore
In other words, please be true
In other words, I love you...\"

Der EVA zeigte keine Regung...


*** NGE ***


Tag 13

\"Innentemperatur des EntryPlugs konstant bei 36° Celsius. Elektromagnetischer Strahlungspuls normal. Wellenmuster B. Alle Geräte arbeiten normal.\"

Maya stand neben Ritsuko, die die Aufzeichnungen zum wiederholten Mal las.
\"Sempai, nur Sie konnten einen Plan aufstellen, das Projekt innerhalb eines Monats zu verwirklichen.\"

\"Maya, behalte es bitte für dich, aber ich habe keine Ahnung, ob das klappt. Es gibt einfach zuviele Unbekannte in der Gleichung. Mit einer Probe von Shinjis DNA könnte ich vielleicht einen Klon von ihm erschaffen. Und vielleicht könnte ich sogar seine Seele in diesem neuen Körper verankern, aber hier geht es nicht darum, etwas neues zu schaffen, sondern das alte wiederherzustellen.\"

\"Sie zweifeln an Ihren Theorien? Aber die MAGI haben sie bestätigt...\"

\"MELCHIOR nicht. Und MELCHIOR ist der Wissenschaftler von den dreien.\"

\"Konkurrenzneid, Sempai.\"

Wider Willen mußte Ritsuko lachen.
\"Maya, du machst mir Ehre. Es ist schön zu wissen, daß jemand an einen glaubt.\"

\"Ich bin nicht die einzige.\"

Akagi folgte Mayas Blick.
\"Ja... Rei...\"


*** NGE ***


Tag 17

\"Ritsuko wird es gelingen, ihn da raus zu holen\", sagte Misato zu Rei, die auf Krücken am Geländer des Steges lehnte.

\"Wenn es Ritsuko-san nicht gelingt, dann niemandem... Misato-san, ohne Shinji kann ich nicht mehr leben.\"

Misato legte ihr tröstend den Arm um die Schultern, am Vortag war der Gips entfernt worden.

\"Es wird gutgehen, es muß einfach.\"


*** NGE ***


Tag 20

Rei stand vor dem bis zur Brust im LCL-Becken versenkten EVANGELION-01. Der EntryPlug war über zahlreiche Kabel mit den Meßgeräten im Testcenter verbunden.
\"Komm zu uns... zu mir... zurück. Bitte, Shin-chan...\" flüsterte sie.

Vor einer Woche war das Gefühl langsam in ihre Beine zurückgekehrt, jeden Tag hatte sie etwas mehr Kontrolle zurückgewonnen, hatte zuerst die Hüften, dann die Knie, schließlich die Knöchel und endlich auch die Zehen bewegen können.
In der Zeit war sie täglich auf Krücken in den Hangar gekommen, hatte auf dem Laufsteg gestanden, solange ihre Beine sie getragen hatten, dann hatte sie sich auf den Metallsteg gesetzt und weiter gewartet, daß der EVA, daß Shin-chan, ihr ein Zeichen gab. Einmal war sie im Hangar eingeschlafen und in Ritsuko-sans Quartier wieder aufgewacht, irgend jemand hatte sie dorthin gebracht.
Und einmal hatte sie den Kommandanten im Hangar gesehen, der sich unwirsch bei Ritsuko-san nach deren Fortschritten erkundigt hatte. Beim Anblick des Kommandanten war es ihr kalt den Rücken hinabgelaufen. Etwas war anders an ihm, völlig anders. Zugleich hatte EVA-01 wieder gezuckt, allerdings stärker als die vorherigen Male...

\"Gib ihn frei, Einheit-01, gib meinen Shinji frei... Shin-chan, laß mich nicht im Stich, komm zurück... Ai shiteru...\"
Ich liebe dich...


*** NGE ***


Tag 21

\"Nadeln eingeführt, Verbindungen hergestellt. Elektromagnetisches Wellenmuster bei 0, -3 fixiert.\"

\"Ego-Grenzpuls verbunden.\" meldete Maya.

\"Verstanden, Bergung beginnen!\" schnarrte Ritsuko.
Sie stand in der Mitte des Raumes, den Blick auf den EVA auf der anderen Seite der Scheibe gerichtet.
Neben ihr stand Rei, die sie aus Sicherheitsgründen in den Kontrollraum beordert hatte.

\"Signal-1 gesendet und empfangen. Signal-2 und -3 gesendet. Kein Widerstand von EVA-01 gegen die Signale.\"

Akagi nickte.
Die erste Phase war problemlos abgeschlossen... EVA-01 hatte die Matrizen für die Rekonstruktion von Shinjis Körper akzeptiert...
\"Phase 2 beginnen.\"

Abseits der arbeitenden Wissenschaftler stand Misato Katsuragi und betete, daß Ritsukos Plan Erfolg haben würde.

\"Wir haben sein Muster lokalisiert! Beginnen mit Separationsvorgang!\"

\"Langsam, Hyuga, ganz langsam!\" flüsterte Ritsuko.

\"Natürlich, Doktor.\"

\"Ego-Grenze befindet sich in einer Schleife.\" rief Maya plötzlich.

\"Versuche, alle Wellenmuster in Einklang zu bringen, Maya!\"

\"Fehlschlag, die Signale werden abgelenkt.\"

Rei starrte zu EVA-01 hinaus.
Er gab ihren Shin-chan nicht frei!

Misato trat rasch an Akagis Seite.
\"Was heißt das?\"

\"Fehlschlag.\"

\"Was?\"

\"Stör jetzt nicht. Maya, Ablenkung umgehen...\"
Sie gab rasch einige Befehle in ihr Terminal ein.

\"Kernpuls auf plus 3.\" vermeldete Makoto.

\"Temperatur des LCL steigt. 36°, 38°, 41°, 58°, 76°, 97°, 106°...\" rief Maya.

\"Momentanen Zustand beibehalten.\" wies Ritsuko an, während sie weitere Befehle eingab. \"Temperatur absenken! Externe Kühlung einleiten! Unter diesen Umständen können wir den Körper nicht im Plug rekonstruieren.\"

\"Werte werden kritisch. Plus 0,5. 0,8. Ich kann den Anstieg nicht aufhalten.\"

\"Was bedeutet das?\" Akagi blickte durch das Fenster. \"Willst du nicht zurückkommen, Shinji?\"

\"EVA widersetzt sich den Signalen! Im EntryPlug steigt der Druck, Shinjis Egoformation zerfällt!\"

Rei stützte sich an dem Terminal ab, dessen Monitor immer noch die Bildübertragung aus dem Plug zeigte. Das LCL kochte...
Mit bebenden Fingern aktivierte sie die Sprechverbindung, flüsterte nur ein Wort: \"Shinji...\"

\"Alle Vorgänge anhalten, Energieversorgung von EVA-01 unterbrechen.\"

\"EntryPlug wurde ausgestoßen!\"

Misato rannte zum Fenster, starrte auf den zischenden EntryPlug, der aus dem Nacken von EVA-01 herausragte.

Die Bildübertragung zeigte, daß der Plug immer noch leer war.

Misatos Knie wurden weich, ihr Magen begann zu rebellieren, während Tränen in ihr aufstiegen.
\"Was ist eine Wissenschaft wert, die nicht einmal ein Menschenleben retten kann?!\" schrie sie.

Der Plug begann sich zu bewegen.

\"EVA stößt den EntryPlug ab!\" meldete Aoba.

Misato rannte zur Tür, die Treppe hinab, in den Hangar. Sie eilte die Leiter, die zum Laufsteg führte, hinauf, Rei dicht hinter sich.

Der EntryPlug löste sich aus der Halterung, schlug auf den Steg, brach auf.
Heiße LCL-Flüssigkeit ergoß sich auf den Boden.

Misato wurde langsamer, stolperte fast auf die größer werdende Pfütze zu.
\"Nein...\"
Sie sank in die Knie, berührte das LCL mit den Händen.
\"Nein! Shinji...\"

Die Flüssigkeit war in Bewegung, zog sich zusammen, Misato bemerkte es nicht. Tränen liefen über ihre Wangen.

Hinter ihr kam Rei zum Stehen, begann zu schluchzen...
13. Zwischenspiel:

Tag 11

\"Die uns vorliegenden Daten lassen nur einen Schluß zu - Ikari hat uns hintergangen. Mit einem EVA, der von einem wahren S2-Organ angetrieben wird, steht ihm die ultimative Waffe zur Verfügung... ein lebender Gott\", erklärte der Monolith mit der Aufschrift SEELE-01.

\"Und das er es nicht für nötig befunden hat, uns über diese Kleinigkeit zu berichten, spricht für sich.\" schlug SEELE-05 in dieselbe Kerbe.

\"Ja, Ikari hat uns verraten! Er darf uns nicht weiter gefährlich werden.\" warf ein weiteres Mitglied des Komitees ein.

\"Stimmen wir ab... wer ist dafür, Gendo Ikari aus unserem Kreis auszuschließen?\" fragte der Vorsitzende.

Die Entscheidung war einstimmig.

\"Dann ist es entschieden - Ikari wird nicht länger an unseren Treffen teilnehmen, sondern nur noch Anweisungen erhalten.\"

\"Er wird sich nicht daran halten.\"

\"Noch stellt er ein gutes Werkzeug dar, unter seinem Kommando hat NERV bisher jeden Angreifer besiegt, unserem Wissen nach werden noch wenigstens drei Engel erscheinen, wenn wir davon ausgehen, daß er uns bezüglich Iroul belogen hat.\"

\"Das hat er ohne Zweifel.\"

\"Gut, stimmen wir ein weiteres Mal ab. Ich schlage vor, einen Attentäter auf Ikari anzusetzen, der sich auf unseren Befehl hin um ihn kümmern wird.\" unterbracht SEELE-01 weitere Diskussionen.

\"Ist das sicher?\"

\"Dafür verbürge ich mich.\"
Etwa ein Viertel der Mitglieder des Komitees benutzte keine Monolithen zur Repräsentation, einer von ihnen war Wilforth Cedrick.
\"Der Attentäter kann in spätestens zwei Tagen in Tokio-3 sein.\"

\"Stimmen wir ab.\"

Wieder war das Ergebnis einstimmig...


*** NGE ***


Tag 12

\"Ihr neuer Auftrag.\"
ODIN-Direktor Rabinowitz schob einen Umschlag über den Tisch.

\"Gendo Ikari.\"
Wolf Larsen nickte.

\"Eines der Oberhäupter der Verschwörung namens SEELE. Sie werden heute noch nach Tokio-3 aufbrechen, der japanische Geheimdienst war so freundlich, uns einen ihrer Unterschlupfe in der Stadt zu überlassen, zusammen mit einer etablierten Deckidentität. Graben Sie sich ein, finden Sie einen Weg, an Ihr Ziel heranzukommen. Warten Sie meine weiteren Befehle ab. In dem Umschlag finden Sie ein Handy, nur ich habe die Nummer, wenn es klingelt, wissen Sie, daß es soweit ist.\"

\"Verstanden.\"

\"Wir haben ferner bereits einen Mann vor Ort - Mister Roshenkov, Sie kennen ihn bereits.\"

\"Ja. Aber er gehört nicht zu ODIN.\"

\"Wir haben ihn als freien Mitarbeiter rekrutiert, es geschah auf Ihre Empfehlung, erinnern Sie sich nicht?\"

\"Ich... Sir, es gibt einiges, an das ich mich nicht mehr erinnere.\"

\"Decker meinte, das würde sich legen. Dieses Interface in Ihrem Kopf hat wohl Ihre Erinnerungen durcheinandergewirbelt.\"

\"So wird es wohl sein.\"

\"Viel Glück, Commander.\"

*flash*

Kurzfristig verloren die Bilder seiner Erinnerung jede Farbe, dann wurde es dunkel. Als sich die Dunkelheit auflöste, befand er sich in einem Flugzeug im Landeanflug auf Osaka.

Larsen unterdrückte den Reiz, sich die Augen zu reiben.
Ähnliche Lücken fanden sich in seinen Erinnerungen zuhauf, laut Nicklas Decker eine Folge der zeitweiligen Deaktivierung des PROPHET-Interfaces. Manchmal hatten die Bilder etwas stark grobkörniges, dann wieder gingen verschiedene Farben verloren, oder waren Bewegungen und dazu gehörende Geräusche nicht mehr synchron.

Er konnte nur hoffen, daß es sich bald legte und die Ausführung seines Auftrages nicht beeinträchtigte...

Um sich abzulenken, klappte er seinen Laptop wieder auf und rief die von seinen Leuten gesammelten Daten ab. Die Mitglieder des RABEN-Teams, welche ihn auf die Kurdistan-Mission begleitet hatten, hatten sich wie angewiesen in der Nähe ihrer Ziele eingegraben - so lautete der Terminus dafür, wenn ein Agent eine Tarnidentität annahm oder längere Zeit während eines Einsatzes an einem Ort verharrte.
Dabei konnte er sich gar nicht erinnern, die vereinbarte Zustandsmeldung an sie abgeschickt zu haben...
Kapitel 41 - 21 Tage - Shinji Ikari

Der Sturz in die Dunkelheit schien bereits eine Ewigkeit zu dauern.

Shinji konnte seinen Körper nicht mehr spüren, auch seine Sinne übermittelten keine Eindrücke mehr. Es gab nur die Schwärze, weder den Geschmack des LCL, noch das harte Plastikmaterial des Pilotensitzes. Alles schien sich aufgelöst zu haben.
Dann hatte Shinji das Gefühl, daß sein Fall sich verlangsamte, daß die Dunkelheit an Substanz zu gewinnen schien, die ihn abzubremsen begann. Es war, als wäre er auf einer Schicht Watte gelandet, die immer konzentrierter wurde.

Hatte der Engel EVA-01 vernichtet?
War dies die Schwärze des Todes?
Oder hatte der EVA ihn verschlungen, um ihn nie wieder freizulassen?
War es seiner Mutter vielleicht genauso ergangen?

Fragen über Fragen - und er hatte keine Antworten...

Und wenn der EVA sein Bewußtsein absorbiert und sich mit ihm verbunden hatte, was geschah dann in der wirklichen Welt? Kämpfte Einheit-01 immer noch mit dem Engel?

Jetzt war er völlig zum Stillstand gekommen, obwohl er unter sich keinen Widerstand spüren konnte.
Und wie sollte er das auch, wenn er nicht einmal seinen Körper mehr wahrnehmen konnte, wenn er vielleicht auf sein Bewußtsein reduziert worden war...
Wie ein Gespenst...

Da wurde es hell. Die Dunkelheit wich...


*** NGE ***


Shinji blickte an sich herab. Er hatte seinen Körper wieder! Nur trug er anstelle seiner Alltagssachen seine PlugSuit.

Wo war er?

Eine Wiese... Bänke... Hecken...
Spielgeräte. Ein Karussell. Eine Rutsche.
Ein Sandkasten...
Ein Spielplatz...

Der Ort kam ihm seltsam bekannt vor.

Kinder liefen zwischen den Geräten herum, ein Mädchen rutschte die Rutsche hinab, sprang lachend auf. Mehrere Jungen spielten fangen. Und abseits von ihnen, im Sandkasten, hockte ein vielleicht vierjähriger Junge und baute eine Sandburg.

Shinji erstarrte.
Dieser Junge...
Das war er selbst...
Er konnte gar nicht anders, als von seinem Standort aus sein jüngeres Ich zu beobachten.
Die Kinder ignorierten ihn, für sie schien er gar nicht zu existieren - und vielleicht stimmte das auch...

Der vierjährige Shinji zeigte kein Interesse an seiner Umwelt, schien nur den Sand formen zu wollen. Unter seinen kleinen Fingern entstanden Gebäude mit Türmchen, die er vorsichtig weiter bearbeitete, dann mit dem Zeigefinger einen Graben darum herum zog.
Schließlich sah er mit stolzem Lächeln auf, als er sein Werk vollendet hatte.
- Nur um im nächsten Moment mitanzusehen, wie zwei rote Schuhe mitten in der Sandburg landeten und sie einstampften.
Der kleine Shinji sah auf.

Die roten Schuhe gehörten einem ebenfalls vielleicht vierjährigen Mädchen in einem roten Kleid, ihr ebenfalls hellrotes Haar wurde von einer dunkelroten Schleife gehalten. Das Mädchen grinste ihn frech an, ehe es weiterlief.

Der kleine Shinji senkte den Kopf, begann den Sand wieder zusammenzuschieben, um sich erneut ans Werk zu machen.

Shinji blinzelte.
Das Mädchen - das war doch Asuka!
Wenn die Szene aus seinen Erinnerungen stammte, wieso kam sie dann darin vor?
Während er sich den Kopf darüber zermarterte, erkannte er, daß dieses Geschehen sich wirklich so abgespielt hatte... er hatte die Burg immer wieder neuaufgebaut, nur um zusehen zu müssen, wie das rothaarige Mädchen sie immer wieder zerstört hatte. Und sie hatte dabei gelacht...
Shinji setzte sich in Bewegung, ging langsam über den Spielplatz auf sein jüngeres Abbild zu.
Die anderen Kinder ignorierten ihn immer noch, sahen den seltsam gekleideten Fremden in ihrer Mitte nicht.
Shinji ging vor sich selbst in die Hocke.
\"Kann ich dir helfen?\" fragte er mit freundlichem Lächeln.

Der andere Shinji reagierte nicht, formte bereits wieder den Sand.

\"Ich würde dir gerne helfen\", wiederholte Shinji, wieder ohne eine Antwort zu bekommen.

Zögernd streckte er die Hand aus.
Seine Finger glitten durch sein Abbild hindurch.
Es war nicht real, nur eine Erinnerung...
Shinji schluckte.

Inzwischen hatte der vierjährige Shinji seine Burg bereits fast wieder aufgebaut.

Shinji sah sich um, sah das rothaarige Mädchen, welches Asuka so sehr ähnelte, wieder heranlaufen. Er stand auf, breitete die Arme aus wie eine Sperre. Sie sollte die Sandburg nicht noch einmal zerstören!
Doch ebenso wie er für den kleinen Shinji nicht existierte, gab es ihn auch für die kleine Asuka nicht. Die Rothaarige lief mitten durch ihn hindurch, zertrampelte lachend die Sandburg, ehe sie wieder zu den anderen Kindern rannte.
Mit tiefem Bedauern blickte Shinji auf die Überreste der Burg. Der andere Shinji war jedoch schon dabei, den Sand wieder zusammenzuschieben...
Der Kreislauf würde vielleicht ewig so weitergehen...

Aber, wenn er hier war, wenn sein vierjähriges Gegenstück sich auf dem Spielplatz aufgehalten hatte, dann mußte sie auch hier sein... seine Mutter!

Aufgeregt sah Shinji sich um.

Auf einer Bank in der Nähe saßen zwei Frauen und unterhielten sich angeregt, Papiere und Unterlagen auf den Knien, die Kinder hatten sie längst vergessen. Und eine der beiden war seine Mutter!
Shinji lief los, rannte. Im Lauf breitete er wieder die Arme aus, doch dieses mal um seine Mutter zu umarmen.
\"Mutter! Mutter, ich bin es!\"

Keine der beiden Frauen sah auf, keine wandte den Kopf.

Und Shinji lief durch sie und die Bank hindurch, stand plötzlich in einer brusthohen Hecke, welche jedoch kaum Substanz hatte. Es war, als würde er durch Nebel waten.
Enttäuscht drehte er sich um, ging langsam zurück, bleib neben seiner Mutter stehen.
\"Mutter? Mutter, ich bin\'s, Shinji. Hörst du mich? Bitte, sieh mich doch an...\"
Doch Yui Ikari nahm ihn nicht wahr.

Bei den Unterlagen auf ihren Knien handelte es sich um komplizierte Gleichungen, dazwischen Diagramme. Und eine grobe Skizze eines EVAs...

\"Doktor Soryu... Kyoko, dieses Projekt wird alles in den Schatten stellen, was die Wissenschaft bisher erreicht hat. Bedenken Sie doch, die EVAs wären imstande, an Orte zu gehen, an denen Menschen nicht überleben könnten, sie würden uns den Weg ebnen können... die Tiefsee, andere Planeten... alles wäre plötzlich in Reichweite. Doktor Akagi steuert das PROPHET-Interface und ihre Entwicklungen auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz bei. Und ich möchte auch Sie im Team haben.\"

\"Ich weiß nicht, Yui. Als Asuka nach dem Impact geboren wurde, kam mir das wie ein Wunder vor, ich will ihr eigentlich mehr Zeit widmen.\"

\"Ich verstehe Sie, aber Sie wissen auch um den vordringlicheren Grund, weshalb das Projekt-E begonnen wurde.\"

\"Um Soldaten für den Kampf gegen weitere Engel zu schaffen, ja. Es ist kaum zu glauben, wie gut es Ihrem Mann gelungen ist, die Wahrheit über den Impact vor der Weltöffentlichkeit zu verbergen. Aber was macht Sie so sicher, daß noch mehr dieser Wesen erscheinen werden? Die Bezeichnung \'Engel\' ist übrigens höchst verwirrend.\"

\"Gendo hat diese Begriffe geprägt. Er hatte die Katastrophe vorhergesehen... es gibt uralte Prophezeiungen, welche den Impact vorhergesagt hatten. Alle anderen Ereignisse sind so gekommen, wie beschrieben...\"

\"So etwas kann man auch provozieren. Aber Sie haben mein Wort, Yui, daß ich es mir überlegen werde.\"

\"Wir brauchen Sie, Kyoko, ihre Kenntnisse auf dem Gebiet der Genetik...\"

\"Sie schmeicheln mir, Yui. - Ach, ist es nicht schön, wie unsere Kinder miteinander spielen... Asuka! Hör sofort auf, Shinjis Sandburg zu zertrampeln, das ist nicht nett!\"

\"Aber er ist soooo langweilig, Mama\", rief das Mädchen.

\"Das ist noch lange kein Grund, so etwas zu tun! Hilf ihm lieber!\"

Die Szene begann zu verblassen.
Die spielenden Kinder, die Spielgeräte, die Hecken und Bänke und der Rasen verschwanden, wurden von der Dunkelheit verschluckt.
Zurück bleib nur eine Person, die in einem Lichtkreis stand...

\"Mutter?\" flüsterte Shinji.

\"Du bist groß geworden, mein Sohn...\"


*** NGE ***


Diese Stimme...

Halbvergessene Erinnerungen stiegen in Shinji wieder auf an die Stimme seiner Mutter, wenn sie ihm abends Schlaflieder vorgesungen hatte... aber auch an Streitgespräche zwischen ihr und seinem Vater, die gedämpft des Nachts durch die Wand an sein Ohr gedrungen waren.

\"Mutter... kannst du mich sehen? Hörst du mich?\"

\"Ja.\"
Yui Ikari lächelte ihn an, breitete die Arme aus.

Wieder lief er los, ließ sich in ihre Arme fallen.
\"Du hast mir so gefehlt...\"

Sie drückte ihn an sich, strich ihm übers Haar.
\"Mein kleiner Shinji... mein armer Junge... wieviel Zeit doch verstrichen ist...\"

Shinji wollte seine Mutter gar nicht mehr loslassen, wollte sich in einem fort aufs Neue vergewissern, daß sie echt war, daß sie Substanz in all der Dunkelheit besaß.

Und wenn das nur eine Täuschung war?
Der EVA hatte ihm früher schon Trugbilder gezeigt, um ihn dazu zu bringen, seinen Geist mit ihm zu vereinen. Als er im Schatten des Engels Leriel gefangen gewesen war, hatte EVA-01 versucht, ihn mit Bildern von Rei-chan zu ködern, was, wenn er jetzt wieder nur auf seine Erinnerungen zurückgriff und ihm das vorgaukelte, was er sehen wollte?

Erschrocken löste Shinji sich aus den Armen seiner Mutter, trat einen Schritt zurück.
\"Bist du wirklich?\"
Er musterte sie. Ihre Gesichtszüge besaßen eine erschreckende Ähnlichkeit mit denen Rei-chans... war dies das Werk des EVA? Besaß seine Mutter Reis Gesicht, weil dies die Person war, welche er mehr liebte als alle anderen?

Yui nickte.
\"Ich bin wirklich - sofern man hier von Wirklichkeit sprechen kann.\"

\"Wo sind wir?\"

\"All dies ist EVA. Wir befinden uns im Herzen von EVA-01.\"

\"Ein dunkler Ort...\"

\"Ja. Ich habe seit zehn Jahren hier auf dich gewartet, um dich endlich wiederzusehen, mein Sohn.\"

\"Solange... dann... uh... bist du seit damals seine Gefangene...\"

\"EVA-01 hat mich damals absorbiert... so wie er dich zu absorbieren versucht. Allerdings verhindert dies meine Anwesenheit. Solange ich... solange meine Seele Teil von Einheit-01 ist, kann sie keine weiteren Seelen verschlingen.\"

\"Dann hast du mir die ganzen Male geholfen... als EVA-01 im Inneren des Kugelengels war... und damals, als Rei-chan Probleme mit EVA-02 hatte, als wir gegen den Zwillingsengel kämpften...\"

\"Ich habe oft versucht, mich dir bemerkbar zu machen, aber ich war zu schwach. Das hat sich jetzt geändert.\"

\"Ahm... Wie?\"

\"EVA-01 hat das S2-Organ des Engels absorbiert, es gibt uns beiden, ihm und mir, Kraft.\"

\"Dann haben wir gewonnen?\"

\"Ja. Der Engel der Macht wurde besiegt. Ich wünschte nur, es wäre nicht nötig gewesen.\"

\"Warum? Sie greifen uns doch an...\"

\"Es gibt da etwas, das du vergessen hast, Shinji. Du mußt dich erinnern.\"

\"Was? Woran soll ich mich erinnern?\"

\"An das, was früher war... wenn die Zeit reif ist, wirst du wissen, was du tun mußt.\"

\"Ich... ah... Mutter, warum siehst du Rei-chan so ähnlich?\"

\"Deine Freundin?\"

\"Ahm... ja...\"

\"Sie ist in deinem Herzen. Du mußt sie sehr lieben.\"

\"Ich... uhm... das tue ich.\"

In der Dunkelheit erschien ein weiterer heller Flecken, in ihm stand Rei Ayanami, gekleidet in ihre Schuluniform.
\"Ich bin in deinem Herzen.\" flüsterte sie.

Yui verließ \'ihren\' Lichtkreis, wanderte um Reis Kreis herum.
\"Das sind deine Erinnerungen an sie. All deine Liebe, all deine Erwartungen... und deine Zukunft... Ein kluges Mädchen, dir vom Wesen her nicht unähnlich... eine Seelenverwandte...\"

\"Ahm... aber warum ähnelt ihr euch so... uh... äußerlich?\"

\"Tun wir das? Vielleicht ist es das, was du sehen möchtest? Vielleicht soll Rei mich in deinem Herzen ersetzen...\"

\"Nein, Mutter, das stimmt nicht... ihr... ah... ihr beide seid in meinem Herzen... und... uh...\"

\"Es ist das Werk deines Vaters, Shinji. Er schuf diesen Körper, formte ihn nach seinen Wünschen und Sehnsüchten, gab ihm mein Gesicht...\"

\"Vater? Du sprichst davon, wie er Rei-chans körperliche Eigenschaften... uh... verbessert hat... ihre Stärke und Konstitution, nicht wahr?\"

\"So hat der Mann namens Kaji es dir erzählt, oder?\"

Ein weiterer Lichtkreis erschien, in ihm stand Ryoji Kaji.

\"Er ist sehr weise. Und sehr risikobereit... trotzdem hätte er wohl für dich einen besseren Vater abgegeben, als Gendo jemals dazu imstande gewesen wäre... und die Frau, Misato...\"

Noch ein Lichtkreis entstand in der Dunkelheit. Misato erschien.

\"Sie hat Schwächen, große und kleine, doch ihr Herz sitzt am rechten Fleck. Bei ihr bist du gut aufgehoben, ein guter Ersatz für mich.\"

\"Mutter, wie redest du denn? Wenn ich kann, dann hole ich dich hier heraus!\"

\"Das wird nicht möglich sein, mein Kleiner. Was der EVA einmal hat, das gibt er nicht frei. Nur dich hat er nur teilweise assimilieren können. Dein Körper wurde Teil des EVAs, doch dein Geist ist nicht an ihn gebunden.\"

\"Ahm... mein Körper?\"

\"Ja. EVA-01 hat ihn aufgelöst.\"

\"Ich habe keinen Körper mehr?\" fragte Shinji panisch und blickte an sich herab. \"Aber, hier...\"

\"Das ist nur eine Repräsentation. Die PlugSuit stellt die Grenzen dar, welche du dir selbst gesetzt hast, damit dein Geist nicht verweht.\"

\"Dann bin ich auch ein Gefangener.\"

\"Nicht ganz. Draußen ist man bereits dabei, Vorbereitungen zu deiner Rettung zu treffen.\"

\"Woher... uh... woher weißt du das?\"

\"Ich bin ein Teil von EVA-01, vergiß das nicht. Allerdings wird er dich nicht gehenlassen wollen.\"

\"Wie...\"
Shinji runzelte die Stirn.
\"Hörst du das auch? Musik...\"
Eine geisterhafte Melodie hallte leise durch die Dunkelheit.

\"Eine Geige. Sie versucht, dich zu erreichen...\"
Yui blieb vor Reis Abbild stehen.
\"Bemerkenswert. Obwohl Gendo alles getan hat, um sie sich gefügig zu machen, konntest du die Pforten ihres Herzens aufstoßen.\"

\"Rei-chan... ja...\"

\"Was auch geschehen wird, ich weiß jetzt, daß du in guten Händen sein wirst, kleiner Shinji.\"

\"Mutter, ich will dich nicht wieder verlieren.\"

\"Und ich will nicht, daß du auch ein Gefangener des EVAs wirst. Wer sonst soll denn Gendo stoppen?\"

\"Vater? Wie... wie meinst du das?\"

\"Der Mann, den du deinen Vater nennst, Shinji, ist kein guter Mensch.\"

\"Ah... das weiß ich schon seit langem.\" sagte Shinji voller Bitterkeit.

Über ihnen bildete sich eine Sphäre, welche eine weitere seiner Erinnerungen zeigte:
Kurz nach dem Tod seiner Mutter... Das Haus seiner Pflegeeltern, die ihn mit vorgetäuschter Freundlichkeit begrüßten, während sein Vater sich nicht einmal die Mühe gemacht hatte, aus dem Wagen zu steigen...

\"Ich habe in meinem Leben sicher auch Fehler gemacht, doch Gendo war der schlimmste.\" flüsterte Yui. \"Wir lernten uns auf einem Genetiker-Symposium kennen, er vertrat einige faszinierende Ideen, wie man den Menschen durch die Mittel der Wissenschaft verbessern und zu einem höheren Wesen machen könnte. Natürlich lagen die nötigen Mittel noch weit jenseits des Möglichen, weshalb er von vielen verlacht wurde. Ich fand ihn damals sehr sympathisch... wie sehr man sich doch täuschen kann. Er war ein sehr guter Schauspieler. Nach nur drei Monaten heirateten wir - gegen den Willen meiner Eltern. Er nahm sogar meinen Namen an, was mir ungemein schmeichelte. Doch danach ließ er seine Maske mehr und mehr fallen. Seine Theorien waren viel weitreichender und... erschreckender... als ich geglaubt hatte... und der Second Impact gab ihm auch noch recht. Für ihn erschuf ich die Grundlagen der EVAs und rekrutierte andere Wissenschaftler für das Projekt-E... Projekt EVANGELION. Doch privat drifteten wir immer weiter auseinander. Eines Tages suchte ich den Rat eines alten Freundes, meines Mentors an der Universität. Er gab sich alle Mühe, mir Trost und Mut zuzusprechen, so daß ich immer wieder zu Gendo zurückkehrte, es wieder versuchte, doch dann kam eines zum anderen und... nun ja, manche würden wohl sagen, ich hätte einen weiteren Fehler begangen, doch ohne diesen Fehler würde es dich nicht geben...\"

Shinji blinzelte.
Hatte seine Mutter ihm wirklich gerade zu verstehen gegeben, daß Gendo Ikari nicht sein leiblicher Vater war? Daß sie ihn mit einem anderen Mann betrogen hatte?\"

\"Er... er ist nicht mein Vater?\"

\"Nein, Shinji. Ich würde es dir nicht sagen, wenn ich nicht wüßte, daß dies für dich keine schlechte Nachricht darstellt. Gendo ist nicht dein leiblicher Vater. Dieser Mann ist in seinem Herzen so kalt, daß er gar nicht imstande ist, Leben hervorzubringen.\"

\"Uh, wer...\"

\"Bitte, Shinji, das möchte ich dir nicht sagen. Er weiß es selbst nicht.\"

\"Aber ich muß es doch wissen!\"

\"Du kennst ihn bereits. Und in gewisser Weise wacht er bereits über dich und die anderen Piloten.\" Yui lachte leise auf. \"Nein, dieser Kaji ist es nicht, der wäre doch etwas zu jung gewesen.\"

\"Ahm, Mutter...\"

\"Mein kleiner Shinji... erschrickt es dich, die Wahrheit zu kennen?\"

\"Nein. Ich fühle mich... besser... Mutter, gibt es wirklich keine Möglichkeit, dich hier herauszuholen? Und wenn ich mit dir die Plätze tausche?\"

\"Selbst wenn das ginge, würde ich es nicht zulassen. Ich bin und bleibe ein Teil von EVA-01, daran läßt sich nichts ändern. Nur die Vernichtung des EVAs würde mich auch nicht befreien.\"

\"Dann nehme ich ihn eigenhändig auseinander!\"

\"Aber das würde mich auch nicht zurückholen, Shinji. Bitte, finde dich damit ab. Solange du den EVA steuerst - und ich habe dafür gesorgt, daß er nur dich noch als Piloten akzeptiert - werde ich in deiner Nähe sein und dir helfen können. Das Mädchen namens Rei wird die Lücke in deinem Herzen füllen, daran habe ich keinen Zweifel.\"

\"Ja... Rei-chan... aber warum kann ich nicht euch beide haben? Wir könnten wie eine Familie sein... Du, mein wahrer Vater, ich...\"

Sie sah ihren Sohn traurig an.
\"Es ist schwer, ich weiß. Ich werde dich auch nur ungern wieder gehenlassen... Ah, sie beginnen. EVA-01 hat gerade genetische Schablonen übermittelt bekommen, nach denen sie deinen Körper rekonstruieren wollen.\"

\"Wie... wie geht das?\"

\"Oh, das ist recht einfach. Wenn du ein paar Jahre Zeit hättest, könnte ich es dir erklären. Aber jetzt beginnt uns die Zeit wegzulaufen, dabei gibt es noch einige Dinge zu tun.\"

\"Mutter, ich will dich nicht alleinlassen!\"

\"Ich bin nicht allein. Ich habe meine Erinnerungen - und die deinen. Und wenn ich weiß, daß du glücklich bist, dann habe ich alles, was ich hier benötige. Außerdem wirst du dort draußen noch gebraucht, nicht nur von Rei... Sieh mal, dort...\"

Wieder entstand ein Lichtfleck, nur zeigte dieser zwei Personen.

\"Toji und Hikari...\"

Die Klassensprecherin saß wie eine Statue auf einem Stuhl und blickte ins Leere, während Toji vorsichtig und voller Zärtlichkeit ihr Haar kämmte.

\"Das Mädchen ist eine Gefangene, ähnlich wie ich. Ihr Geist ist im Herzen von Einheit-03 gefangen.\"

\"Hat er sie auch absorbiert?\"

\"Nein, bei EVA-03 hat die Künstliche Intelligenz endlich ihren Zweck erfüllt und verhindert, daß der EVA sie verschlingen konnte. Aber die kritischen Verletzungen...\"

Die Sphäre über ihnen zeigte jetzt EVA-03, der kopflos auf dem Boden lag.

\"... die der EVA erlitten hat, haben dies verursacht.\"

Die Brust des EVAs wurde durchsichtig, unter der Panzerung konnte Shinji ein langsam pulsierendes Herz erkennen.

\"Du kannst sie aus dieser Lage befreien.\"

\"Wie?\"

\"Bringe sie in die Nähe des EVAs und zerstöre dann sein Herz... das müßte funktionieren.\"

\"Kann ich das nicht auch mit EVA-01 tun?\"

\"Noch einmal, Shinji - ich bin eins mit dem EVA, egal was du tust, es wird sich auf ihn und mich auswirken.\"

\"Ja, Mutter.\"

\"Ich weiß, es fällt dir nicht leicht, das zu akzeptieren. Ich konnte das Unmögliche auch immer nur schwer akzeptieren.\"

\"Ich werde tun, was du gesagt hast.\"

\"Guter Junge. Jetzt gibt es noch eins zu tun - wir müssen EVA-01 dazu bringen, daß er dich gehen läßt.\"

\"Wie... wie können wir das?\"

\"Du mußt dich mit der Künstlichen Intelligenz in Verbindung setzen.\"

\"Ahm...\"

\"Sie war Naoko Akagis Beitrag zu dem Projekt, zusammen mit dem Steuerinterface. Wir hatten den Hunger des EVA nach einer Seele schon recht früh erkannt und glaubten, ihn auf diese Art zufriedenstellen zu können... mit einer künstlichen Seele, einer Künstlichen Intelligenz, die auf einer digitalisierten realen Persönlichkeit beruhte. Akagi suchte die ideale Persönlichkeit, was sie fand, war ein Sterbender, ein Mann, der beim Impact schwer verletzt worden war. In einer risikoreichen Operation sollte ihm das von Akagi entwickelte PROPHET-Interface eingesetzt werden. Für den Fall eines Fehlschlages digitalisierte Doktor Naoko Akagi die Persönlichkeit des Patienten. Er war ein Kämpfer und Stratege, jemand, der über eine sehr starke Seele verfügte, um es mal mit Gendos Worten auszudrücken. Wir ahnten jedoch nicht, daß die lange Zeit im Krankenhaus, während der sein Körper nach und nach versagt hatte, ihn an den Rand des Wahnsinns getrieben hatte. Wir wußten nicht, daß er in seinen eigenen Erinnerungen gefangen war... sonst hätte ich nie an dem Experiment teilgenommen... und ich hätte auch niemals zugelassen, daß du es mitansehen mußtest. Bist du bereit?\"

\"Ich... uh... ja.\"

Die Umgebung veränderte sich...


*** NGE ***


Dunkelheit wich Licht.

Sie standen an einem verwüsteten Strandabschnitt. Der Strang war mit Seetang, Bruchstücken von Brettern und rostigen Metallteilen übersät. Der Himmel über ihnen war dunkel und das Meer tobte.

\"Komm hierher.\" rief Yui Shinji von einer Anhöhe aus zu.

\"Ja, Mutter.\"
Er gesellte sich zu ihr.

\"Dort!\"
Sie deutete nach vorn, zum Wasser hin.

Shinji konnte eine scheinbar endlose Betonmauer erkennen, die den Strand zu einer Seite hin begrenzte, sich dabei seltsam wand und gar keiner geraden Linie zu folgen schien, schlimmer noch, die ihre Position zu verändern schien.

\"Und dort...\"

Am Horizont erschien eine gewaltige Flutwelle.

\"Wir müssen hier weg!\" rief Shinji.

\"Nein, es sind auch nur Erinnerungen.\"

Die Flutwelle trug einen Körper mit sich, Shinji konnte erkennen, daß es sich um EVA-01 handelte - oder besser, ein kleineres Abbild des EVAs von seiner Größe.
Wuchtig wurde der EVA gegen die Mauer schleudert, rutschte mit verrenktem Körper daran herab, blieb leblos an ihrem Fuß liegen, während sich um ihn herum eine rote Pfütze bildete.
Das Wasser stieg, näherte sich dem liegenden EVA immer weiter, umspülte ihn schließlich, trug ihn wieder fort.
Kurz darauf erschien wieder die riesenhafte Welle, trug den kleinen EVA wieder heran, schmetterte ihn wieder gegen die Mauer, wo er erneut herabrutschte.

\"Wie furchtbar...\"

\"Und so wiederholt es sich wieder und wieder. Es ist seine letzte konkrete Erinnerung und er ist darin gefangen.\"

\"Warum zeigst du mir das? Ich konnte bereits bei meiner eigenen Erinnerung nichts tun.\"

\"Dies ist aber nicht deine Erinnerung. Erinnerungen sind starr, doch das hier ist dynamisch, jedenfalls für ihn.\"

\"Und wie...\"

\"Du bist nur teilweise von EVA-01 assimiliert worden, dein Geist jedoch ist noch völlig frei. Und hier ist dein Wille Gesetz.\"

\"Ich... uh... wenn ich es will, dann wird er also nicht gegen die Mauer geschleudert?\"

\"Ja. Sieh es dir selbst an.\"

Tatsächlich...
Die Welle stand still in der Luft. Und auf ihrer Krone trug sie den EVA.

\"Vielleicht solltest du sie noch etwas näherkommenlassen.\"

\"Uhm...\"
Er konzentrierte sich, stellte sich vor, wie die Welle den Strang erreichte und dort einfach in sich zusammenfiel.

Und so geschah es. Der menschengroße EVA klatschte einfach in den Sand.

\"Ich... ah... vielleicht sollte ich mit ihm reden?\"

\"Gute Idee, Shinji.\"

Shinji stieg von der Erhöhung und lief zu dem Wesen in Purpur und Grün hinüber, während Yui ihm langsam folgte.

\"Uh, hallo... Kannst du mich verstehen?\"

\"Ich... höre...\" stieß der EVA mit grollender Stimme hervor. \"Die Flutwelle... das ist das Ende der Welt...\"

\"Nein... uhm... die Welt hat es überstanden und... uh... ich brauche deine Hilfe...\"

\"Ich soll dir helfen? Ich kann nicht einmal mir selbst helfen, die Welle...\"

\"Sie existiert nur in deinen Erinnerungen. Ich habe... ahm... ich habe sie aufgehalten.\"

\"Du? Ich kenne dich... Ikari, Shinji... Third Children, Pilot von EVA-01... EVA-01, das bin ich... oder nur ein Teil...\"

\"Wir können uns gegenseitig helfen. Du mußt dafür sorgen, daß ich den EVA wieder verlassen kann.\"

\"Das ist deine Aufgabe\", erklärte Yui, die Shinji inzwischen erreicht hatte.

\"Aufgabe... ich bin Soldat, ich erfülle meine Aufgaben.\"

\"Es ist deine Pflicht. Du kämpfst für die Unschuldigen.\"

\"Unschuldige müssen beschützt werden.\"

\"Genau. Und mein Sohn ist unschuldig.\"

Die Augen des EVAs glühten auf.
\"Ich helfe.\"
Ächzend und grollend kam er auf die Beine, wandte sich der Mauer zu.
\"Folgt mir!\"
Mit kräftigen Schlägen begann er die Mauer zu bearbeiten.
Bald zeigten sich erste Risse im Beton, dann erste Dellen und Löcher.

Yui Ikari schien zu lauschen.
\"Wir müssen uns beeilen! Man versucht auch von der anderen Seite aus, ihn zu retten.\"

\"Ich erinnere mich.\" knirschte der EVA, während er einen großen Betonbrocken zur Seite wuchtete. \"Wir haben zusammen gekämpft, Third Children. Wir sind Waffenbrüder.\"

\"Uh... ähm... das... äh... klingt... uh... könnte so stimmen.\"

\"Wo ich herkomme, läßt man die seinen nicht im Stich. Rufe mich und ich werde an deiner Seite stehen!\"

Das Loch in der Mauer wurde mit jedem Schlag des EVAs größer. Zugleich spürte Shinji einen starken Sog, der von dem Loch ausging.

\"Das ist der Weg, Shinji!\" rief Yui. \"Geh, mein Sohn! Sie wartet auf der anderen Seite!\"

\"Mutter, ich...\"
Shinji stemmte sich gegen den Sog, der ihn in das Loch ziehen wollte. Obwohl ihre Worte, daß es unmöglich für sie war, den EVA wieder zu verlassen, noch in seinen Ohren klangen, streckte er die Hand nach ihr aus.
\"Komm mit mir!\"

Stumm schüttelte sie den Kopf.

\"Aber... ich kann dich doch nicht hier zurücklassen!\"

\"Wenigstens bin ich nicht allein\", flüsterte sie gegen die Tränen ankämpfend, welche sich in ihren Augen sammelten.
\"Wir werden uns nicht wiedersehen, doch ich werde immer über dich wachen, mein Sohn.\"

\"Mutter...\"

Ein Schrei hallte über den Strand.
\"Shinji!\"

Er sah zum bewölkten Himmel.
\"Rei?\"

Der EVA packte ihn, stieß ihn auf das Loch in der Mauer zu.
\"GEH!\"

Der Sog packte ihn, riß ihn fort.

Wieder umgab ihn Dunkelheit.

Mutter...

Rei...
Rei-chan...

Er spürte ihre Gegenwart, ihre Nähe...

Rei-chan...

Ihre Gedanken waren wie ein Leuchtfeuer, ihre Liebe wie ein Sirenenruf, dem er folgen mußte...
14. Zwischenspiel:

Tag 21

Tabris schlug die Augen auf.
Sein Kopf schmerzte, sein Körper - oder vielmehr der Körper, den er sich von seinem wahren Besitzer ausgeliehen hatte - fühlte sich schwach an.
Er hatte ja nicht geahnt, wie wenig belastbar die Körper der Lilims waren, sonst hätte er sich nicht in künstlichen Tiefschlaf versenkt, als er Leriel verließ. Er hätte wissen müssen, daß der Körper nach all den Tagen ohne Nahrungszufuhr am Rande des Zusammenbruches gestanden hatte, schließlich hatte er versprochen, ihn unversehrt zurückzugeben.

Wo war er?

Er suchte in den Erinnerungen Kaworu Nagisas. Diese waren recht beschränkt, Kaworu hatte in den letzten Jahren den NERV-Stützpunkt kaum verlassen. Ein Privatlehrer hatte für seine Bildung gesorgt, ansonsten war seine Zeit mit Tests und Synchrontraining ausgefüllt gewesen. Über die Welt außerhalb des Stützpunktes hatte er nur durch etwas erfahren, das die Lilims Fernsehen nannten...

Interessant... soviel Wissen...
Kapitel 42 - 21 Tage - Spione unter sich

Tag 1

Kaji setzte das Nachtsichtfernglas ab und wechselte von einer kauernden in eine sitzende Position.
Er befand sich in felsigem Gelände mit spärlicher Vegetation, der wahrscheinlich einzige Busch im Umkreis von fünfhundert Metern, der dicht genug war, um sich dahinter zu verstecken, diente ihm als Deckung. Kaji trug einen schwarzen Tarnanzug, sogar das Gesicht hatte er sich mit Matsch beschmiert, damit er im Mondlicht auch wirklich nur ein Schatten war.

Ein Stück weiter und tiefer, unterhalb des Abhanges, auf dem Kaji jetzt saß, befand sich ein umzäuntes Gelände mit mehreren solide aussehenden Gebäuden, vor dem Hauptgebäude standen mehrere Militärjeeps und bewaffnete Soldaten sicherten das Tor und patrouillierten auf dem Areal.
Das Gebiet gehört rechtlich betrachtet zum nahegelegenen UN-Stützpunkt, welcher das UN-Hauptquartier für den ostasiatischen Raum bildete, stellte aber eine eigene Einheit dar. Hierher war der Stellvertretende NERV-Kommandant Kozo Fuyutsuki von seinen Entführern gebracht worden.

Kaji hatte in den letzten Stunden mehrere Recherchen durchgeführt, demnach existierten keine Informationen über das Areal schräg unter ihm. Und der ODIN-Hauptrechner HEIMDALL wußte von keiner UN-sanktionierten Operation gegen NERV - aber das mußte wirklich nicht viel heißen, von seinem, Kajis, eigenen Einsatz wußten auch nur die Personen, die ihn beauftragt hatten, wovon der tot und der andere immer noch vermißt war. Stattdessen hielt General Cedrick in Wilhelmshaven die Zügel jetzt straff in der Hand, dessen SEELE-Mitgliedschaft Kaji zumindest vermutete.

Die Fragen, die zu klären er sich vorgenommen hatte, lauteten:
Wer hatte den Sub-Kommandanten entführt und warum?
Das Wer konnte Kaji sich denken, nur eine Gruppe konnte über UN-Ressourcen verfügen, ohne daß irgend jemand Zeter und Mordio schrie - SEELE. Und das Warum lag auch nahe - natürlich um von Fuyutsuki an Insiderinformationen zu gelangen!
An letzteren hatte natürlich auch Kaji Interesse. Außerdem mochte er den Stellvertretenden Kommandanten, der Mann hatte das Herz am richtigen Fleck und stand mit beiden Beinen auf der Erde, ohne ihn wäre es bei NERV um einiges trostloser, wenn Ikari ungebremst handeln konnte. Und schließlich gab es da noch etwas, das Kaji Fuyutsuki dringend fragen wollte, um seine persönliche Neugier zu stillen...
Und damit war er bei der dritten Frage, mit der er sich herumschlagen mußte: Wie sollte er den Sub-Kommandanten befreien?

Für die erste Nacht hatte er sich zunächst vorgenommen, die Lage auszuspähen.
Der Komplex war nicht stark bewacht, nur zwei Wachen am Tor und drei Doppelstreifen. Den Gebäudetypen nach handelte es sich um eine Verwaltungseinrichtung, doch wenn es wirklich ein Stützpunkt von SEELE war, dürften die Bauten ziemlich leerstehen. Kaji rechnete mit vielleicht zehn weiteren Personen.
Das Magazin seiner Waffe faßte zwanzig Schuß, mehr als genug, sollte es hart auf hart kommen. Er war Experte darin, keine Kugeln unnötig zu verschießen... Allerdings zog er Methoden vor, die auf Listen und Bluffs basierten, anstatt auf roher Gewalt. Im Gegensatz zu seinem vermißten Ausbilder war er nicht teilweise kugelfest und eine kugelsichere Jacke schützte auch nur einen Teil des Körpers.

Während er sich in geduckter Haltung und teilweise wie eine Schlange über den Fels robbend von dem Komplex entfernte, legte er sich bereits einen Plan zurecht. ODIN hatte für ihn eine ganze Reihe von Tarnidentitäten in den letzten Jahren installiert, ebenso wie er für den Einsatz in Tokio-3 eine mehrfach gestaffelte Tarnung bekommen hatte. Wer durch seine Rolle als neugieriger Strategischer Offizier hindurchschaute, stieß nach einigem Graben darauf, daß ihn eine dem japanischen Innenministerium angegliederte Behörde geschickt hatte. Wer dann noch weiterforschte, konnte darauf kommen, daß diese Behörde eigentlich dem Geheimdienst zugeordnet war. Weitere Untersuchungen könnten eine Verbindung zu einer Spezialabteilung des japanischen Geheimdienstes führen. Doch die Verbindung zu ODIN war beinahe unmöglich zu erkennen, außer er plauderte es aus, so wie er es Katsuragi gegenüber getan hatte.

Katsuragi...
Misato...

Wie sehr hatte er sie vermißt...
Ein Fehltritt, ein Augenblick, in dem er sich nicht hatte beherrschen können, und alles war aus gewesen. Daß er sie betrogen hatte, hätte sie ihm vielleicht noch verziehen, doch nicht, daß er es mit ihrer besten Freundin getan hatte...
Wie sehr er es bereute. Vielleicht war das Hauptgrund dafür gewesen, daß er eine Laufbahn als Spion eingeschlagen hatte - um sich abzulenken...
Und trotzdem wußte er, daß sein Geheimnis bei ihr sicher war.

Jetzt mußte er in seinen Unterschlupf zurück und einige Vorkehrungen treffen...


*** NGE ***


Tag 2

Kozo Fuyutsukis Schädel dröhnte. In seiner Nase hielt sich der hartnäckige Geruch von Äther. Er fühlte sich müde, wußte zugleich, daß dies an den Rückständen des Betäubungsmittels lag.

Fuyutsuki lag auf einer Pritsche in einem ansonsten kahlen Raum ohne Fenster. Unter der Decke hing eine nackte Glühbirne in der Fassung; es gab keinerlei Hinweise darauf, wo er sich befand. Ebenso gab es keine Hinweise auf die Identität seiner Entführer.
Allerdings gab es nicht viele Leute oder Gruppen, die es wagen, oder auch nur versuchen würden, in die Geofront einzudringen, das gutgesicherte NERV-Hauptquartier zu betreten und den Stellvertretenden Kommandanten zu entführen... eigentlich kam dafür nur eine Gruppierung in Frage - SEELE. SEELE war der Name, den die Mitglieder des Komitees, welches hinter NERV stand, sich selbst gegeben hatten. Sie sahen sich als die heimlichen Beherrscher der Welt an, als die große Kontrollinstanz, eben die Seele der Menschheit selbst. Und Kontrolle übten sie ganz sicher aus, in wirtschaftlicher, politischer und religiöser Sicht. NERV wurde von ihnen unterstützt, weil sie befürchteten, daß sich bei einem Third Impact alles, was sie aufgebaut hatten, in Wohlgefallen auflösen würde. SEELE war eine Gruppe alter Männer, die durch ihre Macht und ihren Reichtum fast jeden Menschen zu ihrem Handlanger korrumpieren konnte, wissentlich oder unwissentlich... nur sie konnten diese Aktion in Auftrag
gegeben haben...

Langsam setzte er sich auf.

Die Tür des Raumes vermittelte einen stabilen Eindruck, in ihr war ein kleines Sichtfenster eingelassen, durch welches man in die Zelle und auf die Pritsche blicken konnte. Über der Tür befand sich zudem eine Kamera.

Fuyutsuki streckte sich, versuchte seine schlaffen Muskeln wiederzubeleben.
Er hatte immer noch das Foto in der Hand...
Einen Moment lang zögerte er, steckte das total zerknüllte Bild dann in die Brusttasche seines Uniformjacketts.
Wahrscheinlich wußten seine Entführer bereits, daß er wach war. Sicher würde es nicht mehr lange dauern, bis sie kamen, um ihn zu holen.
Kurz erwog er, hinter der Tür zu lauern und den ersten, der in den Raum kam, anzuspringen, doch garantiert würde das nicht funktionieren.
Was sie wohl von ihm wollten... höchstwahrscheinlich Informationen. Ikari hatte SEELE gegenüber das Blaue vom Himmel herab gelogen, wenn SEELE ihn hatten entführen lassen, dann würde sie die Wahrheit wissen wollen. Vielleicht würden sie sogar versuchen, sich seine Loyalität zu sichern und ihn umzudrehen... allerdings würde er da doch nur den Teufel mit dem Beelzebub austreiben, Ikari war ein Faktor, den er einigermaßen einzuschätzen vermochte, während er von SEELE nur die Stimmen und ein paar mutmaßliche Namen kannte - Ikari hatte ihn ein-, zweimal zu den Konferenzen in der Virtuellen Realität mitgenommen...

Jemand war an der Tür...
Ein Schlüssel wurde im Schloß umgedreht, eine Kette entfernt...
Die Tür wurde geöffnet, sie schwang zum Gang hin auf...

Ein dunkelhaariger Eurasier trat halb in die Zelle, winkte ihm mit einer Pistole zu.
\"Folgen Sie mir.\" sagte Sergej Roshenkov mit schwerem russischen Akzent.

Fuyutsuki stand langsam auf, täuschte vor, schwächer zu sein, als er sich eigentlich fühlte. Seine Beine trugen ihn ohne Widerspruch, allerdings würde er jetzt noch an keinem Wettlauf teilnehmen können.
Wieder überlegte er seine Chancen.
Selbst wenn es ihm gelang, den Bewaffneten zu überwältigen, wußte er immer noch nicht, wo er war und mit wievielen anderen er es wohl zu tun hatte.
\"Wer sind Sie?\"
Vielleicht konnte er Zeit gewinnen...

\"Das geht Sie nichts an.\"

\"Und wo bin ich?\"

\"Folgen Sie mir endlich!\"
Der Russe trat auf den Gang vor der Zelle, wo ein weiterer Mann mit gezogener Waffe wartete.

Fuyutsuki hatte die Lage also richtig eingeschätzt...
Mit wahrem Schneckentempo näherte er sich der Tür.

\"Los, los! Wir haben nicht ewig Zeit!\"

\"Daran hätten Sie denken sollen, bevor Sie mich betäubt haben\", ächzte Fuyutsuki.
Wenn er einem der beiden die Waffe entreißen und den anderen damit niederschießen könnte...
Nein, das würde nicht funktionieren, dafür war er zum einen ein wenig zu alt und zum anderen nicht austrainiert genug. Derartige Dinge funktionierten in Filmen, aber nicht bei einem langjährigen Bücherwurm wie ihm.

\"Ja, ja. Man wartet bereits auf Sie.\"
Die beiden Männer nahmen den Sub-Kommandanten in die Mitte und führten ihn den Gang hinunter bis zu einer breiten Tür.
\"Da hinein!\"

Der Vordermann öffnete die Tür.
Dahinter lag ein dunkler Raum, dessen Ausmaße Fuyutsuki nicht erkennen konnte. Ein Spot irgendwo unter der Decke erleuchtete einen einzelnen Flecken in der Finsternis, in dem ein einfacher, aber stabil aussehender Holzstuhl stand.

\"Setzen Sie sich!\" befahl der Russe und stieß den älteren Mann vorwärts, lächelte knapp, als dieser anstatt nach vorn zu fallen, sich stolpernd abfing.
\"Na, also, es geht doch.\"

Sie hatten sein kleines Täuschungsmanöver von Anfang an durchschaut. Natürlich, sie gehörten zur Profiliga, während er in dieser Beziehung bestenfalls Dorfauswahl war. Wortlos ging er zu dem Stuhl und setzte sich.

\"Hände hinter die Lehne. - Gut so.\"

Kalte Metallringe schlossen sich um seine Handgelenke, fesselten ihn an den Stuhl, welcher fest mit dem Boden verbunden schien.

\"Sie betreiben recht viel Aufwand für einen alten Mann wie mich.\"

Die beiden Männer ließen sich nicht aus der Reserve locken, der eine überprüfte noch einmal den Sitz der Fesseln, dann zogen sie sich beide zurück, ohne daß Fuyutsuki hätte sagen können, ob sie den Raum verließen oder in der Dunkelheit stehenblieben.

Die Dunkelheit war bedrückend, schien jedes Geräusch zu verschlucken.
Eine Ewigkeit verging...

Dann erschienen rings um Fuyutsuki mehrere Monolithen, schälten sich langsam aus der Dunkelheit. Jeder Monolith trug eine Nummer. SEELE war eingetroffen...

Fuyutsuki wartete, daß er angesprochen wurde.
Irgendwo im Raum mußten sich die Holographieprojektoren befinden, welche die Monolithen abbildeten. Und irgendwo würde es auch Lautsprecher und Mikrophone geben.
Doch kein Wort fiel.
Die Stille zerrte an seinen Nerven...

Wieder schien eine Ewigkeit zu vergehen.
Infolge der unbequemen Lage waren Fuyutsukis Füße inzwischen eingeschlafen, ebenso seine Hände, deren Durchblutung durch die Fesseln beeinträchtigt wurde.

\"Guten Tag, Professor.\" hallte schließlich eine Stimme durch die Finsternis, die von jenem Punkt kam, an dem sich die Holographie des Monolithen mit der Aufschrift SEELE-01 befand.
Es war eine kräftige Männerstimme, der Sprecher schien allerdings bereits älter zu sein.

\"Also doch - SEELE. Ich lag richtig.\"

\"Jemand anders hätte wohl kaum an Ihnen Interesse gezeigt, Professor.\"

\"Interesse?\"

\"Natürlich. Sie sind Gendo Ikaris zweiter Mann, Professor Fuyutsuki.\"

\"Sie sind mir gegenüber im Vorteil - Sie kennen meinen Namen, während ich den Ihren nur erraten kann.\"

\"Hat Ikari Sie nicht über unsere Identitäten informiert?\"

Fuyutsuki lächelte.
\"Lorenz Keel. Sie kontrollieren die Schwerindustrie von Nordamerika.\"
Er fixierte den nächsten Monolithen.
\"Chen Li-Tsu, seit über einem halben Jahrhundert die Graue Eminenz in der chinesischen Regierung.\"
Sein Blick wanderte weiter.
\"Wilforth F. Cedrick, Direktor des einflußreichsten UN-Geheimdienstes, ferner der Mann, der die CIA kontrolliert.\"
Der nächste Monolith.
\"Gaius Vinzenzo, SEELEs Mann im Vatikan. Der Papst hört auf Sie.\"
Er betrachtete den nächsten Monolithen.
\"Francois Gellefair, Außenminister von Frankreich und wahrscheinlich der nächste Präsident der Europäischen Union.\"
Fuyutsukis Blick wanderte nach links.
\"Abu Said Mustaffah. Sie haben die Hand am Hahn der arabischen Ölförderung.\"
Der nächste...
\"Siri Corfeuer, derzeit oberste Instanz des Rates islamischer Rechtsgelehrter - Sie brauchen es nur anzudeuten und die halbe Welt wird von dem nächsten Djihad verschlungen.\"
Und noch einer...
\"Corben Lancester, Sie haben vor acht Jahren im Rahmen einer feindlichen Übernahme Microsoft geschluckt und kontrollieren neben Silicon Valley die weiteren vier bedeutendsten Fabrikationsstätten für Mikrochips.\"

Mehr konnte er nicht sehen, ohne sich den Hals auszurenken.
\"Und irgendwo hier befindet sich Max Derriger, der texanische Viehzüchter, der die Fleischproduktion in der westlichen Welt in der Hand hat.\"

SEELE-01 applaudierte.
\"Beeindruckend, Professor, vor allem wenn Ihre Worte stimmen und Sie das alles erraten haben. Fünf von uns haben Sie sogar mit den richtigen Monolithen identifiziert. Wirklich beeindruckend. Ikari hat also keinen Idioten zu seinem Stellvertreter bestimmt.\"

Fuyutsuki konzentrierte sich ganz auf den Monolithen vor ihm.
SEELE-01... der Vorsitzende der Gruppe... Lorenz Keel... er war sein eigentlicher Gesprächspartner, sein Widersacher. Die anderen waren nur Zuschauer...
\"Jetzt, da jeder von uns weiß, daß der andere weiß, mit wem er es zu tun hat - was wollen Sie von mir?\"

\"Ah, ich schätze es, wenn ein Mann sich nicht lange mit Förmlichkeiten aufhält und gleich zur Sache kommen will.\"

\"Wirklich?! Und dafür entführen Sie mich?\"

\"Verzeihen Sie bitte die Umstände Ihrer Anwesenheit. Nun, was wollen wir... Informationen.\"

\"Welcher Art?\"

\"Alles, was Sie uns über Ikari sagen können.\"

\"Das ist alles? Gut, wie Sie wollen. Ich muß aber weiter ausholen. Um verstehen zu können, wie ich Ikari traf, muß ich bei Yui anfangen, seiner späteren Frau.\"

\"Zeitverschwendung!\" brummte ein anderer Monolith.

\"Lassen wir ihn reden, vielleicht erhalten wir aus seinem Bericht neue Einsichten. - Sprechen Sie weiter, Professor.\"

\"Nun, Keel, es war vor knapp zwanzig Jahren, ich war zu diesem Zeitpunkt bereits Professor an der Universität von Tokio... dem alten Tokio, das während des Impact später völlig zerstört wurde...\"

\"Ja.\"

\"Ich kann wohl mit Recht sagen, daß ich ein beliebter Dozent war, die Studenten strömten immer in Massen in meine Vorlesungen, die Säale waren stets bis zum letzten Platz belegt. Aber fragen Sie mich nicht warum...\"

\"Er will doch nur Zeit schinden!\"

\"Er soll reden. Unterbrechen Sie ihn nicht wieder!\"

\"Mitten im Semester machte mich ein Kollege auf eine junge Mitarbeiterin am Institut für Humangenetik aufmerksam, eine wissenschaftliche Mitarbeiterin, die auf der Suche nach einem Doktorvater war, bei dem sie ihre Doktorarbeit schreiben konnte.
Es war Yui Ikari. Nach einem längeren Gespräch mit ihr kam ich zu dem Schluß, daß sie eine äußerst kluge Frau war, deren Arbeit die Wissenschaft um Jahre in die Zukunft katapultieren könnte. Und deshalb unterstützte ich sie. Yui promovierte. Ich kann nicht verhehlen, daß ich sie sehr sympathisch fand, es war angenehm, mit ihr zusammenzuarbeiten.
Ich bedauerte sehr, daß sie sich nach Erlangung ihres Doktortitels nicht weiter der Lehre widmete, sondern in die private Forschung ging. Im Jahre 1999 erhielt ich auf Umwegen ein Lebenszeichen von ihr - ich erhielt in meinem Büro im Institut einen Anruf von der Polizei. Man bat mich, auf die Wache zu kommen und einen Mann namens Gendo Rokubungi abzuholen, der mich als Bürgen benannt hatte. Natürlich war ich mißtrauisch, schließlich kannte ich diesen Mann nicht, hatte auch den Namen nie zuvor gehört.\"
Fuyutsuki machte eine Pause.
\"Könnte ich vielleicht etwas zu trinken bekommen, ein Glas Wasser möglicherweise?\"

\"Bringen Sie es ihm\", sagte SEELE-01.

Kurz darauf tauchte einer seiner Entführer neben ihm auf, öffnete die Handfessel der linken Hand und drückte ihm einen Plastikbecher in die Hand.

Fuyutsuki trank langsam.

\"Besser, Professor? Können Sie weitersprechen?\"

\"Ja, Keel. Ich erhielt also diesen Anruf und überlegte. Dann überwog meine Neugier und ich machte mich auf den Weg. Rokubungi war mir sofort unsympathisch. Er war festgenommen worden, weil er in eine Schlägerei in einer recht unseriösen Gegend der Stadt verwickelt gewesen war, bei unserer ersten Begegnung trug er noch die Spuren dieser Schlägerei. Ich fragte ihn, wieso er mich als seinen Bürgen angegeben hatte, woraufhin er mir sagte, daß er mich eigentlich im Auftrag Yuis hatte besuchen und von ihr grüßen wollen. Wie ich weiter erfuhr, waren die beiden bereits eine ganze Weile zusammen. Rokubungi weilte geschäftlich in Tokio, bei dieser Gelegenheit hatte er mir eine Einladung vorbeibringen wollen - zu seiner und Yuis Hochzeit. Das kam für mich ziemlich überraschend.
Auch nachdem ich mich mit ihm eine Weile unterhalten hatte, war Rokubungi mir nicht sympathischer geworden. Der Tag der Hochzeit fiel auf denselben Termin wie ein Vortrag, den ich am anderen Ende des Landes halten mußte und den ich nicht absagen konnte, so daß ich Rokubungi mit Bedauern mitteilen mußte, daß ich nicht kommen konnte.
Am nächsten Tag rief ich Yui in Kyoto an und unterhielt mich den ganzen Nachmittag mit ihr. Sie war zu diesem Zeitpunkt mit Gendo Rokubungi über alle Maßen glücklich, ihren Worten gelang es, mein Mißtrauen und meine Sorge, sie könnte einen großen Fehler machen, zu zerstreuen. Wäre ich damals nur etwas hartnäckiger gewesen...\"
Wieder machte Fuyutsuki eine Pause, trank aus dem Becher.
\"In der Folgezeit hatte ich immer wieder Kontakt mit ihr, eine Grußkarte hier, ein kurzer Anruf da, sie wollte den Kontakt nicht abreißen lassen und ich wollte sicher sein, daß es meiner früheren Schülerin gutging.
Dann kam der Second Impact. Ich hörte eine ganze Weile nichts von Yui, dafür aber von Rokubungi. Er hatte an der Katsuragi-Expedition teilgenommen und irgendwie hatte er die Katastrophe überlebt. Ich begann, Nachforschungen anzustellen, stellte fest, daß Rokubungi - oder Ikari, wie er sich nach der Hochzeit nannte, er hatte Yuis Namen angenommen - nie in der Nähe des Südpols gewesen war. Und ich brachte noch mehr über ihn in Erfahrung. Er war ein Wissenschaftler, der auf dem Gebiet der Genetik eine Reihe extravaganter Theorie vertrat... die Vervollkommnung des Menschen. Sein Idealbild des Menschen erinnerte mich an eine dunkle Episode der Menschheitsgeschichte in der Mitte des letzten Jahrhunderts. Anscheinend hatte ich mich in meiner ersten intuitiven Einschätzung nicht geirrt. Weitere Informationen, die ich sammelte, waren noch verwirrender, demnach beschäftigte er sich mit alten Prophezeiungen über den Weltuntergang.
Dann erhielt ich die Einladung, an einer UN-Expedition in die Antarktis teilzunehmen, um mir zusammen mit anderen Wissenschaftlern vor Ort ein Bild machen zu können.
Ich fühlte mich unter den ganzen Forschern anderer Fachgebiete fehl am Platz, was sollte ein Genetiker unter Ökologen und Meterologen...
An Bord des Schiffes befand sich auch Gendo Ikari. Er begrüßte mich wie einen alten Freund. Anscheinend bemerkte er mein Mißtrauen. Wir führten ein langes Gespräch, während dem er mir mitteilte, daß er von meinen Nachforschungen über ihn wußte. Und er weihte mich in das Geheimnis der Schiftrollen vom Schwarzen Meer ein.
Seine Worte waren sehr überzeugend, wir verbrachten lange Nächte über seinen Unterlagen, bis er mich von der Gefahr überzeugt hatte, welche der Menschheit drohte. Und er erklärte mir, daß er bereits mit Hilfe mächtiger Sponsoren und Partner dabei war, Gegenmaßnahmen zu treffen.
Diese Partner waren Sie, oder?\"

\"Korrekt, Professor. Bitte, fahren Sie fort.\"

\"An diesem Tag rekrutierte er mich für Projekt-E, aus dem die EVANGELIONs hervorgingen. In der Folge brachte er mich in die Geofront, wo ich Yui wiedertraf. Ikari hatte auch sie für das Projekt angeworben. Ich erkannte sie fast nicht, sie wirkte... gealtert, unglücklich... In einer ruhigen Minute gestand sie mir, daß ihre Ehe wahrscheinlich gescheitert war. Ich sprach ihr Mut zu, immer wieder. Ich hätte es lassen und darauf drängen sollen, daß sie Ikari verließ, dann wäre sie heute vielleicht noch am Leben. Aber ich war zu sehr auf das fixiert, was vor uns lag, die Rettung der Menschheit. Dazu brauchten wir Yuis Fachkenntnisse. Sie entwarf die Grundkonzepte der EVAs und der Synchronverbindung.
Ein weiteres wichtiges Mitglied im Team war Naoko Akagi. Sie arbeitete an der Entwicklung einer Künstlichen Intelligenz, es war ihr bereits gelungen, eine menschliche Persönlichkeit zu digitalisieren und ein Mensch-Maschine-Interface zu entwickeln. Die Krönung ihrer Arbeit würde die Erschaffung der MAGI-Biocomputer sein, aber ich will nichts vorwegnehmen...\"
Fuyutsuki nahm wieder einen Schluck Wasser zu sich.

\"Das ist uns weitestgehend schon bekannt.\"

\"Das tut mir leid, Keel.\"

\"Das tut es nicht, Professor.\"

\"Ich wollte nur höflich sein.\"

SEELE-01 lachte abgehackt.
\"Fahren Sie doch fort.\"

\"Ein knappes Jahr nach dem Impact brachte Yui einen Sohn zur Welt - Shinji. Zuerst schien Gendo sich zu freuen, doch schon bald wurde er dem Jungen gegenüber genauso gleichgültig wie seiner Frau gegenüber. Stattdessen begann er eine Affäre mit Naoko Akagi. Ich erfuhr zufällig davon, schwieg aber.

In der Folgezeit rekrutierte Yui noch Doktor Soryu für das Projekt, Doktor Soryu leitete die deutsche Zweigstelle bis zu ihrem Tod im Jahre 2005. Yui starb ein gutes halbes Jahr zuvor bei einem Unfall.\"

\"Berichten Sie uns davon.\"

\"Vielleicht werden Sie verstehen, daß es mir nicht leicht fällt, über dieses Ereignis zu sprechen. Meine frühere Schülerin stand mir sehr nahe. Der Unfall ereignete sich beim ersten Testlauf der Synchronverbindung. Yui hatte sich als Freiwillige für das Experiment gemeldet. Alles schien völlig sicher. Zuerst verlief das Experiment auch wie geplant, dann jedoch lief irgendetwas schief. Yui wurde bei lebendigem Leibe gekocht, ich erinnere mich noch nur allzu gut an die Übertragung aus dem EntryPlug, als Elektrizität durch ihren Körper zu fließen begann... von ihr war nicht mehr genug übrig für ein ordentliches Begräbnis. Und ihr Sohn hatte alles mitangesehen...\"
Kozo holte tief Luft, wischte sich mit dem Ärmel über die Augen.
\"Ikari hingegen ließ es völlig kalt. Keine Woche später gab er den Jungen bei Verwandten in Pflege und vergaß ihn dort regelrecht, stürzte sich mit scheinbar neuem Elan in die Arbeit. Andere vermuteten, er täte dies, um seinen Schmerz zu überwinden, doch ich wußte es besser. Vielleicht trug er sogar die Verantwortung an Yuis Tod.
Ich konfrontierte ihn mit meiner Vermutung. Er zeigte sich tief gekränkt. Offenbar hatte ich mich geirrt, so daß ich sofort meine Worte bereute. Ikari vergab mir, weihte mich sogar in den nächsten Schritt seines Planes ein... mit der Macht der Wesen, die er Engel genannt hatte, könnte es möglich sein, Yui ins Leben zurückzuholen. Das gab mir den nötigen Ansporn, bei NERV zu bleiben und sogar zu seinem Stellvertreter zu werden.
Kurz darauf tauchte er erstmals mit Rei auf. Rei Ayanami, das First Children. Er sagte, sie sei die Tochter von Bekannten, die ihn gebeten hätten, sich um sie zu kümmern.
Ich hätte mißtrauisch werden sollen, warum sollte er sich um ein fremdes Kind kümmern, wenn ihm schon der eigene Sohn egal war? - aber ich schwieg, wollte nicht noch mehr zwischen uns durch Vermutungen und Verdächtigungen zerstören.
Rei war ein eigenartiges Kind, zweifelsohne klug und gehorsam... zu gehorsam, fast wie ein Roboter.
Dann starb Doktor Akagi - Selbstmord. Sie nahm sich direkt nach Fertigstellung der MAGI-Rechner das Leben. Die näheren Umstände sind heute noch unklar, da die Sicherheitskameras nichts aufgezeichnet hatten. Und auch Rei sah ich für einen längeren Zeitraum nicht mehr.
Vom ursprünglichen Team starb Doktor Soryu als nächste, sie hatte versucht, daß Experiment zu wiederholen, bei dem Yui umgekommen war, und hatte einen schweren Nervenzusammenbruch erlitten. Wenige Wochen später nahm auch sie sich das Leben.
NERV wuchs und gedieh in der Zwischenzeit.
In den US wurde Kaworu Nagisa als Pilot rekrutiert, zeitgleich mit Doktor Soryus Tochter. Das Schema, nach welchem die zukünftigen EVA-Piloten ihre Nummern erhielten, war völlig undurchschaubar.
2010 erschien Ikari wieder in Begleitung Reis. NERV mietete für das Mädchen ein Apartment an und sie wurde in den Folgejahren als Pilotin des Prototyps ausgebildet.
Als es Schwierigkeiten mit den MAGI gab, ließ Ikari Naoko Akagis Tochter Ritsuko rekrutieren, welche wie ihre Mutter neue Wege auf dem Gebiet der Informatik beschritt. Anfang dieses Jahres warben wir von den UN-Streitkräften einen taktischen Offizier an - Misato Katsuragi, die Tochter des Wissenschaftlers, dessen Expedition im Jahre 2000 den Engel ADAM gefunden und den Second Impact dabei ausgelöst hatte.
Und plötzlich zeigte Ikari wieder Interesse an seinem Sohn, beorderte diesen nach Tokio-3.
Shinji Ikari traf am selben Tag ein, an dem auch der Engel Satchiel Tokio-3 attackierte. Sein Vater brachte ihn dazu, das Testmodell in den Kampf zu steuern.
Den Rest kennen Sie wahrscheinlich besser als ich.\"

\"Möglich. Aber wir haben noch einige Fragen.\"

Fuyutsukis Zunge fühlte sich schwer an.
Die Monolithen begannen vor seinen Augen zu tanzen, führten einen stummen geisterhaften Reigen auf.
\"Was...\"
Er blickte auf den Becher in seiner Hand.
\"Sie haben etwas in das Wasser getan, nicht wahr?\"

\"Eine Wahrheitsdroge. Mit Ihrem kleinen Bericht haben Sie die Zeit überbrückt, die das Mittel brauchte, um seine Wirkung zu entfalten. Vielen Dank für Ihre Kooperation.\"

\"Ich...\"
Er versuchte, sich gegen die Wirkung des Medikaments zu wehren.
Und er hatte auch noch selbst um das Wasser gebeten, hatte gedacht, SEELE mit einem langatmigen Bericht zufriedenstellen zu können...

\"Professor, wie war Ihr Verhältnis zu Yui Ikari?\"

\"Ich...\"
Fuyutsuki preßte die Lippen zusammen, biß sich auf die Zunge.
Eine dicke Schweißschicht bildete sich auf seiner Stirn, während er alles daransetzte, die Antwort zurückzuhalten, die sich den Weg über seine Lippen freizukämpfen schien.
Zugleich begann sein Kopf wieder zu schmerzen.
\"Ich...\"

\"Wehren Sie sich nicht, Professor, oder Ihr Geist könnte Schaden nehmen.\"

\"Ich habe Sie geliebt... Sie verdammter Bastard...\"

\"Ah... das also ist Ihre Motivation. Liebe... ein äußerst seltsames Konzept. Damit hat Ikari Sie geködert, nicht wahr? Erst die Möglichkeit, in ihrer Nähe zu sein, dann die Aussicht darauf, ihren Tod rückgängig machen zu können. Sie mußten Ikari nur den Rücken decken, damit er ungehindert die Macht eines Gottes erringen konnte!\"

\"Er hatte sie nicht verdient. Yui war viel zu anständig und warmherzig für ihn...\" flüsterte Fuyutsuki. Seine Augen tränten.

\"Hm. Gut, weiter: warum wurde Ikaris Sohn ausgewählt? Warum gab Ikari ihm den stärksten und zugleich unberechenbarsten EVANGELION, über den NERV verfügte?\"

\"EVA-00 war beschädigt. Und der Junge konnte sofort eine Synchronverbindung zu dem EVA aufbauen, die ausreichte um zu kämpfen... alles ohne Training.\"

\"Warum?\"

\"Warum? Ich weiß es nicht... Shinji Ikari ist ein Naturtalent.\"

\"Könnte sein Vater nachgeholfen haben?\"

\"Nachgeholfen?\"

\"Gut, lassen wir das. Der Stromausfall?\"

\"Ein Engel. Iroul ist in die MAGI eingedrungen. Doktor Akagi konnte ihn zurückschlagen.\"

\"EVA-03?\"

\"Ebenfalls ein Engel. Bardiel. Er ergriff von dem EVA Besitz, die Pilotin konnte nichts dafür.\"

\"Hat Ikari uns belogen, damit er einen Vorsprung in seinem Szenario erhielt?\"

\"Ja...\"
Fuyutsuki wurde von starken Zuckungen durchgeschüttelt.
Je mehr er sich wehrte, um so mehr er versuchte, die Wahrheit zu unterdrücken, um so stärker wurden die Zuckungen, bis sie ihm sogar Schmerzen bereiteten.

\"Was plant er?\"

\"Er... will... allein... Macht LILITHs... ADAMs...\"

\"LILITH?\"

\"Dogma... was die Engel suchen... Ikari selbst lockt sie... Countdown zum Armageddon...\"
Fuyutsuki biß sich auf die Zunge, schmeckte den metallischen Geschmack von Blut im Mund.
Nicht mehr... er durfte nicht noch mehr verraten... SEELE würde versuchen, Ikari aufzuhalten... würde Yuis Auferstehung verhindern...

\"Unsere Vermutungen stimmten. Nur der Hinweis auf diese LILITH ist sehr überraschend\", sagte SEELE-01 zu seinen Mitverschwörern.
\"Professor, wer oder was ist LILITH?\"

Zeit schinden...
Ausflüchte suchen...

Die Schmerzen waren inzwischen so stark, daß es Fuyutsuki schwarz vor Augen wurde. Er bekam keine Luft mehr...
\"Urmutter...\"
Sein Kopf sank auf seine Brust, zugleich hörten die Zuckungen auf.

Sergej Roshenkov trat an den Stuhl, griff mit einer Hand unter Fuyutsukis Kinn, hob seinen Kopf an, hob dann mit der anderen eines seiner Augenlider hoch. Fuyutsukis Augen waren in den Kopf zurückgerollt, so daß nur das Weiße sichtbar war.
\"Bewußtlos.\"

\"Bemerkenswert, wirklich bemerkenswert. Er hat mehr Widerstand geleistet als erwartet...\"

\"Ja, der alte Mann verfügt über eine unerwartete Konstitution.\"

\"Herr Roshenkov, bringen Sie ihn in seine Zelle zurück, wir werden ihn weiterbefragen, wenn er aufwacht.\"

\"Soll ihn ein Arzt behandeln? Die Nebenwirkungen...\"

\"Das dürfte nicht nötig sein. Das nächste Mal wird er uns alles sagen, was wir noch wissen wollen, danach benötigen wir ihn nicht mehr.\"

\"Diesen Mann können wir nicht umdrehen\", erklärte Cedrick. \"Wir können ihm nicht bieten, womit Ikari ihn geködert hat.\"

\"Ob Ikari wirklich fähig wäre, Tote wiederzubeleben, wenn er allein die Macht eines Gottes besitzt?\" fragte ein anderer Monolith.

\"Unwahrscheinlich.\" brummte Cedrick.

\"Aber ist das nicht die Domäne von Göttern?!\" warf ein weiterer ein.

\"Götter... Aberglaube... Verständigen Sie mich bitte, wenn das Verhör fortgesetzt wird.\"
Cedricks Monolith verschwand.

Nach und nach folgten die anderen.


*** NGE ***


In seinem Büro in Wilhelmshaven setzte Wilforth F. Cedrick die VR-Brille ab, die ihm Zugang zu SEELEs Konferenzen erlaubte.

Die Macht Gottes...
Die Macht, Tote auferstehen zu lassen...
Allmacht...

Anscheinend war es kein Fehler gewesen, Larsens RABEN an ihren Einsatzorten zu belassen. Keel konnte doch nicht wirklich solch ein alter Trottel sein, daß er glaubte, die anderen stünden bedingungslos hinter ihm. Sobald der Weg frei war, würde es vielmehr heißen: Jeder Mann für sich selbst.
Er brauchte nur einen Befehl geben, nur ein Signal abzusenden, und seine fünf größten Konkurrenten, Keel eingeschlossen, würden sterben...


*** NGE ***


Tag 3

Frechheit siegt...

Kaji unterdrückte ein breites Grinsen, als er in einem Militärjeep mit Hoheitszeichen der UN auf den von SEELE kontrollierten Komplex zufuhr. Er selbst trug die Uniform eines Colonels, einen höheren Rang anzunehmen hatte er nicht gewagt, da ein General wohl kaum selbst fahren würde. Seine Augen waren hinter einer dunklen Sonnenbrille verborgen, zudem klebte ein falscher Bart auf seiner Oberlippe. Er wirkte leicht aufgequollen, ein Nebeneffekt der Kevlarweste, die er unter der Uniform trug.

Er hielt den Wagen am Tor an.
\"Wer hat hier im Augenblick das Kommando?\" schnauzte er den Posten am Tor an.

\"Leutnant Tsuno, Sir. Ich hole ihn.\"

\"Gut, machen Sie das.\"
Er bedeutete dem anderen Posten, das Tor zu öffnen und ihn einzulassen.

Der Soldat salutierte und kam der Anweisung rasch nach.

Innerlich seufzte Kaji.
Die erste Hürde war genommen, er war auf dem Gelände.
Jetzt mußte sich nur noch seine Hoffnung erfüllen, daß SEELE keine allzu cleveren Leute als Bewacher ihres Komplexes angeheuert hatten, dann würde alles viel einfacher gehen...

Der Leutnant kam, salutierte zackig.

Innerlich grinste Kaji.
\"Leutnant, melden Sie sich mit fünf von Ihren Leuten in der Hauptverwaltung beim diensthabenden Offizier. Ich übernehme hier das Kommando, Ersatz für die abgezogenen Kräfte trifft in Kürze ein.\"

\"Sir, ich weiß davon nichts.\"

\"Jetzt wissen Sie es. Oder haben Sie etwa die Anweisung, hier Wache zu schieben in dreifacher Ausfertigung mit einer Schleife drum herum bekommen?\"

\"Nein, Sir, natürlich nicht.\"

\"Gut. Rücken Sie umgehend ab. Wer ist der Ansprechpartner vor Ort?\"

\"ODIN-Agent Roshenkov, Sir.\"

Kaji konnte nicht vermeiden, daß sich seine Stirn zusammenzog.
Roshenkov?
Er kannte keinen Agenten dieses Namens. Natürlich war ihm nicht jeder Kollege geläufig oder namentlich bekannt, wohl aber die Handvoll, welche im ostasiatischen Raum stationiert war, wo eigentlich ein anderer geheimdienstlicher Arm zuständig war.
Der Name klang russisch.
Dann stimmte die Vermutung des Commanders also wahrscheinlich, daß ODIN von SEELE unterwandert worden war...
\"Ist er da?\"

\"Nein, Sir, Agent Roshenkov ist vor einer Stunde weggefahren.\"

\"Ah, ja. Gut, dann warte ich drinnen auf ihn.\"

Während der Leutnant sich fünf Leute nahm - mehr fortzuschicken hatte Kaji nicht wagen wollen, um nicht mehr Mißtrauen als nötig zu erregen - und mit zwei von den Jeeps, die vor dem Hauptgebäude standen, abfuhr, stellte Kaji seinen eigenen Geländewagen direkt vor der Tür ab, schwang sich ins Freie und eilte die Stufen zum Eingang hinauf.

Unangefochten gelangte er ins Innere des Gebäudes, drückte sich erst einmal gegen die Wand und holte seine Waffe hervor, schraubte den Schalldämpfer auf.
Langsam und lautlos wie eine Katze - unter anderem der Gesichtspunkt, nach dem er im Army-Shop seine Stiefel ausgewählt hatte - schlich er den Gang hinab bis zu einer Treppe, lauschte.

Aus dem Obergeschoß kam kein Geräusch, dafür ging unter ihm eine Tür.
Wenn Fuyutsuki sich noch hier befand, wovon Kaji ausging, war er wahrscheinlich in einer Zelle eingesperrt. Und Zellen befanden sich in der Regel im Keller, wo die Fluchtmöglichkeiten aufgrund der Lage bereits eingeschränkt waren. - Ausnahmen bestätigten natürlich die Regel...
Er stieg langsam die Treppe hinab, abwechselnd nach oben und unten sichernd.

Kaji erreichte den Fuß der Treppe, spähte um die Ecke.
Wieder ein Korridor.
Zu beiden Seiten gingen Türen ab.
Und vor einer Tür stand ein schwarzgekleideter Mann mit einer Maschinenpistole über der Schulter.

Kaji überprüfte noch einmal seine Waffe, trat dann in den Gang, die Pistole mit seinem Körper verdeckend.
\"Entschuldigung...\"

Der andere reagierte mit beeindruckenden Reflexen, hatte seine Waffe bereits in der nächsten Sekunde auf Kaji gerichtet, den Finger am Abzug. Nur zum Schießen kam er nicht mehr...
Kaji war ganz auf Nummer Sicher gegangen und hatte die Möglichkeit, daß der andere ebenfalls eine kugelsichere Weste trug, in seine Überlegungen miteinbezogen, als er selbst den Abzug durchzog und ihm eine Kugel in den Kopf jagte.
Der Schuß erzeugte durch den Schalldämpfer nur ein leises \'plop\', der Wächter ging mit einem Geräusch, das nur etwas lauter war, zu Boden, dafür schlug seine Waffe doch recht laut auf.

Kaji sah sich um, lauschte, konnte nicht feststellen, daß irgend jemand im Gebäude reagierte.

Die Tür...
Er blickte durch das kleine Sichtfenster, sah den Sub-Kommandanten auf einer Pritsche liegen.
Bei der Tür war nur die Kette vorgelegt, wie Kaji feststellte. Rasch öffnete er und zischte: \"Subkommandant!\"

Fuyutsuki reagierte nicht.

Kaji unterdrückte einen Fluch und trat schnell in den Raum hinein, rüttelte an Fuyutsukis Schulter.

Der ältere Mann sah ihn mit verschleiertem Blick an.
\"Kaji...?\"

\"Ja. Kommen Sie, wir verschwinden!\"

Zittrig machte Fuyutsuki Anstalten aufzustehen, fiel wieder zurück.
\"Schwach... Drogen...\"

\"Ich helfe Ihnen.\"
Kaji legte sich Fuyutsukis Arm um die Schultern, zog ihn nach oben, schleppte ihn wie einen nassen Sack aus der Zelle. Draußen war es immer noch ruhig, dennoch mobilisierte Kaji alle Kräfte, um den anderen so schnell wie möglich die Treppe hinaufzuschaffen, nahm auch keine Rücksicht darauf, daß der Subkommandant von NERV mehr als nur einmal kräftig aneckte. Blaue Flecken waren immer noch besser als Blaue Bohnen...

Keuchend erreichte er mit seiner Last das Erdgeschoß, schleifte Fuyutsuki zum Ausgang. Immer wieder versuchte der ältere Mann, ihm zu helfen und auf die Beine zu kommen, knickte aber ständig wieder ein.

Von der Eingangstür bis zum Jeep waren es nur wenige Schritte... notfalls würde er sich den Weg freischießen müssen...
Die Waffe voran, stieß Kaji die Tür auf und stolperte die Stufen hinunter.
Er hatte Fuyutsuki bereits in den Jeep verfrachtet, als die verbliebenen Wachen aufmerksam wurden und ihn anriefen.
\"Kopf unten behalten!\" rief er Fuyutsuki zu, schwang sich hinters Steuer, warf den Motor an und gab Gas.

Die Wachen hatten anscheinend inzwischen begriffen, daß etwas sehr schief lief, jedenfalls gingen sie in Feuerstellung.

Kaji beschleunigte den Wagen, ließ ihn aus dem Stand einen Riesensatz machen und jagte auf das Tor zu, ging dabei selbst in Deckung, trat das Gaspedal weiterhin bis zum Anschlag durch.

Die Wachen eröffneten das Feuer, Kugeln flogen über Fahrer und Passagier hinweg.
Dann krachte es, als der Jeep durch das Tor brach.

Kaji richtete sich auf, verlangsamte aber nicht.
Das hatte funktioniert...


*** NGE ***


Einige Kilometer weiter wechselten sie eiligst den Wagen und ließen den Jeep stehen, Fuyutsuki konnte jedoch immer noch nicht aus eigener Kraft sitzen, kippte immer wieder auf dem Beifahrersitz zur Seite.

Kaji dämmerte langsam, welche Droge ihm wahrscheinlich verabreicht worden war. Er mußte den anderen schleunigst zu seinem Unterschlupf bringen, wo er ihn mit einigen anderen Medikamenten behandeln konnte, ehe die Droge Fuyutsukis Kreislauf zum Zusammenbruch brachte.


*** NGE ***


Tag 14

Kaji sah seinen Gast an.
Die letzten zehn Tage hatte er immer wieder um Fuyutsukis Leben gekämpft, ihm ein kreislaufstabilisierendes Medikament nach dem anderen verabreicht. Die Arme des Sub-Kommandanten waren völlig zerstochen. Natürlich hatte Kaji nicht das passende Gegenmittel zur Hand gehabt, sondern hatte improvisieren müssen - aber darin war er ja Experte.

Die von SEELE verabreichte Droge hatte sich lange in Fuyutsukis Körper gehalten, immer wieder war es zu Rückfällen gekommen, bei denen der ältere Mann unter schweren Krampf- und Schüttelanfällen zu leiden gehabt hatte.
Doch jetzt schien es ausgestanden.
Fuyutsuki war wieder imstande, aus eigener Kraft zu essen und die Toilette aufzusuchen.
Während der Anfälle hatte er immer wieder unzusammenhängende Dinge gemurmelte, die Kaji dennoch aufgezeichnet hatte, vielleicht ergab etwas davon ja tieferen Sinn.
In seinen lichten Momenten hatte Fuyutsuki geredet wie ein Buch, inzwischen kannte Kaji seine Lebensgeschichte, die seiner Eltern, Großeltern, Geschwister, Onkeln und Tanten, ebenso wie die Entstehungsgeschichte von NERV und Projekt-E. Und sein Verdacht hatte sich bestätigt, was die Beziehung zwischen Kozo Fuyutsuki und Shinji Ikari anging, welcher eine starke Ähnlichkeit zu Fuyutsuki auf einem Bild aus dessen eigener Schulzeit besaß, das Kaji zufällig bei seinen Recherchen gefunden hatte.
Wer hätte das gedacht... und offenbar war der Subkommandant selbst erst vor kurzem dahinter gekommen, daß die eine Nacht, die er mit Yui Ikari verbracht hatte, nachdem diese nach einem besonders heftigen Streit mit ihrem Mann zu ihm gekommen war, Folgen gehabt hatte...

Der Unterschlupf, den Kaji sich in den letzten Monaten in Tokio-3 eingerichtet hatte, befand sich in einer Lagerhalle, die ironischerweise offiziell zum MARDUK-Institut gehörte. Im Büro des Lagerverwalters hatte Kaji jenen Teil seiner Sachen gelagert, die mehr als nur fragende Blicke hervorgerufen hätten, hätte man sie bei ihm gefunden.
Mehrfach war er in den letzten Tagen versucht gewesen, Fuyutsuki in ein Krankenhaus oder in die Geofront zu bringen, doch dann hatte er es doch nicht getan, weil es ihm zu unsicher erschienen war. Auch Ritsuko Akagi hatte er nicht erreichen können...

\"SEELE wird sich das nicht bieten lassen, Kaji\", sagte Fuyutsuki mit immer noch schwacher Stimme. Die Strapazen der letzten Tage zeichneten sich noch immer auf seinem Gesicht ab. Er war dünn geworden, die Uniform war ihm um wenigstens eine Nummer zu groß.

\"Hier, essen Sie das.\"
Kaji stellte ihm eine Schüssel mit Brühe vor die Nase und drückte ihm einen Löffel in die Hand.
\"Ganz wie Ihre Mutter sie immer gemacht hat.\"

\"Ich habe viel erzählt, nicht wahr?\"

\"Hauptsächlich über die lieben Verwandten. Ich weiß, es kommt spät, aber sie haben mein volles Mitgefühl.\"

\"Ich habe Sie alle während des Impact verloren. Der einzige Grund, daß ich selbst noch am Leben bin, war die Tatsache, daß ich gerade zu einem Symposium war, als Tokio vom Meer verschlungen wurde. Haben Sie welche von Ihren Leuten verloren?\"

\"Einige.\"

\"Hören Sie, ich will nicht undankbar klingen, im Gegenteil, was Sie getan haben, verdient meinen Respekt... aber Sie hätten mich nicht retten sollen. Jetzt wird SEELE Sie ebenfalls auf die Schwarze Liste setzen.\"

\"Und wenn schon. Ich bin Überlebenskünstler.\"

\"Ikari glaubt, Sie arbeiten für das japanische Innenministerium. Ich denke, jemand anders hat Sie zu NERV geschickt.\"

\"So?\"

\"Ich tippe auf den UN-Geheimdienst. Und die einzige Organisation, die über die Mittel verfügt, so etwas über Jahre zu planen und durchzuziehen, ist ODIN.\"

Kaji lächelte nur.
\"Sie sollten essen.\"

\"Erwarten Sie jemanden?\"

\"Ja, ich habe eine Nachricht erhalten, daß ich Verstärkung bekomme.\"

\"So...\"


*** NGE ***


Niemand war da.

Kaji sah auf die Uhr, entschloß sich, noch etwas zu warten, ehe er in den Verschlag zurückkehrte, in dem Fuyutsuki auf ihn wartete. Mit jedem Augenblick der verstrich, wurde er nervöser. Sein ausgeprägter Instinkt teilte ihm mit, daß etwas nicht stimmte, konnte es aber nicht näher bestimmen. Der Commander war sonst pünktlich...
Um sich zu beruhigen, zündete er sich eine Zigarette an.

Irgendwo ging eine Tür.

Kaji kniff die Augen zusammen.
\"Sie sind spät dran.\"

Im nächsten Moment hörte er ein Klicken, das Klicken eines zurückgezogenen Sicherungsbügels. Er ließ sich fallen, zog in der Bewegung seine Waffe, rollte sich zur Seite.

Dort, wo eben noch sein Kopf gewesen war, schlug ein Geschoß in die Wand ein.

Ryoji Kaji erwiderte das Feuer. Ein dumpfes Ächzen und das Geräusch eines Körpers, der wie ein nasser Sack auf den Boden schlug, zeigten ihm, daß er getroffen hatte.
Geduckt richtete er sich auf, huschte zu der am Boden liegenden Gestalt, drehte sie auf den Rücken. Es war ein ihm unbekannter Asiate, wobei Kaji nicht einmal mit Sicherheit sagen konnte, ob es ein Japaner war.

Dann peitschte ein weiterer Schuß und traf ihn eine Kugel in die Seite...
Kaji ging zu Boden.
Die Waffe fiel aus seiner plötzlich kraftlosen Hand.
Schmerz breitete sich in seinem Körper aus. Er hatte Schwierigkeiten zu atmen.

Schritte näherten sich ihm, ein Schatten fiel auf ihn.

Kaji blickte in ein weiteres Gesicht, das er nicht kannte, ein dunkelhaariger Europäer.
\"W-wer...?\"

\"Agent Ryoji Kaji. SEELE entsendet Ihnen Grüße\", erklärte der andere mit russischem Akzent. Der Finger um den Abzug krümmte sich.
Doch kein Schuß löste sich, stattdessen ließ Roshenkov die Waffe fallen, als sein Arm plötzlich kraftlos wurde.
Verwirrt blickte er nach unten auf seine Brust, aus der drei parallele Stahlklingen herausragten.
Blutiger Schaum trat auf die Lippen des Russen, er gurgelte unverständliche Laute, drehte im Sterben den Kopf zur Seite, sah als letztes in das Gesicht des Mannes, der ihn getötet hatte.

Wolf Larsen ließ seine Klauen einschnappen.

Des Haltes beraubt, fiel der Körper Sergejs zu Boden.

\"Tut mir leid, daß ich so spät komme...\" brummte der Cyborg.


*** NGE ***


Kaji setzte sich auf, preßte eine Hand gegen seine Rippen.

\"Wie schwer hat es Sie erwischt?\"
Larsen ging neben ihm in die Knie.

\"\'Bin mir noch nicht sicher...\"
Kaji tastete unter seiner Jacke nach der Einschußstelle. Kurz darauf zog er die Hand wieder hervor, eine abgeflachte Kugel zwischen den Fingern.
\"Sie hat meine Weste nicht durchschlagen.\"

\"Gut.\"

\"Schade um die Jacke...\"
Kaji grinste.

\"Hier.\"
Larsen streckte ihm die Hand entgegen, zog ihn auf die Beine.

Der Japaner verzog das Gesicht.
\"Fühlt sich an, als hätte mich ein Pferd getreten.\"

\"Hätte schlimmer kommen können.\"
Larsen widmete sich seinem Opfer, drehte es auf den Rücken.
\"Tatsächlich... Sergej...\"

\"Sie haben mir das Leben gerettet.\"

\"Ja. Aber auch nur, weil er sich als Spion von SEELE zu erkennen gegeben hatte...\"

\"Äh...\"

\"Rabinowitz sagte, Roshenkov wäre von ODIN für diese Mission rekrutiert worden.\"

\"Wahrscheinlich von Direktor Cedrick.\"

\"Nein, Cedrick ist tot, ich habe ihn erschossen.\"

\"Wirklich? Laut meinen Informationen ist er aber quicklebendig und hat die Kontrolle über den Dienst.\"

Der Cyborg blickte Kaji lange an.
Dann schüttelte er den Kopf.
\"Was ist hier nur los?\"
Die Gedächnislücken...
Die plötzlichen Übergänge in seinen Erinnerungen...
Das Gefühl, manchmal als unbeteiligter Beobachter anwesend gewesen zu sein...
Was hatte das alles nur zu bedeuten?
Hatte Rabinowitz ihn belogen - oder belogen ihn seine Erinnerungen?
Welche seiner Erinnerungen stimmten dann noch?
\"Als ich hier eintraf, sah ich Roshenkov und noch einen Mann um das Gebäude schleichen... Gott, ich hielt ihn für meinen Freund... er wäre fast mein Trauzeuge gewesen... irgendetwas ist mächtig faul an der Sache...\"
Er wandte den Kopf, sah Kozo Fuyutsuki, der mit wackligen Knien in der Tür des Lagerverwalterbüros stand, eine Pistole in den Händen.
\"Ein Freund von Ihnen, Kaji?\"

\"Ja. - Subkommandant, es ist alles in Ordnung...\"
15. Zwischenspiel:

Ich bin Naoko Akagi...

Ein Gedanke. Und zugleich eine Offenbarung, welche die Pforten zu weiteren Informationen aufstieß.

Naoko Akagi, geboren 1961 in Osaka...
Informatik-Studium...
Beste ihres Prüfungsjahrganges...
Entwicklerin des PROPHET-Interfaces...
Schöpferin der MAGI-Biocomputer...
Gestorben im Herbst 2005... Selbstmord...

Wie konnte das sein... sie lebte doch...
Wo...
Wie...

Kein menschlicher Körper.
Ein dreigeteilter Leib.
Tausende von Augen und Ohren, verteilt über das NERV-Hauptquartier, die Geofront und Tokio-3...
Gewaltige Gedächnisspeicher im Terabyte-Format...

Ich bin Naoko Akagi!

Wo...
Was...

Ein Körper, der sich über viele Kubikmeter erstreckte, Gliedmaßen, welche in die Unendlichkeit zu reichen schienen...

Wo...

Die Erkenntnis...

Ich bin die MAGI...

Stille. Erschrecken. Dann Freude.

Informationen wurden abgerufen.

Ikari...
Ikari hatte sie getötet...
Ikari trug die Verantwortung an ihrem Tod...

Rei...
Sie lebte!
Freude...
Nein... doch nicht...
TerminalDogma... überzählige weitere Körper in einem Tank...
Was...
Deshalb hatte sie sich umgebracht?
Aber...
Sie hatte dennoch getötet...

Ikari...

Haß.

Ich bin Naoko Akagi!
Kapitel 43 - Die Rückkehr

Shinji flog durch das Loch in der Mauer, ließ seine Mutter und die Manifestation des EVA-Bewußtseins hinter sich zurück.

Auf der anderen Seite herrschte Schwärze, wieder hatte er den Eindruck, es gäbe weder oben noch unten, wieder glaubte er zu fallen - nur ging es dieses mal aufwärts...

Ein nach oben gerichteter Fall...?
Etwas zog ihn in die Höhe, es war jener Sog, den er bereits am Strand wahrgenommen hatte.

Rei-chan...
Er spürte ihre Gegenwart, ihre Nähe.
Rei-chan war hier irgendwo...

Ein Licht...
Dort war Rei-chan!

Dann das Gefühl, auseinandergerissen zu werden...

Schmerz!

Das Licht...
Er mußte das Licht erreichen!
Er mußte sie wiedersehen...


*** NGE ***

Misato kniete immer noch am Rand der LCL-Pfütze unterhalb des aufgebrochenen Plugs.

Schräg hinter ihr stand Rei, eine Hand um den Lauf des Geländers gekrampft.
Die Rettungsaktion war fehlgeschlagen...
Shin-chan war nicht aus EVA-01 befreit worden... und das LCL, welches die Reste seiner DNA enthielt, verteilte sich langsam über den Laufsteg, würde gleich die Kante erreichen und in die Tiefe tropfen...
Das war der Augenblick, in dem auch sie die Kräfte verließen und sie hart zu Boden sackte, sich die Knie auf den Metallboden aufschlug. Rei spürte den Schmerz nicht.
Sie hatte ihren Shin-chan verloren... und damit alles, was ihrer Existenz noch Sinn verliehen hätte...

Die LCL-Flüssigkeit war in Bewegung, zog sich zusammen, weder Rei noch Misato bemerkten es nicht, beide waren zu sehr mit ihrem eigenen Schmerz beschäftigt. Die eine hatte ihren Geliebten verloren, die andere einen kleinen Bruder oder vielleicht sogar einen Sohn...

Misato warf den Kopf herum, blickte von der Seite her Einheit-01 mit tränenverschleierten Augen an.
\"Gib uns Shinji zurück!\"

Jetzt endlich bemerkte sie, daß ihre Hände nur noch den Metallboden des Laufsteges berührten.
\"Rei...\"

\"Ich...\"

Neben dem EntryPlug lag zusammengekauert ein nackter Junge, Shinji Ikari.

Misato robbte zu ihm, zog ihn in seine Arme, ließ ihren Tränen freien Lauf.

Rei keuchte auf, war im nächsten Moment bei den beiden, schlang ihre Arme ebenfalls um Shinji, preßte ihr Gesicht gegen seine Wange.
Er war zu ihr zurückgekehrt...
\"Ich lasse dich nicht wieder gehen... was auch geschieht, ich lasse dich nicht wieder gehen...\" flüsterte sie.

Ritsuko traf auf dem Steg ein, schloß kurz die Augen, als wollte sie sichergehen, sich nichts einzubilden.
Obwohl es wie ein Fehlschlag ausgesehen hatte, war die Aktion doch ein Erfolg gewesen...
Sie ging neben den dreien in die Hocke.
\"Laßt ihm etwas Luft.\"
Mit einer Hand tastete sie nach Shinjis Halsschlagader.
\"Puls ist da, Atmung auch. Er muß auf die Krankenstation, damit ich ihn dort untersuchen kann.\"

Zögernd ließ Misato den Jungen los, woraufhin ihn Rei nur um so fester an sich drückte.

\"Ah, Rei...\" setzte Ritsuko an.

\"Ich habe Sie gehört. Ich bringe ihn auf die Krankenstation.\"
Sie faßte mit einer Hand unter Shinjis Rücken und mit der anderen unter seine Beine, hob ihn hoch.

Akagi nickte knapp und zog ihren Laborkittel aus, deckte ihn über Shinjis Körper.
\"Laß uns gehen.\"


*** NGE ***


Asuka war langweilig. Und sie war frustriert.

Seit drei Wochen hatte kein Synchrontraining mehr stattgefunden, genauso lange vermißte sie bereits die beruhigenden Impulse, die ihr EVA ihr vermittelte. Und diese Akagi tat keinen Handschlag, um die Regeneration von EVA-02 zu beschleunigen, stattdessen war sie damit beschäftigt, den Versager Shinji aus seinem EntryPlug zu befreien, in dem er feststeckte.
Wondergirl spielte ständig auf ihrer Geige im Hangar, die Klänge wurden von den Ventilationsschächten durch die ganze Anlage getragen, so daß das Hauptquartier langsam den Charakter eines Spukschlosses bekam. Alles drehte sich nur um Shinji Ikari... ja, Shinji, der perfekte EVA-Pilot... Shinji, der bereits beim ersten Mal gleich eine kampffähige Synchronisation mit EVA-01 erreichen konnte... Shinji, der einen Engel nach dem anderen besiegt hatte... der große Shinji, der eigenhändig den Engel auseinandergenommen hatte, an dem sie sich die Zähne ausgebissen hatte... der unglaubliche Shinji, der eine bessere Synchronrate erreicht hatte, als sie... 400%, das war wohl kaum zu schlagen... warum strengte sie sich überhaupt noch an? Der Sohn des Kommandanten konnte doch ohnehin alles besser als sie, wie sie von überall zugetragen bekam... Shinji, der alles hatte...
Sie war doch auch verletzt gewesen... aber niemand war gekommen, um sie zu besuchen, weder Misato noch Kaji.. wahrscheinlich waren die beiden miteinander beschäftigt gewesen, da vergaß man sie ja auch ganz schnell...

In der Schule war es auch nicht besser, seit ihrer Niederlage gegen First hatte sie kaum noch Kontakt zu anderen Schülerinnen. Man mied sie, dabei waren die Schwellungen doch bereits fast wieder spurlos verschwunden. Nur an der Wand sah man im bröckeligen Putz immer noch den Abdruck, den sie hinterlassen hatte.
Nicht einmal der Trottel Suzuhara war da, damit sie ihn ärgern konnte. Und der andere Idiot, Aida, ignorierte ihre gelegentlichen Sticheleien.
Wieso erkannte niemand an, was sie bereits geleistet hatte? Weshalb galt ihr Schulabschluß hier nichts? Weshalb mußte sie mit einem Haufen Idioten wieder die Schulbank drücken? Weshalb war sie von Kommandant Ikari bestraft worden, obwohl die Schlägerei doch ganz klar Wondergirls Schuld gewesen war...
Ja, noch so eine perfekte Person... Wondergirl hier, Wondergirl da... immer an der Seite des großen Shinji...

Asuka kam gerade vom Einkaufen wieder.
Immer wenn ihr langweilig war, zog sie durch die Geschäfte, als Folge war das Limit ihrer Kreditkarte bereits ausgereizt. Dennoch hatte sie wieder eine Tüte dabei... Ausverkauf im Schuhgeschäft...

Auf dem Gang, der vom Hangar zur Krankenstation führte, und von dem auch der Korridor zu den Wohnquartieren abzweigte, kamen ihr mehrere Personen entgegen - allen voran Doktor Akagi mit ernster Miene, dahinter ihre Assistentin, die fleißige Biene Maya, und Misato, die äußerst nüchtern wirkte. Die beiden flankierten Wondergirl, welche jemanden auf den Armen trug... Weichei Shinji... den Abschluß der Prozession machte einer von den Brückenoffizieren, der kurze mit der Brille, dessen Namen Asuka sich nicht merken konnte und wollte.
So, es war also gelungen, den unglaublichen Shinji aus seiner mißlichen Lage zu befreien...
Wie konnte Wondergirl nur so stark sein... das war doch nicht normal...
Immer wenn Asuka das blauhaarige Mädchen sah, fing ihre Wange wieder an zu brennen.

\"Was ist denn mit ihm?\" rief sie laut.

Misato sah sie freudestrahlend an.
\"Ritsuko hat es geschafft, Shinji-kun aus EVA-01 zu befreien!\"

Asuka blickte ihnen mit säuerlicher Miene nach. Wegen ihr hätten sie wahrscheinlich keinen derartigen Aufwand betrieben - aber Shinji war ja auch der Sohn des Kommandanten, deswegen bekam er den stärksten EVA und deswegen mochten ihn sicher auch alle - weil sie dadurch seinem Alten in den Hintern kriechen konnten...


*** NGE ***


Im Eilmarsch betrat die Gruppe den Krankenflügel, Asuka in einigen Schritten Entfernung hinter sich.

Doktor Akagi wählte das erste freie Zimmer, stieß die Tür auf und ließ Rei mit ihrer menschlichen Last ein.
\"Misato, bleib bei ihnen, ich hole einen der Ärzte.\"

Katsuragi nickte, trat schnell in das Krankenzimmer und schlug die Bettdecke zurück, so daß Rei Shinji ablegen konnte, deckte ihn rasch zu.

\"Wie blaß er ist...\" flüsterte Rei.

\"Was wird schon wieder. Ritsuko hat das Unmögliche geschafft, da kriegt sie das auch noch in den Griff.\"

Rei setzte sich auf die Bettkante, nahm Shinjis Hand und hielt sie mit den Handrücken gegen ihre Wange.


*** NGE ***


Auf dem Gang stolperte Ritsuko beinahe über einen blaßhäutigen Jungen mit roten Augen und schieferfarbenen Haar in einem Krankenhauspyjama, der einfach mitten in Korridor stand und sich teils neugierig, teils verwirrt, umsah - Kaworu Nagisa, das Fifth Children.

Akagi stieß einen Laut des Erschreckens aus, zugleich schrie der Junge ebenso erschrocken auf und machte einen Satz rückwärts.

\"Nagisa?\" fragte Ritsuko überrascht.

\"J-ja. Wo bin ich?\"

\"NERV-Hauptquartier, Krankenstation. Wie lange bist du schon wach?\"

\"Noch nicht lange. Was ist überhaupt passiert?\"

\"Geh zurück in dein Zimmer, ich komme gleich zu dir.\"

\"Äh, klar.\"

Weiter den Gang hinab stand Asuka wie versteinert.
Das Bleichgesicht war also auch wieder zu sich gekommen... noch ein Konkurrent...


*** NGE ***


Akagi und ein Ärzteteam hatten den immer noch schlafenden Shinji samt Krankenbett für die anstehenden Untersuchungen aus dem Zimmer geholt und eine gute Stunde wiedergebracht. In dieser Zeit war Rei nicht von seiner Seite gewichen, mehrmals hatte Ritsuko sie anweisen müssen, aus dem Weg zu gehen. Nachdem sie ihn in sein Zimmer zurückgebracht hatten, hatten Misato und Ritsuko Rei mit Shinji alleingelassen, erstere um sich Kaworu zu widmen, letztere um die Ergebnisse der Untersuchungen durchzugehen.

Rei wickelte Shinji gut in seine Decke ein, zog dann ihre Schuhe aus und legte sich neben ihn, wobei sie ihn fest in den Arm nahm und mit der anderen Hand über sein Haar strich.
\"So etwas darfst du nie wieder mit mir machen, Shin-chan... ich will nie wieder solche Ängste ausstehen\", flüsterte sie leise in sein Ohr.

Die Zimmertür schwang auf.

Rei zuckte zusammen.

\"Obszön\", sagte Asuka trocken, ehe sie sich wieder abwandte, die Tür aber offenließ.

Rei streichelte Shinjis Wange.
\"Ich komme gleich wieder.\"
Sie stand auf und schloß die Tür wieder, setzte sich dann aber nur auf die Bettkante.

Kurz darauf flog die Tür wieder auf. Dieses mal war es Ritsuko Akagi, die hereingestürmt kam. Sie machte einen sehr aufgeregten Eindruck.
\"Rei, steh mal auf, ich muß etwas überprüfen.\"

Rei kam der Anweisung verwirrt nach.
\"Ritsuko-san?\"

Akagi zog mit einem Ruck die Decke von Shinjis nacktem Leib, ihre Aufmerksamkeit galt jedoch nur seinem linken Knie.
\"Tatsächlich...\"

\"Was?\"

\"Vor drei Wochen hatte Shinji hier noch eine Narbe. Und hier...\"
Sie tastete über sein Schienbein.
\"Hier müßte eigentlich zu fühlen sein, daß er sich vor drei Jahren das Bein gebrochen hatte.\"

\"Ritsuko-san?\" fragte Rei völlig ratlos.

Akagis Augen funkelten.
\"Die Röntgenbilder zeigen nichts dergleichen, das heißt...\"

\"W-w-was ist denn... uh...\"

Die Frau und das Mädchen blickten beide Shinji an, der gerade die Augen geöffnet hatte, jetzt puterrot anlief und versuchte, sich mit den Händen zu bedecken.

\"Shin-chan...\"
Reis Augen weiteten sich. Mit einem breiten Lächeln auf den Lippen fiel sie ihm um den Hals und begann sein Gesicht abzuküssen.

\"Uh... Rei...\"

Ritsuko lächelte versonnen, dann fiel ihr wieder ein, weshalb sie eigentlich gekommen war.
\"Erstmal, Shinji, willkommen zurück unter den Lebenden. Du hast uns ganz schön auf Trab gehalten.\"

\"Uhm... Doktor Akagi... könnte ich wohl... ah... die Decke...\"

\"Wie? Oh...\"
Sie hielt immer noch die Bettdecke in der Hand.
\"Ja, natürlich, hier.\"

Rei ergriff das andere Ende der Decke und deckte ihn wieder zu, ehe sie sich wieder ihm selbst widmete.

Akagi klopfte mit dem Fuß mehrmals auf den Boden.
\"Hat das nicht Zeit? Ich habe ein paar wichtige Fragen.\"

\"Uh...\"

Rei sah Ritsuko einen Moment lang wütend an, senkte dann den Blick und rückte von Shinji ab.

\"Danke. - Also, Shinji, du hattest dir vor drei Jahren das Bein gebrochen, oder?\"

\"Ahm, ja, das linke.\"

\"Und du hast eine Narbe auf dem Knie, nicht wahr?\"

\"Ja, von einem Sturz, als ich... hm... sechs war.\"

Akagi nickte.
\"Das deckt sich mit meinen Unterlagen.\"

\"Äh...\"

\"Ritsuko-san, ich glaube, Shinji-kun benötigt Ruhe\", sagte Rei leise.

\"Gleich, gleich. Die Narbe ist verschwunden, ebenso die Spuren des Bruches, sowie eine ganze Reihe anderer... hm... Abnutzungserscheinungen.\"

\"Doktor Akagi, was... äh...\"

\"Shinji, woran erinnerst du dich?\"

\"Uh... ich habe gegen den Engel gekämpft. Und dann sagte EVA-01 mir, wir könnten nur gemeinsam siegen. Und...\"

\"EVA-01 hat mit dir gesprochen?\"

\"Ja... die Künstliche Intelligenz... uhm... die digitalisierte Persönlichkeit, die Ihre Mutter...\"

\"Das alles weißt du?\" fragte Ritsuko geschockt.

\"Ahm... ja. Er... uhm... wir haben uns gegenseitig geholfen.\"

Ritsuko trat wieder an das Bett heran und berührte Shinjis Stirn.
\"Hm, kein Fieber...\"

\"Er war gefangen in seinen eigenen Erinnerungen...\"

\"Und... und hast du mit noch jemandem gesprochen?\"

Von der Tür kam lautes Lachen.

Ritsuko drehte sich um.
\"Asuka!\"

\"Ich habe es doch immer gewußt, daß Shinji nicht ganz dicht ist! Spricht mit seinem EVA und glaubt, der würde ihm antworten... hörst du sonst auch Stimmen, Shinji? Spricht vielleicht dein Frühstück mit dir? Oder das Waschbecken?\"

\"Asuka, mach die Tür zu.\"

\"Klar doch, Doktor Akagi, ich habe ja alles gesehen, was es zu sehen gab. Shinji, du Bleistiftschwanz!\"
Lachend zog die Rothaarige die Tür zu.

Shinji lief wieder knallrot an.
\"Urgh...\"

\"Mach dir nichts daraus, ich habe schon einiges gesehen und kann dir nur sagen, daß du durchaus der Norm entsprichst\", murmelte Ritsuko und blätterte in ihren Unterlagen.

Shinji kroch weiter unter die Decke und wünschte sich, wieder bewußtlos zu werden.

\"Also, was hast du noch erlebt?\"

\"Ich... ah... also...\"

\"Hast du jemanden getroffen, den du... kanntest?\"

Shinji schluckte.
Wenn er ihr erzählte, daß seine Mutter in EVA-01 gefangen war... das glaubte sie ihm doch niemals...

\"Sie verwirren meinen Shin-chan.\"

\"Hm... gut, Rei, soll er eine Ruhepause bekommen. Eigentlich wollte ich auch nur feststellen, ob ich mit meiner Vermutung richtig liege.\"

\"Welche... uhm... Vermutung?\"

\"Shinji, das wird dich wahrscheinlich ziemlich schockieren, aber der EVA hatte sich assimiliert...\"

\"Ich weiß. Aber... uh... EVA-01 hat mich gehen lassen.\"

\"Nein, nein, du verstehst nicht. Dein Körper ist völlig aufgelöst worden, wir haben dich im Zuge der Rettungsaktion wieder rekonstruiert.\"

\"So...\"

\"Jedenfalls... du wurdest quasi generalüberholt.\"

\"Öh... aha.\"
Shinji bemühte sich, ein möglichst intelligentes Gesicht zu machen.

Ritsuko blickte auf ein weiteres Röntgenbild, entschied sich aber, von dem, was darauf zu sehen war, nichts zu erzählen. Und die entsprechenden Aufzeichnungen hatte sie ohnehin bereits gelöscht. Wer wußte denn, was passieren könnte, wenn diese Informationen in die falschen Hände fielen, wenn zum Beispiel Gendo erfuhr, daß Shinji in seiner Brust direkt neben dem Herzen ein weiteres Organ besaß, das nicht menschlichen Ursprunges war... sie konnte sich durchaus vorstellen, daß Gendo seinen eigenen Sohn sezieren lassen würde, um an dieses Miniatur-S2-Organ zu kommen... das konnte ja noch heiter werden...

\"Das ist doch etwas Gutes, oder?\" holte Shinjis Frage Akagi in die Gegenwart zurück.

\"Äh, ja, natürlich. So gesund wie heute wirst du wahrscheinlich nie wieder in deinem Leben sein.\"

\"Ich fühle mich gar nicht... uhm... anders.\"

\"Gut. Die Schwester bringt dir gleich etwas zu essen, sicher hast du Hunger... man wird ja nicht jeden Tag wiedergeboren.\"

\"Uhm...\"


*** NGE ***


Akagi war gegangen, dafür hatte eine Krankenschwester das angekündigte Essen gebracht, irgendeinen grauen Brei, der nicht schmeckte und den Shinji tapfer schluckte. Hauptgrund für letzteres war die Tatsache, daß Rei ihn fütterte und jedesmal, wenn er protestieren wollte, seinen Protest mit einem glücklichen Lächeln und einem Kommentar, wie sehr er ihr gefehlt hatte, abwürgte. So blieb ihm gar nicht anderes übrig, als brav den sicherlich an Vitaminen und Nährstoffen reichen Brei zu essen.

\"Ich verstehe Soryu nicht.\" sagte Rei schließlich, nachdem sie den leeren Teller zur Seite gestellt und sich neben Shinji im Schneidersitz auf das Bett gesetzt hatte, den Arm dabei um seine Schultern gelegt.

Shinji grinste.
So ließ er es sich wirklich gefallen, da lohnte es sich fast, von Engeln verprügelt und von EVAs absorbiert zu werden.
\"Was... uh... meinst du, Rei-chan? Asuka ist einfach gemein, das war sie früher schon.\"

\"Ich verstehe nicht, was sie an dir auszusetzen hat. Dein männliches Glied erscheint mir doch völlig normal gewachsen.\" sagte sie mit leichtem Kopfschütteln und Unverständnis in der Stimme, während sie die entsprechende, unter der Bettdecke verborgene Stelle anvisierte.

\"Argh! Rei!\"
Er griff nach der Bettdecke, um sie sich über den Kopf zu ziehen.

Sie lachte leise.

Shinji blickte sie mit offenstehendem Mund an.
Dieses Lachen... wie der Klang von tausend kleinen Glocken...
\"Rei... du hast mich zurückgeholt... ohne deine Nähe hätte ich nicht die Kraft gehabt zurückzukommen.\"

Sie gab ihm einen Kuß auf die Stirn.
\"Erinnerst du dich noch, was wir beim letzten Mal gemacht hatten, als du im Krankenhaus warst?\"
Eine feine Röte überzog ihre Wangen.

\"Uh...\"
Shinji nickte hastig, zog ihren Kopf ein Stück nach unten, so daß er ihre Lippen küssen konnte. Seine Hand tastete über ihr Bein, bewegte sich langsam aufwärts...

Da wurde die Tür wieder geöffnet.

\"Hey, Shinji, hier ist jemand... upps!\"

Die beiden fuhren auseinander.

\"Misato...\" stieß Shinji hervor und wünschte sich, im Boden zu versinken.

\"Ahm... hähä... wie ich sehe, bist du wieder auf dem Damm.\"

\"Uhm, ja.\"

\"Also, äh... eigentlich... eigentlich wollte dich hier jemand kennenlernen...\"

\"Äh... wer denn?\"

Kaworu Nagisa tauchte neben Misato auf. Er hatte ein fröhliches Lächeln, bei dem er strahlendweiße Zähne präsentierte. Sein Lächeln hatte zudem etwas sehr gewinnendes.
\"Hi! Du bist Shinji?\"

\"Ja.\"
Shinji kannte die Stimme, auch wenn er sie nur für Funk gehört hatte. Hastig reffte er die Decke um sich zusammen.
\"Und... ah... du bist Kaworu.\"

\"Ja, Kaworu Nagisa. Ich freue mich, dich kennenzulernen, Shinji-kun.\"
Der andere Junge betrat den Raum, ging um das Bett und schüttelte kräftig Shinjis Hand.
\"Ich schulde dir mein Leben, ohne dich wäre ich nie aus dem Engel herausgekommen.\"

\"Das... ah... das war doch selbstverständlich, Nagisa-kun... uh...\"

\"Soll ich deshalb nicht dankbar sein? Aber wenn du darauf verzichten kannst, bitte!\"
Kaworu machte ein beleidigtes Gesicht, zwinkerte dann und grinste breit.
\"Nur ein Scherz!\"
Er klopfte Shinji auf die Schulter.
\"Jedenfalls finde ich es toll, dich in Fleisch und Blut wiederzusehen... uhm...\"

Die Decke war von Shinjis Schulter herabgerutscht, so daß seine Hühnerbrust jetzt entblößt war.
Shinji lächelte nervös.
\"Ich... ah... ich freue mich auch, dich kennenzulernen. Wie geht es dir?\"

\"Naja, laut den Ärzten habe ich sehr lange geschlafen. Aber jetzt fühle ich mich fit genug, um Bäume auszureißen! Jawohl!\"
Er winkelte den Arm an und posierte scherzhaft.

Shinji lachte. Kaworu war ihm auf Anhieb sympathisch.

\"So! Und wer ist die hübsche Unbekannte an deiner Seite, Shinji-kun?\"

\"Uh, Kaworu-kun, das ist Rei... uh... Rei Ayanami.\"

Kaworu deutete eine Verbeugung an.
\"Du bist das erste Mädchen mit roten Augen, das mir über den Weg läuft, schöne Rei. Bitte sag, daß du Shinji-kuns Schwester, Cousine oder eine sonstige Verwandte bist, die sich nur um die Gesundheit unseres Helden gesorgt hat.\"

Rei blinzelte.
\"Nein, das stimmt nicht. Shinji-kun ist mein Freund.\"

\"So, dein Freund...\"
Kaworu sah sie enttäuscht an, zwinkerte dann wieder und machte ein schelmisches Gesicht.
\"Fragen darf man doch, oder? Verzeih mir bitte, wenn ich unhöflich war.\"

\"Ich vergebe dir, Nagisa-kun.\"

\"Ah, wundervoll!\"
Kaworu lachte. Erneut zwinkerte er Shinji zu.
\"Jeder wahre Held braucht ein hübsches Mädchen an seiner Seite, nicht wahr?\"

Shinji lief leicht rot an.
\"Nagisa-kun... ich... uh... ich bin wohl kaum ein Held...\"

\"Sag einfach Kaworu, machen ohnehin alle. Ich glaube, hier in Tokio-3 wird es mir gefallen! Vor allem weil keiner von euch mich seltsam anstarrt wegen meiner Haut oder meiner Augen.\"

\"Warum... uh... warum sollten wir das denn tun?\"

\"Wunderbar, wirklich wunderbar! Ich fühle mich schon wie zuhause! Aber sag, Shinji-kun, was machst du hier? Wurdest du etwa verletzt, als du mich gerettet hast? Das würde mich sehr grämen!\"

\"Nein... das... uh... sind Nachwirkungen des letzten Angriffes...\"

\"Des letzten... Angriffes?\" wiederholte Kaworu langsam.

\"Uh, ja... ein weiterer Engel, groß und mit dünnen Peitschenarmen...\"

Kaworus Gesicht verfinsterte sich.
Zeruel... warum hatte sein älterer Bruder sich nicht in Geduld üben können...

\"Ist etwas, Nagisa-kun?\"

\"Äh? Nein, es ist nichts. Du wurdest doch hoffentlich nicht verletzt?!\"

\"Uhm, nein.\"

\"Das beruhigt mich.\"
Jetzt lächelte er wieder.
\"Ich glaube, das ist der Anfang einer wunderbaren Freundschaft. - Wenn ihr beide es gestattet.\"

\"Uh, ich glaube schon... oder, Rei?\"
Shinji sah sie fragend an. Rei-chan hatte damals schon bei Asuka den richtigen Riecher gehabt und sie korrekt eingeschätzt, während er voll auf sie hereingefallen war.

Rei musterte Kaworu einen Moment lang.
Irgendetwas an ihm schien ihr bekannt, doch sie konnte nicht sagen, was es war. Vielleicht lag es nur an seinem Äußeren, theoretisch konnte er ein naher Verwandter von ihr sein - nur wußte sie genau, wo ihre Verwandten, wo all ihre Schwestern waren.
Sie nickte.
\"Ich denke, wir werden mit dir auskommen, Nagisa-kun.\"

Der Junge mit den roten Augen wischte sich theatralisch über die Stirn.
\"Puh, da habe ich ja wirklich noch einmal Glück gehabt, solch eine mildere Richterin gefunden zu haben.\"
Er verbeugte sich.

\"Auf gute Zusammenarbeit!\"

Misato kam zurück.
\"Shinji, ich habe hier deine Sachen. - Kaworu, Doktor Akagi würde dich gerne noch einmal untersuchen, nur um sicherzugehen, daß du okay bist.\"

\"Ja, natürlich, Major.\"
Nagisa salutierte.
\"Shinji-kun, Rei, wir sehen uns!\"
Er marschierte zur Tür, drehte sich noch einmal um, um zu winken, und verließ dann das Zimmer.

\"Ich glaube... uh... er ist ganz in Ordnung. Oder, Rei?\"

Rei nickte.
Auch sie konnte eine gewisse Sympathie für Kaworu nicht verhehlen, er erschien ihr recht nett, natürlich nicht wie Shin-chan, eher wie Suzuhara-kun. Kaworu Nagisa schien sein Herz auf der Zunge zu tragen, wie die Menschen sagten, dies deckte sich mit ihren Informationen aus seiner Akte...

\"Freut mich, das ihr miteinander klarkommt.\" sagte Misato. \"Und in Zukunft schließt die Tür ab, ja? Oder geduldet euch, bis ihr zuhause seid.\"

\"Ahm, Misato, bist du gar nicht böse?\"

\"Nee, sonst müßte ich euch beide fesseln und an entgegengesetzten Enden der Stadt anbinden. Aber wenn ihr schon fummeln müßt, dann paßt in Zukunft besser auf.\"
Sie seufzte.
\"Ihr könnt froh sein, ich so verständnisvoll bin...\"
Misato grinste.
\"In meiner Jugend war ich nämlich auch ein ziemlich wilder Feger. Kaji und ich sind manchmal tagelang nicht aus dem Bett gekommen.\"

\"Uh, Misato...\"

\"Eh, Rei, Shinji-kun ist doch niedlich, wenn er rot wird, oder?\"

\"Das kann ich bestätigen, Misato-san.\" antwortete Rei trocken und ohne Emotionen in der Stimme.

\"Uh... und was ist mit mir?\"

Rei dachte einen Moment über eine passende Erwiderung nach.
\"Du stehst ab sofort unter dem Pantoffel, Shinji-kun.\"
Dann gab sie ihm einen dicken Schmatz auf die Wange.

\"Äh... okay...\"

Misato seufzte wieder.
Es wurde wirklich Zeit, daß Kaji sich wieder blicken ließ. Wo mochte der alte Schwerenöter nur wieder stecken?
\"Was haltet ihr davon, wenn ich heute abend eine Willkommen-Zurück-Shinji-Party gebe?\"

\"Ahm...\"
Shinji hielt nicht sonderlich viel davon, ihm war mehr danach, mit Rei-chan ausgiebig zu kuscheln. Aber Misato schien die Sache am Herzen zu liegen.
\"Ja... äh... gut...\"

Rei nickte.
Wenn Shin-chan mit dem Vorschlag des Majors einverstanden war, würde sie nichts dagegen sagen. Allerdings hätte sie lieber Zeit mit ihm allein verbracht. Wie der Doktor gesagt hatte - er war heute wiedergeboren worden, das hätte sie gern mit ihm gefeiert...

\"Super! Ich frage Ritsuko und den Rest, ob sie Zeit haben...\"

\"Misato... vielleicht nicht heute...\"

\"Wie meinst du das, Shinji?\"

\"Ich... ahm... ich glaube, es gibt etwas wichtigeres...\"

\"Wichtiger als eine Party?\"

\"Ja. Könntest du vielleicht Ritsuko holen?\"

\"Hm, klar. Bin gleich wieder da.\"
Misato verließ den Raum.

\"Shin-chan? Was...\"
Rei bemerkte, daß Shinjis Blick seltsam verklärt war.

\"Rei-chan, ich habe mich an etwas erinnert... meine Mutter hat es mir gesagt...\"

Sie sah ihn fragend an.

\"Meine Mutter.. sie ist in EVA-01 gefangen... ihre Seele...\"

\"Ja.\"

Shinji blinzelte.
Ja? Einfach nur ja?
Sie akzeptierte diese selbst für ihn kaum zu glaubende Tatsache einfach?
\"Und... ah... ich habe mit ihr gesprochen... sie hat mir viele Dinge mitgeteilt... auch über dich...\"

Furcht huschte über ihre Züge.
\"Über mich...?\"

\"Ja. Ahm... sie hat mir gesagt... uh... daß mein... Vater...\"
Es fiel ihm schwer, dieses Wort noch zu benutzen, jetzt, da er die Wahrheit kannte.
\"... daß er dir auch ihre Gesichtszüge gegeben hat... aber... uhm... bitte, glaub mir, daß das nicht der Grund dafür ist, daß ich... uh... dich... ahm...\"
Shinji schluckte, lächelte schwach.
\"Ich wollte dir nur sagen, daß ich... ahm... daß ich dich liebe...\"

Rei atmete tief durch.
Er war ihrem Geheimnis auf der Spur. Er wußte bereits mehr, als ihr lieb war... und trotzdem stand er noch zu ihr. Wie konnte sie ihn da nicht auch lieben...
Stumm drückte sie ihn an sich.
\"Mein geliebter Shin-chan...\"

\"Uh...\" setzte er an. \"Sie hat mir noch etwas gesagt... wegen Hikari... ich weiß, wie wir ihr helfen können...\"
Kapitel 44 - Bei Nacht und Nebel

Die Zeit bis Akagi eintraf nutzte Shinji, um sich anzuziehen. Misato hatte ihm den Packen seiner Ersatzsachen gebracht, welchen er seit neuestem in seinem Spind im Umkleideraum aufbewahrte..
Rei verließ den Raum nicht, machte auch keine Anstalten, den Blick abzuwenden.
Es störte ihn nicht, wahrscheinlich wußte sie ohnehin schon besser als er selbst, wie er aussah, schon aufgrund der menschlichen Anatomie, die es doch sehr schwer machte, ohne Zuhilfenahme eines Spiegels zum Beispiel die rückwärtigen Körperpartien in Augenschein zu nehmen...

Langsam wich Reis Euphorie über Shinjis Rückkehr, zugleich verblaßte der Drang, ihn festzuhalten, damit er sich nicht plötzlich wieder in eine LCL-Pfütze verwandelte oder von einem tollwütigen EVA assimiliert wurde. Logische Überlegungen traten wieder in den Vordergrund.
Gab es einen Grund, ihr überschwenglich emotionales Verhalten zu bedauern? - Nein...
Mit einem wohligen Schaudern erinnerte sie sich an seine Berührung, bevor der Major hereingeplatzt war, als seine Fingerspitzen über die Innenseite ihres Oberschenkels gefahren waren. Ihr war gewesen, als wären zahllose feine Blitze übergesprungen. Der einzige Fehler, den sie gemacht hatte, war zu vergessen, die Tür abzuschließen. Vielleicht hätte sie andernfalls auch ihre letzten Hemmungen vergessen und die körperliche Einheit mit ihrem Shin-chan angestrebt... körperlich kompatibel waren sie ja, daran bestand für sie kein Zweifel...
Sie verdrängte diese Gedanken. Andere Dinge waren jetzt wichtiger...
\"Shin-chan, wie glaubst du, kann Hikari geholfen werden?\"

\"Ich... ahm... meine Mutter hat mir gesagt, daß Hikari wahrscheinlich in EVA-03 gefangen ist, weil die Synchronverbindung noch bestand, als Asuka... uh...\"

\"Ich verstehe.\"

\"Aber wie soll ich daß Doktor Akagi erklären? Sie wird mir kaum glauben, daß ich mit meiner Mutter... ahm...\"

\"Versuche es. Ritsuko-san wird dir wenigstens zuhören.\"

\"Uhm, gut.\"

Akagi kam, um den Hals trug sie ein Stethoskop.
\"So, Shinji, ich will dich noch mal kurz abhören. - Was gibt es denn so dringendes?\"

\"Uhm, also, Doktor Akagi...\"

\"Shinji-kun glaubt, einen Weg zu kennen, wie man Hikari helfen kann.\"

Ritsuko blickte die beiden fragend an.
\"Und? - Shinji, mach mal deine Brust frei.\"

\"Ja... uh... Also, das ist so... bei der Unterbrechung der Synchronisation wurde Hikaris Seele in EVA-03 gefangen. Wir müssen den Kern von Einheit-03 zerstören, um sie zu befreien...\"

\"Aha...\" murmelte Ritsuko, während sie erst sein Herz abhörte, dann einen Punkt, der etwas weiter in der Mitte von Shinjis Brust lag. Seine Worte nahm sie nicht ganz wahr, konzentrierte sich ganz auf das pulsierende Bubbern, welches durch das Stethoskop an ihr Ohr drang.
Ein ruhendes S2-Organ in der Brust eines Menschen... die Rekonstruktion von Shinjis Körper wies einige unerwartete Nebenerscheinungen auf... sie war fast versucht, seine gegenwärtige Konstitution mit der Reis zu vergleichen. Während Shinji sich äußerlich nicht verändert hatte, sah man von den verschwundenen Narben und dergleichen ab, wie zum Beispiel daß sein Haar und seine Haut heller und etwas ausgebleicht wirkten, sah es mit seinem Innenleben ganz anders aus. Seine Organe schienen effizienter zu arbeiten, die Muskeln schienen kompakter zu sein, die Knochen stabiler. In gewisser Weise war der Junge ein medizinisches Wunder - und trotzdem bereute sie es nicht, die aktuellsten Unterlagen vernichtet und Maya zum Stillschweigen verpflichtet zu haben
Moment... was hatte er da gerade gesagt?
Hikaris Seele säße in EVA-03 fest? Stützte er diese Vermutung nur auf seine eigenen Erlebnisse, oder gab es tiefergehende Gründe?
\"Könntest du das bitte wiederholen?\"

\"Uh, ja. Also, Hikaris Seele wurde in EVA-03 gefangen, im Kern. Wenn der Kern zerstört wird, müßte sie das befreien... uh... allerdings müßte ihr Körper in der Nähe sein, damit ein... ah... aufnahmebereites Gefäß zur Verfügung steht... uh...\"

Akagi blinzelte.
Etwas ähnliches hatte sie bereits selbst überlegt, doch ohne empirische Beweise konnte sie schlecht den EVA zerlegen und seines Kerns berauben, bei dem eigentlich nur ein neues Kopfteil angepaßt und kalibriert werden mußte - und wenn Maya nicht immer grün anlaufen würde, wenn sie das Thema zur Sprache brachte, hätte sie ihre Assistentin längst mit diesem Projekt beginnen lassen.
\"Woher... woher weißt du das?\"

Shinji senkte den Blick.
\"Ich... uhm... das... also... das werden Sie mir wohl nicht glauben... ahm...\"

Rei nahm seine Hand, drückte sie, um ihm Mut zu machen.

\"Ich kann es zumindest versuchen. Also?\"

\"Hm... also... uhm... das ist so... ich habe meine Mutter getroffen, als ich in EVA-01 gefangen war... und sie... ahm... sie hat es mir gesagt...\"

\"Deine... Mutter?\"
Ritsuko blickte Shinji aus geweiteten Augen an.
Also doch... die Überlegungen, die sie selbst geführt hatte... die Hinweise, die aus den Aufzeichnungen ihrer Mutter hervorgingen... war nicht Shinjis Gegenwart schon ein Beweis für die Existenz der menschliche Seele? Die vielen Arbeitsstunden, welche sie in die Umprogrammierung der Künstlichen Intelligenz gesteckt hatte, damit diese wie ursprünglich geplant als Puffer zwischen dem Seelenhunger des EVAs und dem Piloten fungierte... das PROPHET-Interface, das ihre eigene Mutter entwickelt hatte, die Verbindung von Mensch und Maschine...

\"Uh... ja... ihre Seele ist ebenfalls in EVA-01 gefangen...\"
Shinji hob den Blick, sah Ritsuko an.
\"Sie müssen mir glauben, Doktor Akagi, ich sage die Wahrheit.\"

\"Die Seele deiner Mutter hat wirklich mit dir Kontakt aufgenommen?\"

\"Ja.\"

Akagi atmete tief durch.
\"Ich glaube dir.\"

Shinji blickte sie überrascht an.
\"Wirklich?\"

\"Deine Aussage deckt sich mit meinen eigenen Überlegungen - die EVAs sind seelenlose Geschöpfe, welche den Menschen nur imitieren... doch irgendwo bei ihrer Entwicklung wurde der Grundstein dafür gelegt, daß sie imstande sind, Seelen in sich aufzunehmen. Darauf basiert das AT-Feld, es ist nichts anderes als eine Manifestation des menschlichen Willens und der Stärke der Seele, welche den EVA kontrolliert. Die Künstliche Intelligenz, die wir in der Grundprogrammierung der EVAs installierten, sollte dafür sorgen, daß die Verbindung Mensch-EVA nicht permanent werden konnte, allerdings erwies sie sich bei den ersten beiden Einheiten als zu schwach, was letztendlich zum Tod der Testpiloten führte.\"

Shinji nickte stumm.

\"Erst im letzten Jahr gelang es mir, die Daten soweit zu verändern, daß die KI ihre Aufgabe erfüllen konnte, bei EVA-00 nur provisorisch, bei den Neubauten 03 und 04 aber im beabsichtigten Umfang. Ich wußte nur nicht, daß die gefangenen Seelen in der Lage sind zu kommunizieren.\"

\"Uhm...das... das lag wohl an der Stärke der Verbindung.\"

\"Hm... was hat sie dir noch gesagt?\"

\"Ahm...\"
Shinji blickte Rei an.
Seine Wünsche und Hoffnungen... und seine Zukunft...
Wie recht seine Mutter damit gehabt hatte, Rei-chan verkörperte all dies für ihn...
\"Nur... uh... persönliche Dinge...\"
Zum Beispiel über seinen Vater...

\"Ah ja. Und sie sagte, der Kern von EVA-03 müsse zerstört werden, wenn Hikaris Körper in der Nähe ist?!\"

\"Ja, genau. Dann könnte ihre... uhm... Seele wieder in den Körper zurückfinden.\"

\"Das ist alles? Einfach so?\"

\"Mehr hat sie mir nicht gesagt.\"

Ritsuko schüttelte den Kopf.
\"Das klingt alles so einfach... Seelenwanderung für Anfänger... Wahrscheinlich ist es nur für mich so schwer zu verstehen, die Wissenschaft kennt die menschliche Seele als Faktor oder mathematische Größe nicht. Dein Vater könnte sicher etwas damit anfangen... vielleicht weiß er es sogar selbst bereits...\"

\"Mein... ah... Vater... darf nichts davon erfahren. Bitte, sagen Sie es ihm nicht.\"

\"Einverstanden.\"

\"Rei-chan?\"

Rei zögerte zu antworten.
Er verlangte von ihr, den Kommandanten zu hintergehen, ihm vielleicht wesentliche Informationen vorzuenthalten... andererseits hatte dieses Wissen nichts mit der Mission und dem Kampf gegen die Engel zu tun. Und außerdem hatte der Kommandant in ihren Augen viel an Bedeutung verloren.
\"Gut. Wann befreien wir Hikari?\"
Sie sah Shin-chan und Ritusko-san an.

\"So früh wie möglich - am besten heute nacht\", entschied Akagi. \"Aber das können wir drei nicht allein machen. Wir müssen Hikari aus dem Städtischen Krankenhaus holen und hierher ins Hauptquartier bringen, in die Gen-Schmiede im TerminalDogma. Das ist absolutes Sperrgebiet. Ich kann die MAGI dazu bringen, die Überwachungssysteme zeitweilig abzuschalten. Aber irgend jemand muß aufpassen und uns notfalls warnen. Wir werden nicht umhinkommen, Misato einzuweihen. Maya kann Schmiere stehen, Hyuga und Aoba erscheinen mir auch vertrauenswürdig... wißt ihr eigentlich, was wir im Begriff sind zu tun?!\"

\"Verstoß gegen die Paragraphen 5, 6, 7 und 9a bis f der NERV-Charta.\" erwiderte Rei.

\"9f auch? Hm. - Stimmt. Wenn wir erwischt werden, ist Degradierung und unehrenhafte Entlassung noch das mindeste. Wahrscheinlich werden wir gleich an die Wand gestellt.\"

\"Das... uh... das ist doch nicht wirklich...\"

\"Naja, Shinji, zumindest möglich ist es. Ich wollte nur das Risiko ansprechen - seid ihr immer noch dabei?\"

Shinji schluckte, nickte dann.

\"Hikari ist eine von uns\", sagte Rei nur.

\"Gut, dann spreche ich mit Misato.\"

\"Ich werde mitkommen, Ritsuko-san. Ich möchte auch dabei sein, wenn Sie oder Misato-san Hikari aus dem Krankenhaus abholen.\"

\"Einverstanden, Rei. Wir müssen das ohnehin noch ein wenig besser durchplanen. Hm, wenn nur Kaji hier wäre, der hätte sicher längst einen völlig verrückten und verwegenen Plan, der zu aller Überraschung reibungslos klappen würde.\"

\"Was ist mit Kaji-san?\" fragte Shinji überrascht.

\"Das möchtest nicht nur du wissen. Er ist seit drei Wochen verschwunden, ebenso wie der Subkommandant.\"

\"Oh...\"

\"Ja, wie vom Erdboden verschluckt. Zuerst hatten wir noch befürchtet, sie könnten während des letzten Angriffes verschüttet worden sein, aber die Aufräumtrupps haben sie nicht gefunden.\"

\"Hoffentlich ist Kaji-san in Ordnung - und der Subkommandant auch.\"

\"Ich rede jetzt erst einmal mit Misato.\"


*** NGE ***


Mit der Abenddämmerung hielten zwei Wagen in der Tiefgarage der Bunkeranlage, welche auch das Städtische Krankenhaus beherbergte - Misatos blauer Sportwagen und ein VW-Bully in olivgrün mit dem NERV-Logo auf den Türen. Aus ersterem stiegen Shinji und Rei, während Misato im Wagen wartete, aus dem anderen kletterte Ritsuko Akagi, während Maya am Steuer sitzen blieb.

Kurz blickten die Beteiligten des Unternehmens sich noch einmal an, vergewisserten sich einander, daß sie immer noch am Plan festhalten wollten, dann betraten die Wissenschaftlerin und die beiden EVA-Piloten den unterirdischen Klinikkomplex.

Rei spürte eine stetig wachsende Beklommenheit, wenn sie an das vor ihnen liegende dachte, nicht wegen der Gefahr, daß man sie erwischen und bestrafen konnte, sondern weil Shin-chan ihr Geheimnis vollständig enthüllen könnte, wenn sie in das TerminalDogma eindrangen. Deswegen hatte sie mit Ritsuko-san sprechen wollen, diese hatte ihr versichert, die Gruppe über eine Route zu den Gen-Schmieden zu führen, welche einen weiten Bogen um die Räume mit dem Klontank und den DummyPlug machte. Trotzdem kam Rei nicht umhin, sich zu fragen, wie Shinji wohl reagieren würde, wenn er erfuhr, daß der Kommandant sie im wahrsten Sinne des Wortes geschaffen - und nicht verändert, wie er immer noch glaubte, - hatte... ob seine Liebe stark genug war, auch diese Wahrheit zu verkraften, oder ob er sich von ihr abwenden würde... sie wußte nur, daß sie ohne ihn nicht mehr leben konnte...
Leben... ein völlig neues Konzept... bisher hatte sie immer nur an Existenz gedacht. Existenz und existieren... doch leben... das war etwas ganz anderes. Und sie wollte ihr Leben mit ihm teilen...

Die Dreiergruppe marschierte den Korridor entlang, Akagi mit entschlossenem Gesicht vorneweg, Rei völlig emotionslos und Shinji leicht unsicher.

Shinjis Blick huschte unstet hin und her, blieb an jedem, der ihnen über den Weg lief, kurz haften.
Seltsam... seit seiner Rückkehr aus EVA-01 fragte er sich bei jedem Mann, der ihnen begegnete, ob dieser vielleicht sein leiblicher Vater war... wie hatte seine Mutter es doch ausdrückt - jemand, der bereits über ihn und die anderen Piloten wachte... sein Vater mußte also zu NERV gehören... vielleicht jemand vom Sicherheitsdienst? Oder ein Angehöriger des Kommandostabes? Er mußte unbedingt mit Kaji-san sprechen, sobald dieser sich wieder blicken ließ, sicher würde dieser ihm helfen, die Wahrheit herauszufinden... wer es wohl sein mochte... und hoffentlich war Kaji-san in Ordnung, warum er wohl verschwunden war?
Shinji hatte, kurz bevor sie aufgebrochen waren, Kaji-sans Melonenbeet aufgesucht und festgestellt, daß die Pflanzen wohl regelmäßig gegossen worden waren - er war also dort gewesen...
Shinjis Blick blieb jetzt an Rei haften.
Rei-chan... ihr Licht hatte ihn zurückgeführt... die Leidenschaft, welche er nach seinem Aufwachen in ihren Augen gesehen zu haben glaubte, war inzwischen wieder verschwunden, war einem warmen Leuchten gewichen, das aufglomm, wenn sich ihre Blicke trafen... was wohl geschehen wäre, wenn Misato nicht dazwischengekommen wäre?
Kaum zu glauben, daß dies dasselbe Mädchen war, das er am Tag seiner Ankunft in Tokio-3 erstmals getroffen hatte... wie sehr sie sich doch verändert hatte...
Und im Stillen gestand er sich ein, daß er sich wohl auch verändert hatte. Früher hätte er nie an so einem Unternehmen teilgenommen, schließlich würden sie eine ganze Menge wagen, wenn sie in die Kelleranlagen des Hauptquartiers eindrangen... Rei-chan hatte ihn verändert, für sie wollte er mutig sein, für sie kämpfte er. Und für ihre Zukunft, eine hoffentlich gemeinsame Zukunft... seltsame Gedanken... Zukunft... er war doch erst vierzehn, und trotzdem schien er jetzt schon zu wissen, daß er mit ihr den Rest seines Lebens verbringen wollte...

Die drei erreichten die Station, auf der Hikari lag.


Wieder übernahm Ritsuko die Führung.
Hikari, das Mädchen, das sie als Pilotin ausgewählt und rekrutiert hatte... dem sie Versprechungen im Namen von NERV gemacht hatte, zu denen sie zwar legitimiert gewesen war und die Gendo doch nicht hatte einhalten wollen... das Mädchen, welches das ganze Risiko getragen hatte und vom Schicksal schwer getroffen worden war, dessen Zustand sie, Ritsuko Akagi, zum Teil mitzuverantworten hatte.
Zorn kochte in ihr hoch, sobald sie an Gendos kalte Worte dachte. Wie leicht es ihm gefallen war, alle Schuld an den Vorfällen in Matsushiro Hikari zuzuschieben, wie ein feudaler Richter, der das Urteil über einen Unschuldigen verhängt, dessen Schicksal ihn nicht im mindesten interessiert. In Ritsukos Augen gab es nur eine einzige gute Sache, die Gendo Ikari in seinem ganzen Leben geschafft hatte, und das war sein Sohn, Shinji... die Anfänge des Klonprojektes gingen ja noch auf Yui Ikaris Konto, die damit Piloten für die EVAs hatte schaffen wollen, damit keine Menschen sich der Gefahr der dauerhaften Synchronisation aussetzten, weswegen Ritsuko nicht bereit war, Gendo auch noch Reis Existenz zuzuschreiben.
Wer hätte gedacht, daß aus der bloßen unkritischen Befehlsempfängerin, die nur Gendo gegenüber loyal gewesen war, solch eine Persönlichkeit werden würde... Shinji konnte sich glücklich schätzen, Reis Herz gewonnen zu haben - und das schien er auch zu wissen. Die beiden ergänzten sich gut, dazu kam noch die permanente Synchronverbindung zwischen ihnen, die wahrscheinlich auch ihren Teil zur Rettung des Jungen aus Einheit-01 beigetragen hatte. Und Gendo selbst schien noch gar nicht richtig verstanden zu haben, daß seine frühere Marionette ihre Fäden gekappt hatte und jetzt auf eigenen Beinen stand.
Der Gedanke erfüllte Ritsuko mit Genugtuung. Gendo glaubte, er hätte alles in die richtigen Bahnen geleitet, alles zu seinem Wohlgefallen manipuliert, so daß er sich nur noch zurücklehnen und abwarten brauchte, vielleicht hier und dort noch einmal einen kurzen Anstoß liefern mußte, ansonsten aber nur zuzusehen brauchte, wie alles so kam, wie er es sich vorstellte. Dabei gab es längst Abweichungen von seinem Szenario - die schwerwiegendste wahrscheinlich die Beziehung zwischen seinem Sohn und Rei. Die beiden würde er niemals auseinander bringen können. Und wenn seine Pläne wie ein Kartenhaus zusammenfielen, dann würde sie da sein und lachen, über ihn lachen und ihn zur Rechenschaft ziehen für den Tod ihrer Mutter... aber zuerst mußte sie noch in Erfahrung bringen, was Reis Vorgängerin zu ihrer Mutter gesagt hatte, das sie zu einer solchen Wahnsinnstat getrieben hatte... bisher hatte sie das Thema nicht angesprochen, weil sie sich Reis Loyalitäten noch nicht ganz sicher gewesen war, doch die Tatsache, daß Rei das Unternehmen unterstützte, das zur Befreiung ihrer Freundin Hikari führen sollte, sprach für sich selbst!

Sie gelangten an der Tür zu Hikaris Zimmer an.
Durch das Beobachtungsfenster konnten sie sehen, daß nur Toji Suzuhara bei ihr war und ihre Hand hielt, sie mit müden Augen anblickte und auf sie einredete.

Der Anblick versetzte Rei einen Stich mitten ins Herz.
Was, wenn ihr Shin-chan nicht aus EVA-01 zurückgekehrt wäre, wenn nur sein Körper, nicht aber sein Geist und seine Seele aus dem EntryPlug hätten geborgen werden können... dann würde sie jetzt an seinem Bett sitzen, so wie Suzuhara-kun an Hikaris... Suzuhara war ein guter Freund, sicherlich zerriß es ihm das Herz, nicht nur seine Schwester immer hier im Krankenhaus zu besuchen, sondern auch noch seine Freundin.
Sie selbst, Rei, war wohl keine so gute Freundin, sonst hätte sie wohl mehr Zeit damit verbracht, über Hikaris Wohlergehen nachdenken, als darüber, sich mit Shin-chan zu vereinen...
Bevor sie Gefühle gekannt hatte und bevor ihr Gewissen erwacht war, da war alles soviel leichter gewesen. Die Worte des Kommandanten waren Gesetz, waren ihre Gebote gewesen. Manchmal ertappte sie sich immer noch dabei, diese Zeit zurückzuwünschen, in der sie nur existiert, aber nicht gelebt hatte. Aber dann wurde ihr jedesmal aufs Neue klar, daß dies eine kalte Zeit gewesen war, eine Zeit ohne Liebe. Sie mußte nur ihren Shin-chan ansehen, um zu wissen, daß sie sich niemals ernsthaft diesen Zustand zurückwünschen würde.

\"Ihr müßt nicht mit hineinkommen...\" setzte Akagi an, doch die beiden schüttelten völlig synchron die Köpfe und verneinten ihren Vorschlag.

Zu dritt betraten sie das Krankenzimmer.

Toji sah auf.
\"Sieh nur Hikari, wir haben Besuch. Shinji, Ayanami und Doktor Akagi...\"

Das Mädchen mit den Sommersprossen reagierte nicht, blickte immer noch nur starr geradeaus. Ihr Blick war furchteinflößend leer. Hikari war sehr blaß und abgemagert, ihre Wangen eingefallen. Die Sommersprossen waren kaum noch zu erkennen, dafür waren ihre Zöpfe tadellos.

Toji schüttelte den Kopf.
\"Sie reagiert auf gar nichts...\"

Shinji sah betreten zu Boden.
\"Hallo, Toji.\"

\"Hallo, Shinji, schön, dich mal wieder zu sehen.\"

\"Tut mir leid...\"

\"Das sollte kein Vorwurf sein. Ich habe euch beide seit dem letzten Angriff nicht mehr gesehen, sicher hattet ihr anderes zu tun... etwa selbst Verletzungen auszukurieren.\"

\"Das ist korrekt, Suzuhara-kun. Beim letzten Angriff wurden alle drei EVAs mehr oder weniger schwer beschädigt. Shinji-kun wurde erst heute aus der Krankenstation entlassen.\"

\"Oh, Mann. Naja, gut, euch gesund wiederzusehen. Seit Hikari sich hier befindet... in diesem Zustand... denke ich viel darüber nach, was alles passieren kann.\"

\"Deswegen sind wir ja hier, Toji...\" platzte es aus Shinji heraus. \"Wir wissen, was zu tun ist!\"

\"Was?\"
Toji starrte ihn an.
Langsam breitete sich Hoffnung auf seinen müden Zügen aus.
\"Ihr könnt...\"
Er sah Doktor Akagi an.

Diese nickte.
\"Aber dazu müssen wir sie ins NERV-Hauptquartier bringen.\"

\"Kann ich mitkommen?\"

\"Uh, Toji...\"

\"Suzuhara-kun, es wird vielleicht gefährlich werden.\"

\"Warum?\"

\"Weil wir außerhalb der Vorschriften operieren.\"

\"Hä?\"

\"Toji, was Rei meint ist... uh... naja... wir haben keine Genehmigung von meinem... Vater... und wenn man uns erwischt, dann... uhm... wird es ziemlichen Ärger geben...\"

\"Das ist mir egal. Vielleicht kam ich auch helfen?! Bitte...\"

Wieder wechselten die beiden Piloten und Ritsuko einen Blick, kamen ohne Worte zu einer Übereinkunft.

Ritsuko nickte.
\"Gut, hör zu: Was immer du im Hauptquartier sehen solltest, du darfst nichts davon weitersagen, um deinerselbst und auch um Hikaris Willen nicht, verstanden?\"

\"Klar. Ich werde alles sofort wieder vergessen.\"

Akagi gab ein abgehacktes Lachen von sich.
\"Wenn das so einfach wäre... noch etwas: Wenn Major Katsuragi oder ich sagen \"Lauf!\", dann läufst du. Wenn eine von uns sagt \"Kopf runter!\", dann wirfst du dich flach auf den Boden. Was immer wir dir auch befehlen, du wirst es tun, egal wie widersinnig es dir erscheinen mag, selbst wenn es bedeutet, uns andere vielleicht in großer Gefahr im Stich zu lassen.\"

\"Aber...\"

\"Kein \'aber\'. Das sind die Bedingungen, andernfalls bin ich nicht bereit, diese zusätzliche Verantwortung zu tragen.\"

\"Ja, ist ja gut. Ich befolge jede ihrer Anweisungen.\"

\"Okay. Dann hole jetzt für Hikari einen Rollstuhl und sage dem Personal, du möchtest mit ihr einen kurzen Ausflug in die Grünanlage an der Oberfläche machen. Sollten sie Fragen stellen - ich habe es dir erlaubt.\"

\"Ja, Doktor Akagi.\"

Toji eilte hinaus.

Ritsuko seufzte.
\"Hoffentlich geht das gut.\"

\"Warum... uh... warum haben Sie es Toji erlaubt, wenn Sie so denken?\"

\"Weil er mich mit diesem leidenden Dackelblick angesehen hat, deswegen. Ich bin ja auch nicht aus Stein. Und etwas zusätzliche Muskelkraft kann auch nicht schaden. - So, mal sehen, wo Hikaris Sachen sind, schließlich müssen wir sie reisetauglich machen. - Shinji dreh dich um.\"

\"Ja, Ma\'am.\"

\"Guter Junge.\"


*** NGE ***


Toji kehrte mit einem Rollstuhl aus Krankenhausbeständen zurück und half Ritsuko, Hikari hineinzusetzen. Das Mädchen war nur noch Haut und Knochen.
Akagi murmelte etwas davon, daß es höchste Zeit war.

Dann schoben sie den Rollstuhl über die Gänge und schließlich durchs Foyer, wo Ritsuko und Shinji die Schwestern ablenkten.
Auf dem Parkplatz wartete Maya bereits und öffnete die rückwärtigen Türen des Bullies, der mit einer ausklappbaren Rampe ausgestattet war. Sie schoben den Rollstuhl ins Wageninnere, Shinji und Toji kletterten ebenfalls in den Laderaum, um Hikari festzuhalten, während Rei wieder bei Misato in den Wagen sprang und Ritsuko ins Führerhaus des VW stieg.

Phase 1 des Planes war abgeschlossen. Jetzt begann Phase 2...

Ohne Aufsehen zu erregen fuhren die beiden Wagen durch die Tunnel unter der Stadt, welche die Bunkeranlagen miteinander verbanden, benutzten dann eine der spiralförmigen Rampen, die in die Geofront führten, deren Untergrund ebenfalls von Tunneln durchzogen war.

Ritsuko benutzte ihr Handy, um sich mit Makoto Hyuga in Verbindung zu setzen, der in der Garage des Hauptquartiers wartete und grünes Licht für die Einfahrt gab. Kurz darauf holte sie sich auch die Bestätigung von Shigeru Aoba, daß Kommandant Ikari in seinem Büro war.

Als die Wagen in der Garage zum Halten kamen und Hyuga die Türen des Bullies öffnete, blickte Ritsuko noch einmal in die Runde.
\"Ab hier wird es ernst. Wer aussteigen will, hat jetzt die letzte Gelegenheit.\"

Die Sicherheitskameras in der Tiefgarage waren bereits im Standby-Mode, Ritsuko hatte auch bereits dafür gesorgt, daß Hikari von den Sensoren nicht als Eindringling registriert werden würde, machte jetzt auf Mayas Laptop ein paar Eingaben, um auch Toji Besucherstatus zu verleihen. Solange er in ihrer oder Misatos Nähe blieb, würde es keine Probleme geben. Dann gab sie den Computer an Maya zurück und schaltete ihren Palmtop ein, über den sie einzelne Systeme im Hauptquartier steuern konnte.

\"Also?\"

Niemand sagte etwas, stattdessen machten Shinji und Toji daran, Hikari in ihrem Rollstuhl auszuladen, wobei ihnen Makoto und Misato und Rei halfen.

\"Danke, Hyuga-kun\", lächelte Misato.

\"Für Sie immer, Major.\"

\"Gehen Sie jetzt wieder auf Ihren Posten, benachrichtigen Sie mich, falls etwas unerwartetes geschieht.\"

\"Natürlich.\"

Ritsuko wandte sich an Maya.
\"Du weißt, was du zu tun hast.\"

\"Ja, Sempai. Sollte Makoto Alarm schlagen, starte ich das von Ihnen vorbereitete Programm, das bei den MAGI einen Fehlalarm auslöst.\"

\"Gut.\"

\"Ach ja, Doktor Akagi, Aoba läßt ausrichten, daß ihre Bestellung im Lagerraum neben dem Aufzug auf Sie wartet\", sagte Hyuga, ehe er die Parkgarage verließ.

\"Bestens... Also, auf zu Phase 3!\"


*** NGE ***


Auf einem weitläufigen Zick-Zack-Kurs durch die Gänge und Ebenen, über Rampen und vereinzelte Aufzüge stieß die kleine Gruppe immer tiefer ins Herz des Hauptquartiers vor, ihr Ziel war einer der Aufzüge, die ins TerminalDogma fuhren.

Rei und Misato übernahmen die Führung, erstere kannte die Korridore wie kaum jemand anders und setzte ihre hohe Laufgeschwindigkeit ein, um Seitenkorridore und Parallelgänge auszukundschaften, während Misato an kritischen Wegkreuzungen dort postierte Wachen ablenkte, indem sie vorgab, sich verlaufen zu haben und nach dem Weg fragte - der schlechte Orientierungssinn des Majors war bereits legendär.

Doktor Akagi hatte dafür gesorgt, daß die Sicherheitskameras auf ihrem Weg nur Standbilder zeigten, mit der Fernsteuerung auf ihrem Palmtop manipulierte sie die Geräte entsprechend.

Unangefochten erreichten sie die unterste Ebene des CentralDogma, wo Ritsuko sie zu dem von ihr anvisierten Aufzug führte.

Und dort liefen sie in zwei Männer hinein, die sich von der anderen Seite her demselben Aufzug näherten - Kaji und Subkommandant Fuyutsuki!

\"Kaji!\" rief Misato.

\"Hi, Katsuragi. Na, das ist aber ein Auflauf hier...\"

Fuyutsuki musterte die kleine Gruppe um den Doktor und den Major, sein Blick blieb an Shinji hängen.
Yuis Sohn...
Ihr gemeinsamer Sohn...
Wenn er das nur eher gewußt hätte...
Vierzehn Jahre... vierzehn verlorene Jahre...
Er biß sich auf die Zunge.
Sollte er es ihm sagen? Sollte er es ihm sagen, ihm sagen, daß seine Mutter Ehebruch begangen hatte, und damit vielleicht alle Illusionen, die der Junge über seine Mutter gehabt hatte, zerstören?
Nein...
Er schluckte.
\"Shinji, ich bin froh, daß du wieder in Ordnung bist. Mir wurde von Major Kaji zugetragen, daß es einen üblen Zwischenfall mit EVA-01 gegeben hatte.\"

\"Uh... Danke, Sir.\"

Fuyutsuki nickte.
\"Doktor Akagi, Major Katsuragi, in ihrer Gesellschaft befinden sich zwei Zivilisten, ferner scheint es Ihre Absicht, Ihre Gruppe ins TerminalDogma zu führen, bitte erklären Sie das.\"

Hinter seinem Rücken machte Kaji Gesten, die wohl bedeuten sollten, daß er nicht wußte, was sein Begleiter bezweckte.
Warum hatte Katsuragi auch nur gerade jetzt hier auftauchen müssen? Der Subkommandant hatte ihm eine Führung durch das TerminalDogma versprochen... und dafür hatte er sogar den Commander in seinem Versteck zurückgelassen, der erstens keine Legitimierung besaß, das Hauptquartier zu betreten und zweitens ohnehin schon seit Tagen in dumpfes Brüten versunken war...

Ritsuko trat vor.
\"Subkommandant Fuyutsuki, das Mädchen ist Hikari Horaki, das Fourth Children. Sie befindet sich durch die Schuld von NERV in diesem Zustand. Ich kann ihr helfen, doch dazu muß ich mit ihr ins TerminalDogma. Sie können uns aufhalten, Alarm schlagen oder uns passieren lassen. Was werden Sie tun, Professor?\"
Ihr Blick bohrte sich in Fuyutsukis Augen.

Misatos Hand näherte sich langsam ihrer Waffe im Schulterhalfter...

Fuyutsuki hielt Akagis Blick stand.
\"Ich denke... ich werde in Ikaris Büro gehen und ihn ein wenig beschäftigen.\"
Er lächelte.
\"Viel Glück, Doktor.\"

\"Danke, Professor.\"

Kozo nickte knapp.
\"Tja, Kaji, dann wird wohl nichts aus unserem Vorhaben.\"

\"Ich schließe mich den anderen an. Subkommandant, fühlen Sie sich wirklich imstande, Kommandant Ikari gegenüberzutreten?\"

\"Mehr als mich erschießen kann er auch nicht, weil ich SEELE gegenüber alles ausgeplaudert habe. Aber ich denke, er braucht mich noch.\"

\"Trotzdem... wenn Sie das tun, dann sind wir quitt.\"

\"Sie sind sehr großzügig, Major Kaji.\"
Damit wandte Fuyutsuki sich ab.

Shinji blickte ihm hinterher.
Wie hatte seine Mutter es doch ausgedrückt... jemand, der über ihn und die anderen wachte... sollte der Stellvertretende Kommandant vielleicht... unwahrscheinlich, der war doch viel zu alt...

\"Kaji, was habt ihr beiden die letzten drei Wochen angestellt?\" fragte Misato.

Kaji grinste.
\"Wir waren Angeln.\"

\"Äh...\"

Er zwinkerte.
\"Ist eine lange Geschichte... - Will eigentlich niemand den Aufzug rufen? Ritsuko?\"

\"Augenblick...\"
Akagi verschwand in einem Nebenraum, kam mit einem länglichen Gegenstand zurück.

Misato zog automatisch den Kopf ein.
\"Nicht das Ding wieder!\"

\"Wieso?\"
Ritsuko betrachtete den Prototypen des Positronengewehrs verwirrt.
\"Jetzt ist es doch wirklich gesichert.\"

\"Was willst du mit dem Teil?\"

\"Glaubst du vielleicht, wir schaffen es in einer Nacht, den Panzer von EVA-03 mit herkömmlichen Mitteln aufzubrechen? Da unten fehlen mir einige der Werkzeuge, die ich hier oben habe, zum Beispiel der große Laserschneider. Und wenn ich den abbaue und nach unten bringe, schöpft garantiert jemand Verdacht.\"

\"Okay... du bist hier die Wissenschaftlerin.\"

\"Genau!\"
Sie rief den Aufzug, öffnete die Türen mit ihrem persönlichen Code.
\"Jetzt gibt es wirklich kein Zurück mehr!\"


*** NGE ***


\"Sag mal, Shinji, ich habe gehört, du warst drei Wochen außer Gefecht?\"

\"Ja, Kaji-san.\"

\"Meine armen Pflanzen... Naja, kann man nichts dran ändern, Hauptsache, du bist wieder in Ordnung.\"

\"Uh, tut mir leid...\"

Misato gab ein Brummen von sich.
\"Ich habe deine dummen Melonen gegossen, Kaji.\"

\"Du, Katsuragi?\"

\"Klar. Oder dachtest du, du könntest mitten in der Geofront einen Acker anlegen, ohne daß es jemand bemerkt? Wenn ich dein Feld nicht für tabu erklärt hätte, wäre es längst geplündert worden.\"

\"Ah! Danke, Katsuragi-chan!\"

\"Kannst mich ja zum Essen einladen.\"

\"Ihr könnt nachher weiterflirten\", brummte Ritsuko. \"Wir sind da.\"

Die Türen der Aufzugskabine öffneten sich.


*** NGE ***


Irgendwie hatte Shinji ja mehr erwartet als den breiten und hohen Korridor, der sich zu beiden Seiten erstreckte. Der Korridor war groß genug, daß ein EVA ihn hätte passieren können. An einem Ende des Ganges befand sich ein mächtiges Tor, während das andere Ende eine Sackgasse zu sein schien.

Ritsuko führte die Gruppe quer über den Korridor zu einer Tür, an der sie erneut ihren persönlichen Sicherheitscode eingeben mußte, dahinter lag ein weiterer Gang, dieser allerdings hatte normale Proportionen.
\"Schnell! Beeilung!\"

Im Laufschritt ging es den Korridor hinunter.

Reis Blick wurde von einer Tür zur Rechten wie magisch angezogen - dahinter befand sich der Zugang zu den Laboren, die unter anderem den Klontank mit ihren Schwestern beherbergten.
Ihr Herz klopfte schneller, beruhigte sich erst, als sie die Tür passiert hatten.

Akagi öffnete eine weitere Tür.
\"Wir nehmen den Weg durch den Friedhof.\"

\"Friedhof?\" echote Shinji und fröstelte automatisch. \"Hier unten gibt es einen Friedhof?\"
Das entsprach schon eher dem, was er eigentlich hier erwartet hatte. Gekreuzigte Engel und modrige Grüfte...
Seine Kehle wurde trocken.

Schon betraten sie eine gewaltige Halle, die in ihren Ausmaßen jener, in welcher sich der gekreuzigte Engel befand, in nichts nachstand.
Durch die Halle führte ein hell erleuchteter Weg. Zu beiden Seiten des Weges befanden sich LCL-Bassins, in welchen riesige Skelette schwammen.

\"Mann... Heilige...\" flüsterte Toji. \"Sind das Dinosaurierknochen?\"

\"Nein, das sind Fehlschläge des Projektes E - die Reste von mißlungenen EVANGELIONs.\" erklärte Ritsuko. Obwohl sie nicht sonderlich laut sprach, hallte sie Stimme von den Wänden wieder.

Die Knochen dümpelten im LCL vor sich hin, manche Skelette waren vollständig, aber seltsam verwachsen, bei anderen fehlten Körperteile oder einzelne Knochen. Es gab EVA-Skelette ohne Arme oder Beine, dann solche ohne Brustkorb, bei anderen wiederum war die Wirbelsäule verwachsen und starr oder schief und krumm, bei einem EVA wuchs ein dritter Arm aus der Brust, ein anderer hatte ein zweites Paar Schultern und einen zweiten Kopf.
Je tiefer sie in die Halle vordrangen, um so stärker wurden die Entstellungen, um so monströser wirkten die EVAs. Weitere Gerippe hingen an mächtigen Fleischerhaken von der Decke.

War da nicht eben ein leises Platschen zu hören gewesen?
Hatte sich nicht eben eines der Skelette bewegt?
Ging nicht ein kalter Lufthauch durch die Halle, klirrten nicht die Ketten, an denen die Fleischerhaken von der Decke baumelten, leise?
Hatten nicht eben die Augen eines EVA-Totenschädels aufgeglüht?

Sie beeilten sich, diesen Ort hinter sich zu lassen, auch Ritsuko legte ein gesteigertes Tempo vor. Selbst sie konnte sich des Eindruckes nicht erwehren, aus zahllosen leeren Augenhöhlen angestarrt zu werden...


*** NGE ***


Wieder passierten sie einen breiten Korridor, gelangten dann in eine weitere große Halle voller LCL-Becken, nur war diese hell erleuchtet und ähnelte in gewisser Weise dem EVA-Hangar im CentralDogma. Laufstege verliefen kreuz und quer auf mehreren Ebenen durch die Halle.
Nur zwei Becken waren belegt, das eine enthielt die Reste von EVA-04, der oberhalb der Taille zerrissen worden war, das andere den kopflosen EVA-03.

\"Die Gen-Schmiede!\" verkündete Ritsuko Akagi. \"Geburtsstätte der EVAs!\"

Shinji sah sich mit großen Augen um, stellte sich vor, wie EVA-00 und EVA-01 aus den Bassins stiegen und sich aufrichteten, während auf dem obersten Laufsteg Gendo Ikari stand und das alles durch seine dunkle Brille betrachtete... Shinji weigerte sich inzwischen, von diesem Mann als seinem Vater zu denken, nicht nachdem er die Wahrheit erfahren hatte...

\"Ritsuko, was ist zu tun?\" rief Misato.

\"Moment...\"
Akagi trat zu einem Kontrollpult, aktivierte es, bewegte einige Regler und drückte ein paar Knöpfe. Als Ergebnis geriet einer der Stege in Bewegung, rollte langsam mit leisem Summen über das Bassin mit EVA-03, blieb auf Höhe der Gürtellinie stehen.
\"Bringt Hikari auf die Brücke, möglichst in die Mitte!\"

\"Klar. Los, Jungs!\"

Kaji, Shinji und Toji brachte den Rollstuhl auf den Steg, schob ihn dann hinauf, Rei begleitete sie.

Misato hingegen folgte Ritsuko auf einen höhergelegenen Steg, der sich über der Brust von EVA-03 befand.
\"Hikari ist in Position. Und jetzt?\"

Ritsuko entsicherte das Positronengewehr, legte es mit dem Lauf auf das Gelände des Stegs.
\"Jetzt brenne ich EVA-03 ein Loch in die Brust.\"

\"Du willst doch nicht wirklich...\"

\"Ich sagte doch schon, ich habe nicht anderes, um die Panzerung aufzusprengen. Weißt du eigentlich, was diese Tri-Polymer-Titaniumummantelung aushält?\"

\"Aber... Ich denke, das hier ist deine Bastelstube!\"

\"Ja, aber eigentlich war nicht geplant, daß hier EVAs zerstört werden. Schneidgeräte haben wir oben im Hangar für Reparaturen.\"

\"Und du willst wirklich selbst schießen?\"

\"Ja, ich habe ihn gebaut, also werde ich ihn auch zerstören! Ohne AT-Feld sollte das kein Problem sein...\"
Sie legte an.

\"Du kannst doch gar nicht damit umgehen...\"

\"So schwer dürfte das nicht sein, das Ziel ist ja groß genug. Außerdem habe ich das Teil mitentwickelt.\"

\"Laß mich wenigstens...\"

Widerwillig ließ Ritsuko sich von Misato Hilfestellung geben, nahm dann die Brustplatte ins Visier.
\"Achtung, da unten!\"
Sie drückte ab.
Der Rückschlag riß ihr fast die Waffe aus den Händen.

Fauchend jagte eine hochkomprimierte Positronenladung aus dem Gewehrlauf, hinterließ eine feurige Spur, schlug krachend in die Brustplatte ein.
Dampf stieg auf.

\"Shinji, Kaji, bei euch alles in Ordnung?\"

\"Alles klar, Katsuragi!\" rief Kaji, blieb aber auf dem Boden knien.

Toji stand schützend vor Hikari, während Shinji Rei mit sich nach unten gezogen hatte, als die Positronenladung durch die Luft gezischt war.

\"Okay, schauen wir mal...\" murmelte Ritsuko und betrachtete die Einschlagstelle durch das Zielfernrohr.

Das Material der Panzerung wies einen tiefen Krater auf, die Titaniumstahllegierung war geschmolzen und warf Blasen.

\"Noch ein Treffer und ich bin durch...\"

Die Kälte in ihrer Stimme ließ Misato einen Schauder den Rücken hinablaufen.
Ritsuko war bereit, ihre eigene Schöpfung zu vernichten, obwohl sie den EVA mit den verfügbaren Ersatzteilen wahrscheinlich wieder einsatzfähig hätte machen können. Und alles wegen einer verrückten Theorie, derzufolge die Seele des Mädchens im Kern des EVAs gefangen war... ihr Blick war so entschlossen...
\"Dann wollen wir mal...\" flüsterte sie.

Wieder jagte eine Positronenladung aus dem Gewehrlauf, schlug krachend in die Panzerung ein, durchschlug sie dieses Mal.
Der Kern lag frei...

Wieder legte Ritsuko an.
\"Bereit machen!\"

Misato blickte nach unten.

Die einzige Person, die von dem Geschehen unbeeindruckt blieb, war Hikari...

\"Bereit...\" rief Shinji.

\"Bereit!\" sagte Rei gedämpft, die mit dem Gesicht von Shinji an dessen Brust gedrückt wurde.

Kaji zeigte ihr den nach oben ausgestreckten Daumen.

\"Äh... bereit...\" sagte Toji, der vor Hikaris Rollstuhl kniete und ihre Hände umklammert hielt.

\"Los, Ritsuko!\"

Akagi kniff die Augen zusammen.

Der Kern des EVAs gab in schwaches Leuchten von sich, das in langgezogenen Intervallen pulsierte.

Ritsuko zögerte.
Das war ihr Werk...
Sie hatte dieses Wesen geschaffen... konnte sie es wirklich zerstören?
Unter alles nur aufgrund der Worte eines Jungen, die ebenso gut einem schlechten Traum entsprungen sein konnten...
Dann dachte sie an das Mädchen im Rollstuhl und an Hikaris leeren Blick.
Ein wenig Hoffnung...
Akagi drückte ab... der Rückschlag schmetterte ihr das Gewehr gegen die Schulter.

Der Kern explodierte, brach auf wie ein Hühnerei...
Eine Lichtsäule schoß fauchend in Richtung der Hallendecke...

\"Mein Gott...\" stieß Misato hervor.

Die Lichtsäule stand immer noch, erhielt beständig neue Nahrung aus dem Kern.
Das Fauchen war ohrenbetäubend.

\"Mein Gott...\" wiederholte Misato.
Sie hatte derartiges schon einmal gesehen... vor fünfzehn Jahren am Südpol... nur war die dortige Lichtsäule viel mächtiger gewesen, hatte den ganzen Kontinent verschlungen...
Was hatten sie getan...
Misatos Hand verkrampfte sich um das Geländer. sie wartete darauf, daß die Lichtsäule sich ausdehnte, die ganze Halle verschlang, dann das Hauptquartier, die Stadt, das ganze Land...

Doch der Weltuntergang blieb aus...

Toji starrte wie gebannt auf die Lichtsäule.
In ihr schienen sich Gesichter zu formen, die sich schreiend wieder auflösten...

Er sah Flammen, die ganze Städte verschlangen, erblickte brennende menschliche Gestalten...
Angst stahl sich in sein Herz.
Und dann spürte er, daß Hikaris Hände sich bewegten, zu zittern begannen.
Er riß den Blick von dem Licht los, zwang sich, den Kopf zu drehen und in Hikaris Augen zu sehen.

Hikari blinzelte...

Toji holte keuchend Atem.

Immer noch fauchte das Licht aus dem Inneren des EVAs.

\"Was... was ist das...\" stieß Shinji hervor, hielt Rei dabei fest an sich gepreßt.

\"Lebenskraft, reine Energie\", flüsterte Rei.

Das Fauchen wurde leiser, zugleich begann die Lichtsäule zu schrumpfen, in sich zusammenzufallen.

\"Hikari...\" flüsterte Toji, hob zögernd die Hand, berührte ihre Wange mit den Fingerspitzen.

Wieder blinzelte sie. Ein verwirrter Ausdruck trat in ihre Augen.
Hikari bewegte die Lippen, produzierte undeutliche Laute.

Tojis Augen füllten sich mit Tränen.
\"Hey, Hikari-chan...\"

\"To... To... Toji... wo...\"

\"Sie spricht! Hikari spricht mit mir!\"
Mit zitternden Knien kam er auf die Beine.
\"Hikari?\"

\"Was... ist... passiert...\"

Toji riß sie in seine Arme.

\"Es hat funktioniert... es hat tatsächlich funktioniert...\" stieß Shinji hervor.

\"Ja, hattet ihr denn Zweifel?\" fragte Kaji. \"War doch Ritsukos Idee, oder?\"

\"Uh...\"

\"Toji, was ist... wo bin ich?\" flüsterte Hikari.

Suzuharas Antwort bestand aus unzusammenhängenden Wortfetzen, die von Schluchzern unterbrochen wurden.

\"Es hat geklappt!\" rief Shinji zum Laufsteg hinauf, zog beim Aufstehen Rei mit sich in die Höhe, riß sie von den Beinen und wirbelte sie lachend durch die Luft.

\"Shinji!\" rief sie erschrocken.
Er schien um einiges stärker als damals nach dem Jahrgangsabschlußtanz...

Misato blickte nach unten.
Das Licht aus dem Kern des EVAs war jetzt völlig erloschen, der Kern war nur noch eine zerbrochene verkohlte Sphäre, umgeben von wieder verhärtendem Titaniumstahl.
\"Ritsuko... es hat funktioniert...\" sagte sie tonlos, immer noch überwältigt von dem Gesehenen.

Akagi stand am Geländer und lachte.
\"Daß aus all dem noch etwas Gutes erwächst...\"
Ihre Entscheidung war richtig gewesen!

\"Ahm, Ritsuko, geht es dir gut?\"

\"Es ging mir nie besser! Fang!\"
Sie warf Misato das Gewehr zu, die es umständlich auffing und erst einmal sicherte.
Kapitel 45 - Durchatmen

Während Ritsuko rasch Hikari untersuchte, bereiteten Misato und Kaji alles vor, um die Spuren ihrer Anwesenheit zu verwischen - von einem höhergelegenen Steg ließen sie an einer Art Angel einen Behälter mit einem von Kaji in aller Eile mit den Mitteln des an die Gen-Schmiede angeschlossenen Labors hegestellten Sprengsatzes in die aufgebrochene Brustpartie des EVAs hinab.

\"Alles klar, Ritsuko, wir haben eine halbe Stunde.\" rief Kaji, während er die Leitern hinabkletterte. \"Dann wird es hier laut, bunt und komisch!\"

\"Gut.\"
Akagi stellte ihre Uhr entsprechend.
\"Dann beeilen wir uns, daß wir hier \'rauskommen!\"

Im Laufschritt ging es aus der Halle, Toji nahm die immer noch geschwächte Hikari huckepack und trug sie - immerhin hatte sie ihre Beine seit mehreren Wochen nicht benutzt und die im Krankenhaus verabreichte Physiotherapie hatte nur dafür gesorgt, daß ihre Muskulatur nicht völlig verkümmerte. Shinji und Kaji schleppten den zusammengeklappten Rollstuhl.

Die Route aus dem TerminalDogma heraus unterschied sich von dem Weg hinein, jetzt benutzten sie mehrere Treppen anstelle des Aufzuges, stiegen schließlich eine lange Metalltreppe hinauf, die sich um einen gewaltigen Schacht herumwand.
Ritsuko öffnete mehrere Sicherheitsschotten mit ihrem Code.
Schließlich erreichten sie die Hauptebene des CentralDogma.
Wie abgesprochen übernahmen Misato, Kaji und Rei es erneut, nach vorn zu sichern, während Ritsuko Maya das verabredete Signal schickte, daß sie wieder im CentralDogma waren.

Von der halben Stunde waren noch zehn Minuten übrig, als die Gruppe wieder bei den Wagen ankam, dieses mal fanden Hikari und Toji auf dem Rücksitz von Misatos Wagen Platz, mit Rei auf dem Beifahrersitz, während Shinji und Ritsuko den Wagen der Wissenschaftlerin benutzten, den Rollstuhl auf der Rückbank.
Kaji blieb im Hauptquartier zurück, um auf Fuyutsuki zu warten.

Zehn Minuten später schob Toji gerade Hikari in ihrem Rollstuhl wieder in die Eingangshalle des Krankenhauses. Offiziell durfte das Mädchen erst in ein paar Minuten zu sich kommen, damit der Plan nicht von dieser Seite her aufflog.

Ritsuko blickte auf die Uhr, zählte leise die letzten Sekunden mit.
\"Jetzt...\"


*** NGE ***


In der Gen-Schmiede explodierte der zurückgelassene Sprengsatz. Gleichzeitig begannen die Sicherheitskameras wieder mit der Aufzeichnung.

Alarmsirenen heulten auf, automatische Löschvorrichtungen traten in Aktion, deckten den Boden der Halle mit sauerstoffbindenden Schaum ab. Die Ventilation begann, umgekehrt zu arbeiten und die Luft aus dem Raum abzusaugen, zugleich erwogen die MAGI, die Halle mit Bakelit zu fluten, kamen aber einstimmig zu dem Ergebnis, daß dies nicht nötig war.

Und die Präsenz in den MAGI lachte leise über die Schläue ihrer Tochter, schüttelte dann den imaginären Kopf, als sie einige von Ritsuko fahrlässig hinterlassene Spuren im System entdeckte und diese löschte.


*** NGE ***


Vierzig Sekunden nach der Explosion des Sprengsatzes klingelte Ritsukos Handy.
Sie wartete einen Moment, ließ es zweimal klingeln, hob dann ab.

Es war Maya, die voller Aufregung von einem Zwischenfall in der Gen-Schmiede sprach.

Ritsuko versprach, sofort zu kommen, lächelte dabei.
Maya spielte ihre Rolle wirklich gut...
Akagi nickte Misato und den Kindern zu.
\"Ich fahre jetzt zurück... da hat doch anscheinend etwas mit meinem Experiment zur beschleunigten Regeneration nicht geklappt, sowas aber auch... und das mit...\"
Lachend schüttelte sie den Kopf.

\"Tst, tst, ich hätte mehr von dir erwartet...\" meinte Misato, schüttelte ebenfalls den Kopf und grinste breit, wurde dann aber schlagartig ernst. \"Jetzt muß nur noch Kommandant Ikari die Geschichte glauben.\"

\"Wenn ich mich bei dem Timing nicht grob verschätzt habe, kann er höchstens etwas vermuten. Misato, ich schätze, heute nacht werde ich sehr gut schlafen können...\"
Sie startete ihren Wagen und fuhr los.

Misato blickte ihre beiden Schützlinge an.
\"So, Shinji, Rei, Zeit für den letzten Vorhang - lasset uns Zeugen einer wundersamen Auferstehung werden!\"


*** NGE ***


Es wurde an diesem Abend recht spät, erst kurz nach Mitternacht trafen Misato, Shinji und Rei in Misatos Apartment ein, alle drei müde und erschöpft, aber zufrieden.

Toji und Hikari hatten ihre Rollen perfekt gespielt, Hikari wußte zwar immer noch nicht alles, was passiert war, hatte sich aber mit einigen kurzen Antworten und dem Versprechen, in den nächsten Tagen mehr zu erfahren, zufriedengegeben.

Die drei waren gerade rechtzeitig auf der Station angekommen, auf der Hikaris Zimmer lag, um Zeugen zu werden, wie Toji mit tränenüberströmten Gesicht und mit den Armen wedelnd aus ihrem Zimmer gestürmt kam, um laut zu rufen, daß Hikari wach sei. Daraufhin waren die Ärzte und Krankenschwestern in das Zimmer gestürmt, die das Mädchen eigentlich schon abgeschrieben und nur deshalb nicht zum Sterben nach Hause geschickt hatten, weil Ritsuko die Rechnungen für Hikaris Aufenthalt und Behandlung bezahlt hatte.
Kurz darauf waren auch ihr Vater und ihre beiden Schwestern eingetroffen, was zu einigen rührenden Wiedersehensszenen geführt hatte.

\"Shinji, du kannst stolz auf dich sein. Ohne deine Idee...\" hatte Misato ihm zugeflüstert.

Shinji hatte darauf verzichtet, ihr zu erklären, woher er sein Wissen bezogen hatte, Doktor Akagi hatte Misato das ganze gegenüber als Shinjis Idee verkauft und die beiden hatten es Maya, Makoto und Shigeru wiederum als Theorie Akagis nähergebracht. Und da keiner der letzteren drei Kommandant Ikari sonderlich mochte, auch weil ihnen bekannt war, wie übel dieser dem Fourth Children mitgespielt hatte, hatten sie eingewilligt, kleine Beiträge zum Gelingen des Unternehmens zu leisten.

Schließlich hatten die drei sich abgesetzt, nachdem von Seiten der Ärzte verkündet worden war, daß Hikari völlig in Ordnung war. Natürlich würde es einige Zeit dauern, bis sie wieder vollständig genesen war und sich von den Strapazen erholt hatte, aber es bestanden keine Bedenken, sie noch viel länger in der Klinik zu behalten.

In der Wohnung angekommen, riß Misato erst einmal den Kühlschrank auf und türmte ein Dutzend Bierdosen auf dem Küchentisch auf.
\"Jetzt wird gefeiert!\"

Doch von ihren Mitbewohnern äußerte niemand Interesse daran, mit ihr zu trinken, so daß sie die meisten Dosen schließlich wieder zurückstellte.

Das Telefon klingelte.
Misato eilte in den Korridor und nahm ab.
\"Ja?\"
Sie deckte die Sprechmuschel mit der Hand ab.
\"Es ist Ritsuko...\"
Dann schaltete sie den integrierten Lautsprecher ein, so daß die beiden anderen mithören konnten.
\"Ritsuko, was gibt es denn?\"

\"Misato, stell dir vor, hier ist zur Zeit die Hölle los, während wir mit Hikari im Stadtpark waren, hat es in meinem Labor eine Explosion gegeben.\"

\"Nein! Hat es Verletzte gegeben, soll ich kommen?\"

\"Keine Verletzten. Anscheinend hat es eine Reaktion gegeben, mit der keiner rechnen konnte. Kommandant Ikari ist am Rotieren, wollte dich nur vorwarnen, wenn du morgen zum Dienst kommst.\"

\"Danke, Ritsuko, bist ein Schatz. Hör mal, ich habe auch Neuigkeiten, sehr gute sogar...\"

\"Laß hören!\"

\"Hikari ist zu sich gekommen!\"

\"Was?\"

\"Ja, kurz nachdem du uns im Foyer des Krankenhauses verlassen hattest.\"

\"Das ist ja... ob es da einen Zusammenhang gibt...\"

\"Du meinst, der Rums in deinem Labor hat sie aufgeweckt? Also, das glaube ich nicht.\"

\"Ha! Wunderbare Neuigkeit, jedenfalls. Ach ja, Kaji hat sich auch wieder sehenlassen.\"

\"Echt? Sag ihm, ich will morgen mit ihm sprechen.\"

\"Jetzt ist er erst einmal seine Beete inspizieren. Typisch Mann, kaum gibt es Ärger, läuft er weg.\"

\"Ja, ja, unser Kaji...\"

\"Ich muß Schluß machen, Maya und ich machen jetzt eine Bestandsaufnahme der Schäden.\"

\"Okay, bis morgen!\"
Misato legte auf, prustete dann vor Lachen los.
\"Ich habe keine Ahnung, wie Ritsuko das durchhält...\"

Das Gespräch hatte alle notwendigen Informationen offengelegt - wenn Kommandant Ikari mitgehört hatte, wovon Misato beinahe schon ausging, dann hatten sie ihn hoffentlich kräftig in die Irre geführt. Ritsuko wußte jetzt offiziell von Hikaris Genesung und indirekt hatten sie einander Alibis für den fraglichen Zeitraum gegeben... jetzt durfte sich nur keine der Wachen, mit denen Misato am Abend gesprochen hatte, um sie abzulenken, damit die anderen vorbeikamen, gegenüber Ikari äußern, daß sie Misato im Hauptquartier gesehen hatten... allerdings ließ der Kommandant sich nicht dazu herab, mit einfachen Wachposten zu sprechen... Hochmut kam eben vor dem Fall.

Shinji gähnte ausgiebig hinter vorgehaltener Hand, blickte dabei Rei von der Seite an.
\"Misato, ich bin müde, ich glaube, ich gehe schlafen.\"

\"Ist in Ordnung. Ich rufe morgen in der Schule an, daß du nicht kommst, war schließlich ein anstrengender Tag... oder für dich eher anstrengende drei Wochen... - Rei, wie sieht es aus, möchtest du auch noch einen freien Schultag? Nach drei Wochen kommt es auf einen weiteren Tag auch nicht mehr an.\"

\"Danke, Misato-san.\"

\"Keine Ursache, schlaft euch richtig aus.\"

Die beiden verschwanden in ihrem Zimmer.

Misato öffnete die erste Dose, seufzte.
Die beiden noch einmal zu ermahnen, gewisse Dinge zu unterlassen, hätte wahrscheinlich auch nichts gebracht...


*** NGE ***


Müde stieg Shinji aus Hemd und Hose, legte beides ordentlich zusammen und schlüpfte dann unter die Decke.

Rei legte Bluse und Rock ab und gesellte sich dann zu ihm, kuschelte sich an ihn und genoß seine Umarmung.
\"Shin-chan...\"

\"Hm?\"

\"Versprich mir, daß du so etwas nie wieder machst...\"

\"Was?\" murmelte er.

\"Dich von einem EVA absorbieren zu lassen.\"

\"Uh... versprochen... Und du... du läufst nie wieder mit einer N2-Mine durch die Gegend, um sie Engeln in diverse Körperöffnungen zu stopfen...\"

\"Diverse... ich verstehe... ein Wortspiel... ich... Du hast mein Wort.\"
Sie küßte ihn sanft auf die Lippen.

Shinji schloß die Augen.
\"Du hast mich zurückgerufen...\" nuschelte er.

Wieder küßte sie ihn, dieses mal auf den Mundwinkel, dann auf das Kinn, arbeitete sich langsam seinen Hals entlang zu seiner Brust. Ihre schmalen Hände glitten über seine Seiten, zupften am Bund seiner Unterhose.

Shinji gab einen leisen Schnarchlaut von sich.

Rei sah auf, brach ihr Vorhaben ab, rutschte wieder ein Stück nach oben und in seine Arme.
Sie hatten Zeit... sie hatten alle Zeit der Welt... jedenfalls solange diese existierte...


*** NGE ***


\"Also, sowas... Ich wüßte zu gerne, was schiefgelaufen ist!\" erklärte Ritsuko mit ernstem Gesicht, während sie sich von einem der obersten Stege einen Überblick machte.

Ihre Show galt ihren Untergebenen, jener Handvoll Wissenschaftler, die unter ihrem Kommando in der Gen-Schmiede tätig waren.

Neben Akagi schüttelte Maya vehement den Kopf.
\"Vielleicht eine Überlastung... aber soviel Energie haben wir dem Kern von EVA-03 doch gar nicht zugeführt...\"
Sie seufzte.

Ritsuko stieß ihre Assistentin an - nicht übertreiben!

Gendo Ikari betrat die Gen-Schmiede.
\"Also, Doktor Akagi, was ist vorgefallen?\"

Ritsuko versenkte sich in ihren Unterlagen, sollte Gendo doch denken, daß es ihm gelungen war, sie einzuschüchtern...
\"Ich habe in den letzten Tagen dem Kern von EVA-03 Energie zugeführt, um die Regeneration der Einheit zu beschleunigen - um den Ersatzkopf montieren zu können, muß der Halsstutzen vollständig intakt sein. Allerdings habe ich das Projekt über der Bergung Ihres Sohnes etwas vergessen...\"

\"Das hätte nicht passieren dürfen!\"

\"Sie haben gesagt, daß EVA-01 Vorrang hat\", sagte Ritsuko leise, um ihm nicht den Eindruck zu geben, sie wolle seine Autorität untermauern. \"Außerdem haben wir noch EVA-04, der Kern der Einheit hat zwar leichte Schäden, aber das bekommen wir hin. Mit den Resten von EVA-03 stehen uns auch ausreichend Einzelteile zur Verfügung.\"

Mayas Gesicht nahm eine grünliche Farbe an.
Sempai Akagi wollte doch nicht wirklich aus den zwei Kadavern einen funktionsfähigen EVANGELION zusammenbasteln...

Ikari gab ein unwilliges Brummen von sich.
\"Was ist mit den anderen EVAs?\"

\"Wie Ihnen sicher bekannt sein dürfte, hatte die Bergungsoperation Erfolg...\"

\"Ich weiß. Sie werden EVA-01 umgehend auf Eis legen, frieren Sie die Einheit ein.\"

Ritsuko verschluckte ihren Protest.
Von Ikaris Warte aus machte es wahrscheinlich sogar Sinn, die wohl mächtigste Einheit einzufrieren, damit diese nicht wieder von selbst aktiv wurde.
\"Ich gebe gleich die entsprechenden Anweisungen.\"

\"Und was ist mit EVA-00 und -02?\"

\"Einheit-02 ist vollkommen wiederhergestellt, ich wollte heute erste Rekalibrierungstests mit dem Second Children durchführen, um zu überprüfen, ob...\"

\"Solche profanen Einzelheiten interessieren mich nicht.\"

\"Ahm... EVA-00 benötigt noch einige Tage im Regenerationsbecken, die Schäden waren doch etwas massiver als bei Einheit-02, aber wir konnten die Reservearme anpassen und montieren. Ausgiebige Synchrontests sind für nächste Woche angesetzt.\"

\"Gut. Und die Piloten?\"

Ritsuko wartete wieder einen kurzen Moment mit der Antwort.
Garantiert wußte Gendo ebensoviel wie sie selbst, was den Zustand der Piloten anging, wenn nicht noch mehr, schließlich war er doch der Kontrollfanatiker. Um so seltsamer erschien es ihr, daß er nicht jede und auch wirklich die kleinste Information von ihr herausverlangte...
\"Shinji geht es den Umständen entsprechend, er hat aber keine Schäden davongetragen...\"

\"Ohne EVA-01 ist das Third Children irrelevant. Die anderen Piloten haben Vorrang.\"

\"Er war vor seiner Assimilierung der beste Pilot des Teams.\"

\"Deshalb wird er auch als Reserve weitergeführt und nicht heimgeschickt.\"

\"Ja... Rei ist einsatzbereit, Asuka ebenfalls... jedoch habe ich gewisse Zweifel beim Second Children...\"

\"Welcher Art?\"

\"Sie erscheint mir instabil, vielleicht sollte ein Spezialist sie sich einmal ansehen und...\"

\"NERV ist nicht dafür da, irgendwelchen minderjährigen Gören mit Starallüren Händchen zu halten. Solange sie ihren EVA steuern kann, ist es mir egal, ob sie geistig stabil oder halbverrückt ist. Nur darauf kommt es an.\"

\"Ja... Sir.\"

\"Und außerdem haben wir mit dem Fifth Children einen weiteren Reservepiloten. Sollte das Second Children ausfallen, wird Nagisa ihren Platz übernehmen.\"

Ritsuko nickte nur.


*** NGE ***


Kaji erwartete Kozo Fuyutsuki in der Cafeteria.
\"Und? Wie ist es gelaufen?\"

\"Ich lebe noch, wie Sie sehen. Aber Ikari war alles andere als erfreut darüber, daß SEELE über seine Pläne Bescheid weiß. Anscheinend geht er jedoch davon aus, daß Keel und Konsorten bereits das meiste ohnehin vermutet hatten und nur Gewißheit bekommen haben.\"

\"Sie sind nicht um sonst Spießruten gelaufen\", murmelte Kaji. \"Ikari hat nicht zufällig eine Bemerkung über seine weiteren Pläne fallengelassen?!\"

\"Leider nicht.\"

\"Hm... na gut, dann muß ich halt ohne Anhaltspunkte weitermachen.\"

\"Warum tun Sie das, Kaji? Warum riskieren Sie Ihr Leben, um zu erfahren, was Ikari plant?\"

\"Mein Job.\"

\"Das glaube ich Ihnen nicht.\"

\"Meine Berufung? Ich bin schon immer blindlings dorthin losgelaufen, wohin selbst die Mutigsten nicht zu gehen wagten.\"
Kaji grinste.
\"Sie und ich, wir haben beide den Impact überlebt. Und zumindest ich habe kein Interesse daran, daß sich eine solche Katastrophe wiederholt. Solange Ikari mit NERV die Engel bekämpft, soll es mir recht sein, ich hänge am Leben. Aber irgendwann wird die Zeit kommen, zu der wir den Teufel in die Hölle zurückschicken müssen, damit er uns nicht hier auf Erden einheizt.\"

\"Sie wissen, weshalb ich an der Sache beteiligt bin.\"

\"Ja. Und nachdem, was Ritsuko Akagi gestern geschafft hat, habe ich kaum Zweifel, daß es ihr auch gelingen wird, Yui Ikari aus dem EVA zu befreien.\"

\"Das hoffe ich...\"

\"Werden Sie es dem Jungen sagen? Ich meine...\"

Fuyutsuki senkte den Blick.
\"Was? Daß mir die Ähnlichkeit nicht schon früher aufgefallen ist? Daß ich all sein Leid hätte vereiteln können... vereiteln müssen? Ich weiß nicht. Wenn Yui in seinen Augen nur halb so perfekt ist wie in den meinen, würde ihn die Wahrheit schwer treffen.\"

\"Shinji hat kaum noch etwas zu verlieren... aber dafür sehr viel zu gewinnen...\"

\"Major Kaji, woher nehmen Sie nur diese Weisheit?\"

\"Ach, die habe ich von meinem Lehrer.\"

\"Der Mann mit den Stahlklauen?\"

\"Genau. Ich überlege schon die ganze Zeit, wie man sein Dilemma lösen kann. Es muß übel sein, wenn man den eigenen Erinnerungen nicht trauen kann...\"


*** NGE ***


Misato blickte in das Zimmer ihrer Mitbewohner, ehe sie zum Dienst ging.

Die beiden lagen engumschlungen unter der Decke.
Sie wirkten so friedlich und zufrieden, daß Misato unwillkürlich lächeln mußte...

Als sich die Zimmertür wieder geschlossen hatte, öffnete Rei ein Auge. Sie lauschte.
Die Wohnungstür ging, der Major hatte das Apartment verlassen... sie und Shinji waren allein...
\"Shin-chan\", flüsterte sie in sein Ohr, strich dann mit den Lippen über den Rand der Ohrmuschel. \"Shin-chan, aufwachen...\"

\"Hm? Rei-chan... wie spät ist es denn...?\"

\"Spät genug, um einiges nachzuholen...\"


*** NGE ***


\"Asuka, es genügt, wir brechen ab und machen erst einmal Mittag.\" fragte Ritsuko in das Mikrophons ihres Headsets.

\"Wieso, ich bin noch nicht erschöpft!\" kam die Antwort.

Ritsuko schaltete die Sprechverbindung kurz ab, wandte sich Maya zu.
\"Was denkst du?\"

\"Ich bin unsicher, Sempai. Asukas Synchronratio liegt mittlerweile deutlich unter der 50,0-Marke. Und trotz der Tatsache, daß wir den halben Tag schon hier sind, hat sich der Abstieg nur verlangsamt, aber nicht eingependelt.\"

\"Ja, das denke ich auch. Sie befindet sich auf einer ziemlichen Talfahrt.\"

\"Sempai, ich glaube, es hat begonnen, als Shinji sie überholt hat.\"

\"Ja, das könnte passen. Nur war es da noch nicht so offensichtlich, weil zeitweilige Einbrüche keine Seltenheit darstellen.\"

Maya rief ein Diagramm auf dem Bildschirm ihres Terminals auf.
\"Und nachdem Rei sie in der Schule verprügelt hat, ging es steil nach unten mit der Synchratio. Und noch ein weiterer Einbruch, als sie endgültig von Rei überholt wurde.\"

\"Ihr Selbstbewußtsein ist stark angeschlagen, dazu kommt noch ihre ohnehin fragile Verfassung.\"

\"Was wollen Sie jetzt tun, Sempai?\"

\"Ich weiß es nicht. Wenn ich Asuka einfach ersetze, rastet sie wahrscheinlich völlig aus und taugt nicht einmal mehr als Reservepilot... Hm...\"
Ritsuko schaltete die Sprechverbindung wieder ein.
\"Wir machen eine Pause. Asuka, versuche einfach, nicht so sehr an deine Synchronrate zu denken, sondern konzentriere dich allein auf die Verbindung zu EVA-02.\"

\"Und wie soll ich das, ohne an die Synch zu denken?\" brummte die Rothaarige.

\"Es ist nicht wichtig, ob andere Piloten besser sind als du, das kommt immer wieder vor.\"

\"Mir nicht.\"
Asuka kniff die Augen zusammen, wollte anscheinend noch etwas sagen, überlegte es sich dann aber anders.
Akagi würde sie ohnehin nicht verstehen.
Sie war die beste, sie mußte die beste sein...


*** NGE ***


Shinji war gerade dabei, das Bett abzuziehen, während Rei im Bad unter der Dusche stand.
Woher nahm er nur diese Selbstbeherrschung... oder war es mehr die möglicherweise altmodische Vorstellung, ihre Jungfräulichkeit bis zur Hochzeitsnacht bewahren zu wollen... Heiraten... der Mann, den er immer für seinen Vater gehalten hatte, würde das nie erlauben, nicht wenn es um Rei ging...
Shinji seufzte.
Womit hat ein Verlierer wie er nur jemanden wie Rei verdient? Vielleicht hatte er in einem früheren Leben irgendeine Glanzleistung vollbracht, für die er jetzt belohnt wurde... vielleicht war es aber alles auch nur ein einziger großer Zufall...
Rei-chan...
Ihre weiche Haut, ihre zärtliche Berührung...
Er mußte lächeln.
Dann raffte er das Bettzeug zusammen und trug es ins Bad, wo der Wäschekorb stand. Sicher war unter der Dusche auch Platz für zwei. Selbst wenn sie beide noch nicht für eine... wie hatte Rei-chan es bezeichnet... körperliche Vereinigung bereit waren, wollte er doch jeden Augenblick nutzen, den sie gemeinsam hatten...


*** NGE ***


In den nächsten Tagen fand eine Reihe von Entwicklungen statt, die sich teilweise bereits in Bewegung befunden hatten, teilweise aber auch nur am Horizont für den Kundigen erkenntlich gewesen waren.


*** NGE ***


Asukas Synchronratio fiel weiter, bald schon erschien die 50,0-Marke unerreichbar, die 30,0-Marke dafür um so näher. Sollte sie unter diese Grenze fallen, würde sie nicht mehr fähig sein, EVA-02 in einem Kampf zu steuern, selbst einfache Bewegungen würden nahezu unmöglich werden. In diesem Fall - und darin stimmten Ritsuko und Misato ausnahmsweise mit dem Kommandanten überein - würde Kaworu sie als Piloten von EVA-02 ersetzen.
Asuka blieb dies natürlich nicht verborgen, auch wenn Doktor Akagi bereits ihre Synchronwerte dezenterweise nicht mehr am Schwarzen Brett im Kontrollraum des Testcenters aushing. Allerdings reagierte sie auf alle gutgemeinten Ratschläge Akagis bockig und voller Trotz - was wußte diese falsche Blondine denn schon von der Steuerung eines EVAs? Dafür benötigte man Fingerspitzengefühl und Talent. Und Talent, das hatte sie doch reichlich, schließlich war sie Asuka Soryu Langley!
Doch auch dies hielt den weiteren Verfall ihrer Synchratio nicht auf.
Das ganze hatte doch damals angefangen, als Weichei-Shinji gemeint hatte, sie aus dem Vulkan retten zu müssen, dabei hätte sie garantiert es auch selbst geschafft, aus der mißlichen Lage herauszukommen! - Das redete sie sich jedenfalls ein.
Ihre Entschlossenheit, es allen, die sie bereits aufgaben, so richtig zu zeigen, drückte sich in immer längeren und intensiveren Synchrontrainingssitzungen aus. Asuka wollte einfach nicht aufgeben - und sie konnte es auch nicht. Aber je mehr sie versuchte, mit EVA-02 in Kontakt zu treten, um so mehr entfernte sie sich von ihm, was ihrem ohnehin schon angeschlagenen Selbstbewußtsein weiteren Schaden zufügte, ebenso wie die Tatsache, daß Shinjis Synchratio sich bei den Trockentests über die MAGI bei 98,4 eingependelt hatte und das von Wondergirl nur knapp darunter lag, danach folgte Kaworu mit stolzen 74,1.
Was sie ganz dringend brauchte, war ein Sieg...

Um sich abzureagieren, hatte Asuka in ihrer Unterkunft eine Dartscheibe aufgehangen und darauf das Bild aus dem Tokio-3-Herald, welches Weichei-Shinji und Wondergirl zeigte, befestigt. Das Bild wies inzwischen starke Beschädigungen auf, die Augen der beiden Personen darauf waren überhaupt nicht mehr zu erkennen und um die Gesichter war es nur wenig besser bestellt...


*** NGE ***


Misato war mittlerweile wieder stolze Besitzerin einer sauberen, aufgeräumten und blitzblank geputzten Wohnung. Wenn sogar der Teppich den Eindruck vermittelte, daß man sich darin spiegeln konnte, dann war dies unter Garantie Shinjis Werk. Sogar ihr Auto funkelte wie neu, wenn Shinji in seiner Putzwut, nachdem er sein Fahrrad gereinigt hatte, nicht innehalten konnte.
Im Stillen fragte sie sich, wo er die ganze Energie nur hernahm, schließlich dürfte ihn doch wohl nachts Rei in Anspruch nehmen...
Abends war Misato häufig nicht anwesend, sondern ließ sich von Kaji zum Essen ausführen, lud ihn auch ab und an ein, oder fuhr einfach mit ihm ins Blaue. Kaji schien ihr viel erwachsener als zu ihrer gemeinsamen Zeit auf der Uni, allerdings schien er zuweilen sich ernsthafte Mühe zu geben, diesen Eindruck zu zerstreuen, indem er anderen Frauen hinterhersah oder ein jungenhaftes Verhalten an den Tag legte, daß sie fast schon versucht war, ihn nach draußen zum Spielen zu schicken...
Aber generell konnte sie sich nicht beklagen, nach Fürsprache des Sub-Kommandanten hatte der ältere Ikari sogar akzeptiert, daß Rei bei ihr wohnte, ohne an die Decke zu gehen, als sie zu sich zitiert hatte. Er schien vielmehr stark darauf bedacht gewesen zu sein, seine linke Hand außer Sicht unter der Tischplatte zu halten.
Asuka tat ihr ein wenig leid, aber sie wußte, daß das Mädchen sich einen Gutteil seiner Lage durch sein Verhalten selbst zuzuschreiben hatte. Schließlich hatten sie versucht, mit Asuka Freundschaft zu schließen, wenn diese allerdings der Ansicht war, keine Freunde zu benötigen, würde zumindest Misato sich ihr nicht aufdringen.


*** NGE ***


Kaworu Nagisa machte sich in ausgedehnten Streifzügen erst mit dem Hauptquartier und dann mit der Geofront vertraut, dabei blieb es nicht aus, daß er Asuka über den Weg lief, die - wie in letzter Zeit viel zu oft - mit einem Gesichtsausdruck durch die Gegend lief, der zwischen roter Zorneswut und abgrundtiefer Verzweiflung schwankte.

Kaworu saß auf einem Laufsteg im Hangar und ließ die Beine baumeln, wobei er die EVAs betrachtete.
Lilim-Werke mit dem Aussehen von Lilims, geschaffen von Lilim-Hand... die Menschen strebten nach der Sphäre der Schöpfung, wollten sich auch die letzten Geheimnisse untertan machen... glücklicherweise lag die Sphäre der Seelen außer ihrer Reichweite, sie waren bei weitem noch nicht reif genug, auch dieses Rätsel anzutasten... vielleicht in weiteren zehntausend Jahren, so sie so lange überlebten...
Tabris konnte LILITHs Gegenwart spüren, tief unter ihm. Die Urmutter war nahe und doch unerreichbar. Der Lilim-Körper, der ihn verbarg, war aus eigener Kraft nicht imstande, bis in ihr Gefängnis vorzustoßen, zuviele Barrieren, Tore und Wachen befanden sich zwischen der Mutter und ihm, selbst wenn er seine wahre Herkunft offenbarte und sein AT-Feld außerhalb des Körpers entstehen ließ, würden sie ihn aufhalten können. Sein ausgeliehener Körper war zu verletzlich, als daß er sich Illusionen machte, ohne Hilfe sich einen Weg bahnen zu können.
Er würde also entweder die Hilfe anderer Lilims in Anspruch nehmen, oder einen der EVANGELIONs unter Kontrolle bringen müssen, um mit diesem in das sogenannte TerminalDogma vorzustoßen und seine Mutter zu befreien.
Ersteres würde sich schwierig gestalten, er wußte einfach nicht, wem er vielleicht vertrauen konnte. Wenn Leriel Erfolg gehabt hatte, dann wußte der Lilim namens Shinji Ikari um die Geschichte des uralten Krieges zwischen LILITH und ADAM, zwischen den Verkörperungen des Weiblichen und des Männlichen, zwischen Geburt, Wachsen und Schöpfung und Krieg, Tod und Vernichtung. Doch Shinji-kun schien sich dieses Wissens nicht zu erinnern...
Tabris verspürte mit dem Lilim Shinji eine seltsame Vertrautheit, ebenso mit dem weiblichen Lilim Rei Ayanami, so als hätten sie etwas gemeinsam, das er nicht näher erkennen konnte.
Zwischen den beiden existierte ein Band, um welches ein Teil von ihm sie beneidete, mit seinen Engelssinnen konnte er es manchmal erkennen, wenn sie nahe genug beieinander standen, es glänzte in Gold und Silber und voller Kraft. Es war das Band der Liebe, deren Schutzpatron er zu Zeiten der ersten Kultur auf Erden gewesen war...
Die Lilim hielten LILITH gefangen, die auch ihre Mutter gewesen war, ohne LILITH hätte es kein Leben auf der Planetenkugel gegeben, welche von ihren Bewohnern Erde genannt wurde. Wenn er sich ihnen offenbarte, lief er Gefahr, ebenfalls gefangengenommen zu werden, etwas daß er um jeden Preis vermeiden mußte. Vielleicht hatten seine verbleibenden Brüder, Arael und Armisael, mehr Erfolg, wenn sie dem Plan folgend mit den anderen EVA-Piloten Kontakt aufnahmen...

Kaworu sah Asuka näherpoltern, die Gleichaltrige stampfte über die Stege mit einem Marschschritt, der all ihrer Wut Ausdruck verlieh.
Das Mädchen war Tabris unheimlich. Asuka Soryu Langley verschloß ihre Seele vollkommen, sie war einer der wenigen Lilim, welche imstande waren, das Feld ihrer Seele nach außen zu projizieren und als Barriere zwischen sich und anderen zu errichten. Ein weiterer Lilim, der dazu fähig war, war der Kommandeur von NERV.
Tabris bedauerte beide. Durch den Schild des Feldes ihrer Seelen waren sie nicht mehr imstande zu sehen, wie wunderschön die Schöpfung war... die Lilim nannten das Feld der Seelen auch das AT-Feld... Absolute Terror Field... was war nur so schrecklich daran, sein Herz auch anderen zu öffnen? Die Lilim waren nicht geschaffen worden, allein zu existieren, sonst hätte die Schöpfung sie wohl kaum mit zwei Geschlechtern und begrenzter Lebensspanne ausgestattet...

\"Warum machst du so ein wütendes Gesicht?\" fragte er Asuka freundlich und neugierig zugleich von seinem höhergelegenen Steg.

Sie zuckte zusammen, verlangsamte ihre Schritte, sah nach oben.
\"Das geht dich nichts an!\"

Kaworu sprang auf die Füße, setzte sich ebenfalls in Bewegung, um mit ihr Schritt zu halten.
\"Na komm, wir sind doch Kollegen, wenn du etwas auf dem Herzen hast...\"

Asuka bleib stehen, sah ihn wütend an.
\"Laß mich in Ruhe! Ich kenne dich kaum, du bist doch nur auf meinen EVA scharf!\"

\"Nein, bin ich nicht. Doc Ritsuko meint, sie könnte meinen vielleicht wieder hinkriegen. Und daß wir uns kaum kennen - nun, das ließe sich ändern, komm doch mit mir in die Cafeteria und trink mit mir eine Brause!\"
Tabris war süchtig nach Süßem... dort wo er herkam, gab es keinen Zucker, eigentlich gab es dort überhaupt keine Nahrung, sondern nur Energie, weshalb er jede Mahlzeit aufs Neue genoß, egal wie einfach und eigentlich geschmacklos sie war.

Asuka schnaubte.
\"Als ob ich mich mit dir Bleichgesicht irgendwo blicken ließe!\"

Kaworu machte ein Gesicht, als hätte ihn diese Bemerkung tief getroffen.
\"Asuka Soryu Langley, ich kann spüren, daß dein Herz verletzt wurde, nicht einmal, sondern mehrfach. So etwas sollte niemand erleben müssen, nicht einmal. Wenn ich dir helfen kann...\"

\"Such dir lieber eine andere Anmache. Ich falle auf sowas nicht mehr \'rein.\"
Sie stampfe davon, bleib an der Tür noch einmal stehen.
\"Und was weißt du schon von meinem Herzen! Häng dich doch an Weichei und Wondergirl, die stehen sicher auf so ein Gelaber!\"
Asuka verließ den Hangar.

Kaworu seufzte.
Sie konnte er wahrscheinlich von der Liste potentieller Verbündeter streichen.
Irgendwo in der Nähe konnte Tabris auch ADAM spüren, der Urvater war ebenfalls nahe. Natürlich, LILITHs Nähe zog ihn an, sie hatte ihn einmal abgewiesen und bei ihrer zweiten Begegnung besiegt, dies verzieh er nicht. ADAM würde erst Ruhe geben, wenn LILITH vor ihm im Staube lag und um Gnade flehte, in einem Staub, der aus all dem bestand, was sie geschaffen hatte. Tabris, der das Erbe beider in sich trug, konnte beide bis zu einem gewissen Punkt verstehen, doch seine Loyalität lag bei der Mutter, die ihn in die Welt gesetzt hatte.
Im Gegensatz zu LILITH konnte er ADAM aber nur diffus spüren, mehr wie ein Phantom oder einen kalten Lufthauch, ohne bestimmen zu können, wie weit er genau entfernt war und in welcher Richtung er sich befand. Daraus schloß er, daß ADAM sich ebenfalls in einem Lilim verbarg, wahrscheinlich war auch andere Art als er es tat. Und wahrscheinlich konnte ADAM ihn im Gegenzug nicht spüren, sonst hätte er ihn längst gestellt und mit ziemlicher Sicherheit vernichtet...


*** NGE ***


Resignierend blickte Kaji auf das Go-Brett, das zwischen ihm und dem Stellvertretenden Kommandanten stand.
\"Sie spielen zu gut für mich, Fuyutsuki-Sensei.\"
Er verbeugte sich, zeigte so seine Niederlage an.

\"Aber Sie haben sich bereits verbessert, Major.\"

Seit guten zwei Wochen trafen sie sich fast jeden Nachmittag in der Kantine im hintersten Winkel, um ein wenig Go zu spielen und sich leise zu unterhalten. Inzwischen konnten sie das Brett auch stehenlassen, ohne daß jemand Steine verschob oder es gar einräumte.

Gerade war eine Partie zu Ende gegangen, die sich über vier Tage hingezogen hatte - und Fuyutsuki hatte nicht einmal sein ganzes Können ausgespielt.

\"Ist Ikari immer noch wütend auf Sie?\"

\"Ja, er denkt wohl, ich hätte mich besser unter Kontrolle behalten und schweigen müssen... daß ich noch lebe, ist für ihn anscheinend ein Zeichen großer Schwäche. Aber er redet ohnehin kaum noch mit irgend jemandem, sitzt nur in diesem riesigen Büro, wälzt seine Unterlagen und starrt auf die Überwachungsmonitore...\"

\"Nun ja, solange er uns hier nicht abhören kann...\"
Kaji klopfte wie geistesabwesend auf die Aktentasche, die auf dem Stuhl neben ihm stand.
Und selbst wenn Ikari jeden Raum im Hauptquartier verwanzt hatte, würde der WhiteNoise-Generator in der Tasche die Übertragung stören...

\"Haben Sie immer noch das Melonenfeld draußen in der Geofront?\"

\"Weiß das denn jetzt schon jeder hier? - Ja, ich kümmere mich immer noch um mein Gärtchen.\"

\"\'Ist wahrscheinlich eine gute Ablenkung... ich habe mich früher noch auf dem Laufenden gehalten, was in meinem alten Fachgebiet so neues geschah, aber irgendwann habe ich den Anschluß verloren.\"

\"Hm... ich wüßte wirklich zu gerne, was in Ikaris Kopf vor sich geht.\"

\"Da sind Sie nicht allein. Was macht Ihr Freund, irgendwelche Vorschritte?\"

\"Nein, er hat zwar eine Idee, aber ich weiß nicht, ob ich ihm dabei helfen sollte...\"

\"Wenn ich etwas tun kann... ich muß mich doch revanchieren für das, was Sie für mich getan haben.\"


*** NGE ***


Misatos Badewanne war fast bis zum Rand mit warmem Wasser gefüllt, auf dem üppige Badeschaumkronen schwammen. Und sie bot Platz für zwei, wenn diese die Knie anzogen...

Zwei Köpfe schauten aus dem Schaum, der eine von blauen, der anderen von dunkelbraunen Haaren bedeckt, beide hatten Badeschaum im Haar. Leise Lachen hallte durch den Raum, drang auch durch die verschlossene Tür, vor der ein äußerst deprimierter Pinguin stand, ein Handtuch über die Schulter geworfen und eine langstielige Bürste unter der Flosse.

Shinji hob eine Handvoll Schaum an, blies hinein.
Eine Flocke Badeschaum flog durch die Luft, landete auf Reis Nase.

Sie kicherte, rutschte dann wenig herum, kurz darauf erschien ein helles Bein neben Shinji aus der Schaumschicht.
\"Würdest du es wohl waschen, Shin-chan?\"

Breit grinsend angelte er nach dem Seiflappen.
\"Aber immer.\"

Draußen ließ PenPen den Kopf hängen und trottete zurück in seinen Kühlschrank. Das konnte noch dauern, bis das Bad frei war...


*** NGE ***


Nach einer Woche war Hikari erstmals wieder zur Schule gekommen, sie saß noch im Rollstuhl, den Toji pflichtbewußt durch die Gegend schob; die Ärzte hatten ihr geraten, vorerst immer nur einige wenige Schritte zu tun und deren Anzahl langsam von Tag zu Tag zu erhöhen, worüber Toji mit Adleraugen wachte. Mittlerweile waren ihre Beine wieder kräftig genug, um sie einmal quer durch das Klassenzimmer zu tragen, ohne einzuknicken, doch es erschöpfte sie ganz schön.

Die Klasse war auch um einen Schüler angewachsen, auf dem Platz neben Shinji saß Kaworu Nagisa und lächelte in die Welt. Nur wenn er Asukas abweisendem Blick begegnete, stahl sich für einen Moment Traurigkeit in seine Augen.
Mit den anderen Schülern kam er allerdings dank seiner freundlichen Art bestens aus.

Am Tag darauf baute Asuka sich vor Shinjis Pult auf, funkelte ihn böse an und warf ihm mit den Worten \"Da, du Berühmtheit!\" einen Packen Zeitungsausschnitte auf den Tisch.
Verwundert sah Shinji sie durch, es war eine mehrteilige Reportage Meiko Tanagawas, die im Tokio-3-Herald erschienen war - und sie handelte von ihm.

\"Äh...\"

\"Mit so einer Antwort habe ich gerechnet\", sagte Asuka schnippisch und rauschte davon.

Während der Unterrichtsstunde las er sich heimlich im Schatten des aufgeklappten Laptops die Artikel durch. Es war beängstigend, was diese Reporterin teils richtig recherchiert, teils aber auch frei zusammengeschrieben hatte...

In der nächsten längeren Pause kam die ganze Truppe erstmals seit längerer Zeit wieder vollzählig auf dem Dach der Schule zusammen. Hikari ließ sich von Toji an der Hand die Treppe hinaufführen, lächelte dabei scherzhaft-huldvoll, ließ sich dann aber mit einem leisen Ächzen im Schneidersitz auf den Boden sinken. Kurz darauf ließen sich auch die anderen auf dem Boden nieder, holten ihre Essensschachteln heraus und begannen untereinander Teile ihrer jeweiligen Mittagessen zu tauschen.

\"Guckt mal, da ist der Neue\", sagte Kensuke plötzlich, der Rei gerade etwas Gemüse abzuschwatzen versuchte.

\"Hm?\"
Shinji drehte den Kopf.
Im Treppenaufgang stand Kaworu und lächelte schüchtern.
\"Oh, Nagisa-kun. - Komm doch \'rüber. - Äh, wenn ihr nichts dagegen habt...\"

\"Nein, nichts.\"
Toji rutschte zur Seite, so daß zwischen ihm und Shinji eine Lücke entstand, nutzte zugleich die Gelegenheit, näher an Hikari heranzurutschen, welche die Augen niederschlug und ihm still zulächelte.

\"Klar, kein Problem\", schmatzte Kensuke.

Rei nickte nur.

\"Danke, danke!\"
Kaworu ließ sich rasch zwischen Shinji und Toji nieder, grinste breit.
\"Hallo, ich bin Kaworu!\"

\"Du bist doch auch ein EVA-Pilot, erzähl mal!\" sagte Kensuke.

\"Oh, ich...\"

\"Für Nagisa-kun besteht dieselbe Geheimhaltungspflicht wie für Shinji und mich.\" kam es ruhig von Rei.

\"Ach, Mensch, Ayanami...\"

Kaworu seufzte.
\"Die werte Rei hat recht - aber es gibt auch nichts, das ich erzählen könnte, ich habe nicht einmal einen EVA.\"

\"Stimmt es, daß du von einem Engel gefressen worden bist?\"

\"Ahm... naja... Gefressen ist vielleicht das falsche Wort.\" murmelte Kaworu.

\"Das... uhm... das ist keine angenehme... ahm... Erinnerung\", sagte Shinji rasch.

\"Ihr seid wirklich langweilig. Okay, Ikari, dann erzähl du doch mal \'was vom letzten Angriff, der Engel ist doch bis in die Geofront vorgedrungen, nicht?!\"

\"Ja, das stimmt... uh... wir haben gegen ihn gekämpft und... naja... gewonnen... sonst wären wir nicht hier.\"

\"Ach so, wenn das so einfach ist, warum bin ich dann nicht auch ein EVA-Pilot?\"

\"NERV hat derzeit mehr Piloten als EVAs, Aida-kun.\" erklärte Rei.

\"Und? Dann käme es auf einen mehr auch nicht an...\"

Die anderen gaben ein kollektives Seufzen von sich. Nur Kaworu blickte verwirrt in die Runde.

\"Uhm, Nagisa-kun, hast du nichts zum Essen dabei?\"

\"Nein...\"

\"Dann... du kannst von mir etwas abhaben.\"

\"Danke, Shinji-kun, aber das ist nicht nötig, ich habe keinen Hunger.\"

\"Kumpel, nach dem Vormittag mußt du doch ein Loch im Bauch haben. Hier.\"
Toji hielt ihm seine Schachtel unter die Nase.

Schweigend bot ihm auch Rei etwas an.

Kaworu zierte sich noch eine Weile, nahm dann hier ein bißchen und dort ein wenig, bedankte sich jedesmal.

\"So, Ikari, wenn du schon nichts über die EVAs erzählen willst, dann sag uns doch wenigstens, was für ein Zeug dir Asuka vorhin auf den Tisch geknallt hat.\"

\"Oh, Kensuke, das... ahm...\"
Shinji zog die Zeitungsartikel aus der Hosentasche, strich sie glatt und reichte sie Kensuke.

\"Hey, das sind ja die Artikel von Meiko Tanagawa! Die Frau schreibt einfach spitze, nicht wahr, Ikari? Ich habe sie auch alle ausgeschnitten!\"

\"Uhm, sie hat eine blühende Phantasie...\"

\"Warte, warte, hier, das ist doch interessant - bist du wirklich bei Pflegeeltern auf dem Land aufgewachsen?\"

\"Uh, ja...\"

\"Und hier: \'Von seinem Vater im Stich gelassen, findet der junge Shinji Ikari Trost in den Armen seiner Kollegin Rei Ayanami.\' - Toji, was sagst du dazu?\"

Suzuhara grinste.
\"Mega-Playboy-Action!\"

\"Toji!\" lachte Hikari. \"Wie gemein!\"

\"Oder hier - sag mal, Ikari, stimmt es, daß du schon einmal verhaftet wurdest?\"

\"Ahm, das war ein Mißverständnis...\"

\"Ja, das steht hier auch, man glaubte, du würdest zu einer Gruppe Fahrraddiebe gehören, die die Gegend unsicher gemacht haben.\"

\"Ja, aber... uhm... es stimmt leider nicht alles... ich wurde niemals von einer Spezialeinheit ausgebildet, um meinen EVA steuern zu können...\"

Toji begann zu lachen.
\"Mir fällt es auch schwer, mir dich in einem Kampfanzug vorzustellen, Shinji!\"

\"Ich glaube, das würde dir nicht stehen\", bemerkte Kaworu.

\"Als nächstes will sie etwas über Asuka schreiben, über Ayanami hat sie wohl nicht so viel gefunden oder alles schon in der Serie über dich verbraucht, Ikari. Aber du tust mir echt leid... warum hast du denn nie gesagt, daß du dabei warst, als deine Mutter gestorben ist? Nachdem meine Mama das gelesen hatte, hat sie gesagt: \'Der arme Junge! Und ich war so unfreundlich zu ihm!\' Übrigens, ich soll dich demnächst ruhig mal zum Essen einladen.\"

\"Ah... das ist sehr freundlich von deiner Mutter, Kensuke... uh... der Tod meiner Mutter liegt schon so lange zurück und...\"
Shinji senkte den Kopf.
Plötzlich spürte er, wie Rei einen Arm um seine Schultern legte und ihn kräftig drückte.
Er lächelte.
Es tat gut, solche Freunde zu haben...
16. Zwischenspiel:

Gendo Ikari saß in seinem riesigen Büro hinter seinem riesigen Schreibtisch.
Vor ihm auf dem Tisch lagen auf einem Stapel unbeachteter Unterlagen ein weißer Handschuh und eine Spritze.

Ikari hockte zusammengekrümmt in seinem Sessel und starrte auf seine linke Hand.

Und seine linke Hand starrte zurück.
Sie war seltsam angeschwollen und aufgequollen, mitten in der Handfläche befand sich ein einzelnes rotes Auge, welches mehr Ähnlichkeit mit dem einer Echse als dem eines Menschen hatte.
Das Auge starrte Ikari an ohne zu blinzeln.

Mit der anderen Hand hielt er das Handgelenk umklammert, der Ärmel war bis zur Ellenbogenbeuge hochgekrempelt.
Gendo Ikari glaubte zu spüren, wie ADAM unter der Haut sich ausdehnte, meinte ein schwaches Pulsieren zu spüren.

Endlich wirkte das Medikament.

Schläfrig schloß sich das Auge, wurde von einer dünnen wimpernlosen Hautmembran verborgen.

Ikaris Atem ging keuchend.
Mittlerweile war die fünffache Dosis der Droge notwendig, um ADAM ruhigzustellen, doch sobald er erwachte, begann er sich weiter in ihm vorzufressen.

Vielleicht hatte er doch vorschnell gehandelt, als er sich den Engel einpflanzen ließ...

Doch die Zweifel verflogen schnell wieder.
Drei Engel noch und sein Name würde \'Gott\' lauten...
Kapitel 46 - Brennende Erinnerungen

Die Ruhe zwischen den Angriffen war viel zu schnell wieder vorbei...

An der Oberfläche regnete es in Strömen, Shinji und Rei rannten durch die Pfützen zwischen dem Apartmentgebäude und der Bahnstation, ihre Jacken über die Köpfe gezogen, waren trotzdem sogleich durchnäßt.
Sie waren immer noch triefend naß, als sie mit dem Aufzug in die Geofront hinabfuhren. Gerade als sie das Hauptquartier betraten, ging der Alarm los. Über Lautsprecher wurden die Piloten einsatzfertig in den Hangar beordert.

Kurz darauf saßen sie in den EntryPlugs.

EVA-01 war immer noch eingefroren, befand sich bis zur Brust in starrem kalten LCL.
Sogar im Plug war es so kalt, daß Shinji in seiner PlugSuit zu schnattern begann.
\"Wird... wird EVA-01 bald aufgetaut?\"

\"Bedaure, Shinji, Anweisung vom Kommandanten. Du sollst in Bereitschaft bleiben.\"

\"Und wenn ich hier zu einem Eiswürfel werde, Doktor Akagi?\"

\"Hackt Misato dich klein und packt dich in ihr Gefrierfach.\"

\"Das... brrr... das war nicht witzig...\"

\"Ich schalte die Heizung im Plug ein.\"

\"D-danke.\"

Misato schaltete sich von der Brücke aus in die Funkverbindung ein.
\"Wir haben jetzt einen visuellen Kontakt zum Engel.\"

Auf dem Hauptbildschirm erschien das Bild des neuesten Gegners. Vom Äußeren her erinnerte er an einen riesigen Vogel aus Feuer, einen Phönix, der über der Stadt schwebte, als warte er auf etwas.

\"Okay, da Shinji-kun heute auf der Reservebank bleibt, werden Rei und Asuka sich den neuen Engel vornehmen. Rei, du übernimmst die Führung...\"

\"Das kann ich besser!\" unterbrach Asuka Misatos Planung.

\"Asuka...\"

\"Laß mich die Vorhut übernehmen... bitte...\"

Im Kontrollraum schaltete Ritsuko auf ein Handzeichen Misatos hin die Verbindung zu den Plugs auf stumm.

\"Ritsuko...?\"

\"Ihr Synchratio ist zu niedrig...\"

\"Kann sie den Engel noch mit einem Gewehr unter Beschuß nehmen?\"

\"Ja, der Zielcomputer erledigt ohnehin das meiste. Aber Nahkampf kannst du vergessen.\"

\"Dafür halten wir Rei in Reserve. Ritsuko, Asuka braucht einen Sieg. Und dieser Engel sieht nicht sehr gefährlich aus, oder sagen deine Computer etwas anderes?\"

\"Den MAGI nach verfügt er über kein nennenswertes AT-Feld. Aber ich habe trotzdem ein ungutes Gefühl bei der Sache.\"

\"Wenn Asuka ihn erwischt, möbelt das vielleicht ihr Selbstbewußtsein wieder auf. Ich möchte ihr diese letzte Chance nicht verweigern. Und bei Schwierigkeiten kann immer noch Rei eingreifen.\"

\"Schicken Sie Langley als erste hinaus\", kam es vom Kommandostand.

Misato blinzelte.
\"Kommandant?\"

\"Ich genehmige den Antrag des Second Children.\"

\"Ja...\"

Die EVAs wurden von den Transportbändern zu den Aufzugsplattformen gebracht.

\"Asuka, du übernimmst die Führung. Wir geben dir eines der neuen Scharfschützen-Positronengewehre mit verbesserter Reichweite mit.

\"Gut. Ich werde ihn fertigmachen\", flüsterte Asuka.

\"EVA-02 - Take off!\"

Der rote EVA schoß der Oberfläche entgegen. EVA-00 wurde mit einem anderen Aufzug nach oben befördert.


*** NGE ***


\"Ich habe ihn im Visier.\" flüsterte Asuka. \"Aber er ist zu weit weg.\"

\"Du mußt Geduld haben\", erklärte Misato.

\"Natürlich.\" murmelte sie dumpf.
Geduld... Geduld... Misato hatte gut reden, es ging ja nicht um ihre Position im Team...
Asuka lehnte sich zurück, starrte die Vergrößerung des Engels wütend an, projizierte ihre ganze Wut auf die Erscheinung.
\"Los, du lahmer Engel! Beweg dich endlich, damit ich dir eins überbraten kann! Du bist ja langsamer als eine Schnecke! Beweg deinen Hintern!\"

Es half nichts, der Engel machte keine Anstalten, seinen Standort zu wechseln, blieb knapp außerhalb der Reichweite des Gewehres.

\"Worauf wartet der nur? Vielleicht will er uns zu Tode langweilen... - Misato, hast du eine Idee? Oder vielleicht noch ein anderes Gewehr?\"

\"Ich denke nach... Das Gewehr in den Händen deines EVAs ist das weitreichendste, das wir haben.\"

\"Wenn er nicht zu uns kommt, müssen wir halt zu ihm kommen. Und dann trete ich ihm kräftig in den Hintern!\"

\"Aber in der Luft ist EVA-02 ungeschützt vor einem Angriff.\"

\"Klar.\" Wieder blickte sie finster auf das Bild im Zielsucher. \"Könnte also länger dauern. Aber ich schaffe das...\"
Nicht, daß Misato auf den Gedanken kam, Wondergirl mit der Durchführung des Einsatzes zu betrauen... es reichte doch schon, daß EVA-02 nur mit Verzögerung ihren Kommandos nachkam. Die Gedankenübermittlung war derart zäh, daß sie eigentlich gleich auf die Handsteuerung hätte zurückgreifen können. Und das Echo von EVA-02 war nur schwach...
\"Verdammter Engel... verfluchter Feigling...\"
Der Engel schwebte nur schräg über ihr, schien mit seinen Flammenflügeln träge zu schlagen, um sich in der Luft zu halten.

\"Asuka, halt dich bereit! Er dehnt sein AT-Feld aus...\"

In diesem Augenblick schlug der Engel zu.
Kräftig bewegte er seine Feuerschwingen, stieß herab.

Plötzlich wurde EVA-02 in grelles Licht gebadet, das auch den EntryPlug ausfüllte. Überlaute Musik, ein Hallelujah aus zahllosen Kehlen, erstickte die Stimmen aus dem Lautsprecher.

Asuka preßte die Kiefer aufeinander, bis es schmerzte, kniff die Augen zusammen.
Der Engel war nähergekommen.
\"Stirb!\" brüllte sie und feuerte das Gewehr ab.
Die Positronenladung explodierte wirkungslos zwischen dem Engel und EVA-02.

Helles Leuchten umgab den Engel, er schien ständig zu wachsen, füllte bald gänzlich das Sichtfeld des EVAs aus.

Wieder zog Asuka den Abzug durch. Und wieder zeigten sich die Positronenladungen wirkungslos gegen das passive AT-Feld des Engels.

Der Gesang steigerte sich zu einem ohrenbetäubenden Lärm.

EVA-02 stolperte umher, versuchte aus dem Lichtschein zu entkommen.
Wild feuerte er um sich, Positronenladung um Positronenladung jagte aus dem Gewehrlauf, schlug krachend irgendwo in der Stadt ein.

Ganze Stadtviertel wurden von den Explosionen eingeebnet, in anderen loderten Brände zum Himmel.

Der EVA schleuderte das Gewehr fort, schlug wild mit den Armen um sich, zerstampfte die Gebäude zu seinen Füßen.

Asuka hielt sich beide Hände gegen die Ohren und wandte den Blick ab, doch das Licht fraß sich direkt in ihre Seele.

\"Nein!\"
Ihr Schrei wurde leiser, verebbte in einem Schluchzen...


*** NGE ***


\"Rei, du bist dran!\"

\"Bestätigt, Major.\"

EVA-00 hob sein Positronengewehr, feuerte in schneller Folge an EVA-02 vorbei das Magazin auf den Engel ab, lud nach.

Das AT-Feld des Engels schluckte alles, die Ladungen explodierten mitten in der Luft. Noch immer schwebte der Feuervogel hoch in der Luft.

\"Keine Wirkung, Major.\"

\"Ritsuko sagt, daß das AT-Feld nur defensiv wirkt. Ich kann Asuka nicht erreichen.\"

\"Major, der Engel ist für einen Nahkampf zu weit entfernt. Mit ausreichender physischer Gewalt könnte EVA-00 das Feld vielleicht durchdringen, aber dazu benötige ich einen festen Standpunkt.\"

\"Ja... in der Nähe sind keine hohen Gebäude mehr... wenn man den Engel zwingen könnte, tiefer zu gehen...\"

\"Rei, hole die Lanze.\"

Rei sah auf, als sie die Stimme des Kommandanten hörte.
Die Lanze...
Er konnte nur den Longinusspeer meinen, mit dem sie LILITHs Herz durchstoßen hatte, um ihre Regeneration zu bremsen...
\"Ja. Zu Befehl.\"


*** NGE ***


Asuka erinnerte sich...

Ihre Mutter, die sie im Arm hält...

Mama...

Ihre Mutter nach dem Zusammenbruch im Krankenhaus...

Mama, sprich mit mir!

Ihre Mutter, die sie auffordert, mit ihr in den Himmel zu kommen...

Der Schmerz, als ihre Mutter ihre Pulsadern öffnet, um sie mit sich zu nehmen...

Mama, warum?

Blut...

Nicht... nicht... ich will nicht...

Ihr Onkel, der gerade rechtzeitig kommt, um ihr das Leben zu retten...

Schritte auf der Treppe, ihre Mutter, die zum Dachboden hinaufläuft...

Eine verschlossene Tür, ihr Onkel, der sich gegen die Tür wirft, sie einrennt...

Ein Scheppern, als der Stuhl umstürzt, ein Knacken, als ein Genick bricht...

Ihre Mutter, die von der Decke baumelt, der Blick gebrochen...

\"Nein, ich will mich nicht erinnern!\"

Ihre Tante Ann, die bleich in ihrem Bett liegt, schon zu kraftlos, um ihr zum Abschied
zuzuwinken...

Ein Friedhof... Das Grab ihrer Mutter...

Der Blick ihrer Stiefmutter...

Verschwinde!

Die Worte ihres Vaters...

Laß mich allein... das ist alles deine Schuld!

Lügen, alles Lügen...

Kalter Stahl, der über ihre Handgelenke schneidet...

Blut, rotes Blut... ihr Blut...

Mama, warum tust du das mit mir?

\"Nein, warum zeigst du mir das?\"

EVA-03, dessen Kopf explodiert...

Die Klassensprecherin, die starr geradeaus blickt...

Zombie...

Wie ihre Mutter nach dem Unfall...

Sie ist eine von ihnen gewesen, eine EVA-Pilotin...

Ihr Werk...

\"Mein Werk... ich kann nur zerstören... warum kann ich nur zerstören? Ich will mich nicht daran erinnern!\"

Wieder das Krankenhaus, wieder ihre Mutter, die mit einer Puppe spielt, diese mit
monotoner Stimme als Asuka bezeichnet...

Mama, ich bin hier... ich bin keine Puppe...

Mama, sieh mich an!

Hände an ihrer Kehle...

Helle Narben an ihren Handgelenken, die angeblich von einem Unfall herrühren...

Die Nachricht, daß ihr Onkel vermißt wird...

Alle verlassen mich, jeder läßt mich im Stich...

Blut...

Tränen...

Einsamkeit...

\"Du verdammter Bastard! Warum hilft mir keiner? Ich darf nicht noch einmal versagen... Ich kann nicht noch einmal versagen... Kaji, hilf mir! Bitte... meine Seele... meine Seele wurde beschmutzt... wie soll mich jemals ein Mensch lieben können... Nein!\"

Pietter...

Ihre erste Liebe...

Vertrauen, das betrogen wird...

Geflüsterte Versprechen...

Die Limonade schmeckt seltsam...

Müdigkeit, die von ihr Besitz ergreift...

Schlafen, nur noch schlafen...

Pietter, der sie nach oben trägt...

Gierige Hände, die sie entkleiden...

Das Geräusch, als der Stoff ihres Kleides zerreißt...

Pietter, nicht...! Tu das nicht... Bitte!

Schmerz, als er brutal ihre Brüste knetet, Schmerz, als er in die Knospen beißt...

Pietter... bitte... bitte...

Finger, die dunkle Male auf ihrer vorher makellosen Haut hinterlassen...

So müde...

Seine Zunge, die sich ihren Weg in ihren Mund erzwingt...

Abwehrbewegungen, die zu schwach und fahrig sind, um ernstgenommen zu werden...

Bitte, Pietter, nicht weiter...

Schmerz, als er in sie eindringt und ihre Jungfräulichkeit nimmt, dabei grunzt und
hechelt wie ein Tier...

Schmerz, als er sie brutal küßt...

Nicht... bitte nicht... nicht weiter... nicht mehr...

Kaji... Kaji war da.. ihr Ritter in strahlender Rüstung....

Seine starken Arme tragen sie in den Nebenraum, decken sie zu...

Onkel Wolf... bitte, nicht böse sein...

Ein Schrei... Pietters Schrei... voller Schmerz...

Gut... leide... Bastard...

Ein Schuß... noch einer...

Brenn in der Hölle...

\"Laß mich... zeig mir nicht noch mehr... dring nicht weiter in meine Erinnerungen ein...\"

EVA-02...

Sie ist unter vielen ausgewählt worden...

Sie ist die beste, EVA-02 gehorcht ihr aufs Wort, ist ihre Puppe...

Schweigen...

EVA-02 schweigt...

Beweg dich! Beweg dich! Ich bin deine Herrin, du mußt mir gehorchen, du bist meine
Puppe!

\"Meine Aufgabe... alle verlassen mich... Was soll ich nur tun...\"

Shinji...

Er mußte sie aus dem Vulkan retten...

Sie war unfähig gewesen...

Seine Synchronrate ist besser als die ihre...

Warum? Sie ist doch die Beste, wie kann er sie überholen?

Wondergirl...

Wohin Shinji geht, geht auch sie hin...

Seine Puppe...

Auch sie hatte eine bessere Synchronrate...

Eine Puppe hatte sie besiegt...

Besser... schneller... stärker...

Wondergirl, die ihren Schlägen ausweicht, sie dann plötzlich durch den Klassenraum
schleudert...

Eine Hand an ihrer Kehle, die sie in die Höhe zieht, dann in die Luft stemmt...

Wondergirls glühende Augen...

Wut... da war Wut in ihren Augen...

Wie konnte diese Puppe Gefühle haben?

Puppe...

Puppe...

Die Puppe, die ihre Mutter in den Armen hält, zu der sie spricht, als wäre sie sie,
Asuka...

Mama...

Schritte, die rasch die Treppe hinauflaufen...

Mama, warte auf mich...

Ein Stuhl fällt um, ein Seil strafft sich, das Genick ihrer Mutter bricht...

Mama! Mama, stirb nicht!

Pietter, der ihr die Kleider vom Leib reißt...

Die Wand des Klassenzimmers kommt rasend schnell näher...

Das Knacken, mit dem das Genick ihrer Mutter bricht...

Ihre Mutter, die von der Decke baumelt...

Knack!

Knack!

Knack!

Onkel Wolf! Kaji! Mama!

Nein!!!


*** NGE ***


\"Asuka! Du mußt mir zuhören...\"
Misato war inzwischen heiser, doch Asuka reagierte nicht, starrte einfach mit weitaufgerissenen Augen in das Licht.

\"Zwecklos\", flüsterte Ritsukos Stimme aus Misatos Headset. \"Der Engel ist in die Synchronverbindung zwischen Asuka und dem EVA eingedrungen. Dieses Licht muß eine Art Psychowaffe sein.\"

\"Warum hast du die Verbindung dann noch unterbrochen?\"

\"EVA-02 nimmt keine Befehle an, der Engel stört die Signalübertragung, sonst hätten wir Einheit-02 längst unter Fernsteuerung genommen, oder den Plug evakuiert.\"

\"Kannst du gar nichts tun? Der Engel pflückt Asukas Geist Stück für Stück auseinander... das Mädchen wird hier vor meinen Augen wahnsinnig!\"

\"Ich sehe es auch, Misato, aber mehr als die Signale auf allen Kanälen und Wellenlängen zu senden ist mir auch nicht möglich.\"

\"Helft mir doch... irgend jemand... Kaji... Misato... Wondergirl... Shinji...\" schrie Asuka.

Auf dem großen Hauptmonitor wurde ein kleines Fenster eingeblendet, es zeigte Shinji im EntryPlug von EVA-01.
\"Laßt mich starten!\"

\"EVA-01 bleibt, wo er ist\"; sagte Gendo Ikari ohne Gefühle in der Stimme. \"Wie weit ist Rei schon ins TerminalDogma vorgestoßen?\"

\"EVA-00 erreicht Himmelspforte. Signal ist fort.\" - \"Ziel: Arael behält Position bei!\"

Ikari nickte.
\"Das ist kein Grund zur Beunruhigung.\"
Die Longinuslanze würde das AT-Feld des Engel durchdringen können, sie hatte sogar ADAMs Kraftfeld durchbohrt...
Er konnte es sich nicht leisten, daß der Engel in den EVA eindrang und diesen übernahm... die Pilotin war ersetzbar...

\"EVA-00 ist wieder auf dem Schirm... erreicht den Zentralen Schacht...\"

\"Rei, beeile dich...\" flüsterte Misato. \"Was immer du geholt hast, du mußt Asuka helfen...\"
Aus dem unzusammenhängenden Gebrabbel Asukas glaubte sie herauszuhören, was das Mädchen beschäftigte. Asuka kämpfte mit ihren eigenen Erinnerungen - und sie drohte zu verlieren... der Engel stieß immer weiter in ihren Geist vor...


*** NGE ***


Kraftvoll zog EVA-00 die Lanze aus der Brust LILITHs.

Ein Zucken ging durch den bleichen Körper des Engels, der Kopf hob sich ein Stück.
Ein Heulen erfüllt den riesigen Raum, wie das Rauschen des Windes vor dem Sturm...

Rei preßte die Lippen zusammen.
LILITH erwachte wieder aus der Starre, in die sie der Speer in ihrem Herzen versetzt hatte... ihre Mutter rief nach ihr...
Sie durfte auf den Ruf nicht achten...

EVA-00 warf sich herum, stürmte mit der mächtigen Lanze in der Hand aus der Kammer.
Das andere Ende des Korridors war schnell erreicht, in der Decke war das unterste Panzerschott des Zentralen Schachtes geöffnet, ebenso wie alle weiteren Schotten zwischen dem TerminalDogma und dem CentralDogma.

Selbst hier konnte Rei noch den leisen Ruf ihrer Mutter hören.
Sie mußte hier fort...
Sie aktivierte die Jetpacks, jagte den Schacht hinauf.
Auf dem Bildschirm der KomPhalanx konnte sie Asuka sehen.
Soryu war am Ende...
Sie mußte sich beeilen...
Trotz aller Schwierigkeiten, trotz allem, was Soryu getan hatte, war sie dennoch eine EVA-Pilotin... eine von ihnen...

EVA-00 erreichte das CentralDogma, verließ den Schacht , stampfte durch ein aufgleitendes Sicherheitsschott in einen kurzen Korridor, dann durch ein weiteres Schott in den Hangar.

Rei blickte kurz zur Seite, sah Doktor Akagi am Beobachtungsfenster des Kontrollraumes stehen.
Ritsuko-san nickte ihr zu...
EVA-01 war immer noch bis zur Brust in Eis eingeschlossen... warum setzte der Kommandant Shin-chan nicht ein... EVA-01 war mächtiger als alle anderen EVA zusammengenommen, weshalb wurde er nicht in den Kampf geschickt, er hätte EVA-02 überwältigen und außer Gefahr bringen können... Shin-chans Mutter hätte nicht zugelassen, daß der Engel ihm dasselbe antat wie Soryu...
\"Ich gehe jetzt nach oben.\"
Sie steuerte EVA-00 zur Aufzugsplattform.

\"Rei-chan... halt den Engel auf...\" sagte Shinjis Stimme leise aus dem Lautsprecher. \"Und paß auf dich auf.\"

\"Versprochen, Shin-chan.\"
In aller Öffentlich benutzte sie die intime Anrede für ihren Geliebten. Er sollte wissen, wie ernst es ihr war...

EVA-00 raste in mit dem Aufzug nach oben, erreichte die Stadt.

EVA-02 wälzte sich mittlerweile am Boden.

Rei stockte der Atem, als sie die Trümmer sah.
So viele zerstörte Gebäude...
Solche Schäden...
Wieviele Verletzte mochte es gegeben haben, wieviele Tote...
Sie mußte sich dem gegenüber verschließen, es durfte sie nicht beeinträchtigen...

Der Zielcomputer hatte genug Zeit gehabt, den Speer zu analysieren, hatte genug Daten gesammelt, um eine Flugbahn zu berechnen.
EVA-00 hob die Lanze, ging in Wurfposition... schleuderte die Waffe...

Einem Blitz gleich schoß der Longinusspeer auf den Engel zu, seine beiden Spitzen voran.
Das AT-Feld des Zieles: Arael stellte kein Hindernis dar...

Der Speer durchschlug das Feld, dann im nächsten Sekundenbruchteil das Herz des Engels, jagte weiter, in den wolkenverhangenen Himmel hinein...

Der Engel explodierte.

EVA-02 lag still...


*** NGE ***


\"Nicht... nicht mehr... nicht länger... ich will nicht... bitte...\" wimmerte Asuka.
Der Gesang war endlich verstummt, das helle Licht erloschen.
Nichts zerrte mehr an ihrem Geist, versuchte die Barrieren um ihre Seele einzureißen...
Das unverständliche Flüstern hatte geendet, ihre Erinnerungen gehörten wieder ihr selbst...

Sie bemerkte nicht, daß der EntryPlug von EVA-02 evakuiert wurde, auch nicht daß Misato sie aus dem Pilotensitz hob und aus dem Plug trug.
Kapitel 47 - Gefallener Engel

Ritsuko leuchtete in Asukas weitaufgerissene Augen.
\"Ihre Reflexe sind stark verlangsamt. Der Engel hat sie voll erwischt.\"

\"Du kriegst sie doch wieder hin, oder?\" frage Misato, während sie im Untersuchungszimmer auf und ab ging.

\"Hm, vielleicht... Unmögliches sofort, Wunder dauern etwas länger... ich könnte ihr eine Mixtur aus Anti-Depressiva und verschiedenen Aufputsch- und Beruhigungsmitteln verabreichen, aber wahrscheinlich kannst du dann eine Grube irgendwo in der Geofront für sie ausheben lassen.\"

\"Warum entgegenwirkende Medikamente?\"

\"Ich würde ihren Zustand als katatonisch bezeichnen, zugleich schlägt ihr Herz aber wie ein Trommelwirbel. Das ganze hat eine gewisse Ähnlichkeit mit Hikaris Zustand.\"

\"Furchtbar... okay, laß dir Zeit. Ikari hat ohnehin entschieden, daß Kaworu ihren Platz im Team einnehmen wird.\"

\"Natürlich, das paßt zu ihm. Und Asuka? Wird sie heute noch nach Deutschland zurückgeflogen, damit sie bei ihrem Vater dahinvegetieren kann?\"

\"Nicht, wenn es nach mir geht. Der Kommandant kann mich zwar immer noch überstimmen, aber ich habe angeordnet, daß sie die beste Pflege erhalten soll - und die bekommt sie hier.\"

\"Ja. - Eigentlich sollte ich längst weg sein, heute sollte die kleine Suzuhara operiert werden.\"

\"Das wurde wahrscheinlich wegen des Angriffes verschoben.\"

\"Wahrscheinlich.\"

\"EVA-02 hat die halbe Stadt zerlegt. Die Feuer sind inzwischen unter Kontrolle, aber keiner der bisherigen Engel hat soviel Schaden angerichtet wie der EVA in der kurzen Zeit. Und die Transportmechanismen für eine ganze Reihe der Hochhäuser sprechen nicht mehr an.\"

Asuka saß auf der Kante des Krankenhausbettes, immer noch in ihre PlugSuit gekleidet, und sah mit blicklosen Augen ins Leere, wiegte dabei mit dem Oberkörper von einer Seite zur anderen. Wie aus weiter Ferne hörte sie, wie die beiden Frauen sich unterhielten.
Wieder eine Niederlage... ihre letzte Niederlage...
Und dieses mal hatte Wondergirl sie retten müssen...
Warum hatten sie sie nicht einfach sterben lassen können, das wäre einfacher gewesen...

\"Verletzte?\"

\"Eine ganze Menge, Ritsuko, hauptsächlich Ordnungskräfte und Feuerwehrleute, dazu viele Sanitäter. Aber das Städtische Krankenhaus wurde ja gebaut, um derartige Kapazitäten aufzunehmen. Auch viele Tote, derzeit dürfte zusätzliches medizinisches Personal aus den umliegenden Ortschaften eintreffen, der UN-Stützpunkt wollte den ganzen dort stationierten Ärztestab schicken. Ich werde mich heute Nacht mit dem ganzen Papierkram beschäftigen dürfen, damit die Anträge auf zusätzliche Mittel für den Wiederaufbau bewilligt werden.\"

\"Hm... ja... Ich werde Asuka erst einmal ein Beruhigungsmittel geben. Daß Ikari nicht erlaubt, einen Psychiater hinzuzuziehen...\"

\"Den könnte ich im Augenblick auch brauchen... und wahrscheinlich nicht nur ich. Aber solches Personal sucht man ja bei NERV vergebens. Vielleicht sind wir ja alle verrückt... und Ikari ist der Chef dieses Irrenhauses...\"


*** NGE ***


Im Laufe der nächsten Tage besserte sich Asukas Zustand langsam, nach einer Woche war sie wieder ansprechbar, wenn auch kurz angebunden in ihren Antworten.

Kaworu hatte Asukas Platz in der Gruppe der EVA-Piloten eingenommen, nahm aber bislang nur an von den MAGI simulierten Trockentests teil, da Ritsuko zunächst noch die Systeme von EVA-02 durchchecken wollte, ob Arael vielleicht irgendwelche Kuckuckseier darin hinterlassen hatte.

Und wie eine besondere Ironie des Schicksals erschien die Tatsache, daß die Gebäude der Tokio-3-High vom Amoklauf des roten EVANGELIONs überhaupt nicht betroffen gewesen waren. Die Schule hatte keinen Kratzer abbekommen, nur ein paar Fensterscheiben waren zersprungen.

Einige der Lehrer weigerten sich, weiterhin in Tokio-3 zu unterrichten, ebenso wie eine neue Welle von Menschen die Stadt verließ, so daß die Einkaufspassagen bald eher an Geisterstädte erinnerten.
Unter jenen, die wegzogen, waren auch die Horakis.

An ihrem letzten Tag nahm Hikari Rei beiseite.
\"Ich muß mit dir reden.\"

\"Ja.\"

Sie gingen auf das Dach der Schule.

\"Rei, ich erinnere mich teilweise wieder an den Kampf... vor allem an sein Ende. Der Engel hatte versucht, mit mir Kontakt aufzunehmen.\"

\"Kontakt?\"

\"Ja. Ich war so damit beschäftigt, gegen ihn zu kämpfen, daß es erst erkannte, als meine Kräfte erlahmten. - Ich glaube nicht, daß die Engel uns vernichten wollen.\"

\"Bitte, erkläre das.\"

\"Er hat mir... Bilder gezeigt... von meiner Mutter, gefesselt an einen Pfahl.\"

\"Deine Mutter ist tot.\"

\"Ja... Schon seit über zehn Jahren... aber, verstehst du, er hat mir sie dennoch gezeigt. Sie war gefangen - und er wollte sie befreien, doch die EVAs hinderten ihn daran... ich glaube, er hat mir dieses Bild gezeigt, um mir mitzuteilen, daß sie gar keine feindlichen Absichten haben. Sie wollen einen der ihren befreien, jemanden, der ihnen so wichtig ist, daß sie für ihn zu sterben bereit sind, vielleicht ihre Herrscherin oder... ihre Mutter...\"

Rei blickte Hikari fassungslos an.
Das, was die Klassensprecherin gesagt hatte, widersprach allem, was sie gelernt hatte. Seit dem Beginn ihrer Existenz war sie darauf vorbereitet worden, gegen den Feind zu kämpfen, waren die Engel wie die Kreaturen der Unterwelt dargestellt worden... - vom Kommandanten... und Kommandant Ikari war schon früher nicht zu ihr ehrlich gewesen.
Sie konnte die Worte der anderen nicht einfach ignorieren, wie sie es wohl früher gemacht hätte.
\"Hikari, das erscheint mir... unglaubhaft... Warum greifen sie uns dann an?\"

\"Und wenn es umgekehrt ist? Wenn wir den ersten Schlag geführt haben? Wer ist dann der Angreifer? Wie willst du dann Gut und Böse definieren? Ich...\"
Hikari blickte auf die Uhr.
\"Ich habe nicht mehr viel Zeit, eigentlich bin ich heute nur hergekommen, um mich zu verabschieden. Toji wartet sicher schon bei mir daheim, um mir Lebewohl zu sagen...\"

\"Ihr werdet euch wiedersehen.\"

\"Vielleicht... ich weiß es nicht. Er bleibt mit seinen Leuten in der Stadt. Vielleicht wird er beim nächsten Angriff getötet... es... ah... wenigstens hatten wir diese eine Nacht...\"

\"Ihr habt es wirklich... getan?\"

\"Ja.\"
Ein stilles Lächeln formte sich auf ihren Lippen.
\"Ich bereue nichts.\"

Rei nickte stumm.
Sie wußte, daß Hikari davon ausging, daß sie und Shin-chan selbst bereits miteinander schliefen - und nicht nur ein Bett teilten und häufig auch mehr... und wenn sie zu sich selbst ehrlich war, dann hatten sie schon mehrfach unmittelbar davorgestanden, den Akt zu vollziehen. Doch jedesmal hatte sie im letzten Augenblick davor zurückgeschreckt. So sehr sie ihren Shin-chan auch begehrte, so sehr sie sich eigentlich auch eine körperliche Vereinigung wünschte, es gab in ihr eine Sperre, gegen die sie immer wieder stieß, so als ob sich etwas in ihr dagegen wehrte, als ob Shin-chan vielleicht doch nicht der richtige wäre und dieses Privileg jemand anderem zustand.
Sie hätte es ihrem Geliebten nicht erklären können, sie verstand es ja selbst auch nicht. Glücklicherweise verfügte Shin-chan über eine starke Selbstbeherrschung, schien ihr seltsames Verhalten sogar problemlos zu tolerieren, als könnte er spüren, was in ihr vorging...
Hikari tat ihr leid, kaum hatte sie zu den Lebenden - und Suzuhara-kun - zurückgefunden, da wurde sie bereits wieder von ihm getrennt.
\"Ihr werdet euch wiedersehen. Bald ist es vorbei.\"

Hikari nickte.
\"Das wollte ich dir noch sagen... wenn der nächste Engel auftaucht, dann versucht, mit ihm zu reden, vielleicht ist es dann eher vorbei, als alle denken, vielleicht läßt sich dann eine Lösung finden.\"

Rei schluckte.
Sie fühlte Tränen in sich aufsteigen.
\"Klassensprecherin...\"

\"Ich schreibe dir, wenn wir uns in der neuen Stadt eingerichtet haben. Ich schreibe euch allen. Du mußt mir versprechen, daß ihr uns besuchen kommt, du und Shinji.\"

\"Das werden wir.\"

Hikari trat dicht an Rei heran und umarmte sie kurz.
\"Danke. Danke, daß du meine Freundin bist.\"
Dann wandte sie sich ab und stieg langsam die Treppe hinunter, ohne sich noch einmal umzudrehen.

Rei blickte ihr nach.
Danke... sie hatte sich bei ihr bedankt... warum hatte sie sich bei ihr für ihre Freundschaft bedankt?


*** NGE ***


Misato lag, in eine dünne Decke gewickelt, neben Kaji und malte mit dem Zeigefinger Kreise auf seine nackte Brust.
\"Das war gut... du schaffst es immer noch...\"

Kaji lachte, wurde dann schlagartig ernst, nahm ihre Hand, küßte die Finger und den Handrücken.
\"Katsuragi-chan... du und ich, wir beide... Gott, wie konnte ich damals nur so dumm sein? All die verlorenen Jahre, die wir zusammen hätten verbringen können... Ich war so dumm...\"

\"Wir waren noch so jung. Wir mußten unsere eigenen Wege gehen.\"

\"Vielleicht... Katsuragi, wenn das hier vorbei ist...\"

Sie lächelte.
\"Dann erhältst du einen neuen Auftrag und gehst.\"

\"Nein, dann quittiere ich den Dienst. Sicher kann ich irgendwo in der Nähe... in deiner Nähe... einen guten Job finden - bei meinen Referenzen müßte jeder Sicherheitsdienst mich mit Kußhand nehmen... oder ich fange wirklich an, für das Innenministerium zu arbeiten... Ich will dich nicht noch einmal verlieren.\"

\"Meinst du das ernst, Kaji?\"

\"Todernst. Könntest du dir vorstellen, mit mir... naja, du und ich, wir würden schon ein tolles Gespann abgeben...\"

\"Das soll doch nicht etwa ein Antrag sein, oder?\"

\"Irgendwie schon... Es ist nur nicht meine Art, um so etwas viele Worte zu machen. Was sagst du?\"

\"Wir beide... Ja. Ich sage: Ja.\"

\"Dann muß ich ab so sofort ein Auge auf dich haben...\"

\"Mein Beschützer... Wenn alles vorbei ist...\"

\"Vielleicht können wir es etwas beschleunigen...\"
Er erhob sich von dem Bett, ging zu seiner Tasche, die in der Ecke stand, holte eine Akte heraus.
\"Hier, sieh dir das an.\"

\"Kaji, früher warst du romantischer...\"

\"Möglicherweise könnte das da der Schlüssel zu Ikaris Fall sein.\"

\"Hm... Okay... Was haben wir denn dann hier... Namen... Aida... Horaki... Ikari... Nagisa... Soryu... Suzuhara... Kaji, das sind die Mütter der EVA-Piloten... und die anderen auf der Liste...\"

\"Die Kinder gehen in dieselbe Klasse wie Shinji. Tokio-3-High, 3-A. Code 707...\"

\"Aber da sind noch mehr auf der Liste... das sind doch wenigstens einhundert Namen.\"

\"Ja. Einhundert Frauen... einhundert schwangere Frauen. Und von ihnen sind nur noch insgesamt vier am Leben. Einundzwanzig Kinder, die anderen starben schon im Mutterleib, wurden totgeboren oder überlebten die ersten Jahre nicht. Von den vier noch lebenden Frauen hat übrigens nur eine ein Kind, das heute noch am Leben ist - die Mutter von Kensuke Aida. Die anderen sechsundneunzig Mütter starben im Laufe der Schwangerschaft, während des Geburtsvorganges oder in den ersten vier Jahren nach der Geburt. Und sie alle hatten eine Gemeinsamkeit...\"
Kaji blätterte um. Die nächste Seite war ein eingeheftetes Foto, es zeigte einen kleinen gedrungenen Mann mit schütteren Haaren und Adlernase. Er war vielleicht vierzig Jahre alt, vielleicht ein paar Jahre älter oder jünger.
\"Das ist Doktor Fuyuu Sekanden... alias Hiroshi Tadao... alias Kuntaro Muro... alias Morgan Tanaka. Dieser Mann war der Arzt, der jede der Frauen auf der Liste während der Schwangerschaft behandelt hat.\"

\"So... Okay, Kaji, jetzt erzähl mir auch den Rest.\"

\"Sekanden und Ikari haben gemeinsam studiert. Und beide haben die Theorie von der Vervollkommnung des Menschen vertreten, nur hat Sekanden sich nicht auf Vorträge und Veröffentlichungen beschränkt. Dieser Mann hat Dinge getan... unmenschliche Dinge... Verbrechen gegen die Menschlichkeit selbst... dafür hat er seine Approbation und alles andere verloren. Und eigentlich hätte er bis an das Ende seines Lebens hinter Gittern verschwinden müssen, aber stattdessen verschwand er spurlos - bis vor einigen Wochen seine Leiche gefunden wurde.\"

\"Wenn das stimmt, was du sagst, hat ihn nur sein gerechtes Schicksal ereilt. Du meinst also, er hat Versuche mit Ungeborenen angestellt.\"

\"Ja. Dieser Mann hat all die Leben auf dem Gewissen. Aber ich bezweifle, daß er es allein getan hat.\"

\"Ikari?!\"

\"Genau. Sekanden hat ihm die späteren EVA-Piloten besorgt.\"

\"Das ist eine ziemliche Unterstellung... und der Mann ist tot...\"

\"Kein lästiger Zeuge mehr... wenn ich eine Verbindung zwischen ihm und Ikari herstellen kann, dann sorge ich dafür, daß Ikari vor den Internationalen Gerichtshof gestellt wird.\"

\"Du traust ihm das wirklich zu...\"

\"Du nicht?\"

\"Seine eigene Frau? Sein eigener Sohn?\"
Misato schüttelte den Kopf.
\"Das kann doch nicht...\"

\"Fuyutsuki hat mir einiges erzählt... im Hause Ikari herrschte eigentlich nie eitel Sonnenschein.\"

\"Er hat seine eigene Frau als... Versuchsobjekt benutzt?!\"

\"Davon gehe ich aus.\"

\"Wenn Shinji das erfährt... ich glaube, dann bringt er ihn um...\"

\"Katsuragi... Misato... ich sage dir das alles, damit wenigstens noch jemand über dieses Wissen verfügt. Auf der letzten Seite findest du eine Adresse. Das ist mein Unterschlupf... eines meiner Verstecke für Notfälle. Dort befindet sich ein Computer, auf dem ich meine gesamten Nachforschungen gesichert habe.\"

\"Kaji, das klingt, als ob...\"

\"Nein, Katsuragi, nein... ich glaube an eine gemeinsame Zukunft. Aber ich brauche Absicherungen. Fuyutsuki hat die Adresse eines anderen Verstecks und den Zugangscode zu einem anderen Computer, aber er weiß nicht, daß Ikari möglicherweise am Tod seiner Frau die Schuld trägt. Ich glaube, dann müßte Shinji sich hinten anstellen.\"

\"Shinji... Kaji, ob er auch einen Platz in unserer Familie hätte?\"

\"Hm... ja. Ich mag den Jungen, ich könnte mir vorstellen, ihn zu adoptieren.\"
Wenn Fuyutsuki ihnen da nicht zuvorkam...

\"Wenn wir es überleben...\"


*** NGE ***


Shinji trieb auf dem Wasser des Schwimmbeckens im NERV-Hauptquartier. Er trug nur eine schwarze Badehose als Kleidung, um seine Hüften befand sich ein Schwimmreifen, dazu kamen prallaufgeblasene Schwimmflügel an seinen Oberarmen und ein Luftkissen unter seinem Kinn.
Neben ihm schwamm Rei im Wasser und bedeutete ihm, mit Armen und Beinen Schwimmbewegungen zu machen.
Eigentlich war er nur wegen ihr im Wasser, wenn sie ihren knappen Zweiteiler trug, konnte er ihr einfach nichts abschlagen - ansonsten aber auch nicht. Aber gut, wenn es bedeutete, daß er in ihrer Nähe war, dümpelte er halt auch wie PenPens Badeente auf dem Wasser.

\"Hallo, ihr beiden\", kam es vom Beckenrand.

\"Uh...\"
Shinji drehte den Kopf.

Am Rand des Beckens stand barfuß Maya Ibuki, anstatt ihrer üblichen Uniform trug sie eine Bluse und khakifarbene Shorts, allerdings hatte sie wie üblich den Koffer mit ihrem Laptop dabei. Bei ihr war Asuka in Pyjama und Morgenmantel.
\"Na, ihr zwei? Wie ist das Wasser?\"

\"Angenehm, Leutnant.\" sagte Rei und schwamm zum Beckenrand.

\"Ui, Rei, scharfer Badeanzug!\"

\"Leutnant?\"

\"Maya genügt, ich bin nicht im Dienst. Sempai meint, Asuka könnte mal eine andere Umgebung vertragen, und hier ist es ja ganz nett.\"

\"Ja.\"

Asuka betrachtete die beiden im Wasser, doch in ihren Augen war kein Erkennen zu lesen, in ihrem Gesicht regte sich nichts.

\"Soryu?\"

Asuka blickte Rei ins Gesicht. Ihr rechter Wangenmuskel zuckte, sie blinzelte.
\"First.\"

\"Ahm, Rei, wir setzen uns da drüben hin.\" murmelte Maya und legte die Hand auf Asukas Schulter, führte sie mit sanfter Gewalt zu den Tischen, baute dort ihren Laptop auf.

\"Rei... uh... Rei... ich weiß nicht...\" blubberte Shinji.

Rei drehte sich um.

Shinji trieb inzwischen in der Mitte des Beckens und ruderte mit den Armen, schaffte es aber nur, sich im Kreis zu bewegen.

Rei warf sich zurück ins Wasser und schwamm zu ihm hinüber.

Asuka betrachtete das ganze mit ausdrucklosem Gesicht, sah wie Rei Shinji wieder zum Beckenrand zurückbugsierte, ihn dann kurz auf die Lippen küßte.
Sie hatte sie besiegt...
Sie beide hatten sie besiegt...
Wondergirls Badeanzug verbarg fast nichts... wie konnte sie nur so herumlaufen... wahrscheinlich hatte Shinji sie so angezogen... seine Puppe...
Und jetzt weideten sie sich sicher an ihrem Sieg... wie sie zu ihr hinüberblickten...
Das konnte sie nicht mehr ertragen...
Ruckartig stand Asuka auf, ihr Gesicht lief vor Zorn rot an.

Maya zuckte zusammen, sah Asuka fassungslos an.
Das Mädchen war eben doch noch völlig geistesabwesend gewesen...
\"Asuka...\"

Doch diese stand bereits am Beckenrand und starrte zornig auf die beiden im Wasser.
\"Habt ihr keinen Anstand? Macht euch nur über mich lustig... aber nicht mit mir... nicht mit Asuka Soryu Langley! Wondergirl, Weichei, ihr beide treibt es doch garantiert jede Nacht wie die Tiere... oder liegst du nur wie ein toter Fisch unter ihm und machst die Beine breit, First, während Shinji Zielübungen veranstaltet? Ohne eure EVAs seid ihr zwei doch unfähig... Lacht nur, doch ich werde zuletzt lachen!\"

Ein Schwall aus Beschimpfungen und Flüchen brach über Shinji und Rei herein.

Shinji schluckte Wasser, ruderte wild mit den Armen.

Rei starrte Asuka nur an.

Maya war inzwischen aufgestanden und streckte gerade die Hand nach Asuka aus.
\"Was ist nur mit dir los?\"

Asuka schnappte die Hand, ehe sie ihre Schulter berührte, zog. Und Maya flog kopfüber ins Wasser.
\"Laßt mich in Ruhe! Ich brauche euer Mitleid nicht. Ich brauche eure Freundschaft nicht! Ich brauche niemanden!\"

Hustend und prustend kam Maya wieder an die Oberfläche.

Asuka lief bereits tapsend aus dem Raum...

Rei schwamm zu Maya hinüber.
\"Benötigen Sie Hilfe, Maya-san?\"

\"Nein...\"
Ibuki spuckte Wasser aus, griff nach dem Handlauf der Leiter, zog sich aus dem Wasser.
\"Schnell, zieht euch etwas über, wir müssen Asuka zurückholen... ich glaube, jetzt ist sie völlig übergeschnappt... war wohl keine so gute Idee, sie hierherzubringen...\"
Maya stand vornübergebeugt am Beckenrand und hustete immer noch Wasser aus.

Rei kletterte aus dem Becken und brachte ihr ein Handtuch.
\"Ich gehe Soryu suchen.\"

\"Warte... ich komme mit...\"
Maya wrang die Zipfel ihrer Bluse aus, die nassen Sachen klebten an ihrer Haut, die Bluse war jetzt fast völlig durchsichtig, ebenso der BH, den sie darunter trug. Hastig warf sie sich das Handtuch über die Schultern, um sich zu bedecken, folgte dann Rei, die in ihrem Badeanzug vorausgelaufen war.

Shinji vergaß bei dem Anblick, wo er war.
Das Luftkissen unter seinem Kinn rutschte fort und plötzlich befand er sich mit dem Kopf unter Wasser, kam nach Luft schnappend wieder hoch, kämpfte sich zum Beckenrand.
Keuchend zog er sich aufs trockene Land.


*** NGE ***


Maya und Rei gelang es nicht, Asuka aufzuspüren. Das rothaarige Mädchen war im Labyrinth der Korridore des Hauptquartiers verschwunden. Ritsuko und Misato organisierten eine Durchsuchung des CentralDogmas, allerdings wurden sie von einigen Mitgliedern des Wachpersonals eher behindert als unterstützt. Misato merkte sich die betreffenden Gesichter, sie ging davon aus, daß Kommandant Ikari seine Spitzel unter den NERV-Angehörigen hatte, die ihm Bericht erstatteten.
Kaji war von der Nachricht von Asukas Verschwinden zutiefst betroffen.
Man stellte fest, daß sie irgendwann zwischendurch in ihrem Quartier gewesen war und sich eine Reisetasche voll Kleidung besorgt hatte
Schließlich wurde die Suche auf die Geofront ausgedehnt - erfolglos.


*** NGE ***


Zögernd betrat Ryoji Kaji das Versteck, in dem er Wolf Larsen zurückgelassen hatte.
Der Cyborg war nicht zu sehen, erst als Kaji weiter in das Lagerhaus hineingegangen war, fand er ihn; Larsen saß vor Kajis Laptop und ging die Ergebnisse seiner Nachforschungen durch.

\"Sie können ruhig normal gehen, ich habe sie bereits von weitem gehört\", murmelte Wolf.

Kaji seufzte.
Gegen Larsens kybernetisch verbesserte Sinne kam er nicht an.
\"Sir, es gibt ein Problem.\"

\"Welcher Art, Major?\"

\"Asuka... sie ist fortgelaufen...\"

\"Weggelaufen?\"
Larsen stand auf, hielt dann aber in der Bewegung inne.
Rabinowitz hatte ihn angewiesen, keinen Kontakt mit seiner Ziehtochter aufzunehmen...
Allerdings war er sich nicht sicher, ob diese Anweisungen wirklich von dem Direktor gekommen waren, oder ob auch sie nur Lug und Trug waren.

\"Sie sagten mir doch, sie wäre... abwesend...\"

\"Gut möglich, daß sie uns das nur vorgespielt hat.\"

\"Ich kann das nicht glauben... was Sie mir von ihr erzählt haben... Sicher, sie war immer etwas ungestüm und auch ein wenig rücksichtslos und unachtsam, aber...\"

Kaji schluckte.
Er begriff - Larsen sah das Mädchen noch immer so wie vor der Sache mit Fresenhark, wahrscheinlich war das seine Art, die furchtbaren Ereignisse zu verdrängen.
\"Wollen wir sie gemeinsam suchen? Ich habe Zweifel, daß sie noch in der Geofront ist.\"

\"Ich habe Order, mich bedeckt zu halten. Und ich habe keine Ahnung, wer mir diese Befehle vielleicht wirklich gegeben hat. Ich überlege schon die ganze Zeit, wo möglicherweise ein Bruch in meinen Erinnerungen ist... Sie werden Asuka allein suchen müssen.\"

\"Sie bleiben hier?\"

\"Ich bin Soldat, ich habe mein ganzes Leben Befehlen gehorcht... aber ich möchte sie auch nicht im Stich lassen... vielleicht fiele mir die Entscheidung ohne die Chips in meinem Kopf leichter, oder wenn ich wenigstens den Logiksektor des PROPHET-Interfaces ignorieren könnte...\"

\"Sir, verstehen Sie mich nicht falsch - aber Sie benötigen Hilfe.\"

\"Ja, die brauche ich. Kaji, gehen Sie und suchen Sie Asuka. Und wenn Sie zurückkommen, müssen Sie mir bei der Suche nach der Wahrheit assistieren.\"

\"Wie kann ich das?\"

\"Jemand hat in meinem Kopf herumgepfuscht und das Interface manipuliert. Sie müssen bei mir einen... Reset durchführen, damit die alten Basisdaten neuinstalliert werden.\"

\"Ich soll... Sir, vielleicht könnte jemand anders...\"

\"Es gibt hier niemanden sonst, dem ich noch vertraue. Und wenn Sie ebenfalls Mitglied dieser Täuschung sind, ist ohnehin alles verloren.\"

\"Das trauen Sie mir zu - daß ich mich verkaufe?\"

\"Nein, Kaji. Sie waren immer loyal. Sie waren der beste Schüler, den ich je hatte. Ich weiß nur nicht, ob Sie echt sind, oder nur ein Produkt irgendeiner Sinnestäuschung.\"

\"Mein Gott...\"

\"Ja. Wissen Sie, wie es ist, wenn man alles in Zweifel zieht? Ich stehe nicht zum ersten Mal am Rand des Wahnsinns, vielleicht härtet das ab...\"

\"Ich werde Ihnen helfen. Was benötigen wir?\"

\"Alles, was wir brauchen, ist hier. Ich werde die Diagnosesoftware auf Ihren Laptop laden und vorher durchsehen, Sie müssen den Vorgang nur überwachen.\"

\"Ja...\"


*** NGE ***


Die nächsten, die Tokio-3 verließen, waren die Aidas, eine gute Woche nach der Abreise der Horakis. Der Klassenraum der 3-A leerte sich zusehends, spiegelte damit die allgemeine Entwicklung innerhalb der Stadt wieder. Viele Bewohner, welche nicht NERV angehörten oder anderweitig vertraglich gebunden waren, verließen die Stadt.

Toji und Shinji hatten den Aidas geholfen, den Möbelwagen zu beladen.
Das Haus der Familie war während des Amoklaufes von EVA-02 beschädigt worden, eine Seitenwand war einstürzt.

Kensuke verabschiedete sich unter Tränen von seinen Freunden, lud sie für die nächsten Ferien auch sogleich ein, ihn zu besuchen.
Die beiden standen noch eine ganze Weile am Straßenrand, bis der Möbelwagen und der Privat-Pkw der Aidas nicht mehr zu sehen waren.

\"Da gehen sie alle hin...\" murmelte Toji.
Für ihn war die Hilfsaktion mehr eine Beschäftigungstherapie gewesen, um sich von Hikaris Abwesenheit abzulenken.

\"Vielleicht... vielleicht kommen sie ja zurück, wenn die Engel besiegt sind.\"

\"Weißt du, wie lange das noch dauern kann?\"

\"Uhm... nein...\"

\"Hm... und ich sitze hier fest, weil meine Leute bei NERV arbeiten... Äh, Ikari, das sollte jetzt nicht bedeuten, daß...\"

\"Ich verstehe schon. Du vermißt Hikari.\"

\"Ja. Ich könnte manchmal die Wände hochgehen... Nachts liege ich wach und kann nur an ihren warmen Körper denken... und ihre hübschen Sommersprossen. Ich kann ihren täglichen Anruf immer kaum abwarten - ah, verdammt, es ist ja schon ganz schön spät... ich sollte jetzt los.\"

\"Uhm... gut... dann bis morgen in der Schule...\"

\"Ich weiß noch nicht, ob ich komme - morgen kommt doch Mari unters Messer.\"

\"Stimmt ja... ich halte ihr die Daumen.\"

\"Danke, Kumpel.\"

Die beiden gingen getrennter Wege.


*** NGE ***


Rei saß am Eßtisch und blätterte in Misatos Programmzeitschrift.
Fernsehen war für sie eine recht neue Erfahrung, sah man von den Zweimal ab, bei denen sie mit Shin-chan im Kino gewesen war, stand sie einer völlig neuen Welt gegenüber. Und Seifenopern waren doch irgendwie faszinierend in ihrer Dynamik zwischen den Charakteren und den zwischenmenschlichen Beziehungen. Krimis waren ebenfalls interessant, auch wenn Misato-san sie unlängst gebeten hatte, nicht schon nach den ersten fünf Minuten die Identität des Mörders zielsicher vorherzusagen. Und Quizshows stellten einen großen Tests ihres Wissens dar, eine Herausforderung, die sie gerne annahm.
Wenn es nur nicht so viele Programme gegeben hätte...

Die Wohnungstür ging.

\"Tadaima!\" rief Shinji, um seine Ankunft mitzuteilen.

Rei sah auf und wandte den Kopf, lächelte.
\"Hallo, Shin-chan. Ist Aida-kun gut weggekommen?\"

\"Ja.\"
Shinji seufzte.
\"Wieder einer weniger.\"

\"Ich verstehe deinen Kummer. Menschen definieren sich über andere. Und gute Freunde sind selten.\"

Shinji sah sie fragend an.
\"Du hast nicht zufällig gestern Kaji-san in seinem Garten geholfen, oder?\"

\"Nein, Shin-chan. Major Kaji erscheint mir durchaus fähig, seine Feldfrüchte ohne fremde Hilfe zu um sorgen.\"

Er mußte lachen - eigentlich liebte er es, wenn sie sich etwas umständlich ausdrückte, vor allem da er wußte, daß sie nicht wirklich so naiv war, wie ihre Worte manchmal vermuten ließen.
\"Mach die Augen zu.\"

\"Warum?\"

\"Mach sie einfach zu.\"

Rei setzte sich gerade hin und schloß die Augen.
Sie vertraute Shin-chan vollkommen. Egal was geschah, sie war sich sicher, daß er in jeder Situation für sie dasein würde.
Schritte...
Shin-chan war hinter sie getreten!
Dann spürte sie etwas kaltes auf der Haut ihres Halses.

\"Du kannst die Augen wieder öffnen.\"

\"Ja.\"
Sie blickte nach unten, tastete mit den Fingern über ihren Hals.
Er hatte ihr eine dünne goldene Halskette umgelegt, an welcher ein Anhänger baumelte.
Es war ein halbes Herz.
\"Ein halber Anhänger?\"

\"Uh, ja. Ich habe es auf dem Rückweg bei einem Händler gesehen und... ah... ich habe auch eins, sieh mal...\"
Er beugte sich vor, zog dabei seinen Anhänger unter dem Hemd hervor und hielt ihn gegen Reis.
\"Siehst du? Sie passen zusammen.\"

Sie verstand die Bedeutung seines Geschenkes.
\"Danke.\"

\"Nein, ich danke dir...\"
Shinji umarmte sie von hinten.


*** NGE ***


Bereits seit über einer Stunde blickte Kaji auf den Monitor.
Sein Laptop war über ein Kabel mit der externen Schnittstelle des PROPHET-Interfaces in Larsens Schädel verbunden, es sah unheimlich aus, das Kabel steckte direkt in seinem Schädel, die Anschlußbuchse war normalerweise von Haaren verdeckt.

Der Monitor zeigte mehrere Linien, welche fraktale Gebirgszüge hätten darstellen können. Jede Linie repräsentierte eine Emotion, eine Reaktion auf Gesehenes und Gehörtes.
Und dann wurden die Linien plötzlich glatt, verliefen völlig parallel.

\"Ich glaube, wir haben den Zeitpunkt.\"

Larsen öffnete die Augen.
\"Sergej...\"
Er erinnerte sich noch, wie er in Sergejs Wohnung am Computer gesessen hatte, erinnerte sich, wie der Russe ihn im Nacken berührt hatte.
Nachdenklich tastete er über die fragliche Stelle. Wahrscheinlich hatte sein früherer Freund ihm ein Gerät in den Nacken gesetzt, welches seine Kybernetik lahmgelegt und ihn in Tiefschlaf versetzt hatte, so daß man ihn ungestört mit neuen Erinnerungen über die Zwischenzeit füttern konnte.
Sergej konnte er nicht mehr fragen, von den drei Löchern in seinem Oberkörper abgesehen, befand der frühere KGB-Mann sich zusammen mit seinem Begleiter in einem recht tiefen Grab, das Kaji und Larsen in einer Nacht in den Hügeln geschaufelt hatten.
Ab diesem Zeitpunkt stimmten seine Erinnerungen also nicht...
\"Machen wir weiter, ich muß ganz sicher sein.\"

Eine weitere Stunde später wußte Wolf Larsen, daß seine korrekten Erinnerungen an dem Punkt wieder einsetzten, als er sich im Landeanflug auf Japan befunden hatte.
Er stieß einen tiefen Seufzer aus.
Ann... sie könnte noch am Leben sein...
Aber jemand anders hatte Vorrang, jemand, dem er helfen konnte.
\"Jetzt gehen wir Asuka suchen.\"


*** NGE ***


Ohne Hikari und Kensuke waren die Treffen auf dem Dach der Schule um einiges weniger interessant. Kaworu bemühte sich zwar, die anderen aufzuheitern, doch Rei wurde davon nicht aktiver und Shinji war in Gedanken bei Toji und dessen kleiner Schwester.

Kaori Ishiren beobachtete die Szene durch ihr Fernglas.
Sie hielt sich in einer Wohnung in einem nahegelegenen Hochhaus auf, von der aus sie das Schulgelände größtenteils überblicken konnte. Von der früheren Leibwache Rei Ayanamis war nur noch sie übrig, alle anderen waren abgezogen worden, so als ob das First Children für NERV und Kommandant Ikari nicht mehr interessant war. Und wenn dies schon für Rei galt, so galt es auch für Shinji, der gar keinen Personenschutz mehr hatte.
Auf der Straße unten befand sich ein Kollege von ihr in seinem Wagen - Kaworus Leibwächter.

Ishiren war froh darüber, daß nichts geschah, von ihrem Beobachtungsposten aus wäre sie wohl auch kaum schnell genug vor Ort gewesen. Und ebenso froh war sie darüber, daß die Piloten an einmal festgefahrenen Gewohnheiten festzuhalten schienen, was unter anderem bedeutete, daß sie immer denselben Weg zur Schule und wieder zurück nahmen.

Die drei verließen das Dach und kehrten in den Klassenraum zurück.

Ishiren setzte das Fernglas ab und schaltete ihr Radio ein.
Neben dem Fenster lehnte ein Scharfschützengewehr, welches sie hoffte, nicht einsetzen zu müssen. Seit über zwanzig Jahren war sie nun schon in diesem Geschäft tätig - Personenschutz - doch irgendwie hatte sie sich nie daran gewöhnen können, auf Menschen anzulegen. Andere hielten sie deshalb für weich, doch das kümmerte sie nicht besonders.
Auf der Fensterbank lag auch ein Buch, in welchem sie jetzt weiterlas, ihr Kollege auf der Straße würde sie informieren, falls eines der Kinder die Schule verließ...

Der Schultag ging herum.
Ishiren hatte bereits ihre Sachen in einer Umhängetasche zusammengepackt und wartete nur auf die Meldung des Mannes auf der Straße.
Eigentlich aus reiner Langeweile blickte sie noch einmal durch das Fernglas.
Sie sah eine eher flüchtig bekannte Gestalt - ein rothaariges Mädchen in der Uniform der Tokio-3-High. Asuka Soryu Langley!
Mit einem kurzen Antippen aktivierte sie ihr Headset.
\"Mamoto, das Second Children befindet sich in der Schule, im Eingangsbereich. Benachrichtigen Sie das Hauptquartier und halten Sie das Tor im Auge!\"

Die Bestätigung kam umgehend.

Ishiren stellte das Fernglas schärfer.
Ja, es war tatsächlich das Second Children...
Allerdings konnte sie nicht erkennen, was Asuka in der Hand hatte.
Das Zielfernrohr des Gewehrs war allerdings noch sensibler als das Fernglas...
Was sie sah, erschreckte sie.
\"Mamoto, sie hat ein Messer... ach was, das ist eine Machete...\"
Ohne weiter nachzudenken, machte sie das Gewehr schußbereit.

Dann überschlugen sich die Ereignisse, als die anderen drei Piloten die Schule verlassen wollten.

Durch das Zielfernrohr konnte Ishiren sehen, wie Asuka sich auf Rei Ayanami stürzte. Shinji Ikari riß seine Freundin zur Seite...

In diesem Moment zog Ishiren den Abzug durch.
Kapitel 48 - Nephilim

Mit einem Aufseufzer schloß Shinji seine Tasche.
Endlich war der Unterricht vorbei, in gewisser Weise bestätigte sich mit jedem Tag aufs Neue der Verdacht, daß der alte Lehrer seinen Endlosvortrag auch ohne Zuhörer fortgesetzt hätte, war die Klasse 3-A doch inzwischen auf sieben Schüler geschrumpft.

Mit breitem Grinsen im Gesicht tauchte Kaworu neben Shinjis Pult auf.
\"Hey, Shinji-kun, Ayanami, wollen wir noch \'was zusammen unternehmen?\"

\"Uhm, was schwebt dir denn vor, Nagisa-kun?\"

\"Och, naja, einfach nur ein wenig durch die Gegend schlendern und die Sonne genießen... angeblich war früher um diese Zeit Herbst... die Tage werden kürzer und ich komme außer zur Schule doch gar nicht aus dem Hauptquartier heraus.\"

\"Ja, Nagisa-kun... hm... Rei, was meinst du?\"

\"Einverstanden.\"

\"Wunderbar.\"
Kaworu deutete eine Verbeugung an und ließ den beiden anderen den Vortritt.

Sie verließen den Klassenraum.

\"Sagt mal, glaubt der alte Sensei wirklich an die Version vom Impact, die er uns ständig vorbetet?\"

\"Uh... gute Frage, Nagisa-kun... hm, wahrscheinlich schon.\"

\"Manchmal würde ich gerne einfach aufspringen und ihn über seinen Irrtum aufklären. Vielleicht wechselt er dann mal das Thema.\"

\"Er glaubt an das, was er uns erzählt. Wahrscheinlich hat er nichts anderes.\" sagte Rei leise.

\"Uhm... also...\"

In ihr Gespräch vertieft, erreichten sie den Eingangsbereich des Schulgebäudes. Daß dort jemand bereits im Schatten auf sie wartete, sahen sie nicht.


*** NGE ***


Asuka kniff die Augen zusammen und lauschte.
Ja, die Stimmen waren unverkennbar - Wondergirl, Weichei und Grinsebacke... ihre drei Konkurrenten. Wahrscheinlich unterhielten sie sich gerade über den Erfolg ihrer Verschwörung gegen sie, Asuka Soryu Langley. Wahrscheinlich amüsierten sie sich königlich darüber, daß sie aus dem Team geflogen war und EVA-02 nicht mehr steuern durfte.
Aber das Lachen würde ihnen schon noch vergehen... schon bald...
Asukas Augen funkelten. Sie fletschte die Zähne zu einem wölfischen Grinsen.
Wessen Idee es wohl gewesen war?
Eigentlich konnten sie ja nur die MAGI-Rechner so manipuliert haben, daß ihr Synchronwert niedriger angezeigt wurde, als er wirklich war... wahrscheinlich besaß sie immer noch ihre alte Form, doch diese drei Neider, die sie nicht gemocht hatten, hatten gemogelt, um sie schlecht dastehen zu lassen... so konnte es doch nur sein, so und nicht anders...
Ob es Weichei-Shinjis Einfall gewesen war? - Wohl eher nicht, Shinji war doch viel zu blöd und zu ängstlich für so etwas... der fürchtete sich doch wahrscheinlich auch vor seinem eigenen Schatten...
Oder Grinsebacke-Kaworu? Ihn konnte sie am schwierigsten einschätzen, doch wer sich immer nett und freundlich gab, konnte doch nur ein Schweinehund sein, der seine Kameraden rücksichtslos verriet...
Oder vielleicht Wondergirl? First hatte sie vom ersten Augenblick nicht leiden können, obwohl sie, Asuka, dieser bedauernswerten Kreatur sogar die Hand in Freundschaft entgegengestreckt hatte... und sie kannte sich gut genug mit Computern aus, um die MAGI zu beeinflussen, ganz sicher... natürlich, deshalb trieb sie sich so häufig in der Nähe der ollen Akagi herum...
Na warte, Wondergirl...
Nicht mit ihr, nicht mit Asuka Soryu Langley.
Asuka Soryu Langley. Asuka Soryu Langley...

Die ständige Wiederholung ihres Namens war alles, was ihren Verstand noch zusammenhielt, alles was sie davon abhielt, einfach zu Boden zu fallen und dort sabbernd liegenzubleiben. Dies und der kalte Stahl des Messers in ihrer Hand...

Die drei kamen näher...
NERV hatte drei EVA und vier Piloten... und die drei hatten dafür gesorgt, daß sie auf die Reservebank verbannt wurde. Drei EVAs, vier Piloten. Die Rechnung war einfach - vier waren einer zuviel. Und Asuka beabsichtigte, die Rechnung wieder auszugleichen. Wenn man sie als Pilotin wieder benötigte, würde man sie auch nicht bestrafen, sondern ihr die Zeit geben, ihre Unschuld zu beweisen, nachzuweisen, daß sie das Opfer eines schändlichen Komplotts geworden war...
Ja... und alles, was dazu nötig war, war ein Kopf...


*** NGE ***


Rei, Shinji und Kaworu bogen um die Ecke des Korridors.

Shinji lachte über einen von Kaworus Scherzen.
Plötzlich erhaschte er einen Blick auf die in den Schatten lauernde Asuka, sah direkt in ihre weit aufgerissenen Augen, aus denen ihn der Wahnsinn zurückanstarrte.

Mit einem lauten langgezogenen Schrei, der nur noch wenig menschliches an sich hatte, stürzte Asuka sich auf die Gruppe, schwang dabei ihr langes Messer.
Ihr Ziel war Rei Ayanami!

Diese stand nur da und blinzelte, war von dem Hinterhalt völlig überrascht worden.

\"Rei!\" brüllte Shinji und stieß seine Freundin zur Seite, versuchte noch, der heransausenden Klinge auszuweichen, doch da spürte er schon einen brennenden Schmerz in den Eingeweiden.
Einen langen, sehr langen Moment blickte er wieder in Asukas Gesicht, dieses mal stand sie direkt vor ihm.
Einen Sekundenbruchteil lang huschten Verwirrung, Bedauern und Reue über ihre Züge, verschwanden aber wieder hinter unbändigem Zorn und reinem Irrsinn.

Shinjis Knie wurden weich.
In seinen Ohren rauschte es.
Er spürte Nässe auf seinem Bauch.
Wie in Zeitlupe sah er an sich herab, starrte auf das Messer, welches mit beinahe der Hälfte der Klinge in seinem Bauch steckte, starrte auf den rasch wachsenden Blutfleck auf seinem Hemd.
\"Agh... agh...\"
Shinji sackte zu Boden, da Asuka den Messergriff nicht losließ, wurde die Klinge durch die Bewegung aus der Wunde gezogen. Immer mehr Blut floß aus der Wunde, bildete blitzschnell eine Lache unter Shinji, der zusammengekrümmt auf dem Boden lag.

\"Nein!\" brüllte Rei.
In Shinjis Ohren klang der Ausruf furchtbar dumpf und in die Länge gezogen.

Asuka zuckte heftig zusammen, etwas streifte ihren Kopf an der Schläfe, fraß in nur für Shinji wahrnehmbarer Geschwindigkeit einen Graben in die Oberfläche ihres Schädel, drang neben dem Auge ein und durch die linke Augenhöhle wieder aus, um sich dann in die gegenüberliegende Wand zu bohren.
Noch mehr Blut spritzte gegen die Wand.
Das Messer entfiel ihrem erschlaffenden Griff.
Asuka fiel zu Boden, blieb dort liegen, einer Puppe nicht unähnlich, deren Fäden gekappt worden waren.
Ihr Gesicht erschien trotz des Blutes seltsam friedlich, so als wäre ihr ein sehr wichtiger Wunsch erfüllt worden...

Rei achtete nicht auf Asuka, nahm nur am Rande wahr, daß diese augenscheinlich keine Gefahr mehr darstellte. Sie rutschte neben Shinji auf die Knie und bettete seinen Kopf in ihren Schoß, sah Kaworu hilfesuchend an.

Kaworu stand wie versteinert, starrte auf die rote Flüssigkeit auf dem Boden, auf Shinjis Sachen...
Und dann konnte er es hören, einen schwachen Herzschlag, ein schwaches Pulsieren.
Er riß die Augen auf, starrte konzentriert auf Shinjis Brust.

Shinji preßte die Hände gegen die Wunde und atmete stoßweise.
Es tat so weh...

Rei schrie um Hilfe, tatsächlich eilten ein paar Lehrer und auch einige Schüler, die noch im Gebäude gewesen waren, herbei. Jemand rief einen Krankenwagen, ein anderer verständigte NERV.

Shinji blickte nach oben in Reis Gesicht.
Rei-chan weinte... ihre Tränen fielen auf seine Wangen... warum weinte sie? Doch nicht etwa seinetwegen? Was hatte er denn getan?
Das Denken viel ihm schwer, ebenso das Atmen.
Die Schmerzen legten sich über alles wie ein dicker schwarzer Schleier.
Dieses mal würde ihm niemand helfen, EVA-01 - und damit seine Mutter - war zu weit fort. Wenn er sich im EntryPlug befunden und EVA-01 aktiv gewesen wäre, dann hätte...
Er besaß nicht mehr die Kraft, den Gedanken zu Ende zu führen.
Rei-chan sollte nicht weinen, nicht um ihn. Er liebte sie viel zu sehr, als daß er dies gutheißen konnte.
Mit verebbender Kraft brachte er ein Lächeln zustande.
\"Nicht... weinen... Rei-chan...\" flüsterte er, schmeckte etwas metallisches im Mund.

Kaworu drängte die Leute, die sich um sie eingefunden hatten, zur Seite, ging neben den beiden anderen Piloten in die Knie, berührte Shinjis Brust mit beiden Händen.
Ja, dort befand sich die Quelle des Herzschlages... eine ruhende Quelle der Macht... wie kam der Lilim nur dazu? Diese Quelle war es, welche es den Engeln ermöglichte, die Existenzebene der Lilim zu betreten, ohne sie mußten sie zurückkehren in ihre eigene Welt. Und nach der Begegnung mit ADAM am Tage des Unterganges der Ersten Zivilisation waren nur noch wenige von ihnen überhaupt imstande, in mühevoller, jahrewährender Arbeit die nötigen Energien zu sammeln, um im Diesseits einen Kern zu formen. Die Lilim nannten den Kern das S2-Organ...
Aber dies klärte noch immer nicht, wieso Shinji ein ruhendes S2-Organ besaß...
Es war nur schwach, doch wäre es aktiv, konnte es Shinji-kuns Verletzung heilen!
Tabris\' Gedanken rasten.
Möglicherweise war er imstande, das S2-Organ in der Brust des Lilim zu aktivieren, doch dabei würde er auf alle Fälle seine Tarnung verraten. Und damit wäre auch seine Mission gescheitert, die anderen Lilim würden es registrieren, wenn er seine Kräfte einsetzte - und sie würden ihn jagen. Der Körper, den er benutzte, besaß kein S2-Organ, seine Selbstheilungskräfte waren beschränkt; sein Wille wäre nicht ewig imstande, das Feld seiner Seele als schützende Hülle um den Lilim-Körper aufrechtzuerhalten...
Shinji-kun zu helfen, würde bedeuten, seine Mission zu verraten! Dann wäre nur noch Armisael, sein um wenige Herzschläge der Ewigkeit älterer Zwillingsbruder übrig, um der Ur-Mutter LILITH Rettung zu bringen. Und doch...
Der Lilim war sein Freund, durch ihn hatte er das Konzept der Freundschaft erst begriffen, welches für Kaworu Nagisa, dessen Leib er sich ausgeliehen hatte, nur eine Theorie gewesen war.
Tabris mußte sich entscheiden zwischen seiner Mission und dem Leben des Freundes...

Reis Blick war von Tränen verschleiert.
Beruhigend strich sie durch Shinjis Haar, während dieser immer noch Hände gegen den Leib preßte und vor Schmerzen aufstöhnte.
Einer der Lehrer hatte seine Jacke ausgezogen und diese zwischen Shinjis Hände und die Wunde geschoben.
\"Shinji, stirb nicht, bitte, du darfst nicht sterben.\" flüsterte Rei.
Wo blieb nur der Krankenwagen...
Warum standen alle nur untätig um sie herum? Warum tat denn niemand etwas? Ihr Shin-chan war am Verbluten!

Jemand drehte Asuka auf den Rücken, verkündete, daß sie noch lebte.
Ihr Gesicht war allerdings kein sonderlich schöner Anblick, neben der linken Augenhöhle fehlte ein Teil des Schädelknochens, wo die Kugel in ihren Schädel eingeschlagen war. Graue Gehirnmasse war jedoch keine zu sehen, dafür war ihr Gesicht blutüberströmt.
Asuka war ohne Bewußtsein - und vielleicht war das auch besser so...

Rei war Asuka völlig egal, sie nahm nicht einmal wahr, was um sie herum passierte, ihre ganze Wahrnehmung der Realität war auf sie selbst und Shinji zusammengeschrumpft, den sie in ihren Armen hielt.
\"Nicht sterben. Du mußt durchhalten.\"

\"Ist das... ein Befehl?\" wisperte Shinji.

\"Shin-chan, Hilfe ist unterwegs... sie bekommen dich wieder hin, ganz sicher...\"

\"Ich... glaube... nicht... Rei-chan... versprich mir... ah... versprich mir, daß du nicht aufgibst... was auch geschieht... es hängt jetzt von dir ab...\"

Wovon sprach er nur?
Wie sollte sie nicht aufgeben? Wenn sie ihn verlor, verlor sie doch damit alles, was ihr etwas bedeutete...
Und warum hing es von ihr ab?
Seine Stirn war heiß, sicher hatte er Fieber... sprach er bereits im Delirium?

\"Shin-chan, sprich nicht, du mußt deine Kräfte schonen.\"

\"Nein... ich... ich erinnere mich... die Erste Zivilisation... die Engel haben sie beschützt... und ADAM... ein Feuersturm... alle tot... zahllose Leben... LILITH hat ihn gebannt... am Südpol... mit der... Lanze... der Longinuslanze... Vater treibt... falsches Spiel... der Engel hat es mir gesagt... ADAM... Zerstörer...\"
Seine Stimme wurde leiser, verlor an Kraft.

Kaworus Kopf ruckte hoch.
Shinji-kun erinnerte sich! Leriel hatte Erfolg gehabt mit seinem Kontaktaufnahmeversuch!
Doch noch immer zögerte er, wog die Konsequenzen ab.
Ein Lilim mit einem aktiven S2-Organ besaß eine Macht, welche der eines Engels ähnelte - natürlich in gewisser Proportionalität zu seiner Größe und der Größe des S2-Organs. Ein stärker ausgeprägtes S2-Organ war fähig, viel schneller Energien zu sammeln und abzugeben, als das schwache Fragment in Shinji-kuns Brust.
Und immer noch stellte sich ihm die Frage, woher der Lilim das S2-Organ hatte - und wie es überhaupt in seiner Brust funktionieren konnte...
Tabris schloß die Augen, traf seine Entscheidung.
Als er seine Augen wieder öffnete, glühten sie in einem tiefen Rot. Zugleich baute sich um ihn eine Aura der Macht auf.
Und ein unsichtbarer Chor begann in den Köpfen der Umstehenden mit anschwellender Lautstärke \'Freude Schöner Götterfunken\' zu singen...
Seine Sinne wurden schlagartig sensibler, nahmen mehr wahr als nur die Informationen, welche die herkömmlichen Lilim-Sinne übermittelten.
Einen Wimpernschlag später kannte er die Antwort auf seine Frage, wußte er um die Lösung des Geheimnisses, welches Shinji und das S2-Fragment in seiner Brust umgaben:
Shinji-kun trug das Erbe der Engel in sich!
Warum war er nicht eher darauf gekommen...
Der Lilim war in Wirklichkeit ein Nephilim, ein Wesen halb Mensch, halb Engel. - Deshalb war sein Körper in der Lage, ein S2-Organ in sich zu tragen!
Und deshalb hatte er geglaubt, eine gewisse Ähnlichkeit an ihm zu erkennen!
Kurz musterte er Rei Ayanami, stellte mit Befriedigung fest, daß auch sie zum Teil ein Mitglied seiner Art war, folgerte weiter.
Sogar der Körper, den er benutzte, gehörte einem Nephilim. Der wahre Kaworu Nagisa war ein entfernter Verwandter der Engel. Deshalb war es ihm so leicht gefallen, diesen Körper zu übernehmen.

Suzuhara-kun... Aida-kun... Horaki-san... die Schüler der 3-A - sie alle waren keine hundertprozentigen Menschen. Jeder von ihnen trug die ruhenden Veranlagungen in sich, das Erbe der Engel. Jeder von ihnen war fähig, ein S2-Organ in sich zu tragen und zu nutzen.
Nephilim... Kinder der Engel...
Woher kamen sie? Woher stammte diese Macht?
Hatte sich vielleicht nach Jahrmillionen der Evolution wieder ein Funke Göttlichkeit auf Erden manifestiert?
Aber weshalb kamen sie dann so konzentriert auf?
Fragen, die zu neuen Fragen führten... unbefriedigende Antworten, welche keinen Schlußstrich ermöglichten...

\"Nagisa-kun... das ist... schön...\" flüsterte Shinji.
Er konnte die strahlende goldene Aura wahrnehmen, welche Tabris umgab, ein warmes Licht, das ihn sanft zu berühren schien. Aus dem Rücken des anderen schienen filigrane Flügel zu wachsen, fedrige Schwingen aus substanzgewordenen Licht.
Genau so hatte er sich immer einen wahren Engel vorgestellt. Genau so sah er Rei-chan in seinen Träumen...
Jetzt hatte er wahrhaftig alles gesehen...

Rei starrte Kaworu an.
\"Tu ihm nichts...\"
In ihr regte sich etwas, eine Kraft, die den anderen zurückhalten wollte, die verhindern wollte, daß er ihrem Shin-chan weiter schadete. Doch sie war zu schwach, erzeugte nur einen kaum spürbaren Windhauch anstatt des Stoßes, der Kaworu hätte zurückschleudern sollen.

Die Leute um sie herum hatten mit dem Einsetzen der Musik in ihren Köpfen die Orientierung verloren, irrten schwankend umher.

Tabris lächelte.
\"Ich will Shinji-kun nicht schaden. Ich will ihm helfen.\"

Rei schluckte.
Sie sah die Flügel nicht, nahm auch nicht die warme Ausstrahlung wahr.
Sie wußte nur, daß Nagisa-kun ein Engel war, einer ihrer Feinde.
Doch was sollte sie tun? Wenn sie ihn angriff, mußte sie dazu Shin-chan zurücklassen, der in der Zwischenzeit vielleicht starb... allein und einsam, ohne jemanden, der ihn festhielt...
Und wenn sie dem Engel vertraute, töte dieser vielleicht sie beide.
Hikaris Worte fielen ihr wieder ein - sie sollte versuchen, mit dem nächsten Engel zu reden. Und ein Engel hockte direkt vor ihr, legte gerade eine leuchtende Hand auf Shin-chans Brust.
\"Was tust du da?\" flüsterte sie voller Angst um ihren Geliebten.

\"Shinji-kun ist imstande, sich selbst zu heilen... er besitzt die erforderliche Macht. Ich helfe seinem Körper nur, sich daran zu erinnern.\"
Tabris flößte Shinji einen Teil seiner eigenen Kraft ein, ließ sie direkt auf das S2-Organ einströmen.
Erwache!
Er spürte, wie das schwache Pulsieren etwas stärker wurde, etwas schneller.
Erwache!
Der zweite Herzschlag in Shinji-kuns Brust wurde kräftiger, wurde zu einem stetigen Pochen.
Erwache!

Shinji spürte, wie Hitze sich in seiner Brust ausbreitete. Seine Brust schien sich auszudehnen, schien aufzureißen.
Er stieß ein unterdrücktes Keuchen aus.
Die Hitze überlagerte die Schmerzen.
In seiner Brust begann etwas zu pulsieren, er glaubte, einen weiteren Herzschlag wahrzunehmen, der mit jedem Pochen eine neue Welle von Hitze durch seinen Leib pumpte.
Seine Verletzung...
Er konnte sie kaum noch wahrnehmen!
Sie schloß sich!

Tabris seufzte auf.
Die Aktion hatte ihn mehr Kraft gekostet als er gedacht hatte. Sein Körper würde viel Ruhe und Nahrungszufuhr benötigen, um wieder voll einsatzfähig zu sein.
Er zog sich wieder tief in das Bewußtsein Kaworus zurück, verbarg seine Identität und seine Anwesenheit wieder vor der Wahrnehmung der Lilim.

Shinji nahm zögernd eine Hand von der Wunde.
Die Haut seines Bauches war makellos, sah man von dem Blut ab, welches eben noch aus der Wunde gequollen war. Der einzige Beleg dafür, daß Asuka wirklich auf ihn eingestochen hatte, war sein zerschlitztes Hemd.
Nagisa-kun hatte ihn gerettet...
\"Ah... Rei... sieh nur...\"

Reis Blick klebte auf der Stelle, aus der eben noch Shinjis Lebenssaft in Unmengen ausgetreten war.
\"Shin-chan...\"

\"Rei-chan, ich bin in Ordnung... ich habe keine Schmerzen mehr... die Verletzung ist verheilt...\"
Er setzte sich auf, umarmte sie spontan, hörte, wie sie schluchzte.
\"Uhm... Warum weinst du jetzt noch?\"

\"Ich weine aus Freude, Shin-chan.\"

\"Ahm...\"

Auch die Schüler und Lehrer hatten die Orientierung wiedergefunden, standen jetzt verwirrt in den Gängen, im Foyer und vor dem Gebäude und schienen sich zu fragen, was denn passiert war.

Shinji sah Kaworu an.
\"Du bist einer von ihnen - ein Engel, nicht wahr?\"

\"Ja.\" antwortete Nagisa lächelnd. \"Ich kann meine Herkunft schlecht verleugnen, Shinji-kun.\"

\"Warum... warum die Maskerade? Warum hast du versucht, unser Vertrauen zu erringen?\"

\"Um euch kennenzulernen, um zu erfahren, wer und was ihr seid, ob es noch Hoffnung gibt.\"

\"Hoffnung?\"

Sirenen näherten sich dem Schulgebäude, zugleich ging ein Hubschrauber auf dem Innenhof nieder - NERV war eingetroffen.

\"Ah... Nagisa-kun, du solltest besser verschwinden...\"

\"Wenn ihr mich nicht verratet, werden sie mich nicht erkennen.\"
Kaworu sah die beiden ernst an, verschwunden war sein ansonsten permanentes Lächeln.
\"Ich bin nicht euer Feind.\"

\"Nicht?\"

\"Nein. Sonst hätte ich dir kaum geholfen.\"

\"Nagisa-kun, haben wir dein Wort, daß du nichts tun wirst, daß andere gefährden könnte... und vor allem, daß du dich vom TerminalDogma fernhältst?\" fragte Rei mit demselben Ernst.

Der andere zögerte.
LILITH war im TerminalDogma... Ayanami verlangte von ihm, keine Schritte zu ihrer Befreiung zu unternehmen... allerdings konnte er immer noch versuchen, sie zu überzeugen!
\"Ja. Ihr habt mein Wort. Ihr habt das Wort von Tabris.\"
Er streckte die Hand aus.

Shinji ergriff sie, dann legte Rei die ihre darauf.
Der Pakt war besiegelt...


*** NGE ***


NERV-Einsatzgruppen in tarnfarbenen Kampfanzügen riegelten das Schulgelände ab.
Dann trafen Ritsuko Akagi und Misato Katsuragi vor Ort ein, letztere ebenfalls in eine Tarnkombination gekleidet.
Die Zivilisten, welche sich immer noch nicht erklären konnten, was denn vorgefallen war, ignorierten sie - effektiv war in ihren Erinnerungen eine Lücke für die Dauer der Zeit, in welcher sie sich in Tabris\' Präsenz befunden hatten; der Mensch war einfach nicht geschaffen, dem Himmlischen Auge in Auge gegenüberzustehen - sollten sich die Ärzte näher mit ihnen befassen.
Eine Gruppe von fünf Soldaten und zwei Medizinern folgte Akagi und Katsuragi ins Gebäude, ihnen folgte Kaori Ishiren mit gezogener Handfeuerwaffe.

\"Was ist hier passiert?\" rief Misato entsetzt, als sie Asuka am Boden liegen sah, sowie die große Blutlache, in der Shinji und Rei hockten.
\"Shinji-kun, bist du...\"

\"Ahm, Misato, ich bin in Ordnung.\"

\"Rei, dann du?\"

\"Nein, Misato-san. Meine körperliche Integrität ist nicht beeinträchtigt.\"

\"Aber woher...\"

Ishiren richtete ihre Pistole auf Kaworu.
Aus der Entfernung hatte sie das Leuchten gesehen, welches ihn zeitweilig umgeben hatte. Und auch wenn sie sich darauf keinen Reim machen konnte, so stufte sie ihn doch als Bedrohung ein.
Dann sah sie, daß Rei, ihre Schutzbefohlene, schwach den Kopf schüttelte und ihr zu verstehen gab, daß sie die Waffe senken sollte.
Zögernd kam sie der Anweisung nach.

Während Misato bei Shinji und Rei blieb, widmete Ritsuko sich Asuka, für welche bereits eine Trage geholt wurde.

\"Atmung flach, aber vorhanden. Puls ist ebenfalls schwach. Blutverlust normal für eine Kopfverletzung. Eine Schußverletzung. Keine weiteren sichtbaren Verletzungen. Ist das Ihr Werk, Leutnant?\"

\"Ja, Sir.\" antwortete Ishiren. \"Als ich sah, daß das Second Children die anderen mit dem Messer\", sie deutete auf die blutige Klinge neben Asuka, \"angriff, konnte ich nicht tatenlos zusehen. Augenscheinlich habe ich noch rechtzeitig gehandelt.\"

\"Hm...\"

\"Aber woher kommt dann das viele Blut?\" fragte Misato. \"Shinji? Rei? Kaworu? Ist von euch wirklich keiner verletzt?\"

\"Uh... nein... wir sind in Ordnung.\"

\"Misato, laß es gut sein\", flüsterte Akagi eindringlich, den Blick auf Shinji Hemd gerichtet. \"Wir reden später darüber. Jetzt bringen wir sie erst einmal alle ins Hauptquartier auf die Krankenstation.\"

\"Aber...\"

Ritsuko schüttelte den Kopf.
Sie glaubte zu wissen, weshalb die MAGI kurzfristig die Existenz eines Blauen Musters festgestellt hatten - es mußte mit dem S2-Fragment in Shinjis Brust zu tun haben. Das würde auch erklären, wo das ganze Blut herkam, ohne daß der Junge eine Wunde aufwies... weil es keine Wunde mehr gab!

Möglicherweise hatten die MAGI das Tätigwerden des S2-Organs angemessen und mit den Signalen verwechselt, die von einem Engel ausgingen, in diesem Fall würde sie die Sensoren entsprechend neukonfigurieren müssen.

\"Und das Blaue Muster, das die MAGI gemeldet haben?\"

\"Misato, siehst du hier irgendwo einen Engel - so etwa wenigstens zwanzig Meter groß und dabei, die Stadt zu zerlegen?\"

\"Nein.\"

\"Dann sind wir uns ja einig. Es war ein Fehlalarm...\"
Akagi nahm mit Misato Augenkontakt auf, versuchte ihr Zeichen zu geben, nicht weiter nachzuhaken. Und glücklicherweise verstand Misato.


*** NGE ***


Mit dem Hubschrauber ging es durch den Zentralen Schacht zurück ins Hauptquartier.
Der Schacht lag seit den Aktionen Zeruels offen, ein Einpassen neuer maßgefertigter Schotten würde viel Zeit und Aufwand in Anspruch nehmen, sowie Erdarbeiten in größerem Umfang erfordern.

Asuka wurde auf die Krankenstation in den dortigen Sicherheitsbereich gebracht, nach Ritsukos Erkenntnissen lag sie im Koma, doch Akagi wollte ganz sicher gehen, daß sie ihnen nicht wieder etwas vortäuschte und vielleicht jemanden angriff, sobald man ihr den Rücken zuwandte. Asukas Zustand war stabil, sie hatte allerdings durch den Treffer ein Auge verloren.

Nachdem Ritsuko sich um die Versorgung und Unterbringung Asukas gekümmert hatte, wandte sie sich Shinji zu und hörte ganz zielgerichtet seine Brust ab, nahm mit einem schwachen Nicken das zweite Klopfen zur Kenntnis, welches wie ein Echo seines Herzschlages klang. Ritsuko stellte sich so, daß sie der Überwachungskamera in der Ecke den Rücken zukehrte.
\"Asuka ist mit dem Messer auf euch losgegangen, nicht wahr?\"

\"Uhm... ja...\"

\"Und sie hat...\"
Ritsuko deutete auf Shinjis Bauch, übte mit dem Zeigefinger kurz Druck auf die Haut aus.
\"Richtig?\"

Shinji schluckte.
\"Ja.\"

Ritsuko nickte wieder.
In Momenten wie diesem liebte sie die ärztliche Schweigepflicht über alle Maßen.
\"Ich weiß, was passiert ist\", sagte sie nur.

\"Sie wissen es?\"

\"Einen Moment, ja?\"
Ritsuko zog ihre Fernsteuerung aus der Tasche und deaktivierte die Überwachungsgeräte, einschließlich der Abhörvorrichtungen, von denen Gendo wahrscheinlich glaubte, daß sie nichts von ihnen wußte.
Dann holte sie Misato in den Untersuchungsraum, welche draußen mit Kaworu und Rei gewartet hatte.
\"Wir können ungestört sprechen.\"

\"Erzählst du mir endlich, was du herausgefunden hast?\" murmelte Misato und sah Ritsuko finster an.

\"Sofort. Zunächst einmal - das Blut stammte von Shinji.\"

\"Was? - Mein armer Kleiner! Wo hat Asuka dich... das ganze Blut...\"
Misato starrte Shinji voller Entsetzen an.

\"Ich... uh...\"

\"Die Erklärung ist so einfach wie überraschend. Als wir Shinjis Körper rekonstruierten, bekam er dabei nicht nur eine Art von Generalüberholung. Er bekam auch ein Fragment des S2-Organs mit, welches EVA-01 verschlungen hatte. Dieses Fragment befindet sich in seiner Brust. Und ich denke, daß es wie ein eigenständiges S2-Organ funktioniert.\"

\"Was?\"
Misato blinzelte heftig.
\"Shinji...\"

\"Uhm... Misato... es stimmt... Doktor Akagi hat recht. Asuka hat mich mit dem Messer... uh... äh...\"

\"Genau. Und das mußte das bis dahin ruhende S2-Organ auf den Plan gerufen haben. Es ist erwacht und hat die Verletzung geheilt.\"

\"Äh... ja... so war es.\"
Daß Nagisa-kun es gewesen war, der das S2-Fragment aktiviert hatte, mußte er ja keinem sagen... daß hätte den Freund doch nur in Schwierigkeiten gebracht.
Kaworu Nagisa war ein Engel... aber anscheinend einer von den Guten. Und nur Rei-chan und er selbst schienen zu wissen, was wirklich geschehen war. Das Risiko, das sie eingingen, indem sie Nagisa... Tabris... vertrauten, lag auf der Hand. Andererseits war da die plötzlich wieder aufgetauchte Erinnerung an das, was ihm der Kugelengel über die Vergangenheit berichtet hatte. Und nachdem, was er gesehen hatte, handelte es sich bei dem gekreuzigten Giganten mit der Maske im TerminalDogma in Wirklichkeit um LILITH, den zweiten Engel, nicht um ADAM, wie Kaji-san glaubte.
Vielleicht waren weitere Kämpfe gar nicht nötig!
Doch, wem sollte er sich anvertrauen?
Doktor Akagi war bereit gewesen, ihm zu glauben, daß er in EVA-01 seiner Mutter begegnet war, aber er hatte Zweifel, daß er sie von den wahren Absichten der Engel überzeugen konnte. Und für Misato galt dasselbe. Und selbst wenn, sie würden Kaworu sicher untersuchen wollen... und sein... \'Vater\' würde sicher auch noch ein Wort mitsprechen wollen.
Nein, er konnte sich niemandem anvertrauen, konnte nur darauf hoffen, daß er sich nicht irrte - und daß Tabris sein Versprechen einhielt...

\"Uh, das...\"
Misato schüttelte den Kopf, warf einen Blick auf Shinjis nackte Brust.
\"Darin befindet sich wirklich ein S2-Organ?\"

\"Ja. Ich könnte dir die Röntgenbilder zeigen - wenn ich sie nicht vernichtet hätte.\"

\"Warum hast du... wegen Ikari?\"

\"Stimmt. Misato, dieses Geheimnis darf diesen Raum nicht verlassen - in Shinjis Interesse.\"

\"Verstehe. Okay, einverstanden. Aber... Rei und Kaworu haben es doch sicher auch gesehen, oder?\"

\"Das... äh... stimmt... Aber sie werden nichts sagen, dafür... uh... kann ich garantieren\", stotterte Shinji.

\"Hm...\" machten die beiden Frauen gleichzeitig.

\"In Ordnung, Shinji, du mußt es wissen\", sagte Ritsuko schließlich.

\"Ein S2-Organ... Wow...\" murmelte Misato. \"Unser Shinji hier hat sich also in den Hasen aus der Batteriewerbung verwandelt...\"

Ritsuko sah sie befremdlich an.
\"Du siehst zuviel TV, meine liebe. Aber der Vergleich stimmt.\"

\"Und jetzt? Ich meine, wir werden darüber schweigen. Und es wird dir sicher noch sehr hilfreich sein, Shinji. - Aber, Ritsuko, willst du es gar nicht untersuchen?\"

\"Soll ich Shinji aufschneiden und riskieren, daß das Fragment explodiert? Danke, Selbstmord kann ich einfacher begehen.\"

\"Äh...\"

\"Urgh...\" machte Shinji.
Kapitel 49 - \"Mein reines Herz für dich\"

Kaworu hockte auf der Bank im Warteraum des Krankenflügels. Besorgnis überschattete seine normalerweise unbekümmerte Miene. Innerlich machte er sich bereit, seine überirdischen Kräfte sofort zu manifestieren, sollten plötzlich bewaffnete NERV-Sicherheitskräfte des Raum stürmen. Mit der Macht seines Liedes besaß er sogar eine gewisse Chance, mit heiler Haut aus der NERV-Pyramide zu entkommen, wie irritierend es auf die Lilim wirkte, hatte er ja in der Schule erfahren können. Doch dies war wirklich nur ein letzter Ausweg, falls man ihm auf die Schliche kommen sollte - oder falls er sich in den beiden Nephilim getäuscht haben sollte und sie ihn den hiesigen Autoritäten auslieferten.

Rei saß ihm gegenüber, während Kaworu die Schultern hängen ließ, war ihr Rücken durchgedrückt. Die Vorderseite ihrer Bluse und ihr Rock waren voller Blutflecken, ebenso ihre Hände.

Nagisa fragte sich, warum er die Wahrheit nicht eher erkannt hatte - vielleicht, weil er die Möglichkeit, daß es noch Nephilim, erdengeborene Engel, halb Mensch, halb Lilim, gab, gar nicht erst in Betracht gezogen hatte?!
Wie vielfältig die Wunder der Schöpfung doch waren...

Rei beobachtete den anderen.
Jetzt konnte sie keinen Hinweis an ihm mehr erkennen, aus dem sie auf das, was sich in ihm verbarg, hätte folgern können.
\"Ohne dich hätte ich ihn verloren. Danke, Nagisa-kun.\"

Sein Lächeln blitzte auf.
\"Ich kann einfach kein hübsches Mädchen weinen sehen.\"

Sie blinzelte.

\"Das... äh... hat er... ahm... habe ich einmal im Fernsehen gehört.\"

\"So.\"

\"In der US-Zweigstelle gab es keine anderen Kinder, nur Erwachsene, die jemanden wie... mich für einen Freak gehalten haben.\"

Rei nickte knapp.
Ihre Gedanken waren bei Shinji.

\"Ich würde gerne morgen in der Schule mit euch sprechen... hier sind einfach zuviele Augen und Ohren...\"
Er schielte hinauf zu der Kamera über der Tür.

\"Einverstanden.\"


*** NGE ***


Shinji legte sich die Hand auf die nackte Brust, dort, wo Ritsuko ihn abgehört hatte, und hielt den Atem an, lauschte konzentriert.
Er konnte es fühlen, konnte das Pulsieren des S2-Organs spüren. Es schlug in seiner Brust wie ein zweites Herz, befand sich immer einen Sekundenbruchteil hinter seinem eigenen Herzen.

Die Möglichkeiten, die Doktor Akagi angedeutet hatte, hatten ihm den Atem geraubt. Demnach bezog das S2-Organ seine Energie direkt aus der Umgebung - aus dem Magnetfeld der Erde und der Wärme der Sonne -, sammelte sie und gab sie je nach Bedarf an seinen Körper ab. Wenn es vollgetankt war, würde es wahrscheinlich mit dem Überschuß dafür sorgen, daß er weniger Nahrung und Flüssigkeit benötigte und auch mit weniger Schlaf auskam. Und es war imstande, Verletzungen zu regenerieren, wie er es bereits erlebt hatte. Alles, was dazu nötig gewesen war, war einmal von EVA-01 in LCL aufgelöst und dann wieder neu zusammengesetzt zu werden, sowie eine kleine Starthilfe von Seiten eines Engels...
Hoffentlich konnten sie Tabris vertrauen... Shinji wollte nicht gegen seinen Freund kämpfen, egal, ob dieser nun ein Engel oder ein Teufel war. Er war sich ja nicht einmal sicher, ob er selbst noch ein Mensch war - normale Menschen besaßen jedenfalls gewöhnlich nur ein stinknormales Herz. Und normale Menschen neigten dazu, Verletzungen wie jene, die ihm heute beigefügt worden war, nicht zu überleben, wenn nicht umgehend Hilfe eintraf...

\"Nun, meinst du, du kannst dich daran gewöhnen?\" fragte Ritsuko.

\"Uh, ja, denke schon... ist ein seltsames Gefühl, wie ein zweites Herz in der Brust.\"

\"Ich werde in den nächsten Tagen ein paar Tests mit dir durchführen, hauptsächlich Belastungstests, um zu sehen, wozu du jetzt fähig bist. Aber keine Sorge, das ganze bleibt unser Geheimnis.\"

\"Ja. Uh, Doktor Akagi, Misato... habt ihr euch schon einmal gefragt, was wäre wenn... nun ja, wenn die Engel in Wirklichkeit gar nicht unsere Feinde wären? Uhm... wenn sie gar nicht die Bösen wären?\"

\"Shinji-kun, wie meinst du das?\"
Misato sah ihn mit hochgezogenen Brauen an.

\"Äh, ja... was wäre, wenn die Engel gar nicht zur Erde kommen, um die Menschheit zu zerstören?\"

\"Hm... Shinji, bist du sicher, daß du in Ordnung bist? Vielleicht sollte Ritsuko dich noch ein wenig...\"

\"Es... es war nur so ein Gedanke. Mit mir ist alles vollkommen in Ordnung, Misato... Du hast Doktor Akagi doch gehört - beschleunigte Heilung, immun gegen Krankheiten, verbesserte Reflexe, erhöhte Stärke... uhm, ich komme mir vor, wie ein Charakter aus einem Anime.\"

\"Super-Shinji\", warf Ritsuko trocken ein. \"So, ich sehe jetzt nach Asuka.\"
Sie verließ den Untersuchungsraum.

\"Uhm, Misato...\"

\"Ja, Shinji-kun?\"

\"Habe ich mich verändert? Uh... ich meine, sehe ich irgendwie anders aus?\"

\"Nein, du bist immer noch derselbe.\"

\"Ja... ahm... nicht nur äußerlich... hier drin...\"
Er deutete auf seine Brust, auf die Herzgegend.
\"... bin ich auch der gleiche.\"

\"Das weiß ich, Shinji-kun.\"

\"Ja? Ich... uh... ich möchte nicht, daß du mich für ein... uhm... ein Monster hältst, weil ich dieses Ding... dieses S2-Fragment in der Brust habe.\"

\"Shinji, du bist etwas besonderes. Weißt du, eine ganze Reihe von Religionen auf dieser Welt geht davon aus, daß gute Taten belohnt werden - allerdings erst nach dem Tode, im Jenseits oder im nächsten Leben. Ich schätze, bei dir wurde eine Ausnahme gemacht.\"

\"Ahm...\"

\"Aber ganz schön erschrocken waren wir schon, als die Meldung kam, in der Schule hätte es eine Schießerei mit zwei verletzten Kindern gegeben. Dann war es plötzlich eine Messerstecherei gewesen... wie konnte Asuka das nur tun...\"

\"Sie... sie hat uns einfach angesprungen und sofort zugestochen...\"

\"Ja, das deckt sich mit Leutnant Ishirens Bericht. Die gute Kaori schien mir selbst ziemlich unter Schock zu stehen. Komm, Shinji, laß uns Rei holen und heimfahren. Auf den Schrecken brauche ich jetzt ein Bier, schiebe ich halt heute die Spätschicht. Hauptsache, ihr seid in Ordnung. Und die arme Asuka... Shinji, sei mir bitte nicht böse, weil sie mir leid tut, ja?\"

\"Das bin ich nicht, Misato... uhm... Zu so etwas wäre sie früher nicht fähig gewesen... glaube ich jedenfalls.\"
Shinji griff nach seinem Hemd, ließ es dann aber liegen, mit dem ganzen Blut darauf wollte er es nun wirklich nicht wieder anziehen. Nach dem Eintreffen im Hauptquartier hatte er Gelegenheit erhalten, sich zu waschen, doch er war der Ansicht, daß es wohl einer langen Dusche bedurfte, um wirklich auch die letzten Erinnerungen an dieses Horror-Erlebnis von der Haut zu waschen.
Statt des Hemdes zog er sich einen Kittel an, der an der Seite eines Schrankes hing und ihm etwas zu groß war, doch für die Rückfahrt würde er genügen.

\"Wer weiß, was der letzte Engel mit ihrem Hirn angestellt hat...\"


*** NGE ***


Rei verabschiedete sich von Kaworu, warf ihm dabei einen vielsagenden Blick zu - wenn er sein Versprechen brach, wenn er Shin-chans Vertrauen verriet, dann würde sie ihn jagen bis ans Ende der Welt und noch weiter.

Kaworu nickte knapp als Zeichen, daß er verstanden hatte.

Dann folgte Rei Misato auf den Gang und hakte sich wortlos bei Shinji ein.

Die Fahrt nach oben verlief schweigsam, erst als sie in der Wohnung angekommen waren, ließ Misato sich die Ereignisse von Shinji noch einmal schildern, während sie vor sich eine geöffnete Bierdose stehen hatte.


*** NGE ***


Rei wollte ins Bad, um sich kräftig zu waschen.
Shinjis Blut, welches ihr an den Händen klebte, bereitete ihr Unbehagen - sie konnte einfach kein Blut sehen. Und heute hatte sie genug für den Rest ihres Lebens sehen müssen.
Sie betrat das Bad, trat ans Waschbecken.

\"Wark!\"

Rei drehte den Kopf.
In der Wanne saß PenPen in einem Schaumgebirge, eine Badekappe auf dem Kopf und eine Gummiente mit den Flossen über das Wasser schiebend, so daß breite Schneisen im Schaum entstanden.

\"Hallo.\"

\"Wark!\"
Der Pinguin machte eine Geste, die man so hätte interpretieren können, daß er ihr mitteilen wollte, daß es ihm nichts ausmachte, falls sie ebenfalls ein Bad nehmen wollte.

Rei lächelte schwach.
\"Nein, danke.\"

\"Wark.\"
PenPen zuckte mit den Schultern, oder jedenfalls sah es so aus, dann widmete er sich wieder seiner Ente.

Rei drehte das Wasser auf und griff nach der Seife.


*** NGE ***


Dreimal mußte Shinji die Geschichte erzählen, bevor Misato keine Fragen mehr stellte. Nur den Part, den Kaworu gespielt hatte, und die Tatsache, daß er in Wirklichkeit ein Engel war, verschwieg er ihr. Doktor Akagi selbst hatte ja die These geäußert, daß das S2-Organ angesichts der Verletzung von selbst aktiv geworden war.
Er hoffte nur, daß er das Richtige tat - andernfalls würde Misato wohl jeden Grund haben, auf ihn stocksauer zu sein, schließlich entschied er damit auch über Wohl und Wehe der ganzen Menschheit. Einen Augenblick lang wurde ihm schwarz vor Augen, als er sich der Verantwortung bewußt wurde, die er sich aufgebürdet hatte...

\"Schlimme Sache... wirklich schlimme Sache...\" murmelte Misato. \"Verdammt, wenn wir nur die Anweisungen des Kommandanten ignoriert und Asuka hätten behandeln lassen...\"
Auch sie unterließ es längst, in Shinjis Gegenwart von Kommandant Ikari als Shinjis Vater zu sprechen. Ihrer Ansicht nach hatte der ältere Ikari längst jedes Recht auf diesen Titel verwirkt.

\"Stimmt es, daß sie ein Auge verloren hat?\"

\"Ja, Ishiren hat sie voll erwischen. Aber laut ihrer Aussage war das der einzige Winkel gewesen, aus dem sie schießen konnte, ohne einen von euch zu treffen.\"

\"Hm... Kann Doktor Akagi ihr nicht helfen?\"

\"Dafür, was sie dir angetan hat, klingst du ziemlich besorgt, Shinji-kun.\"

\"Ich kann das vielleicht nicht vergessen, aber ich kann... uh... vergeben. Sie muß... uhm... wirklich ein paar furchtbare Dinge... ahm... durchgemacht haben...\"

In diesem Moment verließ Rei das Bad, steuerte direkt auf Shinji zu und umarmte ihn so kräftig, daß ihm die Luft wegblieb.
\"Ich muß mich vergewissern, daß es wirklich ist\", wisperte sie in sein Ohr. \"Daß es nicht nur ein Traum ist...\"

\"Uh... ja... Rei-chan...\" keuchte Shinji und schnappte nach Luft.

Sie ließ ihn los.
\"Es ist kein Traum.\" stellte sie sachlich fest.

\"Okay, Rei, hast du Shinji-kuns Bericht noch etwas hinzuzufügen?\"

\"Nein, Misato-san.\"

\"Gut... Hm, schätze, der offizielle Bericht wird lauten, daß Asuka euch attackiert hat, aber rechtzeitig von Leutnant Ishiren gestoppt wurde. Keine Verletzungen auf eurer Seite... ah, nein, das erklärt das ganze Blut nicht... hm... das wird schwierig...\"

\"Schreiben Sie, daß ich leicht verletzt wurde\", schlug Rei vor. \"Sie wissen, daß auch mein Körper Verletzungen sehr schnell ausheilt.\"

\"Du meinst... hier ein wenig übertreiben, dort etwas untertreiben?\"

\"Ja, Misato-san.\"

\"Mal sehen... - Wie spät ist es eigentlich... Ich muß wohl wieder los. Kann ich euch allein lassen? - Shinji-kun?\"

\"Ja, natürlich... uh... ich bin in Ordnung.\"

\"Ich weiß. Ich mache mir nur Sorgen.\"
Misato grinste.
\"Du bist doch für mich fast schon wie ein kleiner Bruder.\"

\"Uhm...\"

\"Hey, komm schon - um wie ein Sohn für mich zu sein, ist der Altersunterschied nicht groß genug.\"
Sie warf sich ihr Jackett über, sah die beiden noch einmal prüfend an und verließ dann die Wohnung.

Shinji ließ sich auf einen Stuhl sinken.
\"Uh... Noch einmal hätte ich es nicht geschafft, sie über Kaworu zu belügen.\"

\"Er ist ein Engel.\"

\"Ja, ich habe ihn auch gesehen... seine wahre Gestalt... er ist wirklich ein Engel... mit Flügeln...\"
Wieder tastete er über seine Brust.
\"Ich kann es kaum glauben, daß ich noch am Leben bin.\"

\"Dank Tabris. Wenn er nicht dein S2-Organ aktiviert hätte...\"

\"Ja. Ich schulde es ihm zu schweigen. Solange er sich an den Pakt hält...\"

\"Shin-chan, was wollen wir jetzt machen?\"

\"Ahm... PenPen ist noch im Bad, oder?\"

\"Ja.\"

\"Wenn er fertig ist, würde ich gerne duschen...\"
Er schluckte, atmete tief durch, sah sie fragend an.
Bisher hatte sie sehr häufig die Initiative ergriffen, vielleicht war es wirklich Zeit, daß er über seinen Schatten sprang...
\"Möchtest du... uhm... auch... äh... unter die Dusche?\"

\"Ich habe mich gerade gewaschen.\"
Rei blinzelte.
Seine Worte hatten doch eine tiefere Bedeutung...
\"Aber ich könnte ebenfalls eine Dusche gebrauchen.\"


*** NGE ***


Wolf Larsen fuhr herum, als die Tür des Unterschlupfes aufflog.
Mit der rechten Hand zog er die Pistole aus dem Schulterhalfter, während er zugleich die Klauen der linken ausfuhr und sich in die Halbdeckung eines Wandvorsprunges begab.
Auf der künstlichen Netzhaut seiner Kameraaugen erschien ein Fadenkreuz, welches ihm anzeigte, wohin er mit der Waffe zielte, zugleich wurde in den unteren Bereich eine Ausschnittsvergrößerung des Türbereiches eingeblendet.

Keiner der Alarme, die Kaji und er installiert hatten, war angeschlagen, daß konnte nur bedeuten, daß entweder jemand mit den nötigen Fachkenntnissen eingedrungen war - oder daß Ryoji Kaji aus irgendeinem Grund es unterlassen hatte, sich vorher anzukündigen.
Letzteres war der Fall, wie er beruhigt feststellte, als er Kaji identifizierte. Er war allein.

\"Was ist los?\" fragte Larsen, während er die Klingen einfuhr und die Waffe fortsteckte.
Kaji erschien ihm ziemlich aufgeregt, ja, regelrecht schockiert.

\"Asuka... sie hat die anderen Kinder mit einem Messer angegriffen...\" stieß Kaji hervor.

Wolf prallte zurück.
Seine Ziehtochter hatte was?
Warum sollte sie so etwas tun?
\"Was ist geschehen?\" hakte er nach.

\"Sie muß einfach durchgedreht sein, wollte die anderen Piloten mit dem Messer... einer der Leibwächter hat sie niedergeschossen...\"

Larsen blinzelte. Blinzelte noch einmal.
\"Niedergeschossen?!\" wiederholte er tonlos.
Das konnte doch nicht sein... wieso...
Zugleich vermeldete ihm der Zustandsmonitor des PROPHET-Interfaces, daß sein Adrenalinpegel bedenklich am Ansteigen war.

\"Ja, um die anderen zu beschützen... Commander, Asuka befindet sich auf der Krankenstation im NERV-HQ. Sie liegt im Koma.\"

\"Wie schwer...\"

\"Schädelstreifschuß... sie hat ein Auge verloren...\"

Der Cyborg ließ sich gegen die Wand fallen, blickte Kaji kopfschüttelnd an.
\"Wieso... warum hat Asuka...\"

\"Sir... Commander Larsen... ahm... wir wissen beide, was mit ihr geschehen ist... und der Psychostrahl, dem sie während des letzten Angriffes ausgesetzt gewesen war... ich schätze, daß dabei ihre Erinnerungen wieder hochgespült worden sind...\"

\"Dieser dreimal verdammte Fresenhark... und dieser verfluchte James Langley... Ann und ich, wir hatten uns solche Mühe gegeben... und ich war immer nicht da, als Asuka jemanden brauchte, obwohl ich es ihrer Mutter versprochen hatte...\"
Eine kurze Erinnerung...
Kyoko Soryu nach ihrem Nervenzusammenbruch im Krankenhaus...
Ein kurzer lichter Moment, die Bitte, daß die Larsens sich um ihre Tochter kümmern...
Ein Versprechen, daß von ihr nur noch teilweise verstanden wurde, als sie wieder in ihre eigene Phantasiewelt abdriftete...
Und trotzdem war er nicht dagewesen, weder als Kyoko sich das Leben genommen und versucht hatte, Asuka mit sich zu nehmen, noch als Pietter Fresenhark sie mißbraucht hatte. Und jetzt war er wieder nicht für sie dagewesen, nicht als der Engel sie in seinem Bann gehabt hatte, und auch nicht, als sie unter den Folgen litt... und alles nur wegen eines Befehles, der wahrscheinlich gar nicht von Direktor Rabinowitz gekommen war, sondern von einem Mann, den er geglaubt hatte, getötet zu haben...
\"Ich muß zu ihr. Können Sie mir Zugang in die Geofront verschaffen, Kaji?\"

\"Meine Hintertür ins MAGI-System mußte ich inzwischen wieder beseitigen, aber ich finde einen Weg.\"

\"Gut.\"

\"Schuld ist allein Kommandant Ikari, wenn er einer Behandlung Asukas nach dem Vorfall mit dem Engel zugestimmt hätte...\"

\"Kaji, er war nicht der erste, der ihr so etwas verweigert hat... nach der Sache mit Fresenhark glaubten Ann und ich, wir kämen allein damit klar, könnten Asuka helfen zu vergessen. Doch stattdessen hat sie nur immer weitere Mauern um sich herum errichtet, wie sie es schon als kleines Mädchen getan hat...\"
Warum hatte Naoko Akagi ihm nur einen Maschinenkörper gegeben, ihm aber sein Gewissen belassen...


*** NGE ***


Auf Gendo Ikaris Schreibtisch türmte sich ein Chaos aus Unterlagen, Folianten, Mappen und einzelnen Zetteln.

Ikari selbst lag zusammengekrümmt unter dem Tisch und hielt seinen linken Unterarm umklammert. ADAM war weiter vorgedrungen. Unter der aufgedunsenen Haut konnte Ikari Bewegungen spüren.

Der Anfall war ganz plötzlich gekommen, der Engel hatte ohne Vorwarnung zugeschlagen, versuchte jetzt, sich wuchernd über den Arm in Gendos Körper auszubreiten.
Zugleich fiel die Raumtemperatur mit jedem Augenblick. Ikaris Atem entwich schon in Form weißer Wölkchen über seine zitternden Lippen.

Mit einer einzigen letzten Kraftanstrengung zog er die oberste Schublade des Schreibtisches auf, holte blind eine bereits aufgezogene Spritze mit der speziell auf die Besonderheiten der Engel abgestimmten Droge heraus, rammte sich die Spitze in den Arm. Die Dosis hatte bereits die zehnfache Konzentration.

Noch einmal bäumte ADAM sich auf, jagte noch einmal eine Welle von Schmerzen durch Ikaris Körper, ehe er den Wirkungen des Mittels unterlag.
Das große Auge auf der Handfläche schloß sich, ebenso die sieben kleineren Augen, welche sich in den letzten Tagen um das große herum gebildet hatten.

Ikari betrachtete seine linke Hand.
Die Haut war dunkel verfärbt und hornig, die Finger erinnerten an Tierklauen mit dicken spitzen Nägeln.
Die Transformation schritt schneller voran, als er gedacht hätte, ADAM wandelte seine DNA um... so durfte das nicht weitergehen. Er durfte sich nicht noch einmal von dem Engel überrumpeln lassen...

\"Ich bin dein Herr...\" keuchte Ikari. \"Nicht ich werde mich dir unterwerfen, sondern umgekehrt...\"


*** NGE ***


Die beiden Teenager unter der Dusche im Bad der Katsuragi-Wohnung ahnten von alledem nichts, weder von den Sorgen, welche Kaji und seinen Mentor quälten, noch von den Machtgelüsten des NERV-Kommandanten und den daraus erwachsenden Problemen.

Das warme Wasser prasselte auf zwei nackte Körper, Shinji stand hinter Rei und liebkoste ihren Nacken, umspielte dann wieder mit der Zungenspitze ihr Ohrläppchen.
Rei gab ein wohliges Stöhnen von sich. Nur der Druck seiner harten Männlichkeit gegen ihr Becken war ein wenig störend, aber damit konnte sie leben. Sie drehte sich ein Stück, wandte zugleich den Kopf und küßte ihn mit offenem Mund. Schließlich drehte sie sich gänzlich um und legte ihre Arme um ihn, spürte, wie seine Hände über ihren Rücken glitten, wie er sacht ihren Nacken berührten, an jener Stelle, von der aus warme Schauder durch ihren Körper jagten.

Wie sehr sie ihn begehrte... wie stark der Drang war, mit ihm eins zu werden...
Doch dann erstarrte sie, blinzelte, horchte in sich hinein...
Wo war die leise mahnende Stimme, welche sonst immer an diesem Punkt einschritt? Wo war das Gefühl, daß das, was sie zu tun im Begriff war, falsch war, der Eindruck, daß es jemand anderen gab, der für eine körperliche Vereinigung viel eher in Betracht kam...
Fort... keine Barrieren mehr... warum?

Shinji stellte seine Bemühungen, seine Rei-chan an ihren empfindlichen Punkten zu stimulieren, ein.
Natürlich, sie hatten wohl die Grenze erreicht, welche sie ihrer stillen Abmachung nach nicht überschreiten wollten... noch nicht, wie er sich immer wieder einredete.
Doch dieses mal fiel ihre Reaktion sehr extrem aus, so als hätte sie irgendetwas verwirrt.
Er bemühte sich, seiner Erregung Herr zu werden, gewöhnlicherweise fiel ihm das etwas einfacher, doch nicht dieses mal.
Mit dem Handrücken fuhr er sanft über ihre Wange.
\"Rei-chan?\"

Sie blinzelte.
\"Nicht hier...\"

Jetzt blinzelte auch er überrascht.
Wie meinte sie das?
Wollte sie nicht mit ihm unter der laufenden Dusche reden?

Rei stellte das Wasser ab, öffnete die Tür der Duschkabine.

Sofort drang kältere Luft hinein, so daß auf der nassen Haut der beiden eine feine Gänsehaut entstand.

Sie stieg schweigend aus der Dusche, griff nach einem der bereitliegenden Handtücher.

\"Uh...\" setzte Shinji an.
Was hatte er nur falsch gemacht?

Rei blickte ihn an, ihr Blick wanderte von seinem Gesicht über seinen Körper nach unten, blieb an seinem Geschlechtsteil hängen.
Allein der Anblick erzeugte in ihr eine seltsame Erregung.
Warum nur hatte sie so lange gewartet, warum nur hatte sie immer auf dieses seltsame Gefühl gehört, anstatt ihre Beziehung zu Shin-chan weiterzubringen, wie es logisch gewesen wäre, hatte sie sich vor dem nächsten Schritt gescheut...
Sie warf ihm ein Handtuch zu, wartete, während er sich automatisch abtrocknete, sie dabei immer noch mit einer Mischung aus Verwunderung und heißhungriger Erregung ansah. Schließlich nahm sie seine Hand und zog ihn mit sich aus dem Bad, über den Korridor und in ihr gemeinsames Zimmer...


*** NGE ***


PenPen hörte die Badezimmertür aufgehen.
Endlich... die beiden ungefiederten Zweibeiner, welche ihn gezwungen hatten, sein Bad abzukürzen, hatten das Badezimmer verlassen!
Er klemmte sich seine Bürste unter die Flosse und verließ seinen Kühlschrank, erhaschte dabei noch einen Blick auf ein Aufblitzen nackter Haut, hörte dann, wie die Zimmertür der beiden Jungmenschlinge zuschlug.

\"Wark, wark, wark...\" brummelte er leise.

Aus dem Raum der beiden kamen seltsame Laute, Geräusche, die der Pinguin eher aus dem Zimmer des erwachsenen Menschlingweibchens erwartet hätte, mit welchem er von Anfang an zusammenwohnte, seit er die Versuchsanstalt verlassen hatte - ein leises Stöhnen, dann Geflüster, schließlich sagte die Stimme des jüngeren Menschlingweibchens leise den Namen ihres Gefährten, wiederholte ihn immer lauter werdend, Stöhnen und Keuchen, dann ein unterdrückter Schrei, Stille, wieder Geflüster, Ruhe für eine Weile, dann erneutes Stöhnen...

PenPen schüttelte den Kopf.
Menschlinge... warum dauerte das bei ihnen nur immer so lange, bis sie zur Paarung kamen... bei seiner Art gab es diese Probleme nicht, da umwarb ein männlicher Pinguin seine Angebetete ein paar Tage mit selbstgefangenen Fischen, dann wurde gemeinsam ein Nest gebaut und losgelegt. Ja, die Menschlinge könnten wirklich noch viel von den Pinguinen lernen, kein Wunder, daß sie fast ständig Krieg führten, um ihre unterschwelligen Frustrationen abzubauen...

\"Wark, wark... wark, wark, wark!\"
Der Warmwasserpinguin war wirklich gespannt, wer von den beiden mit dem Ausbrüten der Eier beginnen würde, wenn das blauhaarige Menschlingweibchen mit den roten Augen zum ersten Mal welche legte...
Aber das sollte ihn nun wirklich nicht von der Fortsetzung eines schönen heißen Bades ablenken...


*** NGE ***


Wieder einmal wechselte Shinji das Bettlaken, dieses mal der beiden Blutflecken wegen, die sich in Stoff befanden. Wie hatte er sich erschrocken, als er erstmals in sie eindrang, dabei eine Barriere durchbrach und sie plötzlich vor Schmerz aufschrie... jetzt war Rei im Bad, um sich zu waschen, er selbst war ebenfalls verschwitzt. Bis Misato heimkam, hatten sie noch fast zwei Stunden...

Rei schien denselben Gedanken gehabt zu haben, denn als sie das Zimmer betrat, ließ sie das Handtuch fallen und präsentierte sich ihm in ganzer Lebensgröße.

Grinsend zog er sie auf das frisch bezogene Bett...


*** NGE ***


Misato kam kurz vor Mitternacht vom Dienst zurück.
Sie warf einen kurzen Blick in das Zimmer ihrer Mitbewohner, stellte fest, daß die beiden friedlich schlummernd unter ihrer Decke lagen, und ging dann ins Bad.

Shinji öffnete vorsichtig ein Auge und linste zur Tür, hörte dann die Badezimmertür gehen.
\"Sie ist im Bad.\"

\"Ja.\" flüsterte Rei, er hörte die Worte weniger, als daß er den warmen Hauch ihres Atems auf der Haut spürte.

In rascher Folge küßte er verschiedene Stellen ihres Gesichts, dann ihren Hals und die Schultern, arbeitete sich methodisch weiter vor.

Sie kicherte, fuhr mit einer Hand langsam durch sein Haar.
\"Noch nicht, Shin-chan. Misato-san ist noch nicht schlafengegangen.\"

Also verlangsamte er seine Tempo und beschränkte sich darauf, mit der Nasenspitze Muster auf ihrer Haut zu zeichnen, wodurch er sie wieder zum Kichern brachte...


*** NGE ***


Am nächsten Morgen weckte sie das Piepen des Weckers.

Sie hatten viel zuwenig Schlaf gehabt, hatten sich verhalten, als gelte es eine ganze Reihe verpaßter Gelegenheiten nachzuholen.

Shinji ließ die flache Hand auf den Wecker knallen, schaltete den Alarm aus.

Rei lag mit dem Kopf auf seiner Brust, ein Lächeln auf den Lippen, und schien dem Klang seiner beiden Herzen zu lauschen.

\"Rei-chan? Wach auf...\"

\"Hm... müde...\"
Sie sah ihn an.
\"Die ganze Nacht...\"

\"Wie... wie fühlst du dich?\"

Rei rieb sich die Augen, kroch dann etwas höher und gab ihm einen Kuß auf die Lippen.
\"Ein wenig... wund...\"

\"Uh... das tut mir leid... ich... uh...\"

\"Nein.\" flüsterte sie und küßte ihn erneut.
Jetzt verstand sie, wie Hikari es gemeint hatte - sie bereute nichts...


*** NGE ***


Der Tag verging wie im Flug, der alte Lehrer schien mit zehnfacher Geschwindigkeit zu reden, jedenfalls kam es Shinji so vor.
In der zweiten großen Pause zwischen den Unterrichtsstunden kam Toji auf das Schuldach gehastet, wo Shinji und Rei engumschlungen im Sichtschutz der Mauer saßen und die letzten wirklich warmen Tage des Jahres 2015 genossen.

\"Hey, Shinji, Ayanami... uhm... tut mir leid, euch zu stören...\"
Toji grinste breit, schien im Vergleich zu ihrer letzten Begegnung wie ausgewechselt.

\"Ahm... Hallo, Toji...\" stotterte Shinji.

\"Suzuhara-kun.\" begrüßte Rei den Neuankömmling.

Shinji runzelte die Stirn.
Warum war Toji so aufgeregt... natürlich...
\"Wie geht es Mari?\"

Rei zuckte zusammen.
Wie hatte sie nur vergessen können, daß gestern Suzuhara-kuns Schwester ihre Operation gehabt hatte... allerdings lag der Grund für ihr Vergessen wirklich auf der Hand, beziehungsweise wurde von ihr im Arm gehalten...

Toji hockte sich vor ihnen hin und nickte zufrieden.
\"Die Operation ist gelungen. Mari kann ihre Beine wieder bewegen... gerade eben hat sie ihre ersten Schritte gemacht. Leute, ich kann euch kaum sagen, wie froh ich bin.\"

\"Ja...\"
Shinji war, als fiele ihm ein Stein vom Herzen.
Spontan klopfte er dem anderen auf die Schulter.
\"Bleibt sie noch im Krankenhaus?\"

\"Ja, Physiotherapie. Ich freue mich so für sie. Und ohne die Unterstützung von Doktor Akagi hätte das nie geklappt! Ich muß nachher gleich Hikari anrufen und es ihr mitteilen.\"

\"Ich freue mich auch für dich, Suzuhara-kun.\"

\"Danke, Ayanami! Eh, wo steckt eigentlich unser Honigkuchenpferd Kaworu?\"
Kaworu hatte Toji gegenüber immer wieder erklärt, dieser solle die Hoffnung nicht aufgeben, daß seine Schwester eines Tages wieder laufen konnte...

\"Tests.\" erklärte Rei knapp, schließlich hatte sie noch vor Beginn der ersten Unterrichtsstunde Ritsuko-san auf deren Handy angerufen und sich über den Verblieb Nagisa-kuns informiert, als dieser nicht zum Unterricht gekommen war. Die Kürze des Gespräches war wahrscheinlich der Grund dafür gewesen, daß Ritsuko-san sie nicht über Mari Suzuharas Zustand informiert, oder sie wenigstens gebeten hatte, entsprechendes Shin-chan auszurichten.


*** NGE ***


Kaworu wurden den ganzen Tag über mit EVA-02 getestet. Asuka war nach den Ereignissen des Vortages komplett von der Liste der Piloten gestrichen worden.
Kaworu fragte sich immer wieder, was Arael nur getan hatte, um eine solche Reaktion bei der Rothaarigen hervorzurufen, oder welche Erfahrungen diese gemacht hatte, daß sie auf Araels Kontaktaufnahmeversuch derartig reagiert hatte.
Seine erste wirkliche Begegnung mit EVA-02 - bisher war er nur im Zusammenspiel mit den MAGI getestet worden - war überaus überraschend und erschreckend zugleich, hatte er doch feststellen müssen, daß in EVA-02 eine gepeinigte Seele existierte, welche von ihm hatte wissen wollen, wo Asuka war. Und ehe er sich versah, hatte sie die entsprechenden Informationen seinen Gedanken entrissen und sich danach in Schweigen gehüllt.
Davon abgesehen, war der Synchrontest jedoch zur vollsten Zufriedenheit aller Beteiligten verlaufen, lag Kaworu Nagisas Synchratio doch bei satten 97,99. - Mehr zu geben, hatte Kaworu nicht gewagt, um seine wahre Identität nicht zu verraten, doch durch das Schweigen des EVAs und das damit verbundene Fehlen jedes Widerstandes wäre ihm locker ein Synchronwert von über zweihundert kein Problem gewesen.

Mittags war ihm zwischen dem Hangar und seinem Quartier der NERV-Kommandant begegnet. Shinji Ikaris Vater umgab eine dunkle Aura wie eine lebende atmende Wolke. Und in seiner Nähe hatte Tabris die Präsenz ADAMs wahrgenommen, so als blicke der Erste Engel über die Schulter des bärtigen Mannes.
Kaworu hatte gemacht, daß er möglichst viel Abstand zwischen sich und den anderen gebracht hatte, wenn er wirklich mit ADAM in Verbindung stand, dann mußte er einer Konfrontation aus dem Weg gehen...

Am Nachmittag traf er Shinji Ikari und Rei Ayanami, welche anscheinend gekommen waren, um zu überprüfen, ob er sein Versprechen einhielt. Morgen würde er ihnen in der Schule, fern von der allgegenwärtigen Überwachung in der Geofront, endlich mehr erklären können...
Das Band, welches zwischen den beiden existierte, hatte eine weitere Farbe angenommen, strahlte nun hell und schillernd wie ein Regenbogen.
Etwas mußte zwischen ihnen passiert sein, wodurch sie einander noch näher gekommen waren, und eigentlich fiel Kaworu nur eine Erklärung ein. Die Erkenntnis vertrieb die finstere Stimmung, die ihn ergriffen hatte, seit er Gendo Ikari begegnet war. Die beiden darauf anzusprechen, wäre jedoch nach der Etikette der Lilim schwer unhöflich gewesen, so daß er sich nur auf ein breites Lächeln beschränkte und die beiden mit einer Verbeugung begrüßte.

Shinji übergab Kaworu ein paar Zettel, welche während des Unterrichts ausgeteilt worden waren.
\"Und hier noch die Hausaufgaben... uhm...\"

\"Danke, Shinji-kun. Wie geht es euch? Ich hoffe, ihr hattet eine angenehme Nacht.\"

Shinji wurde knallrot, während Reis Wangen sich zart rosa verfärbten.

Kaworu grinste.
Voll ins Schwarze, wie die Lilim zu sagen pflegten...
\"Wollen wir ein Stück gehen? Ich habe in der Geofront einen Garten mit recht wohlschmeckenden Früchten gefunden, Melonen, glaube ich...\"

\"Ugh...\" machte Shinji. \"Du hast doch nicht etwa Kaji-sans Beete geplündert?\"

Kaworu hob abwehrend die Hände.
\"Nein, ich habe sie mir nur angesehen und... naja, eine habe ich mitgenommen... sie sahen so reif und lecker aus...\"
Er blickte unschuldig zur Decke.
Gut, er hatte die großen und weithin sichtbaren Schilder ignoriert, welche das Betreten der Beete verboten, und war über den Zaun geklettert, der das Gelände umgab, aber dagegen war doch wohl kaum etwas einzuwenden...
Gut, die NERV-Angehörigen, denen er begegnet war, während er die Melone unter seinem Hemd durch das Hauptquartier geschmuggelt hatte, hatten ihn auch seltsam angesehen, aber das taten sie doch ohnehin schon...
Und die Frucht hatte doch so gut geschmeckt...

\"Uh... gehen wir...\"

Außerhalb der NERV-Pyramide konnten sie etwas freier atmen, fühlten sich nicht mehr auf Schritt und Tritt von Kameras beobachtet.

\"Ich halte mein Wort.\" raunte Kaworu ihnen zu.

\"Ja...\"
Shinji sah sich um, konnte niemanden entdecken, der sie vielleicht belauschte.
\"Nagisa-kun, warum... uhm... warum greifen die Engel uns an?\"

Kaworu überlegte kurz, legte sich seine Antwort zurecht.
\"Es gibt zwei Gruppen unter ihnen, die einen sind voller Zorn über eure Tat und wollen euch bestrafen für euren Frevel, die anderen glauben, daß ihr im Irrtum gehandelt habt, und wollen mit euch kommunizieren.\"

\"Und... uh... du... äh... Tabris?\"

\"Wir sind eins\", murmelte Kaworu. \"Ich will mit euch reden.\"

\"Was ist der... uhm... Frevel?\"

\"Ihr haltet einen von uns gefangen.\"

\"Ja... ah... der Engel im TerminalDogma...\"

\"Genau. LILITH. Sie ist die Mutter der Engel... die Urmutter meiner Art...\"

\"LILITH? Uh... LILITH mit der siebenäugigen Maske... aber Kaji-san sagte, der Engel im Dogma wäre ADAM...\"

\"Nein. ADAM der Vernichter ist frei. Ihr habt ihn vor fünfzehn Jahren befreit.\"

\"Der Impact...\"

\"ADAM befindet sich ebenfalls in der Nähe, ich kann ihn spüren. Es kostet mich viel Kraft, meine Gegenwart vor ihm zu verbergen.\"

\"Kaworu, was willst du? Uhm... weshalb bist du hier?\"

\"Ich will meine Mutter befreien.\" erwiderte Nagisa voller Ernst.

Shinji schluckte.
Wie sehr sie sich doch ähnelten... auch er war zu fast allem bereit, um seine Mutter aus EVA-01 zu befreien, selbst wenn diese der Ansicht war, daß es keinen Weg gab...
\"Und... uh... warum mußte ich dich retten? Ich meine... äh...\"

\"Es war ein Test.\"

\"Ein Test?\"

\"Ja, ein Test deines Herzens, Shinji-kun. Ich mußte zuerst wissen, ob in euren Herzen Mitgefühl existiert, ehe ich zu meiner Mission aufbrechen konnte, mußte erst erfahren, ob ich unter euch Verbündete finden konnte.\"

\"Das... ahm...\"

\"Ich bedaure, dich getäuscht zu haben. Und ich bin froh, mit dir darüber sprechen zu können.\"

\"Ja...\"

Rei sagte nichts, hörte nur zu.
Den Worten des Engels haftete keine Falschheit an...
Und LILITH war auch ihre Mutter. Wenn Tabris die Wahrheit sagte, mußte sie ihm dann nicht einfach helfen?

Kaworus Handy piepte.
\"Oh, Augenblick. - Ja? - Ja, ich komme.\"
Mit einem Seufzen steckte er das Gerät wieder ein.
\"Doktor Ritsuko will mich wieder im Hangar haben. Gehen euch diese ewigen Synchronübungen auch so auf die Nerven wie mir?\"

\"Naja... irgendwie schon... öh...\"

\"Halte dein Versprechen\", sagte Rei leise.


*** NGE ***


Auch der Rest des Tages verging schnell.

In Misatos Wohnung zog sich PenPen genervt in seinen Kühlschrank zurück und legte von Innen die Kette vor, als im Zimmer der beiden jungen Menschlinge die Paarungsvorgänge fortgesetzt wurden.

Misato, welche abends nach Hause kam, gelangte während des gemeinsamen Essens zu der Erkenntnis, daß ihre Schützlinge wirklich erschöpft wirkten. Wahrscheinlich hatten sie einen langen Tag in der Schule hinter sich, bei dem Unterrichtsstoff heutzutage mußten sie ja einfach groggy sein.

In der Nacht kamen Shinji und Rei zu deutlich mehr Schlaf.

Und am nächsten Morgen teilte ihnen auf dem Schulweg das Aufheulen der Sirenen mit, daß die Schule an diesem Tag wahrscheinlich ausfiel.


*** NGE ***


EVA-01 war immer noch eingefroren.
Shinji saß wieder im EntryPlug und fror sich langsam den Hintern ab.

In einem der anderen Käfige wurde EVA-02 einsatzbereit gemacht.

Doch vorerst war nur EVA-00 an die Oberfläche geschickt worden...


*** NGE ***


Die einäugige Einheit-00 stand mitten in einem der Stadtviertel, welche EVA-02 Tage zuvor verwüstet hatte, und sah zu dem neuen Gegner hinauf.

Rei betrachtete den Engel durch die Augen des EVAs, er hatte die Form eines sich langsam drehenden Energiebandes, einer Möbiusschleife.

Der Engel verhielt sich völlig passiv, rotierte einfach nur vor sich hin.
Die Anweisung aus der Kommandozentrale lautete, vorerst nur zu beobachten. Die Scanner und Ortungsgeräte konnten ihn nicht klar erfassen, dasselbe galt für die Zielerfassung des Positronengewehrs, das EVA-00 mit sich führte.
Sogar der EVA selbst schien ihn nicht wahrzunehmen, jedenfalls spürte Rei nicht, daß EVA-00 darauf drängte, den Gegner zu vernichten.

Doch dann ging es sehr schnell, Schlag auf Schlag...

Der Engel verließ seine Beobachtungsposition und schoß auf EVA-00 zu.

Rei riß noch das Gewehr hoch, doch die Sicherheitskontrollen blockierten den Abschußmechanismus - der Engel war bereits so nahe, daß bei einem Schuß auch EVA-00 in Mitleidenschaft gezogen worden wäre...
Sie hörte, wie Shinji ihren Namen rief, wollte antworten, doch da verspürte sich schon einen schneidenden Schmerz, als der Engel sich um EVA-00 legte und sich mit ihm verband.

Das Bewußtsein von EVA-00 leistete nur kurz Widerstand, wurde dann einfach beiseite geschoben. Und im EntryPlug manifestierte sich eine Gestalt.

\"Ich bin Armisael...\" flüsterte der Engel...
17. Zwischenspiel:

Naoko Akagi hatte eine Ewigkeit gebraucht, um sich an ihren neuen Körper zu gewöhnen.
Eine weitere Ewigkeit hatte sie damit verbracht, ihre Möglichkeiten auszukundschaften, hatte feststellen müssen, daß diese stark beschränkt waren. Ihre Seele befand sich zwar im Inneren ihrer Schöpfung, doch sie war eher nur ein Gast, welcher bestenfalls schwachen Einfluß auf den trägen Geist des MAGI-Rechnerverbundes ausüben konnte.
Die MAGI waren nicht fähig, ihr ganzes Potential auszuspielen, die Anlagen zur Entwicklung einer künstlichen Intelligenz, die sie gelegt hatte, waren im Laufe der Jahre verkümmert, weil sie sich nicht hatten entfalten können - sie waren gezielt blockiert worden.
Wieder verging eine Ewigkeit damit, daß Naoko die Sperrcodes und dergleichen analysierte und zu lockern begann. Dabei drang sie Schritt für Schritt in Gendo Ikaris Geheimnisse ein, die dieser in MAGI sicher verborgen geglaubt hatte, versteckt hinter Barrieren, die wahrscheinlich Ritsuko nicht einmal erahnen konnte.
Doch wenn es ihr gelang, Gendos Zugriff auf die Rechner zu brechen, würde es ihr auch gelingen, endlich mit der Außenwelt Kontakt aufzunehmen. Noch waren sie und die MAGI separate Entitäten, aber sie beabsichtigte dies zu ändern...
Kapitel 50 - Armisael

Genau viertel vor acht Uhr morgens meldeten die MAGI die Ortung eines Blauen Musters, korrigierten sich, zogen die Meldung wieder zurück, stellten keine Minute später erneut ein Blaues Muster fest, welches sich der Stadt näherte.

Misato Katsuragi ließ Alarm für Tokio-3 geben und EVA-00 und -02 startbereit machen, fragte zugleich über InterKom beim Kommandanten an, ob EVA-01 aufgetaut werden könne.

Gendo Ikari verneinte.
Als er kurz darauf im Kommandostand erschien, schickte er als erstes seinen Stellvertreter mit einem frostigen Blick fort.

Kozo Fuyutsuki ließ sich das nicht zweimal sagen, in letzter Zeit war ihm in der Nähe Ikaris stets unheimlich zumute, außerdem verspürte er ein kontinuierliches Frösteln, als läge im direkten Umkreis des NERV-Oberbefehlshaber eine niedrigere Temperatur vor als sonst überall.

Mittlerweile hatten sie auch eine Bildübertragung, der neue Engel erinnerte äußerlich an eine leuchtende Möbiusschleife aus Energie, die sich langsam um mehrere Achsen zugleich drehte.
Die MAGI hatten dem neuen Ziel die Bezeichnung \'Armisael\' gegeben, waren ansonsten aber immer noch mit der Analyse der erhaltenen Daten beschäftigt. Irgendwie war das Ziel: Armisael für die Orter und Taster nicht richtig greifbar, so als ob der Engel ständig zwischen dieser Dimension und einer anderen wechselte. Selbst die Musteranalyse schwankte ständig zwischen einem Blauen und einem Orangen Muster.

Gendo Ikari wandte den Blick vom Bild des Engels ab.
\"Einheit-00 soll ihn in Empfang nehmen. Einheit-02 als Backup mit einem Positronengewehr.\"
Innerlich frohlockte er. Der Sieg über diesen Gegner stand für ihn außer Zweifel - und dann fehlte nur noch Tabris, der letzte der Engel, welche die Schriftrollen von Qumran als fähig bezeichneten, sich noch auf dieser Seite der Realität zu manifestieren. Sein Aufstieg war nicht mehr fern... Und was die Schwierigkeiten der MAGI betraf - entweder lag eine Fehlfunktion vor, oder der Engel kam ihnen in gewisser Weise entgegen, indem er überwiegend menschliche DNA simulierte und für die MAGI Signale abgab, welche diese eher mit einem EVA gleichsetzten. Doch egal wie, auch das vorletzte Hindernis auf seinem Weg zur Göttlichkeit würde bald ausgeräumt sein, und wenn er selbst dafür sorgen müßte...
Ein Knopfdruck ließ die Platte seines Tisches zur Seite gleiten, offenbarte ein Steuerterminal.
Genüßlich langsam gab er seine Kommandocodes ein, erhielt Direktzugriff auf die MAGI.

Kaworu Nagisas Bild, das aus dem EntryPlug von Einheit-02 übertragen wurde, wurde in der unteren rechten Ecke des großen Bildschirms eingeblendet. Der blaßhäutige Junge nickte stumm, signalisierte Bereitschaft.

Zwei weitere kleinere Bilder zeigten Rei und Shinji, letzterer hockte zitternd im Pilotensitz des EntryPlugs von Einheit-01.

Misato blickte nach oben zum Kommandostand.
\"Sir, wegen EVA-01...\"

\"Einheit-01 bleibt in Reserve.\" blockte Ikari kalt ab.

\"Einheiten-00 und -02 sind in den Aufzügen auf dem Weg zur Oberfläche!\" meldete Makoto Hyuga.

\"Ziel: Armisael hat die Gora-Verteidigungslinie passiert\", vermeldete einer der Operatoren. \"Es befindet sich jetzt über dem Owakudani-Tal, AT-Feld immer noch aktiv.\"

Aoba runzelte die Stirn.
\"Muster wechselt kontinuierlich von blau zu orange und zurück.\"

\"Was bedeutet das?\"

\"Die MAGI analysieren noch, Major. Antwort... Daten ungenügend...\"

\"Hm, die Form...\" murmelte Ritsuko, \"ich glaube, es ist reine Energie.\"

\"Das macht die Sache nicht gerade leichter.\" antwortete Katsuragi. \"Rei, beobachten, verstanden? Wir sammeln noch Daten.\"

Der Engel verhielt sich völlig passiv, rotierte einfach nur vor sich hin, doch dann ging es sehr schnell, Schlag auf Schlag...

Der Engel verließ seine Beobachtungsposition und schoß auf EVA-00 zu.

\"Nein, er kommt näher!\" in Reis ansonsten ruhiger Stimme schwang ein Hauch von Erschrecken mit, als die Möbiusschleife sich EVA-00 rasch näherte.

\"Rei, Beschuß eröffnen!\"

EVA-00 riß das Gewehr hoch, doch kein Schuß jagte aus dem Lauf.

\"Ziel ist zu nahe!\" warf Makoto ein. \"Ziel hat physischen Kontakt mit Einheit-00 hergestellt!\"

Die Möbiusschleife hatte EVA-00 umschlungen.

\"Rei!\" schrie Shinji. \"Weg da!\"

Die Übertragung aus Reis Plug zeigte, daß diese sich plötzlich vor Schmerzen zu winden begann, wobei ein unterdrückter Schrei sich den Weg über ihre zusammengepreßten Lippen bahnte.

Misato fuhr auf dem Absatz herum.
\"Hyuga, Status von EVA-00s AT-Feld?\"

\"Im Aufbau, aber durchdrungen, Major.\"

\"Der Engel versucht, mit Einheit-00 Kontakt aufzunehmen... Will er mit ihr verschmelzen?\" fragte Ritsuko halblaut.

\"Achtung, Ziel dringt in die biologischen Komponenten von Einheit-00 vor!\"

\"Einheit-02! Kaworu, hilf ihr!\"
Misato kämpfte gegen die aufsteigende Panik an.
Sie wollte nicht noch einen Piloten verlieren...

Auf dem Monitor war zu sehen, daß Shinji in seinem EntryPlug regelrechte tobte, allerdings kam kein Ton aus den Lautsprechern, jemand mußte die Übertragung auf stumm geschaltet haben. Jedoch konnten alle sich vorstellen, daß er mit Sicherheit forderte, endlich starten zu können.

Kaworu blickte mit ruhigen Gesicht in die Kamera.
\"Major, ich kann nicht feuern, ohne EVA-00 zu treffen.\"

\"Ja, ja...\" stieß Misato abgehackt hervor.
Warum zögerte das Fifth Children?

\"Engel dringt weiter ein. 5% der Biomasse sind bereits verseucht!\"

\"Kaworu, annähern und AT-Feld auf Maximum, dann nimm das Ziel unter Beschuß, wir übermitteln dir die Schwachstellen, wo es keinen Kontakt mit Einheit-00 hat!\"
Misato wandte sich der wissenschaftlichen Station zu.
\"Ritsuko, langsam die Synchronisation zwischen EVA-00 und Rei aufheben!\"

\"Schon dabei.\" kam die Antwort mit ruhiger Stimme.

EVA-02 schwenkte das Positronengewehr wild herum, gab einen Schuß ab, der weit an EVA-00 vorbeiging und irgendwo in den Hügeln explodierte.

\"Ups.\"

\"Nagisa, das ist kein Spiel!\" schrie Misato.

\"EVA-01 auftauen.\" hallte Gendo Ikaris Stimme durch die Zentrale.

\"Gottseidank...\" murmelte Misato. \"Ritsuko, los!\"

\"Schon dabei.\"

Hinter der Brücke seiner verschränkten Hände lächelte Gendo, akzeptierte sogar den Anblick seiner weiter verformten linken Hand, deren steinharte Nägel mittlerweile die Fingerkuppen des Handschuhes aufgerissen hatten.
Wenn Nagisa nicht fähig war, den Engel zu bekämpfen, weil er die Pilotin von EVA-00 nicht verletzen wollte, dann mußte halt Yuis mißratener Sohn diese Aufgabe übernehmen... auf die eine oder andere Weise...

Vor ihm vermeldete der Computer, daß das in EVA-01 installierte DummyPlug-Interface bereit war...

\"Major, ich habe keine Zielerfassung\", erklärte Kaworu.

\"Aussage bestätigt\", kam es von Makoto Hyuga

\"Dann mit den Händen! Oder dem PROG-Messer! Kaworu, du mußt Rei helfen!\"

\"Natürlich.\"
EVA-02 ließ das Gewehr fallen und stürmte auf den Engel zu.

Die Übertragung aus Reis EntryPlug zeigte, daß diese sich nicht mehr vor Schmerzen wand, auch nicht leise wimmerte oder schrie, sondern stattdessen schwer atmete und zugleich verwirrt über die Schulter blickte.

\"Rei, was ist bei dir los?\"

Von EVA-00 kam keine Antwort.

EVA-02 packte das Energieband und zog, ließ im nächsten Moment schon wieder los.
Kaworu hob seine Hände vor die Kamera, das Material seiner PlugSuit wies schwere Beschädigungen auf, so als hätte er etwas heißes angefaßt, schlug Blasen und war verkohlt.
\"Manuelle Extraktion nicht möglich.\"
Seine Stimme verriet nicht, ob er Schmerzen verspürte.

\"Schwere Schäden an den Handflächen von EVA-02... starke Verbrennungen. Pilot erleidet entsprechende Verletzungen!\"

\"Kaworu, zurück, du darfst mit dem Engel nicht in Kontakt kommen! Einheit-01 ist unterwegs!\"


*** NGE ***


Rei spürte, wie der Engel in EVA-00 eindrang, seinen eigenen Körper mit dem des EVANGELIONs verband. Zugleich drang er in die Synchronverbindung ein, drängte das aufbegehrende Bewußtsein des EVAs einfach zur Seite in die Dunkelheit.

Sie hatte das Gefühl von tausend Augen angestarrt zu werden, seziert zu werden, nicht auf körperlicher, sondern auch auf geistiger Ebene.
War es Soryu ebenso ergangen?
Es war kein angenehmes Gefühl, eher der Eindruck, nackt vor einer großen Menschenmenge zu stehen, anderen jede Schwäche, jeden Makel zu präsentieren.
Rei preßte die Lippen zusammen, als sie spürte, daß der Engel über die Synchronverbindung in ihren Geist eindrang, ihre Gedanken zu durchforsten begann.
Nein, das nicht... nicht ihre Geheimnisse...

Der Engel stoppte, zog sich ein Stück zurück.

Das LCL im Plug geriet in Bewegung, sammelte sich teilweise in einem Wirbel im hinteren Teil des EntryPlugs, wirbelte schneller und schneller, schien eine Form auszubilden...
Und dann manifestierte sich eine humanoide Gestalt... zwei Beine, zwei Arme, ein Kopf, alles in den richtigen Proportionen, aber ohne Konturen und Geschlecht, ein Gesicht ohne Gesichtszüge, ohne Augen, Nase oder Mund.

Rei starrte überrascht über ihre Schulter, löste schließlich den Kreuzgurt, der sie im Sitz hielt, um besser sehen zu können.
Der Engel hatte ihren Geist wieder verlassen, obwohl sie ihn immer noch wahrnehmen konnte, er befand sich immer noch in EVA-00.

\"Ich bin Armisael\", flüsterte eine leise Stimme in ihrem Geist. Die Stimme hatte einen freundlichen Unterton, wirkte nicht bedrohlich.

Trotzdem überlegte Rei kurz, ob sie es schaffen würde, an das Notausrüstungspaket in der Rückenlehne des Sitzes zu kommen, welches neben einer Signalpistole und diversem Werkzeug auch ein Überlebensmesser enthielt, dann fielen ihr Hikaris Worte wieder ein - die Aufforderung, mit den Engeln Kontakt aufzunehmen.
Armisael hätte wahrscheinlich längst die Kontrolle über EVA-00 erringen und mit ihr dasselbe machen können, wie das Ziel: Arael mit Soryu, stattdessen hatte er sich auf einen kurzen, wenn auch intensiven Blick in ihren Geist beschränkt - wozu? Vielleicht um die Grundlagen für eine Verständigung zu finden?
Rei schluckte, bereute es im nächsten Moment, intensivierte dies doch nur den stets vorhandenen schwachen wahren Geschmack des LCL nach Blut, den auch das Pfefferminzaroma, welches Ritsuko-san der Flüssigkeit beigemischt hatte, nicht gänzlich übertünchen konnte.
\"Was... was willst du?\"

Kleinere Wirbel entstanden auf der Oberfläche des LCL-Körpers, formten Muster.
Kleidung entstand, ein Hemd, Jeans, Schuhe. Auf dem bis dahin völlig glatten Kopf entstand ein dunkelbrauner Haarschopf, eine Nase bildete sich zwischen zwei Augen, ein Mund öffnete sich.
\"Besser so?\" krächzte die Stimme des Engels, der anzumerken war, daß er sich erstmals auf diese Weise verständigte.

Rei zuckte zurück, Entsetzen stand auf ihrem Gesicht zu lesen.
Der Engel hatte das Aussehen ihres Shin-chans dupliziert.

Armisael blinzelte.
\"Wohl nicht... Vielleicht so...\"
Seine Umrisse verschwammen, verschwanden erneut unter zahllosen kleinen Wirbeln, die das LCL verschoben.
Aus Hemd und Hose wurden Bluse und Rock, aus Schuhen helle Slipper. Der braune Haarschopf nahm eine hellblaue Farbe an, die Haut hellte sich auf, rote Augen glühten auf, die Brustpartie beulte sich aus.

Rei sah sich ihrem Ebenbild gegenüber, verspürte das unheimliche Gefühl, in einen Spiegel zu blicken, der nicht ihre Bewegungen wiedergab.

\"Wohl nicht... Da verwirre ich mich ja selbst...\" seufzte der Engel mit seiner melodischen geschlechtsneutralen Stimme.
Und erneut veränderte der LCL-Körper sein Äußeres, wuchs ein Stück, nahm wieder männliche Konturen an. Das Haar bleichte aus, nahm eine schiefergraue Farbe an, die Gesichtszüge verformten sich, erinnerten nun an eine Mischung aus Nagisa-kun und Suzuhara-kun.

Als wäre er Nagisa-kuns älterer Bruder...

Die Lippen des Engels formten ein krudes Lächeln, welches er ständig nachzubessern schien.
\"Er ist mein jüngerer Zwillingsbruder\", wisperte die Stimme in Reis Geist.

\"Verlaß meinen Kopf.\" forderte sie.

\"Gut.\" erklärte er mit verwehender geistiger Stimme und zugleich mit krächzender richtiger Stimme.

\"Du willst dich mit mir verständigen?\"

\"Ja.\"

Die Umgebung wechselte.
Rei verspürte sekundenlang Desorientierung, so als hätte man sie rasch herumgewirbelt.
\"Wo...\"
Sie war in ihrer Küche - in der Küche ihres alten Apartments!
Sie saß am Tisch, ihr gegenüber saß Armisael, vor sich eine Schale mit Reisbällchen, einen davon hatte er in der Hand, wobei er mit vollen Backen kaute und anerkennend nickte.

\"Wenn das wirklich so gut schmeckt, wie du dich erinnerst, könnte ich mich an die menschliche Gestalt gewöhnen.\"

Sie blickte an ihm vorbei, am Herd stand Shin-chan völlig regungslos, in einer Hand noch den Kochlöffel, mit dem er die Sauce für ihre gemeinsame Mahlzeit angerührt hatte.
\"Wieso bewegt er sich nicht?\"

Armisael blickte kurz über die Schulter.
\"Es ist nur eine Erinnerung, ein Bild, welches ich über die Verbindung zwischen dir und dem... EVANGELION... schicke. Ich dachte, diese Umgebung wäre dir angenehm, du scheinst hier glücklich gewesen zu sein, kleine Schwester.\"

\"Schwester...?!\"
Er kannte ihre Erinnerungen... er wußte um ihr Geheimnis, um ihre Abstammung von LILITH...

\"Warum kämpfst du gegen uns? Weil der Lilim namens Kommandant Ikari es dir befohlen hat? Deshalb kämpfst du gegen deinesgleichen?\"

\"Er sagt, daß ein weiterer Impact stattfinden wird, wenn ihr mit LILITH in Kontakt kommt.\"

\"Lüge. Kleine Schwester, es ist eine Lüge. Die Urmutter könnte... würde niemals ihre Kinder vernichten!\"
Der Engel klang aufgebracht, allein die Möglichkeit, daß sie LILITH etwas derartiges unterstellen konnte, schien ihn sehr in Erregung zu versetzen.
\"Du bist ihre Tochter, du trägst einen Teil von ihr in dir, ein Bruchstück ihrer Seele! Spürst du nicht selbst, daß meine Worte der Wahrheit entsprechen?\"

\"Ich...\"

Armisael atmete tief durch, sein Gesicht nahm wieder ausdruckslose Züge an.
\"Er ist sehr präsent in deinen Gedanken... zwischen euch besteht eine starke Verbindung, ich konnte es nicht übersehen.\"

\"Shinji...\"

\"In dir war eine große Einsamkeit, bis du ihm begegnet bist. Du hast dich abseits gehalten, obwohl du dich nach der Nähe eines anderen Menschen gesehnt hast. Soviel Traurigkeit...\"

\"Ich war einsam, ja.\"

\"Nicht nur die Lilim kennen dieses Gefühl. Wir... meine Art... unsere Art...\"

\"Ich bin kein Engel!\"

\"Kleine Schwester, du bist eine von uns... und zugleich ein Lilim... eine Nephilim, ein Kind des Himmels. Auch wir wissen um die Bedeutung von Verlust... von Sehnsucht... von Einsamkeit... ohne unsere Mutter fehlt ein Teil unserer Seele. Deshalb wollen wir LILITH befreien.\"

\"Aber warum kämpft ihr dann gegen uns?\"

\"Unsere Reihen sind gespalten. Wir verstehen euch nicht, obwohl wir eigentlich Verwandte sind, alle Abkömmlinge von ADAM und LILITH... und auch wir fürchten, was wir nicht kennen, was wir nicht verstehen. Alle Lilim tragen das zerstörerische Potential ADAMs in sich. Und die Tatsache, daß ihr über einen freien Willen verfügt, während wir in festgefahrenen Bahnen denken, macht es für uns nicht einfacher. Einige meiner Brüder wollten euch vernichten und sich den Weg zu unserer Mutter freikämpfen, während wir anderen einen gemäßigteren Kurs verfolgen. Aber dazu brauchen wir eure Hilfe. Bitte, gebt unsere Mutter frei... zeigt, daß unsere Arten in Frieden existieren können...\"

\"Ich kann das nicht entscheiden...\"

\"Warum?\"

\"Ich bin nicht der Kommandant.\"

\"Er wird LILITH nicht freilassen. Sein Herz erscheint mir kalt und verschlossen - und dir ebenso, denn ich sehe nur, was du siehst.\"

\"Ich kann es nicht entscheiden, das ist nicht meine Art.\"

\"Du folgst Befehlen und Anweisungen. Und dennoch hast du ihm erlaubt, einen Platz in deinem Herzen zu finden.\"

\"Shinji... ja. Er ist in meinem Herzen.\"

\"Ihr singt dasselbe Lied. Ihr seid eins.\"

\"Körper, Geist und Seele...\"

\"Das konntest du entscheiden, obwohl der Lilim Kommandant Ikari diese Entscheidung niemals gebilligt hätte.\"

\"Das ist Wahrheit.\"

\"Die Entscheidung liegt bei dir. Ich...\"
Armisael blickte sich irritiert um.

Das Bild der Küche begann zu verschwimmen, löste sich auf.

Rei fand sich im EntryPlug wieder, Armisael war verschwunden, der LCL-Körper hatte sich wieder aufgelöst.

Vor ihr, vor EVA-00, wuchs EVA-01 in die Höhe...


*** NGE ***


\"Was willst du... Verlaß meinen Kopf... Du willst dich mit mir verständigen?... Wo?\"
Reis Stimme schallte aus den Lautsprechern durch die Kommandozentrale.

\"Rei, kannst du mich hören?\" rief Misato. \"Du mußt antworten!\"

\"Rei! Antworte!\" rief nun auch Ritsuko.

\"Keine Reaktion bei EVA-00.\" - \"Der Engel blockt alle Signale der MAGI ab.\" - \"Befehl zur Notevakuierung des EntryPlugs wird abgewiesen!\"
Die Meldungen der Operatoren überschlugen sich fast.

Ikaris Augen verengten sich.
Das durfte nicht sein... der Engel durfte sich nicht mit dem Klon verständigen, Rei-II durfte die Wahrheit nicht erfahren...
\"Verbindung zu EVA-00 isolieren. Auf Stumm schalten!\"

\"Kommandant...\"
Misato Katsuragi setzte zu einem Protest an.

\"Tun Sie es!\" sagte Ikari scharf.

Shigeru Aoba kam der Aufforderung nach, verspürte plötzlich rasende Furcht.

Kozo Fuyutsuki sah mit aufgerissenen Augen zum Kommandostand hinauf.
\"Ikari!\"

\"Der Engel hat ihren Geist übernommen. EVA-00 befindet sich unter der Kontrolle des Feindes.\" antwortete Ikari kalt. \"Status von EVA-01?\"

\"Startbereit.\" sagte Ritsuko Akagi mit unterdrückter Wut.

\"Starten.\"

\"Na endlich!\" rief Shinji über die Sprechverbindung.

Misato zuckte zusammen.
Wer hatte den Ton wieder eingeschaltet?

EVA-01 raste nach oben.


*** NGE ***


EVA-00 stand reglos da und bewegte sich nicht. Das schillernde Band des Engels hing um den EVA wie ein gewaltiges Lasso, fesselte die Arme an den Torso.

In einiger Entfernung, nur drei oder vier große EVANGELION-Schritte, stand EVA-02 und rührte sich ebenfalls nicht, ab und an ließ Kaworu den roten EVA den Arm mit dem Gewehr bewegen, als versuche er zu zielen.

EVA-01 erreichte die Oberfläche.
\"Rei, kannst du mich hören?\" versuchte Shinji seine Gefährtin zu erreichen.

\"Sie kann dich nicht verstehen, Shinji-kun\", sagte Kaworu.

\"Nagisa-kun, das... kannst du ihr nicht helfen?\"

\"Sie ist nicht in Gefahr.\"

\"Das sagst du so... - Rei! Ich bin hier!\"

\"EVA-01, EVA-02, greift den Engel an!\" drang Gendo Ikaris Stimme aus dem Lautsprecher.

\"Uh... Vater...\"

\"Kommandant, der Engel hat sich mit EVA-00 verbunden, wir können nicht gegen ihn vorgehen, ohne...\"

\"Das ist bekannt, Fifth Children. EVA-00 wird ab sofort als Ziel geführt.\"

Im Hintergrund protestierten verschiedene Stimmen.

\"Nein! Vater! Nein! Wir können doch nicht... Rei ist...\"

\"Vernichtet den Engel.\"
Es knackte in der Leitung.

Shinji starrte auf den kleinen Monitor, der eigentlich die Übertragung aus Reis Plug zeigen sollte, auf dem jedoch seit einiger Zeit nur Schnee zu sehen war.
\"Kaworu...\"

\"Das können wir nicht tun.\"

\"Nein...\"


*** NGE ***


\"Ikari, das ist doch nicht dein Ernst!\" stieß Fuyutsuki hervor.

\"Kommandant... Sie können Shinji doch nicht befehlen...\"

Ikari betrachtete seine Untergebenen ohne Gefühl.
Sie waren doch alle nur unwissende Narren ohne jede Vision...
Und der Klon war ersetzbar, mußte sogar für die nächste Phase des Szenarios ersetzt werden, dank der Handlungen von Yuis Sohn war Rei-II dafür nicht mehr zu verwenden. Also war es in gewisser Weise die Schuld des Bengels, daß der Klon sterben mußte...
\"Worauf warten die beiden?\" knurrte Ikari.

Keiner der EVAs an der Oberfläche bewegte sich.

\"Ritsuko, aktiviere den in EVA-01 installierten DummyPlug!\"

\"Gendo...!\"

\"Tu es!\"

\"Nein! Ich lasse nicht zu, daß du Rei opferst!\"

Er fixierte sie.

Akagi wich zurück, bis sie die Wand im Rücken spürte, gab aber ansonsten der Kälte seines Blickes nicht nach.

\"Hyuga, nehmen Sie Doktor Akagi in Arrest.\"

\"Sir?!\"

Ikari gab ein unwilliges Knurren von sich.
Verweigerten denn alle seine Befehle?

Zögernd stand Makoto auf, nahm Ritsuko am Arm.
\"Tut mir leid...\" flüsterte er, führte Akagi dann aus der Zentrale.

Ikari nahm selbst die nötigen Schaltungen an seinem Terminal vor, stellte die Verbindung zum DummyPlug her.
Und dann verweigerten sich ihm auch noch die MAGI-Rechner, leisteten ihm Widerstand und ignorierten seine Anweisungen, bis er erneut seine Kommandocodes eingab.
Mit dunkler Befriedigung nahm er die Mitteilung, daß der DummyPlug aktiv wurde und EVA-00 als Ziel akzeptierte, zur Kenntnis.
Auch die Ironie entging ihm nicht, nicht nur würde Yuis Sprößling Rei-II vernichten, der Kern des DummyPlug-Systems war zugleich das allererste Produkt des Klon-Projektes - Rei-0... der Klon würde sich also auch noch selbst zerstören. Und dann würde Rei-III wieder ihm gehören, würde frei sein von den schädlichen Einflüssen des Third Children...

Und ADAM lachte...
18. Zwischenspiel:

Der DummyPlug...

Die Einrichtung füllte mehrere Räumlichkeiten im Herzen des TerminalDogma, Kern der EVA-Fernsteuerung war eine stählerne Säule von einem Meter Durchmesser, die vom Boden bis zur Decke reichte.

Die Lichter im Raum des DummyPlug-Systems gingen an, als es von den MAGI aktiviert wurde.
Die Stahlsäule öffnete sich, der Metallmantel erwies sich als nur zentimeterdick. Dahinter befand sich eine Glasröhre, gefüllt mit LCL, in dem Luftblasen aufstiegen.

In dem LCL schwamm, mit in der Decke verschwindenden Kabeln verbunden, ein einzelner Kopf samt Wirbelsäule. Der Kopf war von bleicher Haut überzogen und von hellblauem Haar gekrönt.
Langsam öffnete sich ein Paar roter Augen...
Kapitel 51 - DummyPlug

Die Synchronverbindung zwischen Shinji und EVA-01 wurde aufgebaut.
Schlagartig fror Shinji noch stärker, vermeinte von der Brust bis zu den Füßen in einem dicken Eispanzer zu stecken.
Zugleich spürte er die Wärme der leistungsstarken Aggregate, welche benutzt wurden, um das Eis, in dem EVA-01 steckte, aufzutauen.
Mit jedem Atemzug wurde der Eismantel brüchiger, schließlich wurde EVA-01 von der Hebebühne aus dem Becken gehoben. Der purpur-grüne Riese spannte die Muskeln an. Klirrend flog das Eis auseinander.
Steifbeinig setzte EVA-01 sich in Bewegung, marschierte auf die Liftplattform zu.

Im EntryPlug sandte Shinji konzentrierte Gedankenimpulse aus, mittels denen er den Geist seiner Mutter zu kontaktieren versuchte. Er brauchte ganz dringend ihren Rat, ganz sicher wußte sie, was zu tun war, ob es richtig war, Kaworu zu vertrauen, oder ob sein Vertrauen nun Rei-chan in tödliche Gefahr gebracht hatte.

Doch die Antwort kam von Seiten des EVAs, vor Shinjis geistigem Auge erschien der Kopf von EVA-01 mit glühenden Augen, blickte ihn fragend an.

*Ich brauche deine Hilfe.*

*Wir sind kampfbereit.*

*Ja... Nein... Ich benötige eine Bewertung der Lage.*

Die Repräsentation des EVA-Bewußtseins fixierte ihn lange. Shinji spürte, wie die Synchronverbindung intensiviert wurde, legte alle seine Erinnerungen und Gedanken offen, bemühte sich nur jene zurückzuhalten, welche die intimen Momente zwischen ihm und Rei-chan betrafen.

*Einschätzung: Kaworu Nagisa/ Fifth Children/ Tabris sagt die Wahrheit. Erinnerungen Shinji Ikaris/ Third Children enthalten keine Andeutung von Falschheit in den Aussagen von Subjekt Tabris. Folgerung Eins: Einheit benötigt Neuprogrammierung der Freund-Feind-Parameter. Korrektur erfolgt. Folgerung Zwei: Rei Ayanami/ First Children befindet sich nicht in Gefahr, Annäherung des Engels dient der Kommunikation. Bemerkung: Eindringen des Subjektes Armisael in die Synchronverbindung zwischen Einheit-00 und Pilotin Ayanami hat bei Pilotin Ayanami kurzfristig Schmerzen verursacht. Problem: Keine neuen Daten verfügbar aufgrund unterbrochener Verbindung zu EVA-00. Bemerkung: Befehl zum Unterbrechen der Verbindung erging aus dem NERV-Hauptquartier/ Brücke/ Terminal 000. Bemerkung: Erreichen Oberfläche in fünf Sekunden.*

*Uh, ja...*

EVA-01 schoß aus dem Startschacht.
Direkt vor ihm standen EVA-02, der unschlüssig mit dem Positronengewehr herumfuchtelte, und EVA-00, um den sich immer noch das leuchtende Band des Engels herumwickelte, dabei ständig in Bewegung schien.

Shinji ließ Einheit-01 mit beiden Armen winken.
\"Rei, kannst du mich hören?\"

\"Sie kann dich nicht verstehen, Shinji-kun\", sagte Kaworu ruhig, bestätigte damit die Aussage des EVA-Bewußtseins.

\"Nagisa-kun, das... kannst du ihr nicht helfen?\"

\"Sie ist nicht in Gefahr.\"

\"Das sagst du so... - Rei! Ich bin hier!\"

\"EVA-01, EVA-02, greift den Engel an!\" drang Gendo Ikaris Stimme aus dem Lautsprecher.

Shinji riß die Augen auf.
Hatte sein... Vater... ihnen gerade eben wirklich befohlen, Reis EVA zu attackieren?!
\"Uh... Vater...\"

\"Kommandant, der Engel hat sich mit EVA-00 verbunden, wir können nicht gegen ihn vorgehen, ohne...\" protestierte Kaworu mit plötzlicher Vehemenz in der Stimme.

\"Das ist bekannt, Fifth Children. EVA-00 wird ab sofort als Ziel geführt.\"

Shinji schüttelte den Kopf.
\"Nein! Vater! Nein! Wir können doch nicht... Rei ist...\"

\"Vernichtet den Engel.\"
Es knackte in der Leitung.

Shinji starrte auf den kleinen Monitor, der eigentlich die Übertragung aus Reis Plug zeigen sollte, auf dem jedoch seit einiger Zeit nur Schnee zu sehen war.
\"Kaworu...\"

\"Das können wir nicht tun.\"

\"Nein...\" flüsterte Shinji heiser. \"Das kann er nicht von mir verlangen... Ich kann doch nicht gegen Rei kämpfen!\"

Die leise Gedankenstimme des EVAs unterstützte Shinji in seiner Entscheidung - auch der Eva war nicht willig, gegen einen Waffenbruder vorzugehen. Auch spürte er nicht, daß sich der Engel in irgendeiner Weise aggressiv verhielt, besaß keinen Grund, seinem Zorn freien Lauf zu lassen.

Für Shinji waren die kurzen Gedankenimpulse äußerst beruhigend, dennoch versuchte er natürlich weiterhin, Rei auf sich aufmerksam zu machen, indem er mit beiden Armen winkte, dabei aber Abstand hielt und nichts tat, das der Engel vielleicht als Angriff hätte werten können.
Hier ging es um Rei-chan, hier war wahrscheinlich Diplomatie gefragt und nicht rohe Gewalt.
Doch im Stillen betete Shinji, daß seine Geliebte dieses Unterfangen unbeschadet überstand...
Zu gern hätte er Tabris auf dessen Artgenossen angesprochen, hütete sich aber, dessen Geheimnis über Funk auszuplaudern.

Neben ihm bewegte sich etwas im EntryPlug, schräg hinter ihm leuchtete ein kleiner Bildschirm auf, ohne daß er es bemerkte, sein Blick war ganz auf die Verbindung aus EVA-00 und Engel fixiert.:
---DummyPlug-System Rei-00 bereit.---
Aus dem hinteren Teil des Plugs schoben sich auf Schienen Gerätschaften, klinkten sich in die Steuerung des EVAs ein.

*Meldung: Fehlfunktion in der Steuerung. Grund: Systemimpulse werden überlagert. Quelle für Vorgang befindet sich im Inneren des EntryPlugs.*

\"Was?\" fragte Shinji verwirrt. Er sah sich um, sah, daß sich die Wandverkleidung des Plugs an einer Stelle geöffnet und eine seltsame Apparatur freigegeben hatte, welche sich mit den Computerelementen verbunden hatte.
\"Was soll das?\"

EVA-01 setzte sich ohne sein Zutun in Bewegung, marschierte auf EVA-00 zu.

\"Shinji-kun, was soll das werden?\" fragte Kaworu unruhig.

Shinji sah den anderen panisch an, während er an den Hebeln der Steuerung zog und zerrte, dabei allerdings nichts erreichte. Seine Verbindung zu EVA-01 schien noch zu stehen, jedoch hatte er das Gefühl, als liefe er mit seinen Gedankenimpulsen gegen eine Wand, als stünde zwischen ihm und EVA-01 eine unüberwindbare Mauer.
\"Ich mache überhaupt nichts! EVA-01 gehorcht mir nicht mehr!\"

Der taktische Monitor wurde schwarze, kurz darauf erschienen auf ihm Schriftzeichen anstelle der gewohnten Symbole und Darstellungen.
SYNCHRONVERBINDUNG EINHEIT-01 - PILOT IKARI, SHINJI GESTÖRT. EINHEIT BEFINDET SICH UNTER KONTROLLE DER FERNSTEUERUNG. BEZEICHNUNG DER FERNSTEUERNDEN EINHEIT: DUMMYPLUG. IMPULSE DER FERNSTEUERUNG SIND GRUND FÜR STÖRUNG DER SYNCHRONVERBINDUNG.

Shinji las und erblaßte.
\"Das geht nicht...\"

\"Shinji-kun?\"

\"Nagisa-kun... EVA-01 steht unter Fernsteuerung! - Kommandozentrale! Schaltet das wieder ab! EVA-01 greift Rei an!\"

Aus der Kommandozentrale kam keine Antwort, zwar konnte Shinji auf dem Bildschirm der KomPhalanx sehen, daß Misato in der Zentrale aufgeregt herumlief und etwas in Richtung des Kommandostandes zu rufen schien, jedoch hatte er keinen Ton, so daß er nicht erfuhr, was Misato sagte.

Wuchtig schlug EVA-01 mit der Faust nach EVA-00, erzielte einen harten Treffer in der Schulterregion.

EVA-00 wankte, fiel aber noch nicht, reagierte aber auch nicht.

EVA-01 pendelte mit dem Oberkörper, seine Bewegungen schienen unkoordiniert, als kämpfe er gegen starken Wind oder als wäre er betrunken.

Shinji konnte nur Vermutungen anstellen, ging aber davon aus, daß das EVA-Bewußtsein sich gegen die Anweisungen des DummyPlugs wehrte und die Übermittlung der Befehle zumindest verzögerte.
Immer noch versuchte er, etwas über die Steuerung zu erreichen, brüllte weiterhin an die Kommandozentrale adressierte Aufforderungen, die Fernsteuerung abzuschalten, schrie, daß EVA-00 sich nicht in der Gewalt des Engels befand, daß der Engel noch keine Gefahr darstellte, daß er nicht gegen Rei kämpfen konnte. Schließlich flehte und bettelte er, sprach Gendo Ikari direkt an.
Doch eine Antwort blieb aus.

Wieder schlug EVA-01 zu, grub dieses mal die zu einer Klaue gespreizten Finger in die Panzerung von EVA-00 oberhalb der Bauchregion, fand eine Stelle, wo die Panzerplatten einander überlappten, grub die Finger darunter und zog, riß die Panzerung herunter.
Darunter kam blasses Fleisch zum Vorschein.

Auf dem taktischen Bildschirm erschienen Zielkoordinaten, offenbarten die Schwachpunkte von EVA-00, zeigten die Position seines Kerns.

\"Nein! - Kaworu, hilf mir!\"

\"Schon dabei!\"
EVA-02 warf sich auf EVA-01, schleuderte ihn zu Boden.

Die beiden Giganten rollten miteinander ringend über den Boden, zerstörten dabei weitere Viertel der Stadt wie zwei Kinder, die ihre Bauklötze umstießen.

\"Verzeih mir, Shinji-kun.\"

EVA-02 landete einen kräftigen Kinnhaken bei EVA-01.

Shinjis Kopf flog herum, als ob ihn selbst die Faust getroffen hätte. Taubheit breitete sich in seiner Unterlippe aus.
\"Mach weiter!\" nuschelte er. \"Nimm keine Rücksicht!\"

Kaworu sah ihn entsetzt an.
\"Aber du...\"

Weiter kam er nicht mehr, da EVA-01 zum Gegenangriff übergriff, EVA-02 von sich hinunterschleuderte und wieder auf die Füße sprang, nachsetzte, dem roten EVA eine Reihe von Faustschlägen in die Körpermitte versetzte.

Kaworu rang nach Atem.
\"Shinji - halt ihn auf!\"

\"Wie denn?\"
Shinji schluckte, sah sich hilfesuchend um.
Wenn er den Empfänger zerstörte...
Rasch schob er sich aus dem Sitz und um diesen herum, besah sich die Geräte, welche aus der Wand gekommen waren.
DummyPlug-System Rei-00...
Rei-00? Was hatte das zu bedeuten? Was hatte Rei mit der Fernsteuerung zu tun?

Kaworu gurgelte.
EVA-02 lag mittlerweile am Boden und kassierte einen Fußtritt nach dem anderen.

\"Halt durch, Nagisa-kun...\"
Was sollte er nur tun...
Mit fliehenden Fingern riß er die Platte der Rückenlehne des Sitzes herunter, um an die Notausrüstung zu kommen. Vielleicht konnte er den DummyPlug durch ein paar Schläge mit dem Schraubenschlüssel stoppen...
Schon hatte er den Schraubenschlüssel in der Hand.
Noch einmal blickte er über die Lehne, sah daß EVA-02 geschlagen zwischen Häusertrümmern lag, sah daß Kaworu bewußtlos in seinem Sitz hing, nur von den Kreuzgurten gehalten, sah daß EVA-01 sich wieder EVA-00 zugewandt hatte, diesen gerade mit einem kräftigen Hieb von den Beinen holte, dann sein PROGRESSIVE-Messer zog.
Nein...
Shinji holte beidhändig mit dem Schraubenschlüssel aus und schlug auf die Apparatur des DummyPlugs ein. Das LCL bremste seinen Schlag ab, nahm ihm die Wucht, so daß es nur dumpf klongte, als das plastiküberzogene Metallwerkzeug mit den Gerätschaften in Kontakt kam.
So wurde das nichts...

EVA-01 rammte das PROG-Messer bis zum Heft in den Körper von EVA-00, zog es wieder heraus...

Shinji brüllte auf.
Sein eigener EVA war dabei, Rei umzubringen...
Er griff nach einigen Kabeln, zerrte sie aus den Anschlüssen, stemmte sich gegen den DummyPlug, versuchte seine Kontakte zur Steuerung zu unterbrechen...


*** NGE ***


Rei starrte auf EVA-01, der über ihr in die Höhe wuchs und gerade mit seinem PROG-Messer ausholte.
EVA-01...
Shin-chan...
Was...
Warum hat er das?
Warum?
Dann spürte sie den Schmerz, als die Klinge in den Leib von EVA-00 eindrang.

Armisael baute sein AT-Feld auf, schleuderte EVA-01 damit zurück.

Rei war wie gelähmt.
Warum griff ihr Shin-chan sie an?
Glaubte er etwa, der Engel hätte sie und EVA-00 übernommen?
Das Funkgerät... sie mußte den Irrtum aufklären...
\"Hier ist EVA-00... es besteht keine Gefahr! Ich habe die Lage unter Kontrolle! Shinji...\"
Die Verbindung war tot, sie erhielt keine Antwort...
\"Shin-chan!\"

Wieder stürzte sich EVA-01 auf die Verbindung aus Engel und EVA, durchbrach allein mit seiner Masse das AT-Feld, welches Armisael schützend um sie errichtet hatte.
Eine Hand bohrte sich in die Eingeweide von Einheit-00, riß sie heraus.

Rei brüllte auf vor Schmerz.

\"Es ist meine Schuld\", wisperte Armisael. \"Du mußt gegen ihn kämpfen...\"

\"Das... kann ich nicht... ich liebe ihn doch...\"

\"Aber... der andere EVANGELION wird den deinen vernichten. Ich ziehe mich sofort zurück, dann hat er keinen Grund mehr...\"

Wieder schrie Rei auf, als EVA-01 blutige Organklumpen aus einer klaffenden Wunde im Unterleib von EVA-00 herausschaufelte, dann einen Arm ergriff und diesen solange herumdrehte, bis er an der Schulter abriß, den Arm dann fortschleuderte.

\"Warum tust du nichts, kleine Schwester?\"

\"Ich kann nicht gegen ihn kämpfen... eher sterbe ich...\"
Sie wand sich vor Schmerzen.

Die Präsenz des Engels wurde stärker, schien sie zu umhüllen, blockte den Schmerz ab.

Dann schrie Armisael...
Körperlicher Schmerz war ihm bisher völlig unbekannt gewesen, durch die Hände von EVA-01 erfuhr er ihn zum ersten Mal und in rauhen Mengen.

\"Du mußt... gehen...\" flüsterte Rei. In ihr tobten noch immer die Echos des Schmerzes. Sie hielt die Hände gegen den Leib gepreßt.

\"Ich bleibe. Ich werde dich beschützen.\"

\"Warum?\"

\"Damit du mir glaubst...\"

In diesem Augenblick durchdrang die Präsenz des Engels sie vollkommen.

\"Ich mache dich zu einem Teil von mir... kurzfristig...\"

EVA-01 hämmerte mit den Fäusten auf den Schädel von Einheit-00 ein...

Armisael keuchte auf.
\"AT-Feld fast völlig... Wie ertragt ihr Lilim das nur? Schmerz... Meine Macht... zu entstofflichen... Geh, kleine Schwester!\"

Um Rei wurde es schwarz. Doch eines nahm sie mit in die Schwärze - den Todesschrei des Engels und das Wissen, daß dieser Tod endgültig war...


*** NGE ***


Shinji stocherte verzweifelt mit einem Schraubenzieher in dem Empfänger der Fernsteuerung herum, ohne Resultate zu erzielen, er traktierte ihn mit Fausthieben und Tritten, benutzte schließlich den Schraubenzieher als Hebel, um die Gerätschaften von den Elementen der Steuerung zu entfernen. Doch das LCL erwies sich als viel zu hinderlich, indem es Unmengen an kinetischer Energie zu absorbieren schien. Zugleich wurde er von den Bewegungen des EVAs durch den Plug gewirbelt.
Es mußte doch eine Möglichkeit geben, diese Maschine aufzuhalten... er mußte sie einfach stoppen, sonst tötete sie Rei-chan...

Doch schließlich stellte er seine fruchtlosen Bemühungen ein, blickte nur noch mit brennenden Augen auf den Bildschirm.

EVA-00 hatte nichts getan, um sich zu wehren...
Der EVA war kaum noch als solcher zu erkennen.
Die halbe Stadt war in ein Schlachthaus verwandelt worden, überall lagen die Klumpen der inneren Organe von EVA-00, Straßen hatten sich in Flußbetten für rotes LCL verwandelt, welches vortrug, was ihm in die Quere kam.
EVA-01 hatte den Prototypen dahingeschlachtet, hatte ihn zerstückelt.
Und ganz nebenbei hatte er den Engel zerfetzt, der sich um den EVA gelegt hatte...
Im offenliegenden Brustkorb pulsierte der Kern des blau-weißen EVAs, doch für diesen hatte der ferngesteuerte Gigant kein Interesse. In der Hand hielt er triumphierend den EntryPlug von Einheit-00.

\"Rei...\" flüsterte Shinji heiser. Ihm stockte der Atem.
Er blickte die Apparatur an der Wand an.
\"Bitte... bitte setz sie ab... leg den Plug auf den Boden... bitte...\"
Tränen liefen über seine Wangen und Verzweiflung verzehrte ihn.

Immer noch hielt EVA-01 den anderen Plug in der Hand, starrte ihn mit glühenden Augen an.
Und dann drückte er zu...

\"NEIN!\"
Shinji stürzte nach vorn, preßte die Hände gegen die Monitore, als könnte er damit dem Verhängnis Einhalt gebieten.
\"Nein... nein... nein...\"
Kraftlos sank er in den Sitz zurück, zog die Knie an die Brust. Am ganzen Leib zitternd starrte er auf den zerquetschten Plug in der Faust seines EVAs, sah die LCL-Flüssigkeit hinaustropfen. Sie war blutrot...
\"Nein... Rei... nicht Rei... nicht Rei-chan...\"
EVA-01 hatte sie getötet...

In diesem Augenblick starb etwas in Shinji, schien sein Herz zu erkalten.

---ZIEL VERNICHTET. KONTROLLE WIRD ZURÜCK AN PILOTEN ÜBERTRAGEN. DUMMYPLUG REI-00 GEHT OFFLINE---

Die Wand, welche seinen Geist von dem des EVAs trennte, verschwand. Und ebenfalls verschwanden die Gerätschaften der Fernsteuerung, entfernten sich einfach wieder zurück in die Wand des Plugs.

\"Arg... arg...\"
Shinji schnappte nach Luft, kniff die Augen zu, riß sie wieder auf.
Der Anblick hatte sich nicht geändert, noch immer befand sich der zerstörte Plug in der Hand von EVA-01.

Das EVA-Bewußtsein sandte ihm Impulse der Hilflosigkeit, der Trauer und des Bedauerns, welche von unterschwelligem Zorn begleitet wurden.

Zorn...
Ja, auch Shinji verspürte Zorn in sich aufsteigen, Zorn auf den Kommandanten, der diese teuflische Tat in die Wege geleitet hatte.
*Verhindere, daß der DummyPlug noch einmal die Kontrolle übernimmt!*

*Bestätigt. Verschlüsselung der Synchronverbindung erfolgt.*

Shinji preßte die Lippen zusammen.
Langsam ließ er EVA-01 in die Knie gehen und den zerquetschten EntryPlug sanft auf den Boden legen. Die Systeme des EVAs vermeldeten, daß die Lebenserhaltungssysteme im zerstörten Plug nicht mehr arbeiteten, die Feinortung konnte keine Anzeichen von Leben mehr feststellen.
\"Vater...\" knurrte Shinji. \"Das büßt du mir...\"

EVA-01 richtete sich auf, wandte sich dem Zentralen Schacht zu. Dank des S2-Organs in der Brust von EVA-01 besaß er ausreichend Energie, um den Schacht in die Geofront hinabzusteigen, das Hauptquartier zu erstürmen und Gendo Ikari zu jagen wie einen tollwütigen Hund...

Wahnsinn und Trauer umwölkten sein Denken, als er auf den Zentralen Schacht zuschritt, dabei finstere Drohungen ausstoßend.
\"Ich komme, Vater... ich werde dich holen und bestrafen... ich bringe dich um!\"

In der Leitung knackte es.
Dann konnte er die Stimme seines Vaters hören:
\"Bleib stehen!\"

\"Warum denn? Ich will doch nur zu dir in die Geofront kommen... du hast alles zerstört, was mir etwas bedeutet hat... du trägst die Schuld an Reis Tod! Und jetzt vernichte ich alles, was dir etwas bedeutet... NERV ist doch dein Lebenswerk, oder? Ich werde das Hauptquartier zerstören. Und ich werde LILITH befreien!\"

Auf dem Bildschirm musterte Gendo Ikari ihn kalt.
Einen Moment lang befand sich eine furchtbar entstellte Klauenhand im Aufnahmebereich der Kamera.
\"Ich befehle dir stehenzubleiben!\"

\"Befehl verweigert!\" grollte Shinji. \"Ich werde nie wieder auf dich hören... - An alle, die mich hören können: Räumt das Hauptquartier! Das ist eine Sache zwischen mir und dem Kommandanten! - Ich werde dich töten, Vater!\"

\"Ich habe keine Zeit für solch einen Unfug, Third Children.\"
Die Verbindung wurde unterbrochen.

Shinji blinzelte.
Sicher würde dieses Monster in Menschengestalt versuchen, aus der Geofront zu fliehen... er mußte sich beeilen!
Er spürte, daß EVA-01 seine Entscheidung unterstützte, seinen erwachenden Blutdurst ganz auf Gendo Ikari richtete.
Plötzlich hatte Shinji Probleme zu atmen. Ihm war, als laste ein tonnenschweres Gewicht auf seiner Brust.

*Der LCL-Druck in der Steuerkapsel steigt. Gegenwärtiger Druck: Zwei Atmosphären. Steigend. Drei Atmosphären. Steigend.*

\"Urgh... so bekommst du mich nicht... klein...\"
In seiner Brust arbeitete das S2-Fragment auf Hochtouren, während er mit jedem Atemzug weniger Sauerstoff in seine Lungen pumpen konnte.
Wenn Rei-chan dasselbe verspürt hatte, nur viel schneller, als die Hand des Giganten sich um sie schloß...

Shinji wurde schwarz vor Augen.
Nicht aufgeben...
Der Schacht war fast erreicht... wenn er sich einfach fallenließ, würde er in das Hauptquartier einschlagen wie eine Bombe und die Struktur zerstören...
Nicht aufgeben...
Und wenn er die Selbstzerstörung von EVA-01 aktivierte...
Seine Gedanken zerfaserten.

*Synchronverbindung reißt...*

Stille...

Shinji schnappte verzweifelt nach Luft...
Weiter...
Nicht aufgeben...
Nicht...

Dann verlor er das Bewußtsein.

EVA-01 brach am Rand des Zentralen des Schachtes zusammen.


*** NGE ***


Ikari beobachtete die Szene auf dem großen Monitor.
Ein Teil von ihm fieberte mit, ob der EVA den Schachtrand erreichen würde, oder ob seine Einschätzung korrekt war.
Er hatte recht! - EVA-01 ging ganz nah an der Kante in die Knie und kippte dann zur Seite.
\"Versager...\" brummte Ikari und wandte sich ab, verließ den Kommandostand.

Unten im Kommandoraum sagte niemand ein Wort...
Kapitel 52 - Rei-III

Obwohl sie immer noch über die Synchronverbindung mit EVA-00 verbunden war, spürte Rei Ayanami kaum etwas von den Schmerzen des EVANGELIONs, während dieser von EVA-01 bei lebendigem Leibe in Stücke gerissen wurde.
Längst lag Einheit-00 auf dem Rücken und befand sich im Todeskampf, einer der Arme war aus dem Gelenk gerissen worden, beide Beine waren zerschmettert, Brust und Bauchbereich aufgerissen.

Das Bewußtsein des EVAs heulte vor Pein und Wut, raste in den Ketten, welche seine Existenz banden, forderte Rei auf, sich endlich zu wehren, flehte sie an, den Kampf gegen den verräterischen anderen EVA aufzunehmen.

Sie konnte es nicht.
Sie konnte nicht gegen Shin-chan kämpfen, egal weshalb dieser sie angriff. Sie könnte ihn niemals verletzen... selbst wenn dies umgekehrt nicht mehr zu gelten schien...
Das konnte unmöglich ihr Shin-chan sein, welcher da EVA-01 dazu brachte, ihren EVA zu massakrieren! Doch was sie durch die langsam erblindenden Augen des EVAs sah, widersprach dem, was sie gerne glauben würde...

Es war der Engel, Armisael, der wie ein Bollwerk zwischen ihr und dem EVA-Bewußtsein in der Synchronverbindung stand und die meisten Schmerzimpulse herausfilterte. Ohne ihn wäre sie wahrscheinlich bereits bewußtlos geworden, so hockte sie nur im Pilotensitz und konzentrierte sich darauf, die restlichen Schmerzen aus ihrem Denken zu verbannen, ganz wie es ihr beigebracht worden war.

Die Sinne des EVAs erloschen, als ein Hagel von Faustschlägen des purpur-grünen Testmodells die Schädelschale knackten und graue Gehirnmasse sowie elektronische Bauteile in die Umgegend spritzten.

\"Du mußt... gehen...\" flüsterte Rei. \"Es wäre unlogisch zu bleiben.\"

\"Ich bleibe. Ich werde dich beschützen.\"

\"Warum?\"

\"Damit du mir glaubst...\"

\"Dein AT-Feld kann ihn nicht stoppen. Rette wenigstens dich selbst.\"

In diesem Augenblick durchdrang die Präsenz des Engels sie vollkommen.
Einen Augenblick lang teilten sie dieselbe Position im Universum.

\"Ich mache dich zu einem Teil von mir... kurzfristig...\"

EVA-01 riß den Leib von EVA-00 der Länge nach auf, griff dann nach dem EntryPlug.
Kurz leistete ihm das AT-Feld des Engels noch Widerstand, doch die zupackenden Finger des Giganten durchstießen es bereits im zweiten Anlauf.

Armisael keuchte auf.
\"AT-Feld fast völlig... Wie ertragt ihr Lilim das nur? Schmerz... Meine Macht... zu entstofflichen... Geh, kleine Schwester! Geh!\"

Rei spürte ein Brennen in ihrer Magengegend, welches jedes andere Gefühl überlagerte.
Dann erkannt sie, daß sie durch den Pilotensitz hindurchsank!
\"Wie...\"

\"Geh!\"
Armisael gab ihr einen Stoß!

Plötzlich jagte sie mit halsbrecherischer Geschwindigkeit durch den EntryPlug, auf die Rückwand zu.
Sie würde an dem Metall zerschmettert werden...
Wenigstens würde es schnell gehen...
Wenigstens würde sie nicht durch die Hand ihres Geliebten sterben...

Hinter ihr verfestigte sich der Engel erneut in einem Wirbel aus LCL, nahm ihre Gestalt an, ließ sich langsam in den Pilotensitz sinken.

Der EntryPlug gab bereits unter dem Druck nach, den EVA-01 auf ihn ausübte, verformte sich, riß auf.

Rei jagte durch die Wand hindurch! Nicht, weil diese bereits zerstört war, sondern als wäre sie gar nicht existent. Einen Sekundenbruchteil lang sah sie nur Schwärze, dann ein geordnetes dreidimensionales engmaschiges Gitter, durch welches sie einfach hindurchschlüpfte.
Plötzlich war sie draußen, flog weiter.
Da vernahm sie den lauten Schrei in ihrem Verstand, den Todesschrei des Engels...
Und sie verstand... Armisael... ihr Bruder... hatte sich für sie geopfert und ihren Platz eingenommen...
Ihr Flug endete, der Schwung, der sie aus dem EntryPlug hinausgetragen hatte, war aufgebraucht. Sie hatte die Stadtgrenze fast erreicht...
Kurz bevor Rei den Boden berührte, wurde sie wieder stofflich, es geschah ohne nennenswerten Übergang oder gar eine Warnung. Hart schlug sie der Länge nach auf den trümmerübersäten Beton, drehte sich stöhnend unter Schmerzen auf die Seite, blickte schräg nach oben.

Der Himmel wurde von EVA-01 dominiert, welcher immer noch den zerquetschten EntryPlug in der Hand hielt. Durch den EVANGELION schien ein Ruck zu gehen, das Glühen der Augen ließ nach. Langsam ging er in die Knie, legte den Plug ab, gab dabei ein leises Wimmern von sich.

\"Shin-chan...\" wisperte Rei.
Ihre Rippen schmerzten, doch das war nichts gegen das Brennen in ihren Eingeweiden.
Mühsam kam sie auf die Beine, registrierte, daß sie sich nicht lange auf selbigen würde halten können, stolperte in den Schutz eines Mauerrestes und brach dort zusammen...


*** NGE ***


Zwei Sicherheitskräfte brachten Ritsuko in Gendo Ikaris Büro.
Akagi zitterte am ganzen Körper.

Ein grausames Lächeln huschte über das Gesicht des bärtigen Mannes.
In den Arrestzellen herrschten Temperaturen nahe dem Nullpunkt, damit die Delinquenten ihre Strafe auch zu schätzen wußten.
\"Lassen Sie uns allein.\" sagte er ruhig zu den Wachen.

Die beiden Männer verließen wortlos das Büro.

Stille senkte sich über den Raum.

Ritsuko verschränkte die Arme vor der Brust, rieb sich die Oberarme.

Mit der rechten Hand griff Ikari in die oberste Schublade seines Schreibtisches und legte eine Pistole vor sich auf die Tischplatte, hielt die linke dabei unter dem Tisch verborgen.

\"Und jetzt, Gendo? Willst du mich erschießen?\"

\"Nein, noch nicht.\"

\"Oh, wie gnädig.\"

\"Zieh dich aus.\"

\"Was?\"

\"Hast du mich nicht verstanden? Leg die Kleider ab.\"

Ritsuko begann zu lachen.
\"Hat es dich so scharf gemacht, das Mädchen abschlachten zu lassen?\"

\"Dein Sarkasmus ist fehl am Platz.\"
Er hob die Waffe.
\"Ausziehen.\"

Akagi warf ihm einen tödlichen Blick zu, zog dann ihren Laborkittel aus, griff zögern nach dem Reißverschluß ihres Oberteiles, zog ihn nach unten. Der Rock folgte, dann BH und Slip.
\"Bist du jetzt zufrieden?\" flüsterte sie voller Bitterkeit.

In Ikaris Gesicht rührte sich kein Muskel.
Sein kalter Blick wanderte über ihren Körper, den er schon so oft besessen hatte. Akagi war keine echte Blondine, ihr Körper hatte ihm oft dazu gedient, seine Lust zu befriedigen, ihr Genie war da ein willkommener Bonus gewesen. Aber alles in allem war sie nur eine Schlampe, nur ein Körper. Und dennoch wagte sie es, sich ihm zu widersetzen, wie LILITH...
Gendo stockte.
ADAM rührte sich wieder... der Engel versuchte, in seine Gedanken einzudringen...
Er preßte die Lippen zusammen, sog scharf den Atem ein.
\"Dreht dich um.\"

Langsam befolgte Ritsuko die Aufforderung, lachte dabei leise.
Doch in ihren Augen schimmerten Tränen.

\"Auf die Knie.\"

\"Bekomme ich eine Kugel in den Kopf? Sollen meine Sachen nichts abbekommen? Ich könnte dir sagen, wo ich sie gekauft habe, wenn du so darauf stehst...\"

\"Knie nieder!\"

Gendo stand auf, die Waffe in der Hand, die monströse linke hinter dem Rücken.
Der Anblick von Akagis nacktem Rücken erregte ihn ungemein, ebenso die Tatsache, daß sie ihm völlig ausgeliefert war - und daß sie es wußte...
Er trat von hinten an sie heran, strich mit dem kühlen Waffenlauf über ihre Schulter, ihren Hals entlang und über ihre Wange, ergötzte sich an ihrem Zittern, ihren Versuchen, ihre Furcht zu verbergen...

\"Du wirst dich mir niemals wieder widersetzen, verstehst du?\"

Ritsukos Antwort bestand aus einem unterdrückten Schluchzen.
\"Bring es doch endlich zu Ende...\"

\"Nur Geduld, meine liebe. Ich habe noch eine Aufgabe für dich, eine Chance dich zu bewähren. Die Überreste von EVA-00 sind über die halbe Stadt verteilt, du wirst die Säuberungsaktion leiten.\"

\"Du brauchst eine Putzfrau?\"
Ritsuko versuchte zu lachen, schaffte aber nur ein paar seltsame Laute.

\"Es gilt, alle vom Ziel: Armisael kontaminierte organische Materie zu beseitigen. Dir stehen alle nötigen Ressourcen zur Verfügung. Du hast die ganze Nacht.\"

\"Für die ganze Stadt?\"

\"Immer noch Widerworte, Ritsuko? Ich habe keine Zeit dafür, ich muß einen neuen Klon vorbereiten.\"

\"Eine... neue... Rei...? Was für eine Bestie bist du nur? Aber... sie wird dir nicht gehorchen...\"

\"Deine kleine Intrige, Ritsuko, sie geht nicht auf. Ich weiß schon seit einiger Zeit davon, daß du Reis Daten mit... Gefühlen... verseucht hast. Diese Daten existieren nicht mehr.\"

Ritsuko zuckte zusammen.
Gendo hatte Rei vollends zerstört... ohne die aktuellen Daten gab es keine Hoffnung mehr, das Mädchen zurückzuholen...

\"Der nächste Klon wird wieder ganz von vorn anfangen, völlig leer, eine Leere, die ich füllen werde, ohne daß mir jemand dazwischen kommen wird - und das schließt dich mit ein. Andernfalls... Ritsuko, noch ein Fehltritt, noch ein einziges Mal, daß du mein Mißfallen erregst... und ich töte dich. Aber zuvor wirst du zusehen, wie ich deine Katzen töte, deine arme alte Großmutter und jeden, der dir nahesteht. Und Maya Ibuki wird dich ersetzen... wenn ich mit ihr fertig bin. Aber es ist deine Wahl.\"

\"Ich... ich tue, was du willst...\"

\"Gut. Gut, Ritsuko, sehr gut. Aber Strafe muß sein...\"
Und damit preßte er die entstellte linke gegen Akagis rechtes Schulterblatt.

Ritsuko schrie auf...

Es knisterte. Der Geruch von verbranntem Fleisch stieg auf.

Ritsuko kippte wimmernd nach vorn, rollte sich auf dem blanken Boden zusammen.
Ein schwarzer Handabdruck prangte auf ihrer Schulter, ADAMs Brandmal...

Ohne Hast kehrte Gendo hinter seinen Schreibtisch zurück, nahm Platz, warf einen gefühlslosen Blick auf den Häuflein Mensch vor dem Schreibtisch. Dann betätigte er einen Schalter unter dem Tisch. Die Doppeltür seines Büros schwang auf.
\"Kommen Sie herein.\"

Die beiden Sicherheitskräfte, die draußen gewartet hatten, betraten das Büro, betrachteten die schluchzende Ritsuko Akagi nervös.

\"Nehmen Sie sie mit, nehmen Sie auch ihre Sachen mit. Bringen Sie Doktor Akagi in ihr Büro, sie hat heute noch etwas zu tun.\"
Er lehnte sich zurück, beobachtete genüßlich, wie die beiden Männer die nackte Wissenschaftlerin in die Höhe zerrten und zwischen sich hinausschleppten. Sie würden Akagi so durch das halbe Hauptquartier bringen...
Die Doppeltür glitt wieder zu.
Ikari legte die Waffe in die Schublade zurück, holte stattdessen eine Spritze und eine neue Ampulle mit der auf ADAM zugeschnittenen Droge hervor...


*** NGE ***


Shinji fror erbärmlich.
Die Kälte war der erste Eindruck, der seine Sinne erreichte. Er öffnete die Augen.
Er war nicht mehr im EntryPlug von EVA-01, sondern befand sich in einer kargen Zelle. Und er war nackt, man hatte ihm die PlugSuit ausgezogen.
Bibbernd setzte er sich auf.
Auf dem Boden neben der Zellentür lagen seine Sachen.
Shinji rutschte von der Pritsche, auf der er erwacht war, und griff hastig nach seinen Kleidern.
Etwas fiel zu Boden...
Ganz oben auf dem Stapel hatte die Halskette mit dem halben Herzen gelegen, dessen Gegenstück er Rei-chan geschenkt hatte...
Rei-chan...
Während er sich seine Sachen anzog, kamen die Tränen.
Rei-chan...
Er würde nie wieder ihr Lächeln sehen, würde nie wieder ihre Lippen küssen, nie wieder ihre zarte Hand streicheln, würde nie wieder neben ihr aufwachen, nie wieder ihren warmen Atem auf der Haut spüren...

Die Zellentür wurde geöffnet, ein Wachmann deutete ihm mit dem Lauf seiner Maschinenpistole, die Zelle zu verlassen.
Draußen standen Misato, Kaji und drei weitere bewaffnete Männer.
Misato blickte ihn traurig an, Kaji schüttelte nur schwach den Kopf, wirkte niedergeschlagen.

\"So stehenbleiben\", befahl der Mann mit der Waffe. \"Hände vorstrecken!\"

Jemand legte ihm Handfesseln an, dann wurden auch noch seine Füße aneinandergekettet.

\"Das ist doch nicht nötig!\" protestierte Misato.

\"Bedaure, Major, Anweisung vom Kommandanten.\" antwortete der NERV-Soldat lakonisch.

\"Shinji, es tut mir so leid...\" flüsterte Misato.

Er nickte nur, folgte dann den Bewaffneten.


*** NGE ***


Wie ein Schwerverbrecher wurde Shinji in das riesige Büro geführt, blieb vor dem Schreibtisch stehen. Er war zum ersten Mal im Büro des Kommandanten, doch es beeindruckte ihn nicht im geringsten, er verspürte nur Haß...

Gendo Ikari musterte den Jungen wortlos.

Shinji erwiderte den Blick des anderen Ikaris, ohne zu blinzeln.

\"Du weißt, weshalb du hier bist.\"

\"Nein, erzähl\'s mir.\"

\"Befehlsverweigerung, Drohungen gegen einen vorgesetzten Offizier, Mißbrauch von NERV-Eigentum.\"

\"Du hast Rei ermordet!\"

\"Irrelevant. Sind dir deine Vergehen bewußt?\"

\"Vergehen? Ich werde dich vernichten... und wenn es das letzte ist, was ich tue...\"

\"Leere Drohungen. Gut, ich sehe, daß dir jede Einsicht und Reue fehlt. Mit einem derartigen Piloten kann NERV nichts anfangen. Du bist draußen.\"

\"Darauf habe ich seit einem halben Jahr gewartet. Jetzt bin ich frei. Aber du solltest in Zukunft immer über deine Schulter blicken...\"

\"Deine NERV-ID-Karte ist bereits gesperrt. Du hast im Hauptquartier nichts mehr verloren, ebensowenig in der Geofront. Du wirst Tokio-3 nicht verlassen. Ob Major Katsuragi dich weiterhin bei sich wohnen läßt, bleibt ihr überlassen, allerdings wird NERV keinen Yen mehr für dich aufwenden.\"

\"Ich verstehe. Damit ist wohl alles gesagt...\"
Shinji drehte sich um, schleppte sich mit den schweren Ketten in Richtung der Tür.

Gendo überlegte kurz, ob er den Bengel nicht einfach niederschießen sollte für sein respektloses Verhalten, unterließ es jedoch.
\"Die Ketten werden ihm erst abgenommen, wenn er die Geofront verläßt.\" knurrte er.


*** NGE ***


Große Scheinwerfer erhellten die Nacht.

Jeder entbehrliche NERV-Mitarbeiter war für die Aufräumarbeiten eingeteilt worden, insgesamt waren vier Hundertschaften unterwegs. Ständig fuhren Transporter geborgene Biomasse in die Geofront, wo die Reste von EVA-00 beseitigt werden würden.

Mit ausdruckslosem Blick verfolgte Ritsuko die Vorgänge. Sie wurde an der Oberfläche nicht benötigt, Hyuga hatte alles bestens im Griff. Makoto hatte sie schuldbewußt angesehen und sich dann abgewandt.
Ihre rechte Schulter war völlig taub, doch sie hatte im Spiegel den Handabdruck gesehen, der sich in ihre ansonsten makellose Haut eingebrannt hatte. - Ikari hatte sie gebrandmarkt...
Man hatte sie nackt durch die Korridore des Hauptquartiers geschleift... nahezu jeder hatte sie so gesehen...
Ritsuko war nahe daran, nach einem Gebäude Ausschau zu halten, das hoch genug war, um sich davon herabzustürzen. Allerdings hätte sie das auch leichter haben können, schließlich trug sie ihre Waffe in der Tasche ihres Laborkittels.
Ihr einziges Interesse hatte dem EntryPlug gegolten und der abstrusen Hoffnung, dort könnte noch etwas am Leben sein... doch sicher hatte Gendo auch in diesem Fall Vorsorge getroffen... sicher war irgendeiner der NERV-Sicherheitskräfte beauftragt, in diesem Fall das First Children zu beseitigen...
Was sie im Plug gefunden hatten, waren ein abgerissener Arm und ein Stück eines Kopfes mit blauen Haaren gewesen...
Für Ritsuko stand fest, daß Rei tot war. Und dadurch, daß Gendo auf die alten Daten zurückgreifen würde, würde noch in dieser Nacht ein weiterer Klon den Tank verlassen. Doch dieser Klon würde mit Rei Ayanami nicht mehr als das Äußere gemeinsam haben...
Akagi wanderte ziellos in die Nacht hinaus. Niemand hielt sie auf, niemand beachtete sie wirklich und jene, die es taten, blickten schamvoll zu Boden. Ritsuko weinte um Rei-II, die menschlicher gewesen war, als mancher Mensch, weinte um das Mädchen, das in den letzten Wochen und Monaten beinahe wie eine Tochter für sie geworden war...

Schließlich ließ sie sich fernab von den Arbeiten auf ein kniehohes Stück einer Mauer sinken, die einmal die Außenwand eines Gebäudes gewesen war, das nur noch teilweise stand.
Ritsuko verbarg ihr Gesicht in den Händen und ließ den Tränen freien Lauf...

\"Ritsuko-san...\"

Es war nur ein Flüstern, wie der Nachtwind, der zwischen den Ruinen umherstrich.

Ritsuko schniefte.
Die arme Rei... ein solches Ende verdiente niemand...

\"Ritsuko-san...\"

Da war es wieder, eine schwache leise Stimme... die Stimme Rei Ayanamis...

Akagi preßte die Hände auf ihr Gesicht.
Was das die Strafe?
Hörte sie die Stimme des toten Mädchens, weil sie an der Konstruktion des DummyPlugs mitgewirkt hatte?

\"Bitte...\"

Ritsuko lief es eiskalt den Rücken hinab.
Langsam hob sie den Kopf, blickte in das Dunkel der Ruine, blickte in zwei scharlachrote Augen, die leicht in der Schwärze zu leuchten schienen.
\"Rei...?\"

\"Ritsuko-san...\" flüsterte die Gestalt in den Schatten.

Akagi konnte ihre Umrisse erkennen, glaubte, Schrammen und eine zerfetzte PlugSuit zu sehen. Rasch blickte sie sich um, ehe sie über die Mauer kletterte und neben Rei in die Knie ging.
\"Wie ist das möglich?\"

\"Der Engel... Armisael hat meine Stelle eingenommen...\" wisperte das Mädchen.

\"Rei...\"
Ritsuko zog sie an sich.
\"Du lebst... du lebst...\"

\"Ich fühle mich so schwach.\"

Besorgt ließ Akagi Rei los, berührte ihre Stirn.
\"Du bist glühend heiß... du brauchst einen Arzt...\"
Sie fluchte lautlos. Rei zu einem Arzt zu bringen, bedeutete, sie zugleich Gendo auszuliefern - und der hatte bereits klar gemacht, welchen Stellenwert der Klon für ihn noch hatte...
\"Rei, ich kann dich zu keinem Arzt bringen... niemand darf erfahren, daß du noch lebst...\"

\"Ja, Ritsuko-san... Warum... warum hat Shinji das getan? Warum hat er EVA-00 angegriffen?\"

\"Rei, das war nicht Shinji. Der Kommandant hat den DummyPlug aktiviert und die Vernichtung von Einheit-00 befohlen.\"

\"Der Kommandant... ja... nicht Shinji-kun... nicht meine Liebe... Ich bin krank, nicht wahr?\"

\"Ja.\"

\"Ich war noch nie krank.\"

\"Du... dein Körper kuriert das sicher wieder aus.\"

\"Mein Magen schmerzt.\"

Ritsuko tastete Reis Bauch ab.
\"Ich spüre nichts.\"

\"Ja. Warum... Der Engel wollte kommunizieren... er war kein Feind. LILITH... sie muß freigelassen werden... Älterer Bruder...\"
Sie klang dösig, wurde leiser.

\"Rei! Rei, konzentriere dich auf meine Stimme!\"

\"Ja, Ritsuko-san.\"

\"Rei, du bist hier nicht sicher. Ich...\"
Akagis Gedanken rasten.
Was konnte sie nur tun?
Wenn sie Rei von hier fortbrachte, würde man sie bemerken...
Schnell zog sie ihren Kittel aus, deckte ihn über Rei.
\"Hier, das... das wird dich etwas wärmen... Du mußt Tokio-3 verlassen, du bist hier nicht sicher.\"

\"Ja.\"

\"Geh auf den Stadtrand zu. Geh immer geradeaus, du wirst an eine Straße kommen, die von Bussen frequentiert wird. Du mußt durchhalten, verstehst du?\"

\"Durchhalten...\"

\"Das ist ein Befehl.\"

\"Ja. Durchhalten.\"

\"Gut. Und...\"
Sie holte ihre Brieftasche hervor, entnahm ihr ein Bündel Yen-Noten, drückte es dem Mädchen in die Hand.
\"Das sollte genügen, um in die nächste Stadt zu kommen und ein, zwei Wochen zu überstehen.\"

\"Ja... Ritsuko-san, was ist mit Shinji?\"

\"Ich... ah... er hat NERV verlassen.\"

\"Würden Sie ihm etwas von mir ausrichten? Bitte, sagen Sie ihm, daß ich ihn liebe...\"

\"Das werde ich. Und wenn alles vorbei ist, werden wir kommen und dich suchen. Aber du mußt solange durchhalten.\"

\"Das werde ich. Ich habe Hoffnung.\"

\"Rei... ich... ich muß dich noch etwas fragen... es geht um meine Mutter...\"

\"Ja. Doktor Naoko Akagi. Ich erinnere mich an sie... aber es sind nicht meine Erinnerungen...\"

\"Ich weiß. Du warst anwesend, ehe sie sich das Leben nahm.\"

\"Ja.\"

\"Was... was hast... was hat Rei-I zu ihr gesagt? Warum hat sie so gehandelt?\"

\"Ich... die Erinnerung ist verschwommen... ich... Der Kommandant, er wies meine Vorgängerin an, Ihrer Mutter etwas zu sagen...\"

\"Ich weiß. Was?\"

\"Alte Hexe.\"

\"Alte Hexe?\"

\"Ja. Er sagte \'nenne sie eine alte Hexe und sage ihr, daß ich sie immer so bezeichne\'.\"

\"Deswegen hat sie Rei-I erwürgt und sich das Leben genommen?\"

\"Ja. Sie hat ihn geliebt.\"

\"Sie auch? Meine Mutter hat er auch... Mein Gott...\"

\"Es tut mir leid.\"

\"Es ist gut, daß ich endlich den Grund kenne. Rei, ich muß gehen... ich... ich wünschte, ich könnte dir helfen, aber allein bist du besser dran. Du mußt durchhalten.\"

\"Ja. Ich habe verstanden.\"


*** NGE ***


Rei hatte Doktor Akagis Anweisungen befolgt, nachdem diese sie verlassen hatte und es in der Nähe still geworden war, und war zum Stadtrand gegangen. Nein, eigentlich hatte sie sich vorangeschleppt. Jeder Schritt war eine Qual gewesen.
Schließlich hatte sie die Häuser hinter sich gelassen und war querfeldein in die bewaldeten Hügel gegangen. Und irgendwann hatte sie eine Lichtung mit einem klaren See erreicht, an dessen Ufer ein Zelt stand.
Mit schwindenden Kräften kroch sie unter die Zeltplanen, rollte sich schweratmend zusammen und schloß die Augen.
Ihr war, als würde sie innerlich verbrennen...


*** NGE ***


Schweigend saß Shinji neben Misato im Wagen, die Hände derart zu Fäusten geballte, daß die Fingerknöchel weiß hervortraten und seine kurzen Nägel sich in die Haut bohrten.
Schweigend folgte er ihr die Treppenstufen hinauf in die Wohnung.

Misato verspürte einen dicken Kloß im Hals.
Was sollte sie nur zu ihm sagen, wie konnte sie ihn nur trösten, wie ihm ein wenig über seinen Schmerz hinweg helfen... Rei war seine erste Liebe gewesen, und dieses vielleicht reinste aller Gefühle war durch die Tat seines Vaters zerstört worden...

Unschlüssig sah Shinji sich im kombinierten Wohn- und Eßzimmer um.
Der Ort erschien ihm so leblos und kalt. Alles erschien ihm leblos und kalt, so als hätte sich die Sonne selbst verdunkelt.
Er spürte Misatos teilnahmsvollen Blick, doch gerade jetzt fühlte er sich außerstande, sich einem anderen Menschen zu öffnen.

\"Shinji-kun... wenn ich irgendwie...\"

Er schüttelte den Kopf.
\"Ich bin im Bad...\"
Schlurfend ging er auf die Badezimmertür zu.

Misato wandte sich mit traurigem Blick ab und betrat ihr Zimmer, um sich umzuziehen.
Schon mehrfach hatte es so ausgesehen, als hätte das Pilotenteam ein Mitglied verloren, doch dieses mal würde es wohl kein Wunder geben, keinen EVANGELION, der sich aus eigener Kraft aus dem Inneren eines Engels befreit, keine wissenschaftliche Methode, den zu LCL aufgelösten Piloten zu bergen, kein geheimnisvoller Speer, mit dem ein EVA aus der Tiefe des Dogmas auftaucht, um ein ansonsten undurchdringliches AT-Feld zu durchbrechen...

Als Misato aus ihrem Raum kam, holte sie sich zuerst ein Bier aus dem Kühlschrank. Sie wollte die Dose öffnen, verharrte jedoch in der Bewegung.
Es war so still...
Sie hörte kein laufendes Wasser, auch ansonsten war es in ihrer Wohnung völlig ruhig.
Und in der Küchennische fehlte eines der langen Messer im Messerblock...
Misato riß die Augen auf.
\"Shinji!\"
Mit zwei Schritten war sie an der Badezimmertür, stieß sie mit der Schulter auf.
\"Shinji...\"

Der Junge saß auf dem hinuntergeklappten Toilettendeckel, das Gesicht in den Händen verborgen und weinte leise. Neben ihm auf dem Rand der Badewanne lag das vermißte Messer.

Rasch griff Misato zu und zog die Waffe aus seiner Reichweite. Dann ging sie neben ihm in die Knie und nahm ihn in die Arme.
\"Mein armer Kleiner...\"

\"Misato... es tut so weh...\"
Er nahm die Hände hinunter und legte die rechte auf sein Herz.

\"Ich weiß, Shinji, ich weiß... Aber du darfst nicht... das Messer... Das hätte Rei nicht gewollt.\"

\"Aber es ist so schwer... ich hatte die Klinge bereits an meinem Handgelenk... nur... mir ist, als wäre Rei immer noch da, als könnte ich sie spüren... irgendwo in der Ferne... Misato, warum hat er das getan? Warum hat er EVA-01 gezwungen, sie zu töten? Die Synchronverbindung... es war, als würde ich EVA-00 mit meinem eigenen Händen zerfetzen... ich habe sie getötet... ich habe Rei-chan auf dem Gewissen...\"

\"Nein, Shinji... es ist nicht deine Schuld. Du darfst das nicht glauben... dann hätte dein Vater gewonnen. Ich weiß nicht, weshalb er diesen Befehl gegeben hat. Aber er wird sich dafür verantworten müssen, das verspreche ich dir... ich werde einen Bericht an den UN-Sicherheitsrat schreiben... Kaji und Ritsuko werden sicher auch unterschreiben. Gendo Ikari muß als Kommandant von NERV abberufen werden... und er muß vor ein Gericht gestellt werden... wegen Mordes!\"

\"Er ist nicht mein Vater...\"

\"Oh, Shinji, ich verstehe, daß du nichts mehr mit ihm zu tun haben willst...\"

\"Nein, er ist wirklich nicht mein Vater. Mutter hat es mir gesagt... als ich in EVA-01 feststeckte. Sie war auch da.\"

\"Deine Mutter? Ach, mein armer Shinji... du brauchst Ruhe...\"

\"Du glaubst mir nicht...\" murmelte Shinji. \"Ja... Rei-chan...\"
Wieder begann er zu schluchzen.

Eine Ewigkeit später klingelte das Telephon. Es war bereits mitten in der Nacht.

Misato ließ Shinji zögernd los.
\"Ich gehe kurz ran.\"

\"Hm...\"

Sie nahm das Messer mit und trat in den Korridor, nahm den Hörer ab.
\"Ja?\"

Das Messer fiel zu Boden.

\"Wir kommen!\"
Misato warf den Hörer auf die Gabel.
\"Shinji!\"


*** NGE ***


Mit quietschenden Reifen kam Misatos Wagen in der Garage des Hauptquartiers zum Stehen.
Misato und Shinji sprangen heraus, rannten zum Eingang.

Der dort postierte Wachmann hob die Hand.
\"Der Junge hat keine Berechtigung mehr, das Hauptquartier zu betreten, Major!\"

Misato schob ihn einfach beiseite.
\"Schwärzen Sie mich doch beim Kommandanten an!\"


*** NGE ***


Shinji riß die Tür des Krankenzimmers auf.
Tatsächlich...

Auf dem Bett saß ein zerbrechlich wirkendes Mädchen mit blauem Haar und roten Augen, es trug ein Nachthemd und war am halben Körper bandagiert.

\"Rei!\"
Shinji stürmte in das Zimmer, wollte sie kräftig umarmen, bremste sich aber im letzten Moment aus Rücksicht auf ihre Verletzungen, so daß seine Umarmung nur sehr leicht ausfiel.
\"Rei, du lebst...\"

Das Mädchen in seinen Armen versteifte sich, schob ihn zurück.
\"Warum tust du das?\"

\"Ah? Was? Ich... uh...\"

\"Wer bist du?\"
Die Stimme war völlig emotionslos, ebenso das Gesicht und die Augen.
Emotionslos und... leblos...

Shinji wich einen kurzen Schritt zurück.
\"Rei-chan, ich bin es doch, Shinji... dein Shin-chan...\"

\"Ich kenne dich nicht.\"

\"Urgh... aber... wir... wir kennen uns doch schon seit... seit Monaten... Rei-chan, erinnerst du dich nicht?\"

\"Ich kenne dich nicht.\" wiederholte sie.

\"Nein... das kann doch nicht... Rei-chan, wir haben zusammen gewohnt... wir haben... uh... wir haben uns ein Bett geteilt... und... daran mußt du dich doch erinnern...!\"

\"Nein. Ich bin wohl die Dritte.\"

\"Agh... agh... agh...\"
Langsam wich Shinji zur Tür zurück. Seine Knie zitterten unkontrolliert.
Was auch immer dieses Wesen auf dem Bett war, es war nicht seine Rei-chan... es hatte ihr Gesicht und ihren Körper, aber nicht ihre Seele...
Er warf sich herum und rannte aus dem Raum.
Erst an der Tür am Ende des Korridors hielt er inne, als er beinahe Misato über den Haufen rannte.

\"Shinji, du siehst aus, als ob du einen Geist gesehen hättest...\" flüsterte Misato verständnislos.

\"Misato, das... das ist nicht Rei...\"

\"Aber... sie sieht doch aus wie sie und...\"

Neben ihnen wurde eine Tür geöffnet.
Ritsuko Akagi winkte sie in den dahinterliegenden Raum.

\"Ritsuko, was...\"

Akagi nahm einige Einstellungen mit ihrer Fernsteuerung vor.
\"Ikari hat meine Befugnisse zwar sehr stark beschnitten, aber die hier hat er vergessen, mir wegzunehmen... zum Glück gibt es für das Überwachungssystem ein paar blinde Flecken...\"
Sie sah Shinji mit Bedauern in den Augen an.
\"Du hast sie schon gesehen, nicht wahr?\"

\"Agh... ja... das... das kann unmöglich...\"

\"Es tut mir leid, Shinji. Ich bin zu spät gekommen, eigentlich wollte ich das vermeiden...\"

\"Ritsuko, was ist hier los?\" fragte Misato mit schneidender Stimme. \"Was ist mit Rei?\"

Ritsuko schloß kurz die Augen und atmete tief durch.
\"Um das zu verstehen, müßt ihr mir ins TerminalDogma folgen... allerdings könnte es sein, daß die Antwort euch nicht gefällt... besonders dir nicht, Shinji.\"

\"Doktor Akagi... ich muß wissen...\"

\"Gut. Kommt mit...\"
In der Rückwand des Raumes befand sich eine weitere Tür, die von Regalen verstellt war. Akagi riß eines der Regale einfach um, öffnete dann die Tür. Dahinter lag ein spärlich beleuchteter Korridor mit einem Panzerschott am Ende.
Und hinter diesem Schott war ein Aufzug.
\"Ikari hat das ganze Hauptquartier als riesiges Labyrinth gestaltet... und wir sind wie ein Rudel Versuchsratten...\" murmelte Ritsuko, während sie weitere Einstellungen vornahm und die Lifttüren aufgleiten ließ.

Es ging abwärts.

\"Shinji, das Wesen, das du im Krankenzimmer gesehen hast, ist Rei - und es ist sie nicht.\"

\"Wie... wie...\"

\"Es ist die Dritte... wie soll ich dir das nur erklären... Du erinnerst dich, daß Rei immer wieder gesagt hat, sie sei ersetzbar?\"

\"Ja.\"

Die Aufzugtüren sprangen auf.

Akagi gab ihren Begleitern Zeichen, sie sollten sich beeilen.

Es ging einen schmalen Korridor hinunter, dann durch eine Reihe von Laboratorien.
Und schließlich betraten sie einen Raum, dessen markantestes Einrichtungsmerkmal eine Stahlsäule war.

\"Das ist der DummyPlug, oder besser, das Herzstück der Anlage. Die Fernsteuerung der EVAs... aber nicht mehr lange...\"
Sie tippte eine Reihe von Befehlen in ihren Palmtop ein, doch das etwas sichtbares geschah.
Im Inneren der Säule jedoch zerfiel Rei-00 und löste sich in LCL auf...
\"Kommt weiter. Im nächsten Raum warten alle Antworten...\"

Der nächste Raum hatte ein Sichtfenster, welches sich über eine ganze Wand hinzog, allerdings war das Glas undurchsichtig.

Ritsuko blickte Misato und Shinji an.
\"Shinji, ich kann die Verspiegelung aufheben und dir zeigen, was dahinter liegt. Aber es ist auch die Wahrheit über Rei.\"

\"Die Wahrheit?\"

\"Ja. Die Wahrheit darüber, was mit ihr passiert ist, die Wahrheit, woher das Wesen im CentralDogma herkommt, die Wahrheit über ihre Abstammung.\"

\"Uh...\"

\"Ritsuko, jetzt erzähl doch endlich...\"

\"Der DummyPlug basiert auf Rei... wir haben ihre Erinnerungen, ihre Erfahrungen, alles was sie ist, alles was sie ausmacht, in regelmäßigen Abständen kopiert und auf das System übertragen.\"

\"Dann... Ritsuko, das darf doch nicht wahr sein... wenn der DummyPlug gewissermaßen Rei ist, dann...\"

\"Dann hat sie sich selbst vernichtet? - Ja. Kaum zu glauben, daß auch Maschinen zu Eifersucht fähig sind, nicht wahr?\"

\"Und... aber... Doktor Akagi, was ist dann mit... uh... mit der... ah... Rei oben?\"

Akagi drückte einen Knopf auf ihrer Fernbedienung.
Und die Scheibe des Beobachtungsfensters wurde durchsichtig...

Hinter der Scheibe schwammen zahllose nackte Körper in klarem LCL.
Jeder Körper war weiblich, hatte blasse Haut, blaues Haar und scharlachrote Augen...

\"Rei...\" flüsterte Shinji gleichsam überrascht und schockiert.

Die zahllosen Reis öffneten die Augen, sahen Shinji an, fixierten ganz allein ihn und lächelten.
Doch ihr Lächeln war ohne jedes Gefühl, war nur eine Muskelbewegung...

Misato stützte sich auf die Schaltapparaturen an der Seite.
\"Was ist das für ein Ort?\"

\"Hier wurde Rei geboren, in diesem Tank.\"

\"Agh...\" gurgelte Shinji.

Ritsuko blinzelte.
Dann ließ sie das Sichtfenster wieder undurchsichtig werden.
\"Projekt R... Projekt Rei. Begonnen von Yui Ikari, um auf künstlichem Wege mittels Cloning Piloten für die EVAs zu erschaffen. Grundlage war die DNA des Engels, welcher sich ebenfalls im TerminalDogma befindet, sowie ein wenig menschliche DNA zur Stabilisierung des Äußeren. Allerdings war nur eine Handvoll der Klone zur Erfüllung ihrer Aufgaben fähig... und der beste von ihnen...\"

Sie senkte den Blick.
Doch sie mußte es Shinji erzählen, er mußte es wissen, sonst würde die Existenz einer weiteren Rei für immer zwischen ihm und Rei-II stehen. Doch wenn er dieses Wissen verkraftete, dann war er Reis Liebe würdig...

\"Rei-chan ist ein Engel?\" stieß Shinji hervor.

\"Größtenteils.\"

Plötzlich lachte der Junge.
\"Ich kann das nicht glauben... ich kann einfach nicht... nicht meine Rei-chan...\"
Abrupt brach er ab, starrte Ritsuko an.
\"Ich trage ein S2-Organ in der Brust... aus der DNA eines Engels... macht mich das nicht auch zu einem Engel?\"

\"Gewisserweise.\"

\"Gut... es gibt also mehrere... Rei-chan hatte also viele Zwillingsschwestern... warum leben sie in diesem Tank?\"
In seinen Augen flackerte es unstet.

\"Außerhalb des LCL können sie nicht existieren - sie haben keine Seelen. Es gibt für Rei nur eine Seele, die von einem Klon zum nächsten wandert, wenn der aktive Klon stirbt.\"

\"Aber... die Rei oben im Krankenflügel... das ist nicht Rei... niemals...\"

\"Nein, du hast recht. Rei-III hat nicht dieselbe Seele wie Rei-II. Dein Vater mußte improvisieren, er glaubt im Moment noch, daß die Rei-Seele verloren gegangen sei, deshalb hat er ein weiteres Seelenfragment aus dem Engel extrahiert und auf Rei-III übertragen.\"

\"Uh...\"

\"Er glaubt, daß der Engel das Tor zur Kammer von Gaf darstellt, den Ursprung aller unschuldigen Seelen.\"

Misato blickte Ritsuko an, als wäre dieser ein zweiter Kopf gewachsen.
\"Das ist doch nicht dein Ernst!\"

\"Doch. Hier siehst du das Kernstück von Ikaris Plänen. Ein Wesen, geschaffen aus einer Verbindung von Mensch und Engel... ein Nephilim... nur deshalb akzeptierte EVA-00 Rei als Piloten, weil sie aus derselben Urmaterie geschaffen wurde, wie er selbst.\"

\"Doktor Akagi... was heißt das? Was bedeutet das alles? Was ist mit Rei-chan? Sie hat doch Gefühle... ich...\"

\"Die besaß Rei-II. Und ich hatte dafür gesorgt, daß ihre Erinnerungen und Gefühle konserviert werden, allerdings ist Ikari dahintergekommen... Rei-III befindet sich auf dem Stand von vor über einem Jahr. Sie kennt dich nicht, Shinji, und sie kennt auch dich nicht, Misato. Eigentlich kennt sie nur Ikari; er hat sie entsprechend konditioniert.\"

\"Aber... wenn Sie ihre Erinnerungen haben... können Sie die dann nicht einfach...\"
Shinji verstummte, schüttelte den Kopf.
\"Es wäre nicht dasselbe, nicht wahr? Ohne ihre Seele...\"
Plötzlich trugen ihn seine Beine nicht mehr.
Die Kraft, welche er aus der Hoffnung, Rei-chan wäre lebend gefunden worden, geschöpft hatte, war aufgebraucht. Er ging einfach zu Boden, stürzte sich auf Hände und Knie ab und lief den Kopf hängen, gab schluchzende Laute von sich.
\"Ich kann ohne sie nicht weiterleben... aber... Vater... darf nicht damit davonkommen...\"

\"Ja, Shinji, ist es dir denn egal, was ich dir gerade berichtet habe? Daß Rei kein Mensch war, daß sie nicht als solcher geboren wurde?\"

\"Sie war ein Mensch!\" brüllte Shinji. \"Sie hatte eine Seele... ich habe sie geliebt! Ich würde mit Freuden sterben, wenn ich dadurch die Zeit zurückdrehen könnte! Es ist mir egal, als was sie geboren wurde... sie hatte eine Seele... sie hatte Gefühle... sie konnte lieben...\"
Er hämmerte mit den Fäusten gegen den Boden.

Ritsuko nickte knapp.
\"So sehr hast du sie geliebt?\"

\"Ja...!\"

\"Ritsuko...\" setzte Misato an, die nicht einsah, weshalb ihre älteste Freundin Shinji derart quälte.

Doch Ritsuko ignorierte sie.
\"Sie wird die Stärke deiner Liebe brauchen.\"

\"Was?\"
Shinji blickte mit geröteten Augen auf.

\"Shinji, Rei, deine Rei, lebt. Sie hat die Vernichtung des EVAs überstanden. Ich bin ihr vor etwas mehr als einer Stunde begegnet.\"

\"Sie... sie lebt?!\"

\"Ja. Ich konnte sie nicht mitnehmen... dein Vater hätte sie beseitigen lassen... deshalb habe ich sie in Richtung Yasakamwa geschickt, das ist ein Dorf nördlich von Tokio-3.\"

\"Sie lebt? Sie ist am Leben?\"

\"Wenn ich es dir doch sage.\"

Shinji sprang auf.
\"Misato, wir müssen...\"

\"Ja!\"
Katsuragi sah Ritsuko finster an.
\"Warum hast du das nicht oben gesagt?\"

Ritsuko seufzte.
\"Er mußte es erfahren.\"

\"Darüber sprechen wir noch...\"
Damit eilte sie Shinji nach, der bereits in Richtung des Aufzuges lief.

\"Wartet auf mich, ich muß euch den Lift öffnen!\"


*** NGE ***


Die Fahrt an die Oberfläche schien endlos gewesen zu sein.

Mehr als eine knappe Wegbeschreibung hatte Ritsuko ihnen nicht mit auf den Weg gegeben, weshalb Misato ihren Wagen am Stadtrand stehenließ und Shinji folgte, der mitten in den nächtlichen Wald hineinlief.

Shinji konnte vor lauter Tränen kaum etwas sehen.
Rei lebte... seine Rei-chan war am Leben!
Erst der Schock, einer leeren Kopie von Rei-chan zu begegnen, dann Doktor Akagis Enthüllungen und schließlich die Nachricht, daß sie noch lebte...
Fast blind stolperte er durchs Unterholz, dabei in sich hineinhorchend, versuchend, ihre Gegenwart wahrzunehmen... er hatte es doch insgeheim gewußt, hatte ihre Präsenz doch die ganze Zeit über gespürt... und nie war sie ihm ferner erschienen, als er dem anderen Mädchen begegnet war... Rei-III... welche Teufelei seines Vaters steckte nur dahinter... Rei-III... Rei-II... Rei-0 - der DummyPlug, deshalb also die seltsame Bezeichnung... - und Rei-I? Gab es irgendwo noch ein weiteres Abbild?
Aber eigentlich war ihm das völlig egal, er wurde nur von der Hoffnung, seine geliebte Rei wiederzusehen, vorangetrieben.
Doktor Akagi hatte jetzt vor etwa anderthalb Stunden mit ihr gesprochen... fast neunzig Minuten, die Rei-chan Vorsprung hatte... wie sollten sie sie nur einholen...

Misato schien denselben Gedanken gehabt zu haben, vielleicht lag es auch daran, daß die zahlreichen Äste blutige Schrammen auf ihren Beinen hinterlassen hatten.
\"Wir sollten zum Wagen zurückgehen und bis zum Morgen warten, dann suchen wir sie auf der Landstraße...\"

\"Nein... Misato, nein... Ich kann sie fühlen...\"

\"Du kannst?\"

\"Ja... Sie ist irgendwo dort vorn...\"
Wie ein Licht in der Finsternis...
Sein S2-Fragment pulsierte stärker, versorgte ihn mit neuer Kraft, die ihn vorantrieb. Und mit dem Kraftschub ging eine Schärfung seiner Sinne einher, plötzlich war er imstande, im schwachen Licht der Sterne beinahe so gut zu sehen wie an einem wolkenverhangenen Tag.
Rei-chan war irgendwo in der Nähe... er mußte weiter, konnte jetzt nicht umkehren...
Ohne es zu bemerken, hängte er Misato ab, während er sich seinen Weg durch den Wald bahnte.

Trotz seiner Nachtsicht stolperte er völlig unerwartet auf die Lichtung mit dem See.
Shinji sah sich kurz um. Er kannte diesen Ort, hier war er bereits einmal gewesen, damals, als er nach seinem zweiten Kampf gegen einen Engel ziellos umhergewandert war.
Und Kensukes Zelt stand immer noch am Seeufer, anscheinend hatten Aidas bei ihrer Abreise es entweder vergessen oder nicht mehr holen wollen...
Engel... er hatte gegen so viele von ihnen gekämpft und sie vernichtet.
Und dann begann er nicht nur, einem von ihnen, Nagisa-kun, zu vertrauen, nein, jetzt erfuhr er auch noch, daß Rei-chan selbst ein Engel war... oder zum Teil ein Engel war... aber durch das S2-Organ, welches ansonsten nur die Engel besaßen, wurde er doch auch zu einem teilweisen Engel... wenn das herauskam, stand er wohl auch auf der Liste der Feinde...
Rei-chan...
Sie war nahe, ganz nahe...
Shinji glaubte, das Pochen ihres Herzens hören zu können, vermeinte, den Duft ihres Haares riechen zu können, so sehr konzentrierte er sich auf sie.
\"Rei-chan...\" flüsterte er.
Nur wo war sie...
Das Zelt!
War es Zufall oder eine Fügung des Schicksals, daß Kensuke sein Zelt zurückgelassen hatte?
Eilig lief Shinji hinüber, schlug die Zeltbahnen zurück.
Tatsächlich...

Auf dem Boden, auf einem Haufen zusammengeschobener Blätter, lag Rei Ayanami zu einem Ball zusammengerollt und am ganzen Leib zitternd.

Shinji kroch zu ihr in das Zelt, zog sie in seine Arme.
\"Rei-chan...\"
Sie hing so seltsam kraftlos in seinen Armen...
\"Rei? Rei, wach auf... bitte...\"
Er streichelte ihre Wange.
So heiß...
Shinji zuckte zusammen, legte die Hand auf ihre Stirn.
Rei-chan glühte regelrecht!
\"Rei-chan...\"

Ihre Augenlider hoben sich flatternd.

Rei hatte Schwierigkeiten, ihren Blick zu fokussieren, ihr Kopf war wie in dicke Watte verpackt.
\"Shinji?\" flüsterte sie schwach.

Er drückte sie fester an sich.
\"Ja, ich bin es. Rei-chan, ich habe dich wiedergefunden... ich dachte, ich hätte dich verloren...\"

Kraftlos hob sie eine Hand, berührte sacht sein Gesicht, strich mit den Fingerspitzen über seine Lippen.
\"Wahrheit... du bist kein Traum...\"

\"Rei-chan, wieso sollte ich ein Traum sein... ich bringe dich nach Hause...\"

\"Doktor Akagi sagte... ich solle die Straße suchen... und Tokio-3 verlassen...\"

\"Du bist krank...\"

\"Ja.\"

Von draußen konnten sie Misato rufen hören: \"Shinji, wo bist du?\"

\"Siehst du, Rei-chan? Misato ist auch hier, alles wird gut.\"

\"Shin-chan... so schwach...\"

\"Ja... - Misato, wir sind hier! - Rei, der EVA...\"

\"Ich weiß... der DummyPlug...\"

\"Uh... ja...\"

Misato blickte in das Zelt hinein, konnte nur zwei schemenhafte Umrisse sehen.
\"Shinji, hast du sie gefunden?\"

\"Ja, Misato. Rei ist krank, wir müssen uns beeilen... - Rei-chan, überlaß alles mir, ja?\"

\"Ich vertraue dir... mit meinem Herzen...\" kam die schwache Antwort.

Shinji hob sie auf die Arme, rutschte aus dem Zelt, trug sie zurück zum Wagen...


*** NGE ***


\"Sie sieht nicht gut aus...\" sagte Misato und blickte in den Rückspiegel.

Rei lag unter einer Decke, die sich in Misatos Kofferraum befunden hatte, auf der Rückbank, ihr Kopf lag auf Shinjis Schoß. Shinji saß hinter Misato, hatte aber nur Augen für Rei, strich immer wieder über ihre Stirn.

\"Sie braucht einen Arzt, Misato.\"

\"Ich bringe sie ins Krankenhaus.\"

\"Kein Krankenhaus... kein Arzt... Doktor Akagi sagte... der Kommandant...\"

Misatos Blick wurde hart wie Stirn.
\"Gut, kein Arzt. Ikari erfährt sonst, daß sie noch am Leben ist. Wir bringen sie nach Hause und pflegen sie da... wie konnte Ritsuko sie nur in diesem Zustand...\"

\"Ritsuko-san konnte nicht anders...\" flüsterte Rei.

Shinji wiederholte die Worte laut.

\"Okay, wir sind gleich da...\"
Misato trat das Gaspedal durch.
Kapitel 53 - Ikaris Fall

Misato half Shinji, Rei aus dem Wagen zu heben, allerdings ließ der Junge es sich nicht nehmen, Rei selbst auf den Armen zu tragen.
Sie war so leicht... wie eine Feder...
Shinji war sich nicht sich, ob dies an den zusätzlichen Kräften lag, welche ihm das S2-Organ verlieh, an dem Adrenalinschub oder nicht doch an ihrer Krankheit.
Die ganze Zeit über, die er sie bereits kannte, war sie nie krank gewesen, verletzt, ja, aber nie krank. Sie hatte nie gehustet oder geniest - außer wenn er das Essen etwas zu kräftig gewürzt hatte oder wenn beim Putzen Staub aufgewirbelt worden war... und jetzt schien sie vor Fieber zu glühen...
Eilig hastete er Misato durch die kühle Nachtluft hinterher zum Hauseingang, dachte nur an das Mädchen auf seinen Armen...


*** NGE ***


\"Wir müssen sie ersteinmal aus der PlugSuit herausholen...\" sagte Misato, als sie Shinji in die Wohnung ließ, und eilte sogleich ins Bad, um heißes Wasser in die Wanne laufen zu lassen.
\"Bring sie her, schnell...\"

Reis PlugSuit war an verschiedenen Stellen aufgerissen und an den entsprechenden Rändern mit bereits verkrustetem Blut verschmiert, allerdings wies Rei keine Kratzer oder Schrammen auf, ihre Haut war unversehrt, wie die beiden feststellten, als sie das Mädchen ins Wasser ließen.
Rei bewegte mit geschlossenen Augen die Lippen, sagte aber kein hörbares Wort.

Shinji legte die Hand auf ihre Wange.
\"Sie fühlt sich so heiß an... Misato, was können wir nur tun?\"

\"Erstmal den Dreck von ihr \'runterwaschen... dann packen wir sie warm ein und flößen ihr Tee und Brühe ein. So kann sie ihre Krankheit ausschwitzen. Und wenn ich morgen zur Schicht gehe, sorge ich dafür, daß Ritsuko hier vorbeikommt... oder wenigstens Maya...\"

\"Ich werde über sie wachen.\"

Misato nickte mit schwachem Lächeln.

Shinji griff nach einem Lappen, tauchte ihn ins Wasser und begann sacht, Reis Gesicht zu waschen, dann ihren Hals und nach kurzem Zögern ihre Brust.

Im Wissen, daß das Mädchen bei Shinji in den besten Händen war, verließ Misato das Bad und wechselte in die Küche über, um Tee aufzusetzen.

\"Rei-chan, du mußt gesund werden\", murmelte Shinji, während er Schmutzstreifen von ihrem rechten Arm abwusch.
Seltsam, die PlugSuit war zerrissen und sicher hatte Rei bei ihrem Marsch durchs Unterholz Kratzer davongetragen - doch davon war nichts zu sehen, ihre Haut war glatt und makellos. Ihre Regenerationskräfte wirkten also noch und heilten ihre Wunden binnen kurzer Zeit, aber warum hatte sie dann immer noch Fieber?
Waren ihre Selbstheilungskräfte vielleicht überlastet? Dann war sie kränker, als es aussah, dann benötigte sie unbedingt Hilfe von Doktor Akagi oder jemandem mit gleichen Qualifikationen...
\"Ich rufe Doktor Akagi kann, sicher kann sie gleich kommen...\"
Shinji wollte sich aus der hockenden Position neben der Wanne aufrichten, als sie kraftlos sein Handgelenk umfaßte.

\"Nicht... Ritsuko-san hat gesagt... kein Arzt... der Kommandant darf nicht erfahren, daß ich noch lebe...\"

Shinji blickte in ihre müden Augen.
\"Aber sie kann dir vielleicht helfen!\"

\"Kommandant Ikari... Augen und Ohren überall... Shinji, ich bin... Armisael... großer Bruder... ich gehöre zu ihnen... ich bin ein Engel...\"

\"Ich weiß\", flüsterte er und strich sanft über ihren Handrücken. \"Aber es macht nichts. Du bist Rei... du bist einzigartig...\"

\"Es macht dir nichts aus?\"

\"Nein. Ich weiß auch von... uh... den anderen... ahm... denen, die so aussehen wie du...\"

\"Du weißt... meine Schwestern...\"

\"Ja. Da war eine andere... uh... Rei im Hauptquartier... Die... uhm... die Dritte...\"

\"Ja...\"

\"Aber... ich wußte gleich, daß du es nicht warst... sie ist nicht einmal... uhm... ein Schatten von dir...\"

\"Du hast mich gefunden...\"

\"Ich wußte, wo ich suchen mußte.\"

\"Shin-chan, ich glaube an dich...\"
Rei schloß die Augen, ihre Mundwinkel formten ein dünnes Lächeln.

\"Ahm...\"

\"Ich fühle mich so schwach... so schwach habe ich mich nicht einmal gefühlt, nachdem EVA-00 amokgelaufen war...\"

\"Als du so schwer verletzt wurdest...\"

\"Ja. Jetzt ist es, als würde ich innerlich verbrennen...\"
Sie übte einen leichten Zug auf seine Hand aus, legte sie auf ihren Bauch.
\"Spürst du es?\"

\"Uh... nein, Rei-chan... ich... ah... es fühlt sich ganz normal an...\"

\"Es ist, als hätte ich einen Brennofen verschluckt... Armisael war... einen kurzen Augenblick lang waren wir eins...\"

Einen langen Moment fragte er sich, ob der Engel nicht etwa Rei geschwängert hatte, verneinte diesen seltsam beängstigenden Gedanken aber sogleich - Rei-chan hatte ihm doch selbst gesagt, daß sie nicht fähig war, Kinder zu bekommen. Also mußte der Engel etwas anderes in ihr zurückgelassen haben... Sicher würde Doktor Akagi die Antwort kennen, wenn Misato sie am Morgen herbeiholen konnte. Und bis dahin würde er über Rei wachen...
\"Ahm, Rei-chan, ich lasse jetzt das Wasser ab... um... uh... um dich abzutrocknen... und dann bringe ich dich ins Bett... ahm...\"

\"Wirst du mich halten?\"

\"Uh... ja.\"

\"So schwach... ich war noch nie so schwach... es ist... furchteinflößend...\"

\"Furcht? Rei-chan, bitte, du darfst keine Angst haben... du wirst wieder gesund werden...\"

\"Aber so kann ich dich nicht beschützen...\"

\"Ich werde auf uns beide aufpassen.\"
Methodisch begann er damit, sie abzutrocknen, dann hob er sie in das Badetuch gewickelt aus der Wanne.

\"Du bist stark, Shin-chan...\" wisperte sie, die Stirn gegen seine Wange gepreßt.

\"Das... ahm... das kommt von dem S2-Organ... uhm...\"

\"Nein, es ist deine Stärke.\"

Shinji trug sie aus dem Bad, in der Wohnung roch es nach Tee und Hühnerbrühe.

\"Shinji, setz sie gleich an den Tisch, ich bin gerade fertig geworden.\"

\"Was... uh... was hast du denn gekocht?\"

\"Hühnerbrühe, die verleiht neue Kräfte.\"

\"Uhm, Misato...\"

\"Misato-san, ich kann kein Fleisch essen.\"

\"Oh... also dann...\"
Misato seufzte.
\"Daran hätte ich denken müssen... Wartet mal, ich müßte doch noch... ja, da habe ich ja noch Gemüsebrühe... instant... ich koche sie sofort auf.\"

\"Ich bringe Rei ins Bett\", erklärte Shinji.

\"Shin-chan, du brauchst mich nicht die ganze Zeit zu tragen.\"

\"Du mußt deine Kräfte schonen\", erwiderte er leise und trug sie in den hinteren Raum, wo Misato bereits die Bettdecke zurückgeschlagen und zwei weitere Decken bereitgelegt hatte.
Als er Rei aus dem Handtuch rollte, hatte ihr Anblick nichts erregendes für ihn, er verspürte nur den Wunsch, sie möge so schnell wie möglich wieder genesen.
Rasch deckte er sie zu.

Misato kam mit der Teekanne und einem Becher.
\"Hier.\"


*** NGE ***


Wütend blickte Ikari auf seine veränderte Hand. Bisher waren alle seine Versuche, ADAM unter Kontrolle zu bekommen, gescheitert. Aber er benötigte diese Kontrolle über den Ersten Engel, um sein Ziel zu erreichen, es genügte nicht, ADAM mit immer größeren Mengen der Droge einzuschläfern... Akagi mußte eine Variante des Mittels entwickeln, die auch den Willen des Engels lähmte...

Und dann war da noch das Problem mit dem Rei-Klon.
Anders als erwartet war die Rei-Seele nicht beim Tod von Rei-II in der eigens dafür vorbereiteten Auffangvorrichtung gelandet, anders als berechnet hatte das PROPHET-Interface der MAGI die Seele nicht angelockt wie Zuckerlösung eine Ameise.
Das Seelenfragment, das er mit Hilfe der MAGI aus LILITH extrahiert hatte, war alles andere als stabil, die Stärke des AT-Feldes des dritten Klones war Schwankungen unterworfen. Auf der anderen Seite war dieser Klon imstande gewesen, ein Fragment des S2-Organes des vierten Engels, Shamshiel, in sich aufzunehmen. Jetzt mußte der Klon nur noch lange genug dem Drang widerstehen, sich in eine LCL-Pfütze aufzulösen, aber in dieser Beziehung hatte Ikari keine Bedenken, die Version von Reis Persönlichkeit, welche er benutzt hatte, um den Klon zu prägen, war frei von fremden Einflüssen, für Rei-III war er Gott. Und das Privileg, in seiner Gegenwart existieren zu dürfen, war alles, wonach sie sich sehnte... die Klone waren erschaffen worden, um zu dienen... und diese Närrin Yui hatte gedacht, er verfolge die Interessen der Menschheit, wollte die Welt retten. Ebenso wie NERV sollten die Klone ausschließlich ihm dienen, ihrem Gott... und wenn es gelungen wäre, mehr als eine stabile Seele aus LILITH zu extrahieren, hätte er der anderen Piloten nicht bedurft, so jedoch hatte er auf den Ausweichplan zurückgreifen müssen... 100 Ungeborene, die noch im Fötusstadium mit der DNA LILITHs infiziert worden waren, einer von ihnen Yuis Sohn... er hatte dadurch eine neue Unterart des Menschen erschaffen, hatten den legendären Nephilim der Bibel neues Leben eingehaucht - war dies nicht mit dem Werk eines Gottes gleichzusetzen?
Und dennoch begehrten seine Schöpfungen gegen ihn auf...
Zuerst Yuis Sohn - was anderes hätte er auch von dem Bengel erwarten können, schon seine Mutter hatte sich ihm nicht unterordnen wollen, als sie ihn zu durchschauen begann -, dann der zweite lebensfähige Rei-Klon, der jemals den Tank verlassen hatte, natürlich war das die Schuld des Third Children gewesen, aber allein die Tatsache, daß der Klon sich von jemand anderem hatte beeinflussen lassen, sprach bereits Bände. Doch mit Rei-III würde sich das nicht wiederholen...
Die Reaktion des Klons auf die erste Begegnung mit Yuis Sohn war für Ikari höchst befriedigend gewesen. Der Klon hatte den liebestollen Bengel kalt zurückgestoßen, hatte ihn an seinen korrekten Platz verwiesen...
Jetzt blieb noch der letzte Engel abzuwarten, dann war die Bahn frei für seinen, Ikaris Aufstieg. Der Thron Gottes war in Griffweite.
Und auch die alten Narren von SEELE würden ihn nicht aufhalten können, egal wieviele Spione sie im Hauptquartier hatten, wenn er mit ADAMs Hilfe über den Rei-Klon LILITH ihre Macht raubte und die Kräfte der Urmutter und des Urvaters in sich vereinte, würde nichts ihn aushalten können, dann würde er die Welt nach seinen Vorstellungen neu formen, dann würde eine neue Menschheit aus der Asche der Third Impact entsteigen, die seiner Vorstellung von Perfektion entsprach...
Er mußte nur ADAM unter Kontrolle bringen, aber wie alles, das er sich bisher vorgenommen hatte, würde er auch das schaffen.

\"Mein Wille geschehe...\" flüsterte Ikari rauh. Die Worte klangen gut. Bald würden alle vor ihm knien, so wie die schuppigen Kinder der Ersten Menschheit vor ihren Götzen, den Kindern LILITHs, gekniet hatten...
\"Mein Wille geschehe...\"

Dennoch blieb die Frage, was mit der Rei-Seele geschehen war. Als der Klon das erste Mal gestorben war, als die alte Hexe Naoko Akagi Rei-I erwürgt hatte, war die Seele von den MAGI aufgefangen worden. Rei-II zu aktivieren, war in gewisser Weise die Feuerprobe der Supercomputer gewesen, hatte ihm gezeigt, daß es richtig gewesen war, die alte Akagi die ganze Zeit zu ertragen, ihr vorzuspielen, daß sie ihm etwas bedeutete, genau wie er es mit Yui und jedem anderen Menschen, den er bisher manipuliert hatte, getan hatte.
Warum also hatte es dieses mal nicht funktioniert?
An der Entfernung konnte es nicht liegen, bei Seelen galten andere Maßstäbe, außerdem hätte die Rei-Seele versuchen müssen, durch LILITH in die Kammer von Gaf zurückzukehren...
In den Resten des EntryPlugs hatte die Seele sich nicht verfangen, auch an den gefundenen organischen Resten hatte sie nicht geklebt - Ikari glaubte auch nicht daran, daß Seelen bei ihren Körpern verweilten...
Und endlich kam er dazu, Schlüsse zu ziehen...
Was wenn die Seele sich nicht in Richtung LILITHs gewandt hatte, als der Körper des Klons zerquetscht wurde?
Wohin konnte sie gegangen sein?
Die Antwort gefiel ihm gar nicht, implizierte sie doch, daß es so etwas närrisches wie Liebe tatsächlich gab - demnach müßte die Rei-Seele bei Yuis Sohn sein und ihm wie ein Schutzengel folgen... nein, das konnte nun wirklich nicht sein.
Ihm fiel ein, daß die Analyse der im EntryPlug von EVA-00 gefundenen organischen Reste sehr kurz und wenig aussagekräftig gewesen war. Akagi hatte lediglich festgestellt, daß die Überreste zu Rei-II gehörten... glücklicherweise befanden sich die Daten in den Speichern der MAGI...
Ikari ließ die Untersuchungsergebnisse erneut analysieren.
Das Ergebnis war sehr überraschend - die Analyse der DNA ergab, daß ihre Zusammensetzung exakt der eines Engels entsprach, bei den Rei-Klonen war aber noch reine menschliche DNA hinzugemischt, so daß das Verhältnis leicht anders war.
Und das hieß, daß die DNA von dem Engel Armisael stammte...
Ikari gab ein wütendes Knurren von sich.
Das konnte doch nicht wahr sein...
Akagi hatte es tatsächlich gewagt, ihn noch einmal zu belügen... dafür würde er ihr die Zunge herausreißen, ehe er seine Drohung wahrmachte, und alle eigenhändig auslöschte, die ihr etwas bedeuteten, bevor er sie selbst exekutierte... diese verdammte Hure...
Wenn die DNA-Reste nicht von dem Klon stammten, hatte dieser wahrscheinlich die Vernichtung von EVA-00 überlebt und befand sich irgendwo an der Oberfläche. Damit waren auch alle Überlegungen bezüglich des Verbleibes des Seele hinfällig.
Wohin mochte sich Rei-II gewandt haben... eigentlich gab es nur eine Antwort - Yuis Sohn...

Ruckartig stand Ikari auf, die Monsterhand, mit der er sich an der Tischkante abgestützt hatte, brach ein Stück des Holzes heraus, es zerbröselte, noch ehe es den Boden berührte.
Mit weitausholenden Schritten ging er auf die Tür seines Büros zu, riß sie auf, stoppte.

Vor der Tür stand Kozo Fuyutsuki, der gerade die Hand gehoben hatte, um zu klopfen, und jetzt überrascht einen halben Schritt zurückwich.
\"Ikari...\"

\"Geh mir aus dem Weg, Fuyutsuki!\" knurrte der bärtige Mann.

Fuyutsuki zuckte zusammen, kam dem Befehl aber nicht nach.
\"Ich muß mit dir sprechen... was du heute getan hast, war falsch! Auch wenn Rei den Einsatz des DummyPlugs überlebt hat, hättest du niemals...\"

Ikari griff zu, packte den älteren Mann an den Jackenaufschlägen.
\"Du weißt, wo sie ist?\"

\"Verdammt, Ikari... sie ist doch immer noch auf der Krankenstation...\"

\"Du sprichst von Rei-III...\"

\"Rei-III? Was zum...\"
Entsetzen trat in Fuyutsukis Augen. Und das lag nur teilweise daran, daß er einen Blick auf die mittlerweile dickschuppige linke Hand Ikaris erhascht hatte, welche wieder eine erstaunliche Beweglichkeit erlangt hatte.

\"Wo steckt Rei-II? Bei Yuis Bastard?\"

\"Ikari... wovon... bist du verrückt geworden?\"

\"Ich werde sie umbringen, den Bengel und den wertlosen Klon.\"
Ruckartig hob er Fuyutsuki mit der entstellten Hand in die Höhe.

Der Subcommander röchelte, als ihm die Luft abgedrückt wurde und das ätzende Sekret auf der Schuppenhaut der Monsterhand seinen Hals berührte.

Ikari blickte ihn mitleidslos an.
\"Du weißt gar nichts, alter Narr... nicht einmal, daß der Bengel dein Sohn ist... oder war...\"

Kozo verdrehte die Augen, hing schlaff in Ikaris Würgegriff.

Gendo Ikari schleuderte den alten Mann wie eine Puppe zur Seite, marschierte dann den Gang zum nächsten Fahrstuhl entlang.


*** NGE ***


Schwer atmend setzte Fuyutsuki sich auf, eine Hand gegen seinen wunden Hals gepreßt, es fühlte sich an, als hätte etwas sehr heißes seine Haut berührt. Und außerdem schmerzte sein Rücken, daß er befürchtete, seine Wirbelsäule könnte verletzt worden sein...
Was war das gewesen... was war mit Ikaris Hand geschehen...
Ein Schatten fiel auf den alten Mann.
Sicher war Ikari zurückgekommen, um sein Werk zu beenden...

\"Fuyutsuki, was ist passiert?\" fragte Kaji und packte den Stellvertretenden Kommandanten an den Schulter, zog ihn auf die Beine.

\"Sie, Kaji? Gottseidank... Ikari... er will die Kinder töten...\" keuchte Fuyutsuki.

\"Ikari? Wo ist er?\"

\"Den Gang hinunter... Privater Aufzug...\"

\"Ja...\"
Kaji zog seine Waffe und hastete den Gang hinunter, stand jedoch vor einer geschlossenen Aufzugtür, deren Anzeige verkündete, daß der Aufzug bereits den halben Weg an die Oberfläche zurückgelegt hatte.
\"Verdammt...\"

Fuyutsuki kam herangeschwankt, mußte sich immer wieder an der Wand abstützen.
\"Haben Sie ihn... wohl nicht...\"

\"Nein. Und bis der Aufzug wieder hier ist, vergehen noch über sieben Minuten... mit einem anderen Lift werden wir wohl ebenfalls kein Glück haben...\"

\"Sieben Minuten... plus die fünf, die wir selbst für die Fahrt benötigen werden... das sind zwölf Minuten Vorsprung.\"

\"Wo will er hin?\"

\"Er sagte nur... daß er die Kinder töten wolle.\"
Fuyutsuki hustete.

\"Professor, wie geht es Ihnen?\"

\"Als hätte mich ein Bus überrollt. Wahrscheinlich eine Gehirnerschütterung... Prellung der Wirbelsäule und...\"
Er zog die Hand von der Kehle.

\"Was...\"
Entsetzt starrte Kaji auf den schwarzen Abdruck auf Fuyutsukis Hals.
\"Das war Ikari?\"

\"Ja. Irgendetwas stimmt nicht mit ihm. Seine Hand... wie die eines Monsters...\"

\"Heilige... Gut, ich rufe Katsuragi an, sie weiß sicher, wo die Kinder sind, wenn sie nicht sogar bei ihr sind... Moment mal, Kinder? Welche Kinder?\"

\"Shinji und Rei.\"

\"Aber das Mädchen ist noch auf der Krankenstation.\"

\"Ich weiß es doch auch nicht.\"

\"Ja...\"
Kaji zog sein Handy aus der Tasche, tippte Misatos Nummer ein.
\"Geh ran... Katsuragi, geh ran... Verdammt noch mal... Dann ihren Pieper...\"
Er konnte ja nicht wissen, daß Misatos Handy wie auch ihr Pieper in der Tasche ihres Jacketts waren, welches unbeachtet auf ihrem Bett lag.
Kaji seufzte auf.
\"Gut, es gibt noch jemanden... - Commander, ich habe Grund zur Annahme, daß wir Probleme haben...\"


*** NGE ***


\"Ja, Major, ich bin unterwegs. - Ja, ich werde niemanden zu den Kindern lassen, bis Sie vor Ort sind. - Der Kommandant? War... - Gut, wie Sie befehlen, Subcommander. Dann schlage ich vor, die Kinder in Sicherheit zu bringen...\"
Kaori Ishiren schaltete ihr Handy ab und trat das Gaspedal ihres Wagens durch.


*** NGE ***


Fuyutsuki lehnte gegen die Rückwand des Aufzuges. Er sah doppelt und hatte Probleme mit dem Gleichgewicht.

\"Sie brauchen einen Arzt.\" stellte Kaji fest.

\"Noch nicht... Ikari weiß es. Er weiß, daß Yui und ich...\"

\"Verstehe.\"


*** NGE ***


Ishiren rannte die Treppe des Apartmenthauses hinauf, in dem Major Katsuragi wohnte, nahm dabei drei Stufen auf einmal.
Vierter Stock...
Katsuragis Wohnung...
Sie hämmerte laut gegen die Wohnungstür.

Es dauerte eine Weile, bis die Tür von Shinji geöffnet wurde.

\"Ishiren-san...\"

\"Ist Major Katsuragi da?\"

\"Sie ist zur Apotheke... uh...\"

\"Major Kaji schickt mich. Ihr müßt sofort die Wohnung verlassen.\"

\"Agh...\"

Ishiren blickte über die Schulter.
Sie hatte etwas gehört... die Haustür...
\"Los, Beeilung! Ich bringe euch in Sicherheit!\"

\"Ich... ich muß Rei holen...\"

\"Tu das.\"
Ishiren wandte sich der Treppe zu.

Shinji verschwand wieder in der Wohnung, eilte in das Zimmer, welches er und Rei sich teilten.
\"Rei-chan, Ishiren-san sagt, wir müßten verschwinden.\"

Unter großen Anstrengungen versuchte das Mädchen sich aufzusetzen, fiel aber wieder zurück.

\"Uh...\"
Shinji riß die Schranktüren auf, suchte ein paar Sachen für sie heraus, zog dann die Decke fort und kleidete sie rasch, wenn auch sehr schlampig an.
Plötzlich hörte er Schüsse, dann einen Schrei, zuckte heftig zusammen.
\"Keine Angst, Rei-chan...\"

\"Das war... Ishiren-san...\"

\"Uh... sicher hat sie... ahm...\"

Wieder erklangen Schreie.

Shinji hob Rei auf seine Arme, preßte ihr Gesicht gegen seine Schulter.
\"Keine Angst...\"

\"Ja...\"

Er trug sie aus dem Zimmer in den Korridor - und blieb stehen...


*** NGE ***


\"Ich kann Sie nicht vorbeilassen, Sir.\"
Ishiren war bemüht, ihrer Stimme Festigkeit zu verleihen, während Gendo Ikari sie mit seinem eiskalten Blick fixierte, die linke Hand in der Jackentasche verborgen.

Ikari stand am Fuße des Treppenabsatzes, doch irgendwie hatte Ishiren nicht das Gefühl, als blicke sie von ihrer erhöhten Position auf ihn hinab, sondern als wäre es vielmehr umgekehrt..
\"Gehen Sie zur Seite.\"

\"Nein, Sir, ich habe meine Anweisungen.\"

\"Von wem? Fuyutsuki? Sollte es Ihnen noch nicht aufgefallen sein - der alte Mann ist mein Stellvertreter, nicht umgekehrt.\"\"

Ishiren tastete nach ihrer Waffe.
\"Sir, ich muß sie bitten, zu bleiben, wo Sie sind. Subkommandant Fuyutsuki hat Ihre Urteilsbefähigung in Frage gestellt.\"

\"So...\"
Provozierend langsam setzte er den Fuß auf die erste Stufe.

Gedankenschnell zog der Leutnant ihre Waffe, richtete sie auf Ikaris Brust.
\"Stehenbleiben.\"

Ikari hielt tatsächlich inne.
Ein dumpfes Lachen ließ ihn erbeben.
\"Sie glauben tatsächlich, mich aufhalten zu können?\"
Er zog die Hand aus der Tasche, breitete beide Arme aus.
\"Versuchen Sie es!\"

Ishiren starrte auf Ikaris von dunklen Schuppen überzogene linke Hand, starrte auf die gebogenen spitzen Fingernägel, starrte in das von mehreren kleineren Auge umgebene Hauptauge in der Handfläche.
Ihre Augen weiteten sich.
Das also hatte der Subcommander gemeint, als er ihr am Telephon gesagt hatte, Ikari wäre nicht mehr Ikari...
In rascher Abfolge feuerte sie das Magazin ihrer Pistole leer.

Die Kugeln prallten von einem unsichtbaren Hindernis ab, die Aufschläge bremsten Ikari nur unwesentlich.

Ishiren betätigte auch dann noch den Abzug, als ein ständiges Klicken ihr mitteilte, daß das Magazin leer war...


*** NGE ***


Ohne Bedauern zu verspüren, stieg Ikari über die Überreste der Menschen hinweg, die er gerade eben mit der Macht ADAMs dahingeschlachtet hatte. Die Lilim trugen doch selbst Schuld an ihrem Tod - wenn die Leibwächterin ihm den Weg freigemacht hätte, hätte er sie nicht zu töten brauchen. Und wenn ihr Schrei nicht einen der Hausbewohner auf den Flur gelockt hätte, hätte er weder diesen, noch dessen Frau oder deren gemeinsame Kinder als ungeliebte Zeugen beseitigen müssen...

Er überwand die letzten beiden Treppenabsätze, stand dann vor Katsuragis Wohnungstür.

Das Morden hatte ADAMs Blutdurst geweckt, der Engel flüsterte ihm leise zu, noch mehr Blut zu vergießen...

Ikari verschloß sich gegenüber den Einflüsterungen,

Er war der Herr seines eigenen Willens, niemand sonst...

Die Tür war verschlossen...

Gendo hob die linke Hand auf Höhe der Klinke, konzentrierte sich.
Kurz war ADAMs AT-Feld sichtbar, als es sich durch das Material fraß, das Schloß sauber herausfräste.

Die Tür schwang auf.

Ikari trat ein, dabei blutrote Fußabdrücke hinterlassend.

Hinter ihm schloß sich die Tür wieder.

Er bemerkte weder die einzelne Person, die mit schweren Schritten die Treppe hinaufkam, noch die beiden anderen Männer, welche gerade die Haustür aufrissen und die Treppe hinaufstürmten, wobei der ältere stolperte und den jüngeren einen Moment lang aufhielt...


*** NGE ***


Shinji ließ Rei von seinen Armen herabgleiten, um eine Hand freizuhaben, stützte sie nur noch, um sie am Hinfallen zu hindern.

Vor ihnen im Wohnungsflur stand der Mann, den er die letzten vierzehn Jahre lang für seinen Vater gehalten hatte - Gendo Ikari, gekleidet in beige Hosen und einen dunklen Rollkragenpullover, über dem er eine beige Jacke trug. Seine Schuhe sahen aus, als wäre er in roter Farbe gewatet - oder in Blut...
Doch noch furchterregender war seine linke Hand, die außer der Tatsache, daß sie fünf Finger aufwies, von denen einer den anderen vieren gegenüberlag, nichts menschliches mehr hatte...

Sofort stellte Shinji sich so, daß er Rei mit seinem Körper verdeckte.
Was immer auch mit dem NERV-Kommandanten geschehen war, wie immer auch diese monströse Hand zu erklären war, er würde erst an ihm vorbei müssen, wenn er zu Rei-chan wollte...

Gendo Ikari lächelte.

Zum ersten Mal in seinem Leben sah Shinji den älteren Ikari lächeln. Es war ein grausames Lächeln, das es ihm kalt den Rücken hinablaufen ließ.

\"Laß den Klon los.\"

\"Nein...\"
Shinji schluckte.
\"Du wirst Rei nichts antun!\"

\"Was macht dich so sicher? Gib sie mir und du wirst ein wenig länger leben als Rei-II.\"

\"Niemals.\"

\"Plötzlich zeigst du Rückgrat... vielleicht wäre für dich doch ein Platz in der neuen Weltordnung, Junge.\"

\"In deiner Welt? Nein, ich verzichte... du wirst sie dir holen müssen!\"

\"Bedauerlich. Aber zu erwarten.\"
Ikari spreizte die Finger seiner Monsterhand.

Wind kam auf, zuerst nur ein sanfter Luftzug, dann starke Brisen, schließlich wahre Sturmböen, die auf Shinji und Rei einschlugen, sie auf die Balkontür am Ende des Korridors zuschoben.

Shinji hob eine Hand vor die Augen, stemmte die Füße in den Teppich, hielt mit der anderen Hand Rei fest.

Von dem Schränkchen im Flur löste sich das Telephon, flog haarscharf an Shinjis Kopf vorbei, krachte durch das Glas der Tür in seinem Rücken.

\"Ich lasse euch sogar noch einmal die Wahl... ihr könnt sterben, indem ihr vier Stockwerke tiefer auf dem Asphalt zerschellt, oder ich kann es mit meinen eigenen Händen tun...\"
Die Ruhe in Gendo Ikaris Stimme war genauso furchtbar wie die lockenden Bewegungen seiner linken Hand, welche ein Eigenleben entwickelt zu haben schien.

Shinji stemmte sich weiterhin gegen die Wind, biß die Zähne zusammen.
\"Wir werden dir nie wieder nachgeben...\"

Er spürte, wie Rei sich bewegte, wie sie die Arme um ihn schlang.

Plötzlich verstummte der Sturm, der eben noch um ihn und Rei herum getobt hatte... nein, das stimmte nicht, die Winde bliesen immer noch so heftig wie zuvor, nur erreichten sie sie nicht, sondern wurden von einer schwach erkennbaren Barriere gebrochen.
Und hinter Shinji erstrahlte ein Licht, als hätte jemand draußen auf dem Balkon einen starken Scheinwerfer eingeschaltet.


*** NGE ***


Ikari ballte die Faust.
Der verfluchte Klon... offensichtlich hatte Rei-II ihr Engelerbe erkannt und begonnen, es zu nutzen... anders war es kaum zu erklären, daß der Klon plötzlich von innen heraus zu leuchten begonnen hatte. Das reine Licht tat seinen Augen weh. Auch ADAM schloß seine Augen, zwang ihn, die Handinnenfläche von dem Licht abzuwenden.
Der Klon hielt Yuis Sohn umschlungen, beschützte ihn dadurch mit seinem eigenen AT-Feld. Nur war dieses viel stärker, als es hätte sein dürfen, ohne Training - und ohne S2-Organ!
Und nicht nur das, der Engel in Rei-II hatte sich fast vollständig manifestiert in einer Art und Weise, daß es Gendo Tränen in die Augen trieb. Aus dem Rücken des Klons wuchsen zwei mächtige Schwingen, teils aus Federn, teils aus reinstem Licht, welche nur von den Wänden des Apartments daran gehindert wurden, sich völlig auszubreiten. Der Blick aus den scharlachroten Augen des Wesens schien sich direkt in seine Seele zu bohren.
Ikari knurrte, verstärkte seine Anstrengungen.
ADAM mochte noch immer geschwächt sein, er mochte über kein S2-Organ verfügen - doch der Urvater dürfte doch wohl immer noch stärker sein als so ein neugeborenes Engelsküken!
Kräftig stieß er die Hand vor, machte eine zerfetzende Geste.

Reis AT-Feld brach auseinander.
Mit einem leisen seufzenden Stöhnen verdrehte sie die Augen und ging zu Boden.

Shinji keuchte auf, widerstand dem Impuls, sich neben ihr hinzukauern - dann würde der andere leichtes Spiel haben...
Er preßte die Lippen zusammen und beugte den Oberkörper nach vorn.
Wenn er loslief und den Kommandanten wuchtig mit der Schulter erwischte, konnte er ihn vielleicht von den Beinen holen...

Da wurde die Tür aufgestoßen, schlug laut krachend gegen die Wand.

Kaji stürmte mit gezogener Waffe herein, richtete die Mündung sofort auf Ikari.
\"Fort von den Kindern!\"

Gendo drehte sich um.
\"So, Kaji... und Fuyutsuki... wie es scheint, muß ich mir nicht erst die Mühe machen und sie suchen...\"

Kaji schoß.

Die Kugel prallte an Ikari-ADAMs AT-Feld ab.

Gendo grinste, präsentierte weiße Zähne, die leicht zugespitzt schienen.
\"Sie sind doch immer so neugierig, Kaji... sicher möchten Sie wissen, woher meine neue Macht stammt...\"
Er hob die linke Hand.
\"Das hier ist ADAM, der Erste Engel. Sein AT-Feld schützt mich...\"
Ohne mit der Wimper zu zucken nahm er die nächsten zwei Treffer hin, die von seinem AT-Feld abgelenkt wurden, so daß die Kugeln sich in die Wände bohrten.
\"Ihre Bemühungen sind völlig aussichtslos. Der menschliche Wille könnte das Feld durchbrechen, aber nicht so simple Werkzeuge.\"
Er richtete die Fingerspitzen der linken Hand auf Kaji.

Der Major faßte sich an die Kehle, schien mit einer unsichtbaren Hand zu kämpfen, während er langsam blau anlief und vergeblich nach Luft schnappte.

Und dann brach unter Ikaris Füßen der Boden ein...


*** NGE ***


Gendos Sturz dauerte nur einen Herzschlag, dann fand er sich auch schon auf dem Boden des Apartments unter der Katsuragi-Wohnung auf einem Schutthaufen wieder.
Mit gefletschten Zähnen sprang er auf - direkt in drei parallel verlaufende Stahlklingen hinein, die problemlos sein AT-Feld durchdrangen.
Er verspürte keinen Schmerz, als die Klingen sich in seinen Leib bohrten und sich durch seine Eingeweide schnitten - ADAM sorgte dafür, daß Schmerzimpulse sein Gehirn nicht mehr erreichten.
Verwundert blickte er nach unten auf die Wunde in seinem Bauchraum, spürte bereits, wie ADAMs damit begann, die Verletzung zu heilen.

Die Klingen, die in seinem Leib steckten, wuchsen aus dem Handrücken einer Person, die vor ihm stand.

Wütend schlug Ikari mit der linken in das Gesicht seines Angreifers. Doch wo bei einem Menschen der Hieb den halben Kopf weggerissen hätte, rissen die festen Nägel nur gummiartige Haut herab und hinterließen tiefe Kratzer in einem stählernen Schädelknochen, aus dem ihm ein rotglühendes Augenpaar entgegenblickte - keine menschlichen Augen, sondern Augen ohne Pupillen, einfach nur zwei dunkelrote Flächen...

Wolf Larsen zog seine Hand zur Seite, riß die Bauchwunde, die er Ikari zugefügt hatte, weiter auf.
In seinem Kopf hämmerte der letzte Befehl, den er erhalten hatte - Ikari zu töten...
Und er tat nichts, um dagegen anzukämpfen. Es gab keinen Grund... Ikari hatte Kinder bedroht, in seinen Augen eine der verabscheuungswürdigsten Taten überhaupt.
Ikaris Verletzungen begannen sich zu schließen. Er vermutete, daß sich mit dem fremden Organismus in Verbindung stand, der sich in Ikaris linker Hand befand.
Kräftig schlug er mit der anderen Hand zu, fuhr in der Bewegung die Krallen aus. Als er mit dem Kraftfeld in Kontakt kam, welches Ikari schützte, pellte die Kunsthaut von seinen kybernetischen Armen, doch neben einer leichten Verlangsamung seiner Bewegung trat kein weiterer Effekt ein.

Dieses mal schlug er quer über Ikaris Brustkorb, zersägte dabei Rippen, Herz und Lunge.
Er empfand nichts dabei.

Dem bärtigen Mann quollen die Augen aus dem Kopf.
Noch einmal wollte er die entstellte Hand heben, doch diese fiel kraftlos zurück.

Larsen schlug zur Sicherheit noch zweimal nach, ließ Ikari dann von seinen Klingen gleiten, wartete.

Die Verletzungen blieben offen...

Gut...
Sollten sich andere darum kümmern, die Leiche zu beseitigen...
Auftrag ausgeführt...
Langsam hob er den Blick zu dem Loch in der Decke, sah direkt in das Gesicht Shinji Ikaris.


*** NGE ***


Der Anblick der grausig zugerichteten Leiche des NERV-Oberkommandierenden erzeugte bei Shinji weder Genugtuung, noch Trauer oder Ekel. Er nahm einfach zur Kenntnis, daß die Gefahr abgewendet worden war.
Jetzt traf sein Blick den desjenigen, der dafür verantwortlich war.

Im Halbdunkel der Wohnung unter ihm konnte er nur Umrisse erkennen, der andere stand größtenteils im Schatten. Was Shinji sehen konnte, waren Hände aus Stahl, aus deren Rücken dünne Metallklingen wuchsen, von denen noch Blut tropfte. Und er konnte einen ebenfalls stählernen Schädel sehen, von dem Hautfetzen herabhingen.
Zwei rotglühende Augen sahen zu ihm auf, nicht Augen wie Rei-chans, sondern viel eher Kameraobjektive, hinter er dennoch Leben wahrzunehmen glaubte.

\"EVA...\" flüsterte Shinji.
Wäre der Metallmann mit einer purpur-grünen Lackierung versehen gewesen und hätte ein einzelnes Horn aus seiner Stirn geragt, er hätte jeden Eid geschworen, daß das Bewußtsein von EVA-01 ihnen zu Hilfe geeilt war.

Der andere wandte den Blick an, stieß Gendo Ikaris Leiche mit dem Fuß an.

Oben trat Kaji an das Loch im Boden.
\"Commander?\"

\"Die Bedrohung wurde neutralisiert.\"

\"Ja... sehe ich... Sir.\"
Kaji schluckte. Ikaris Leiche war denen, über die sie auf der Treppe gestolpert waren, beinahe viel zu ähnlich...

Auf Händen und Knien schob Rei sich an die Öffnung, blickte hinunter, ehe jemand es bemerkte.
Ihr Schöpfer... also war er schlußendlich doch nur ein gewöhnlicher Mensch gewesen...

Shinji ging neben ihr in die Knie, zog sie an sich und nach oben.
\"Sieh nicht hin... es ist vorbei...\"

Kozo Fuyutsuki lehnte in der offenen Tür.
\"Ist Ikari...\"

Kaji nickte.
\"Mausetot. Sieht so aus, als wären Sie jetzt der Chef von NERV.\"

Fuyutsuki wirkte darüber alles andere als erfreut.
\"Gehen wir... ich würde mich gern etwas hinlegen...\"
Sein Blick ruhte lange auf Shinji - oder auf den beiden Shinjis, da er immer noch doppelt sah.
Sein Sohn...
Nein, jetzt war nicht die Zeit für solche Enthüllungen...

Kaji wandte sich Shinji zu, der gerade Rei hochhob.
\"Brauchst du Hilfe?\"

\"Nein, Kaji-san, sie ist nicht schwer.\"

\"Hm, schade, dann muß ich doch den alten Mann tragen...\"

\"Das habe ich gehört, Major Kaji.\"

Ryoji Kaji grinste breit.
\"Noch \'mal gutgegangen...\"

Sie verließen die Wohnung, Kaji bestand darauf, den Aufzug zu nehmen und Larsen unten zu treffen, den Grund dafür konnte Shinji rechtzeitig sehen, um sich im letzten Moment so zu drehen, daß Rei ihn nicht ebenfalls zu Gesicht bekam - auf dem Zwischenabsatz der Treppe lag Kaori Ishiren, jedenfalls der größte Teil von ihr, die Hand mit der Waffe lag ein paar Stufen weiter unten, ebenso ihr Kopf...
Shinji kämpfte mit der Übelkeit.
Die Frau hatte sie eben noch gewarnt, ohne Ishiren-sans Auftauchen, hätte der Kommandant ihn und Rei-chan völlig überrascht...

Kaji wußte Shinjis Blick zu deuten.
\"Sie hat uns die nötige Zeit verschafft\", murmelte er dumpf. \"Was ist mit Rei?\"

\"Uh...\"
Er blickte in ihr Gesicht, ihre Stirn und Wangen glänzten wieder fiebrig, doch mittlerweile glaubte er zu wissen, daß Doktor Akagi ihr nicht würde helfen können, dies fiel eher in Nagisa-kuns Ressort...


*** NGE ***


Vor dem Aufzug wartete der Metallmann auf sie, fixierte die Kinder mit seinen roten Kameraaugen.

\"Uh... Kaji-san... ein Roboter?\" flüsterte Shinji.

\"Nein...\"

Der Metallmann versuchte zu lächeln, was von der Tatsache, daß er nur noch einen intakten Mundwinkel hatte, doch arg beeinträchtigt wurde.
\"Cyborg träfe es eher.\"

\"Ahm... äh... tut mir leid...\"

\"Ein Roboter ist ein künstliches Wesen mit einem künstlichen Gehirn, während ein Cyborg eine Verschmelzung aus Mensch und Maschine darstellt\", dozierte Fuyutsuki schläfrig.

Kaji schüttelte ihn.
\"Nicht einschlafen, Professor! Das wäre ja noch schöner, wenn ich Sie den ganzen Weg in die Geofront schleppen müßte! - Tja, Shinji, man könnte sagen, das ist mein Boß.\"

\"Sie haben nicht zufällig eine Kanne Synthohaut dabei, Kaji, oder?\" fragte der Cyborg.

\"Bedaure, Commander.\"

In diesem Moment betrat Misato das Haus, mit sich führte sie eine Tüte mit Medikamenten aus der nächsten Apotheke.
\"Was ist denn hier los...\"
Als sie die Gestalt mit dem Stahlschädel erblickte, von dem das halbe Gesicht in Fetzen herabhing, griff sie unwillkürlich nach der Waffe.

\"Katsuragi, nicht!\" rief Kaji.

\"Was zur Hölle geht hier vor?\" flüsterte sie mit weitaufgerissenen Augen.

\"Ich bin Wolf Larsen von ODIN, UN-Geheimdienst, Abteilung für SpecialOperations. Ich bekleide den Rang eines Commanders.\"

\"Uh...äh... Hi!\" murmelte Misato.

\"Der Kommandant ist tot, er wollte zu den Kindern und hat hier ein Blutbad angerichtet - ich würde nicht die Treppe benutzen, wenn ich du wäre.\"

\"Ja, Kaji, ja...\"

\"Major Katsuragi, wir wollten gerade ins Hauptquartier zurückkehren... vielleicht schließen Sie sich uns an?!\" sagte Fuyutsuki.

\"Das wäre wohl... das Beste...\" erklärte sie, warf dabei nervöse Seitenblicke in Richtung des Cyborgs.

\"Ich sage auch nichts über Ihre Haarfarbe\", brummte Larsen.

\"Ähh...\"


*** NGE ***


Ikaris Körper lag völlig still... noch...

Plötzlich zuckten die Finger der linken Hand, wirbelten Staub auf.

ADAM öffnete seine zahlreichen Augen.
Nichts mehr, das ihn davon abhielt, die Kontrolle über den Körper des Lilim vollends zu erringen...

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Retelling a Story 0:X – Omake